„Tortured Poets Department“: Literatur im Krieg
Was macht der Krieg Russlands gegen die Ukraine mit Literatur und Kunst? Und welche Rolle spielt die Kultur für das Überleben in Zeiten des Krieges? Die Schriftstellerin IRYNA SLAVINSKA schreibt in ihrem literarischen Essay über den Schmerz und die Hoffnung, die in Zeilen ukrainischer Autor*innen liegen.
Im Februar 2022 konnte ich nicht lesen. Buchstäblich. Ich konnte kein Wort verstehen, ich konnte mich auf keinen Text konzentrieren. In den ersten Märztagen nahm ich dann einen großen Gedichtband zur Hand und schlug ihn auf einer beliebigen Seite auf. Mir gelang es, zwei sehr kurze Gedichte – geschrieben von großen ukrainischen Dichtern des 20. Jahrhunderts – zu lesen. Beide starben sehr jung, nachdem sie vom NKWD, dem Volkskommissariat für innere Angelegenheiten der Sowjetunion, gefoltert worden waren. Sie wurden in Sandarmoch erschossen, einem Waldgebiet in Karelien, nur 580 km von St. Petersburg entfernt. Josef Stalin ließ in seinem Krieg gegen die ukrainische Kultur in den Dreißigern viele herausragende Talente foltern und töten. Diese Generation ukrainischer Dichter*innen, Dramatiker*innen und Schriftsteller*innen, die die Kultur- und Kunstszene in der Ukrainischen Sowjetrepublik in den Zwanzigern zum Aufblühen gebracht hatten und daraufhin vielfach verhaftet und hingerichtet wurden, nennen wir heute die Erschossene Renaissance (ukr. Rozstriljane vidrodžennja). Dieser Begriff wurde vom Literaturkritiker Jurij Lavrynenko geprägt, der auch die maßgebliche Anthologie ihrer Werke zusammenstellte.
Heute ist meine Fähigkeit zu lesen zurück. Doch ich kann nur noch Gedichte oder Essays lesen. Je kürzer desto besser.
Ich stehe vor meinem Bücherregal und allen meinen Büchern.
Ich sehe mir das lyrische Debüt von Victorija Amelina an. Ihr allererster Gedichtband „Zeugnis ablegen“ (ukr. „Svidčennja“) wurde post mortem veröffentlicht. Amelinas Gedichte unterscheiden sich stark von ihren Romanen, aber ich erkenne dieselbe subtile Aufmerksamkeit für Details und die feinen Nuancen der Gefühle. Die Schriftstellerin wird dieses Buch nicht für mich signieren. Sie wurde in Kramatorsk getötet. Eine russische Rakete zielte auf ein vermeintlich äußerst gefährliches Objekt – eine Pizzeria im Stadtzentrum. Zivilist*innen starben, darunter auch die bekannte junge Autorin. Ihre späteren, reiferen Meisterwerke werden wir niemals lesen können.
Ich schaue mir ein weiteres lyrisches Erstlingswerk an, „Gedichte aus der Schießscharte” (ukr. „Virši z bijnyci”) einen Gedichtband von Maksym Kryvcov, ein 33 Jahre alter Dichter. Für immer 33. Gefallen im militärischen Einsatz in der Region Charkiw. Er hatte noch die Gelegenheit, sein erstes Buch zu sehen und zu berühren. Mein Exemplar wurde jedoch bereits nach seinem Tod geliefert. Auch Krywzows spätere Meisterwerke werden wir nicht lesen.
Der Band „Langsamer Mann“ (ukr. „Povil′na ljudyna” ) enthält Gedichte von Mykola Leonovyč. Dieser ist nicht nur Dichter, sondern auch ein preisgekrönter Designer. Ein Porträt von Leonovyč ist auf dem Buchumschlag zu sehen. Er gilt seit April 2023 in der Nähe von Awdijiwka als vermisst. Der Gedichtband wurde von seiner Frau herausgegeben und von seinem Verlag veröffentlicht. Ob wir jemals seine späteren Werke lesen und sehen werden können?
Meine Betrachtung der Texte toter oder vermisster Schriftsteller*innen verdeutlicht am wohl eindringlichsten den Einfluss des Krieges auf die ukrainische Kultur. Bereits seit der russischen Besatzung der Krym im Jahr 2014 werden ukrainische Künstler*innen von den russischen Besatzern entführt, gefoltert und getötet. Der auf der Krym verhaftete Filmregisseur Oleg Sencov verbrachte ab 2014 fünf Jahre in einem russischen Gefängnis. Der Schriftsteller und Journalist Stanislav Asjejev aus dem Donbas war von 2017 bis 2019 in einem Foltergefängnis in Donezk inhaftiert. Das Gelände und die Gebäude des Gefängnisses, in Sowjetzeiten urspünglich als Fabrik für Isoliermaterial erbaut, beherbergte vor 2014 das bekannte Zentrum für zeitgenössische Kunst „Izoljacija“. Heute sind hier Ukrainer*innen, darunter Künstler*innen und Kulturschaffende, eingesperrt.
2022 kamen neue Namen von jenen hinzu, die die russiche Besatzung und die Kriegshandlungen nicht überlebten. Jurij Kerpatenko aus Cherson war Dirigent eines Sinfonieorchesters. Er wurde in seiner eigenen Wohnung erschossen, nachdem er sich geweigert hatte, ein großes Konzert in der besetzten Stadt Cherson zu Ehren der russischen Besatzer zu dirigieren. Ich frage mich, ob in dem Konzertprogramm auch Werke von Tschaikowsky vorgesehen waren. Oh, die große russische Kultur und ihre tödliche Schönheit!
Mehr als 120 Künstler*innen starben bisher durch den Krieg – manche als Zivilist*innen, andere als Soldat*innen. Eine genaue Zahl gibt es nicht, aber wir kennen so viele Namen von Gefallenen. Soll ich diese Liste der Märtyrer*innen fortsetzen?
Viel lieber würde ich einen optimistischen Essay über die dynamische ukrainische Kulturszene und ihre Widerstandsfähigkeit in Kriegszeiten schreiben. Und die Kulturszene in der Ukraine ist in der Tat lebendig und widerstandsfähig. Die Theater sind voll, Premieren ständig ausverkauft. Auch literarische Veranstaltungen, Konzerte und Kunstausstellungen sind sehr beliebt. Sind die Menschen in der Ukraine auf der Suche nach Ablenkung und finden diese in der Kunst und Kultur? Vielleicht. Meiner Meinung nach vermittelt Kultur auch die Fähigkeit, sich wieder enger mit der eigenen ukrainischen Identität zu verbinden. Und gerade in Zeiten des Krieges sucht man nach einer klaren Antwort auf die Frage: Wer bin ich?
Seit 2022 sind insbesondere auch klassische ukrainische Werke wieder beliebter und wirken fast zeitgenössisch – und das nicht nur wegen der schönen Sprache oder des persönlichen Schreibstils einiger lange vergessener und wiederentdeckter Autor*innen. Klassische Texte, Musik und Kunstwerke können uns auch relevante Modelle für unsere derzeitige Lebenssituation liefern. Denn die Vollinvasion ist nicht der erste Krieg Russlands gegen die Ukraine. Und so kann auch ein Theaterstück aus den 1920er Jahren als wertvolles Vorbild für die Widerstandsfähigkeit der Ukrainer*innen dienen. Ein Roman aus den 1850er Jahren kann ein gutes antikoloniales Argument liefern und selbst ein Gedicht aus den 1790er Jahren gibt im heutigen Alltag in der Ukraine neue Hoffnung und Inspiration. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, dass unsere Soldaten sogar in der Nähe der Front Bibliotheken einrichten.
Frühere Generationen ukrainischer Künstler*innen überlebten zwei Weltkriege, Repressionen, ungerechte Verfolgungen, Zwangsmigration und Besatzung. Ihre Erfahrungen sind für unsere heutige Realität inmitten des Krieges relevant. Deshalb ist es wichtig, die Stimmen der toten Dichter*innen zu hören. Ebenso wie die Stimmen unserer zeitgenössischen Autor*innen – ob tot oder lebendig.
Einer meiner Lieblingsschriftsteller*innen Martin Pollack schreibt über „Kontaminierte Landschaften“. Damit bezeichnet er Orte des Massen- und Völkermords, die verbrecherische autoritäre Regime versuchen zu vertuschen. Nur die Erinnerung stellt ein Heilmittel gegen das Vergessen dieser Verbrechen und deren Orte dar. In Zeiten des Krieges ist jedes ukrainische Bücherregal und dessen Silhouette ein Zeuge der Landschaften der Ukraine – auch der kontaminierten. Die Worte, die Zeilen, die Verse, die Texte, die Erfahrungen, die Namen der Gefallenen, der Lebenden, der Verschwundenen. Erinnerung ist oft so zerbrechlich. Und gleichzeitig so mächtig.
Iryna Slavinska ist eine ukrainische Journalistin, Schriftstellerin und Radiomoderatorin. Sie ist Mitglied des PEN Ukraine. In ihren Essays im „Book of Air and Alerts“ (ukr. „Povitrjana j tryvožna knyžka“) beschreibt sie den Alltag in ukrainischen Städten im Krieg.
Ist die Auswanderungsregion Mitteleuropa Geschichte?
Ob in Spitälern, am Bau oder in der Schule: In Mittel- und Osteuropa fehlt es an Fachkräften. Die Antwort auf diese Herausforderung ist gezielte Einwanderung – ein Phänomen, das in diesen EU-Ländern bis vor Kurzem noch unvorstellbar war, wie MALWINA TALIK erklärt.
Im Westen wurde Mittel- und Osteuropa lange Zeit vor allem mit Emigration assoziiert. In der jüngeren Geschichte der Region führten politische Ereignisse wie der ungarische Volksaufstand 1956, der Prager Frühling 1968 und die Ausrufung des Kriegsrechts in Polen 1981 zur Flucht vieler Menschen. Nach dem Ende des Kommunismus sorgten in den 1990er Jahren hohe Arbeitslosigkeit und Inflation für einen erneuten Anstieg der Auswanderung. Der EU-Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten 2004 erleichterte schließlich die Migration enorm. Viele zog es zu besser bezahlten Jobs ins EU-Ausland.
Während die massive Auswanderung den Fachkräftemangel in den westlichen EU-Ländern abschwächte, hinterließ sie einen Braindrain in den Herkunftsländern. Zwischen 2011 und 2020 stieg laut dem Atlas der Demografie, einer interaktiven Datenbank der Europäischen Kommission, der Anteil der im EU-Ausland lebenden Rumän*innen im erwerbsfähigen Alter von 14 % auf 23%. Auch in Bulgarien stieg diese Zahl von 7% auf 11% und in Polen von 4% auf 9%.
Wirtschaftlicher Aufschwung
Mittlerweile gehört die Arbeitslosigkeit in Mitteleuropa zu den niedrigsten in der EU, die Wirtschaft ist stabil und der Wohlstand steigt allmählich. Doch seit Jahren mangelt es spürbar an Fach- und Hilfskräften. Einheimische sind oft nicht mehr bereit, in Jobs zu arbeiten, die deutlich unter ihrem Qualifikationsniveau liegen. Viele Regierungen versuchten zunächst, emigrierte Staatsbürger*innen wieder für ein Leben im eigenen Land zu gewinnen. Mithilfe von Programmen wie »Gyere haza, magyar« (dt. »Komm nach Hause, Ungar*in«) oder »Powroty« (dt. »Rückkehrer*innen«) in Polen sollte die Heimkehr attraktiver gemacht werden. Diese Kampagnen informierten über Anstellungsmöglichkeiten, Formalitäten bei der Rückreise und Anreize für Rückkehrer*innen wie vorübergehende Steuersenkungen.
Einige nutzten diese Angebote und zogen zurück in ihre Herkunftsländer – insbesondere auch nach dem Brexit und während der COVID-19-Pandemie. Doch die Zahl der Heimkehrer*innen reicht für die Bedürfnisse der mittel- und osteuropäischen Wirtschaften bei weitem nicht aus. So benötigt Bulgarien mehr als 269.000 zusätzliche Arbeitskräfte. Das entspricht laut Vladislava Gubalova vom slowakischen Think Tank GLOBSEC etwa 9 % der derzeitigen Erwerbsbevölkerung.
Auch der Krieg in der Ukraine führte zu Veränderungen auf den Arbeitsmärkten. Infolge der russischen Aggression im Osten des Landes im Jahr 2014 kamen zahlreiche Ukrainer*innen in ihre EU-Nachbarländer. In Polen erhielten viele eine Arbeitserlaubnis und wurden wesentlicher Bestandteil der boomenden polnischen Wirtschaft. Ungarn zeigte sich ebenfalls interessiert an ukrainischen Arbeitskräften. Die ungarische Fluggesellschaft WizzAir betrieb laut dem ungarischen Forscher Ferenc Németh kurz vor Beginn der Vollinvasion sogar Direktflüge zu touristisch weniger attraktiven Zielen wie Saporischschja. Mit der Eskalation des Krieges im Jahr 2022 kehrten jedoch die meisten ukrainischen Männer zurück in ihre Heimat, was den Fachkräftemangel weiter verschärfte.
Mitteleuropa blickt nach Osten
Ersatz für die fehlenden Arbeitskräfte suchen die Länder Mitteleuropas mittlerweile weit über die Grenzen Europas hinweg. Immer mehr Migrant*innen aus Nicht-EU-Ländern ziehen in die Region. Laut dem Polnischen Statistischen Hauptamt stellten Ausländer*innen im Jahr 2023 rund 6,6 % aller Arbeitskräfte im Land. Die meisten stammen weiterhin aus den Nachbarstaaten Ukraine und Belarus, zuletzt aber vermehrt auch aus Indien, Kolumbien, Nepal, den Philippinen und Usbekistan. Die Anzahl der neuen Arbeitsgenehmigungen für Ausländer*innen aus Asien und Südamerika verfünffachte sich in Polen zuletzt, von 55.000 im Jahr 2019 auf 275.000 im Jahr 2023. Das bestätigt der Bericht »Migration 2.0. Poland in the Global Fight for Talent from Asia and Latin America« der Universität Warschau und der auf die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer*innen spezialisierten EWL Group.
Als größte Wirtschaft der Region zieht Polen besonders viele Arbeitskräfte an, doch dieser Migrationstrend lässt sich in ganz Mittel- und Osteuropa beobachten. Für Drittstaatsangehörige sind die Länder nicht nur aufgrund ihrer EU-Mitgliedschaft und der höheren Lebensstandards, sondern auch aus finanzieller Sicht attraktiv – und das obwohl die Gehälter in Polen, der Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien laut Eurostat im EU-Vergleich zu den niedrigsten gehören. Trotz allem ist das monatliche Nettogehalt vieler Ausländer*innen in Polen laut »Migration 2.0« drei- bis viermal höher als in ihren Herkunftsländern.
Einwanderung abseits des Rampenlichts
Während mit der stillen Zustimmung der Regierungen der Fachkräftemangel zunehmend über Einwanderung gedeckt wird, sind viele Länder Mittel- und Osteuropas in der Öffentlichkeit für ihre migrationskritische oder gar einwanderungsfeindliche Rhetorik bekannt. So wird von jungen männlichen Geflüchteten oft behauptet, dass sie Wirtschaftsmigranten und keine »echten« Geflüchteten sein könnten. Ironischerweise ist genau diese Personengruppe dringend erforderlich für die boomenden Volkswirtschaften der Region. Laut »Migration 2.0« machen männliche Arbeitskräfte 75 % der neuen ausländischen Beschäftigten in Polen aus. Diese sind vor allem in den Bereichen Industrie, Dienstleistungen und Hotellerie tätig, 36% arbeiten auch als Handwerker. Ungarn, das sich öffentlich ebenfalls lautstark gegen Immigration ausspricht, vereinfachte zuletzt das Einwanderungsverfahren für qualifizierte Arbeiter*innen aus 15 Ländern, darunter Indonesien, die Philippinen, Kirgistan, Russland und Belarus. In Ungarn werden ausländische Arbeitskräfte insbesondere in chinesischen Batterie- und deutschen Autofabriken sowie im Bereich des Bauwesens eingesetzt.
Da der hohe Bedarf an Arbeitskräften und die zusätzlichen Visaverfahren bei Drittstaatsangehörigen große Herausforderungen für die Konsulate der mitteleuropäischen Staaten im Ausland bedeuten, wird die damit verbundene Arbeit oft an externe Firmen delegiert. Diese begleiten den meist drei bis sechs Monate dauernden Prozess von der Beantragung der Arbeitserlaubnis über die notwendigen Visaverfahren bis hin zur Einstellung der Migrant*innen in Europa. Die Verfahren sind kostspielig und können ein Vielfaches der Monatseinkünfte der Antragsteller*innen in ihren Herkunftsländern ausmachen. Es ergeben sich zudem häufig Umstände, die Korruption ermöglichen oder erleichtern. So auch im Fall eines Visaskandals, der 2023 Polen erschütterte und bei dem auch Mitarbeiter*innen des polnischen Außenministeriums ins Visier der Behörden gerieten.
Wohin führt die neue Wende?
Fast die Hälfte der Migrant*innen aus Asien und Südamerika plant laut »Migration 2.0« länger als zwei Jahre in Polen zu bleiben. Für die Zukunft wird deswegen eine nachhaltige Integrationspolitik für Migrant*innen und ihre Familien benötigt. Das vermeidet die Bildung paralleler Gesellschaften und schützt Migrant*innen vor Diskriminierung und Rassismus im Alltag.
Wir können hierbei von jenen eingewanderten Menschen lernen, die schon seit Jahrzehnten in der Region leben. Bei den regionalen Wahlen im April 2024 wurde Cao Hong Vinh als erste polnisch-vietnamesische Abgeordnete gewählt. Vietnames*innen leben seit der Zeit des Kommunismus in Polen, Tschechien und Ungarn. Vinh setzt sich aktiv für mehr interkulturelle Assistent*innen in Schulen ein, die in Zeiten steigender Einwanderung von großer Bedeutung sind. Neben einer Verbesserung der arbeitsrechtlichen Lage, der Integrationsangebote und des Zugangs zu Sprachkursen muss sich aber auch die oft von Vorurteilen und Diskriminierung geprägte Einstellung in der Aufnahmegesellschaft verändern.
Viele Mittel- und Osteuropäer*innen haben selbst Erfahrung mit Migration und pendeln mittlerweile zwischen ihrer Heimat und ihrem neuen Wohnort oder haben internationale Familien. Sie kennen die Herausforderungen, die Auswanderung und das Leben in einem fremden Land mit sich bringen, aus erster Hand. Auch sie können daher eine zentrale Rolle bei der Entwicklung einer positiven Einstellung gegenüber ausländischen Fachkräften spielen, indem sie durch das Teilen ihrer Erfahrungen und anhand ihres eigenen Beispiels für die Situation von Migrant*innen sensibilisieren.
Malwina Talik ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am IDM sowie freiberufliche Forscherin und Übersetzerin. Davor war sie als Expertin für wissenschaftliche Zusammenarbeit bei der Polnischen Akademie der Wissenschaften / Wien und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei der Polnischen Botschaft ebenso in Wien tätig.
IDM Short Insights 42: Poland and Hungary. Friends no more?
Five things you need to know about the current state of Polish-Hungarian relations!
“Pole, Hungarian, brothers be?” This old saying has been put to the test recently, as relations between the Hungarian and Polish governments continue to deteriorate. The latest flashpoint: Viktor Orbán granting political asylum to Poland’s former deputy justice minister, who is wanted on a European Arrest Warrant for serious corruption cases.
Our colleagues, Malwina Talik and Peter Techet, answer five key questions about this case and the ongoing cooling of Hungarian-Polish relations.
Transcript:
“Pole, Hungarian brothers be”, that’s a saying popular in both countries, which emphasizes a strong bond between them. But the relation between Poland and Hungary has turned into a family drama in recent time.
What happened?
Marcin Romanowski, who served as a deputy justice minister under the Law and Justice government, was about to be arrested. The reason? Eleven charges against him, including fraud and an attempted fraud of about 39 million euro, which were to be used for support of crime victims. But Marcin Romanowski disappeared without a trace, which is why the Polish authorities issued a European Arrest Warrant for him. Then, unexpectedly, he appeared in Hungary, where he was warmly welcomed by Viktor Orbán.
Why would Orbán do it?
Orbán is friend of Poland, but I would say only if the political allies had the power. Orbán tried to help his allies to rescue from Poland. But it’s not the first case Orbán is doing this way, because in 2019 the Hungarian authorities had Nikolai Gruevski, a former minister-president, prime minister of North Macedonia, to rescue from his own country. And now he’s living in Budapest, and he was also charged for corruption issues in North Macedonia.
Can an EU country do that?
Yes, it’s not so usual, but we can recall the case of Belgium. Because Belgium refused to extradite the former president of Catalonia, Puigdemont, to Spain, claiming that the process against him was politically motivated in Spain.
How did Poland respond?
Polish authorities consider it a hostile act by Budapest. The Polish ambassador in Hungary was summoned back to Warsaw for consultations, which in diplomatic language means a serious cooling of relations. And the Hungarian ambassador in Poland is considered persona non grata. He was also disinvited from the gala starting the Polish presidency of the EU Council. This is quite a telling and symbolic gesture because Hungary has just concluded its own presidency. And this is just one example for the growing rift between Poland and Hungary.
Why are Poland and Hungary are drifting apart?
Poland is among the most vocal supporters of Ukraine and objects vehemently to the Russian war of aggression and Russian politics. Hungary is pursuing very pro-Russian politics, that’s why even during the former Polish government, the relationship between Poland and Hungary deteriorated, because even the party of Kaczyński is quite anti-Russian and pro-Ukrainian. So I would say the issue with Ukraine would always be a problematic issue between Orbán and any Polish government. Another reason is the approach to the EU. Poland has under the current government a very pro-European stance and has the ambition of becoming an even more important player in EU affairs. And Donald Tusk poses a big threat for Orbán, because the case of Tusk demonstrates how it is possible to transform an illiberal democracy into a liberal one, even sometimes with problematic methods. And at the same time the biggest opponent of Viktor Orbán nowadays in Hungary, Péter Magyar, is sitting in the same party, the European People’s Party, like Donald Tusk. So we’ll see how the situation will evolve. Orbán has promised that he can grant asylum to even more former Polish politicians. And this could drive a further wedge between the two countries.
Das Baltikum in Alarmbereitschaft
Die baltischen Länder stehen seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine im Fokus der Sicherheitsfragen der NATO. Auf welche Verteidigungsmaßnahmen Estland, Lettland und Litauen setzen und welche Rolle dabei den Bürger*innen zukommt, erklärt ALEKSANDRA KUCZYŃSKA-ZONIK.
Eine über 1.600 Kilometer lange Grenze trennt die baltischen Staaten von Russland, Belarus und der russischen Exklave Kaliningrad. Bei einem möglichen Konflikt zwischen Russland und der NATO könnten Estland, Lettland und Litauen daher an vorderster Front stehen. Die hybride Kriegsführung Russlands hat das Baltikum dagegen längst erreicht. Durch wirtschaftliche und energiepolitische Maßnahmen, illegale Migration sowie Cyberangriffe, Desinformation und Propaganda versucht Russland in den baltischen Staaten Einfluss zu nehmen und die nationale Sicherheit zu untergraben. Zwar haben Litauen, Lettland und Estland 2022 traditionelle russische Medien verboten, doch über die sozialen Medien verbreiten sich russische Narrative und Interessen weiterhin.
Seine Provokationen und Destabilisierungsversuche weitet Russland auch auf die Ostsee aus. Im Frühjahr 2024 alarmierte das Land die NATO mit dem mittlerweile wieder zurückgezogenen Vorhaben, die Grenzen in der Ostsee neu ziehen zu wollen. Zudem nutzt Russland die sogenannte „Schattenflotte“, Schiffe ohne russische Flagge, um sanktionierte Waren und insbesondere Öl zu schmuggeln.
Eine besondere Rolle spielt im Baltikum auch die russische Minderheit, die in Lettland und Estland etwa 30 % der Bevölkerung ausmacht. Viele Mitglieder dieser Gruppe fühlen sich kulturell nach wie vor stark mit Russland verbunden und leben oft in der Nähe der Grenze in überwiegend russischsprachigen Gemeinschaften. Integrationsprobleme führen nicht selten zu einem gewissen Misstrauen der baltischen Bevölkerung gegenüber der ethnisch russischen Minderheit, was zu gesellschaftlichen Spannungen beitragen kann.
Aktive Beteiligung der Bürger*innen
Aufgrund ihrer unmittelbaren Nähe zu Russland, der geringen Bevölkerungsgröße und ihres kleinen Militärs gelten die baltischen Staaten als schwer zu verteidigen. Laut Angaben der jeweiligen Verteidigungsministerien umfassen die litauischen Landstreitkräfte rund 11.500, die lettische Armee 7.300 und die estnische Armee 4.200 aktive bzw. Berufssoldat*innen. Hinzu kommen jeweils Reservist*innen, Wehrpflichtige und Freiwillige.
Angesichts der rein militärischen Übermacht Russlands setzt das Baltikum auf ein Modell der umfassenden Gesamtverteidigung, das in Finnland bereits gut entwickelt ist. Neben dem Ausbau militärischer Fähigkeiten umfasst dieses Modell auch nichtmilitärische Verteidigungsaktivitäten. Strategische Kommunikation, Kooperationen zwischen öffentlichem und privatem Sektor und die Dezentralisierung von Verantwortlichkeiten sollen das Funktionieren wichtiger Institutionen auch in Kriegszeiten gewährleisten. Bürgerbewusstsein, patriotische Werte und eine verantwortungsvolle Haltung der Gesellschaft gegenüber dem Staat sollen gefördert werden und so die Widerstandsfähigkeit und Bereitschaft der Bürger*innen zur Verteidigung von sich selbst, ihren Angehörigen und des Landes sicherstellen. All das gilt als Voraussetzung für die gesamtgesellschaftliche Bewältigung von Krisen- und Kriegssituationen.
So betonen die baltischen Länder die Notwendigkeit militärischer Berufsausbildungsprogramme für Jugendliche, um diese auf eine mögliche Karriere in den Streitkräften oder in anderen dem Militär nahen Bereichen vorzubereiten. In Lettland und Estland wurde Verteidigung als neues Schulfach in den Lehrplan aufgenommen, das Erlernen von Russisch als Zweitsprache wird in litauischen und lettischen Schulen dagegen immer seltener angeboten. Über 5.000 als „Elfen” bekannte Freiwillige in Litauen und die im ganzen Baltikum tätige NGO Debunk EU betreiben Faktenchecks und bekämpfen russische Propaganda durch das gezielte Aufdecken von Desinformation. Die Verwendung von Kriegssymbolen ist verboten und Veranstaltungen und Proteste in der Nähe von Denkmälern der Sowjetarmee wurden stark eingeschränkt.
NATO-Präsenz und europäische Kooperation
Trotz Einbindung der gesamten Bevölkerung in die nationalen Verteidigungsmaßnahmen, bleibt der wichtigste Garant für die Sicherheit im Baltikum die NATO-Mitgliedschaft und die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten. Derzeit sind insgesamt rund 10.000 NATO-Soldat*innen in den baltischen Staaten stationiert, die meisten davon in Lettland. Seit Jahren erfüllt das Baltikum das auf dem NATO-Gipfel 2014 in Wales festgelegte Ziel, mindestens 2% des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Im Jahr 2024 beliefen sich die Verteidigungsausgaben in Litauen auf 2,7%, in Lettland auf 2,4% und in Estland sogar auf 3,2% des BIP.
Eine wichtige Rolle bei der Koordinierung der Zusammenarbeit der baltischen Staaten untereinander – auch zu den Themen Sicherheit und Verteidigung – spielen die in den Neunzigern gegründete Baltische Versammlung und der Baltische Ministerrat. Es bestehen auch bedeutende militärische Verbände wie der trinationale Marineverband Baltic Naval Squadron (BALTRON) und die Baltische Verteidigungsakademie (BALTDEFCOL) zur Ausbildung von Militärpersonal. Polen ist ein wichtiger Partner bei der Stärkung der regionalen Sicherheit und beteiligt sich aktiv an der NATO-Mission Baltic Air Policing, einer Überwachung des NATO-Luftraums.
Deutschland ist einer der engsten militärischen Verbündeten Litauens. Derzeit ist ein NATO-Bataillon unter deutscher Führung im Rahmen der NATO enhanced Forward Presence (eFP) im litauischen Rukla stationiert. Ein potenzieller Aggressor soll so abgeschreckt und das litauische Verteidigungspotenzial gestärkt werden. Über 1.000 der rund 1.600 Soldat*innen in Rukla sind Angehörige der deutschen Bundeswehr und bis 2028 soll die Einheit um 5.000 weitere Soldat*innen aufgestockt werden. Aus einer Umfrage des litauischen Meinungsforschungsinstituts „Spinter Research” aus dem Jahr 2023 geht hervor, dass 82% der litauischen Bevölkerung die Stationierung der deutschen Brigade befürworten. In den letzten Jahren erwarb die litauische Armee außerdem Ausrüstung, darunter Militärfahrzeuge und Panzerhaubitzen, im Wert von fast einer Milliarde Euro aus Deutschland. Im Jahr 2022 eröffneten die deutschen Rüstungsunternehmen Rheinmetall und KNDS Deutschland (vormals Krauss-Maffei Wegmann) ein Servicezentrum für militärische Ausrüstung im litauischen Jonava.
Unterstützung für die Ukraine
Im Jahr 2024 haben Estland, Lettland und Litauen die Initiative „Baltische Verteidigungslinie”, die auch Teil der NATO-Verteidigungspläne ist, ins Leben gerufen. Dabei soll die Grenze zu Russland, Belarus und Kaliningrad gegen eine mögliche Invasion geschützt und eine schnelle militärische Operation eines potenziellen Gegners blockiert oder zumindest verzögert werden. Lettland plant im Rahmen dieser Initiative das Grenzgebiet durch die Umwandlung von Entwässerungsgräben zu Panzergräben und den Bau neuer Panzergräben besser zu sichern. Darüber hinaus sollen speziell ausgewiesene Lager für Sprengstoff, Minen und technische Ausrüstung errichtet werden. Estland will mehr als 400 unterirdische Bunker bauen und der litauische Aktionsplan sieht unter anderem neue militärische Befestigungen sowie die Sicherung von Straßen und Brücken vor.
Gleichzeitig soll die Unterstützung für die Ukraine ausgebaut werden. In Lettland wurde in Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich im Februar 2024 die sogenannte „Drohnen-Koalition” gegründet. Das Projekt zielt darauf ab, mithilfe innovativer Technologien eine stabile Versorgung der Ukraine mit Drohnen und eine sichere Lieferkette für Bauteile zu gewährleisten sowie die Drohnenherstellung im Westen zu unterstützen. Estland erklärte, dass es der Ukraine zwischen 2024 und 2027 jährlich mindestens 0,25% des BIP für militärische Zwecke zur Verfügung stellen wird. Zusätzlich leisten Estland, Lettland und Litauen auch im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU finanzielle Unterstützung an die Länder der Östlichen Partnerschaft (Ukraine, Georgien und Moldau) und tragen so zu deren Integration in den euro-atlantischen Raum bei.
Seit Beginn der Vollinvasion Russlands in der Ukraine hat das Baltikum seine verteidigungspolitischen und militärischen Maßnahmen zur Vorbereitung auf Kriegssituationen intensiviert. Dabei lernen die baltischen Staaten auch aus den Erfahrungen der Ukraine im Krieg gegen Russland. Eine erfolgreiche nationale Verteidigungspolitik besteht nicht nur im Aufbau einer starken Armee. Maßnahmen wie der Bau von Schutzräumen, Frühwarnsysteme, die Sicherstellung der Stromversorgung, gute Erste-Hilfe-Kenntnisse in der Bevölkerung, Bildungsmaßnahmen und die Förderung gesellschaftlicher Resilienz gegenüber Desinformation sind ebenfalls essenziell. Denn am Ende ist der Erfolg, sich bei militärischen Angriffen zu schützen und das Land wirksam zu verteidigen, abhängig von sozialem Zusammenhalt, Widerstandsfähigkeit und der Verteidigungsbereitschaft und -fähigkeit der Bürger*innen und des Staates als Gemeinschaft zu handeln.
Aleksandra Kuczyńska-Zonik ist Leiterin der Abteilung für das Baltikum am “Institute of Central Europe” und Assistenzprofessorin an der Katholischen Universität Johannes Paul II. in Lublin (Polen). Sie ist Politikwissenschaftlerin und Archäologin. Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte umfassen die Politik und Sicherheit in Mittel- und Osteuropa sowie im postsowjetischen Raum, die russische Diaspora und das sowjetische Erbe.
Zeitenwende(n): Eine Frage der Perspektive
Russlands Vollinvasion in der Ukraine läutete eine sicherheitspolitische Zeitenwende ein. Doch was bleibt von dem Begriff fast drei Jahre nach seiner Prägung durch den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz? ULRICH SCHNECKENER erläutert in seinem Kommentar, warum die Metaphorik der Zeitenwende auch problematische Seiten hat.
Mit seinem Auftritt vor dem Deutschen Bundestag am 27. Februar 2022 – drei Tage nach dem Beginn der russischen Vollinvasion in der Ukraine – verhalf der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz dem Begriff Zeitenwende zu einer globalen Karriere. Seither wurde das deutsche Wort in mehrere Sprachen eingebürgert und die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) kürte „Zeitenwende“ 2022 zum „Wort des Jahres“.
In Reaktion auf Russlands Drei-Fronten-Angriff auf die Ukraine erklärte Scholz damals: „Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor. Im Kern geht es um die Frage, ob wir es Putin gestatten, die Uhren zurückzudrehen in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts, oder ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen.“ Scholz bezog die Zeitenwende auf die deutsche wie auch auf die europäische Ebene und erteilte sich selbst einen Handlungsauftrag: „Angesichts der Zeitenwende, die Putins Aggression bedeutet, lautet unser Maßstab: Was für die Sicherung des Friedens in Europa gebraucht wird, das wird getan.“
Doch worin besteht die Zeitenwende konkret? Was soll aus ihr folgen? Und sind die getroffenen Maßnahmen ausreichend? Fast drei Jahre nach Beginn der russischen Invasion bleiben diese Fragen offen und sind zunehmend umstritten. Scholz verweist auf die Kursänderungen in der nationalen Verteidigungspolitik und auf die Rolle Deutschlands als zweitgrößter militärischer Unterstützer der Ukraine (gemessen an absoluten Zahlen). Andere hingegen, darunter auch Stimmen innerhalb des Regierungslagers, halten die Zeitenwende bereits wieder für abgesagt, weil die Unterstützung nicht nur zögerlich erfolge, sondern auch hinter dem zurückbleibe, was möglich und erforderlich wäre. Wiederum andere, nicht zuletzt die Populisten der Alternative für Deutschland (AfD) und des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), wollen die Zeitenwende möglichst rasch rückgängig machen. Sie fordern sofortige „Friedensgespräche“ mit Putin, ein Ende der Waffenlieferungen für die Ukraine sowie den Wiederbezug von russischem Gas.
Wessen Welt ändert sich?
Sieht man über den parteipolitischen Tellerrand hinaus, so erweist sich die Metaphorik der Zeitenwende als ambivalent – gerade mit Blick auf die verfehlte deutsche Politik gegenüber Putins Russland. Dazu möchte ich drei Gedanken beisteuern: Erstens impliziert der Begriff, wie Scholz treffend feststellt, eine scharfe Trennung von Davor und Danach. Er steht für eine tiefe, irreversible historische Zäsur und für damit einhergehende umwälzende Veränderungen. Der russische Angriffs- und Eroberungskrieg fällt zweifellos in diese Kategorie. Gleichwohl: Wer wann welches Ereignis zu einer Zeitenwende erklärt, hängt nur in Teilen vom realen Geschehen selbst ab, sondern zuvorderst von der eigenen Wahrnehmung und Positionierung. Das Ausrufen einer Zeitenwende ergibt sich nicht umstandslos aus einem Ereignis, sondern ist eine Interpretation durch die jeweiligen Akteure.
So fand aus der Sicht der Ukraine – und anderer mittel- und osteuropäischer Staaten – die eigentliche Zeitenwende bereits 2014 statt, als Russland die Krym annektierte und in den Donbas im Osten der Ukraine einmarschierte. Damals wäre in der deutschen Politik kaum jemand, auch Scholz nicht, auf die Idee gekommen, diesen Begriff zu verwenden. Wenn nun von Zeitenwende die Rede ist, verweist das zunächst auf die fundamentale Erschütterung des eigenen, bis dato wenig hinterfragten Weltbildes. Denn es ist die eigene Welt, die plötzlich nicht mehr als dieselbe erscheint wie davor. In Putins Kopf, geprägt von anti-westlichen Feindbildern und neo-imperialen Vorstellungen, dürfte die Welt hingegen auch heute immer noch dieselbe sein.
Kehrtwende nach gescheiterter Russland-Politik
Zweitens erfüllt das Signalwort Zeitenwende eine legitimatorische Funktion. Wenn sich die Welt so grundlegend verändert, können außerordentliche Maßnahmen, die für notwendig und alternativlos gehalten werden, vor der eigenen Bevölkerung leichter gerechtfertigt werden. Dies gilt umso mehr, je tiefgreifender die Abkehr von früheren Positionen und Glaubenssätzen ist, die in der Gesellschaft breit verankert sind. Der deutsche Bundeskanzler hatte im Februar 2022 allen Grund zu einem solchen Kurswechsel. Offenkundig war die bisherige deutsche Sicherheits-, Energie- und Russlandpolitik gescheitert. Diese basierte vor allem auf zwei Leitsätzen: Zum einen gebe es Sicherheit in Europa nur mit und nicht ohne Russland, zum anderen führe wirtschaftliche Verflechtung, vor allem Geschäfte im Energiesektor, zu Stabilität.
Dieser von der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier vertretene Ansatz wurde auch nach 2014 im Kern nicht korrigiert. Im Gegenteil: Durch den Ausbau der Abhängigkeit von Gasimporten, den Bau von Nordstream II und den Verkauf von Energie-Infrastrukturen an vom Kreml kontrollierte Konzerne wurden die wirtschaftlichen Verflechtungen mit Russland sogar noch intensiviert. Deutschland trug unbeabsichtigt, aber fahrlässig mit dazu bei, Putins Regime jene Ressourcen zu verschaffen, die nun im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt werden. Wem die eigene Politik dermaßen brutal auf die Füße fällt, der muss wohl von einer Zeitenwende sprechen, um argumentativ eine drastische Kehrtwende einzuleiten.
Dialektik der Zeitenwende?
Das führt zum dritten, wohl problematischsten Punkt: Die Rede von der Zeitenwende birgt die Gefahr, die eigene Fehlleistung zu relativieren oder zu bemänteln. Wenn denn die Welt vorher eine andere war, dann war die eigene Politik womöglich gar nicht so verkehrt. Wenn sich gewissermaßen „über Nacht“ alles ändert – was angeblich niemand vorsehen konnte – gibt es rückblickend wenig aufzuarbeiten und kaum Lehren, die aus dem eigenen Handeln gezogen werden könnten. Die Betonung eines radikalen Bruchs verstellt somit den Blick auf außenpolitische Pfadabhängigkeiten und kausale Zusammenhänge. In dieser Lesart wirkt der Begriff Zeitenwende wie ein schaler, selbstgerechter Versuch, sich für das eigene Politikversagen und den Mangel an politischer Urteilsfähigkeit zu exkulpieren. Das wiederum erleichtert es, in alte Denkmuster und Parolen zurückzufallen, statt sich selbstkritisch mit der eigenen Verantwortlichkeit auseinanderzusetzen.
Dies war sicher nicht von Scholz intendiert, als er den Begriff in die Welt setzte. Wer aber heute die deutsche Debattenlage, nicht zuletzt in den TV-Talkshows, verfolgt, muss fürchten, dass genau dieser Effekt bereits eingesetzt hat. Längst sind wieder jene Stimmen in Politik und Gesellschaft lauter geworden, die pauschal auf einen „Frieden“ mit Russland drängen und sei es zum Preis neuer, gewaltsam gezogener Grenzen in Europa. Dies geschähe zum wiederholten Male über die Köpfe der ukrainischen Betroffenen hinweg, ganz so wie es in der unseligen Tradition deutscher Politik steht, die stets primär auf Moskau blickte und erst in zweiter Linie auf die von Putin bedrohten Nachbarstaaten. Damit würde sich jedoch die von Scholz avisierte Zeitenwende auf geradezu dialektische Weise in ihr Gegenteil verkehren.
Ulrich Schneckener ist seit 2009 Professor für Internationale Beziehungen & Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Osnabrück und seit 2016 Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF). Er ist Mitglied im Internationalen Rat des IDM. In seiner Forschung beschäftigt er sich unter anderem mit globaler und europäischer Sicherheitspolitik und mit Fragen der EU-Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik.
Germany’s Vulnerability to Trump 2.0
America first – Germany first! Sentiments that prevailed in the US are now gaining ground on the other side of the Atlantic, in the country that has Europe’s largest economy and, more recently, was a reliable and outward-looking democracy. Now, it is the very same economy and democracy that are at risk. Of all European countries, Germany’s economy is the most dependent on the US, which makes it particularly vulnerable to the upcoming Trump presidency and, in turn, opens the doors for its own right-wing populism.
Europe’s reaction
In the weeks following the US presidential elections on 6 November 2024, a common sentiment in Europe was concern for the future. Gradually, another feeling emerged: frustration. It derived from the sense of helplessness of moderate and left-wing voters in Europe after seeing most Americans vote against the Democratic party and therefore against a more social future for both domestic and international policies. As the election results revealed, Democrats failed to deliver the message that most voters profit from social cohesion and a close-knit international community bound by the rules of international law.
After frustration, indifference took over: the Americans are the masters of their own fate – let them reap what they sow! However, this perspective oversimplifies the interconnected world where markets and security are intertwined. Through NATO, Europe – and especially Germany – relies on troops, arms and American deterrence for its security, while globalised markets depend on trade agreements to avoid expensive supply chains. The indifferent attitude towards America’s politics also underestimates the capability and plans of the Trump administration.
Trump 2.0: What to expect
On the one hand, expectations of a second Trump presidency have a different tone this time around, given that his first term was not the catastrophe many anticipated. Yes, he tried to harm democratic institutions, but they held up. Yes, his foreign policy style was rough and brash, but in substance, he was less unconventional than his demeanour suggested. Experts and professionals – the “adults” in the White House – contained Trump, just as Congress, the laws, the courts, the Constitution, and the very realities of the global landscape did.
Yet Trump’s second term will likely be much more drastic because of the lessons from his first term. The political initiative “Project 2025” supports this theory, along with Trump’s own threats to prosecute his political opponents, not to mention a Republican House and Senate that will give him almost unlimited power. During his first term, Trump proudly took credit for spearheading the development of COVID-19 vaccines; now he has plans to bring an anti-vaxxer into his cabinet. His foreign policy will continue to be full of uncertainty. The Trump administration will furthermore likely prioritise a withdrawal from the Paris Agreement again – a legally binding international treaty on climate change, which was adopted at the UN Climate Change Conference in Paris – as well as widespread immigration controls, higher tariffs, reduction in support for Ukraine and a more conditional approach to traditional alliances verging on an isolationist stance. Trump views the US goods trade deficit as a major issue and plans to tackle it with punitive tariffs, as he did during his previous term.
Germany at risk
While Europe will face collective challenges over the next four years, the impact on individual countries will vary. Germany’s economy will be the most vulnerable to the plans of Trump’s presidency. A big difference compared to the last Trump presidency is Germany’s economic condition when Trump comes into power. In 2016, Germany had a particularly strong economy, which made it nearly immune to the repercussions of the US at that time. However, already feeling the indirect effects of the war in Ukraine and the sanctions on Russia, Germany is now facing an economy in recession. The year 2024 is expected to be the second consecutive year with a shrinking economy, which would be Germany’s first two-year recession in over a decade. Austria, whose economy is very dependent on Germany, will face the same fate. Indeed, the Economist’s “Trump Risk Index” (TRI) anticipates that Trump’s presidency will have a noticeable negative influence on Germany’s economy. On a scale from zero (least exposure) to 100 (most exposure), the Index places Germany at 52.9: the third most exposed country in the worldwide ranking. Only Mexico and Costa Rica score higher.
Why is Germany so vulnerable? The score takes three categories into account: trade, security and immigration. The numbers show that Germany’s high dependency on US security provision (TRI: 72.8) poses the highest risk after decades of underinvestment in national defence. On the other hand, it also reveals a high TRI score in trade (55.5) caused by a bilateral trade surplus, where Germany’s exports into the US are greater than its imports. The German steel, aluminium and automotive sectors are especially vulnerable due to an expected tariff rise by the end of 2025.
The ramifications for Germany will be both economic and political. An ongoing recession in 2025 due to the Trump administration’s actions would lead to increased prices, while wages are unlikely to keep pace with inflation, resulting in an increasing number of the population struggling financially. A lowered GDP forecast for 2024 and 2025 after Trump’s victory puts even more pressure on Germany.
Such economic pressures may bolster support for Germany’s populist parties, the far-right Alternative für Deutschland (AfD) and the left-wing Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Both parties use nationalist, Eurosceptic, anti-immigration and pro-Russian rhetoric. After the collapse of the current government, the next elections, which will take place ahead of schedule in February, may produce similar outcomes to the elections in the US and Austria this autumn. A struggling population is more likely to be perceptive to populist rhetoric such as the promise to end the support for Ukraine, anti-immigration slogans or the creation of “us against them”.
Lessons learned?
Before electoral campaigns begin in earnest, Germany’s moderate parties need to take action to avoid a reflection of the American political outcome. In the upcoming election, citizens are likely to prioritize bread and butter issues. Inflation and higher costs of living incite doubt in the population, causing citizens to question where the government’s priorities lie: domestically or abroad. Those who have flown regularly are familiar with the emergency protocol: put on your own oxygen mask before helping others. From there, it is only a small step to wanting to put “Germany first”. This is most likely the reason why voters are questioning the EU and Germany’s support for Ukraine or why they are afraid of immigrants.
However, the fearmongering of moderate politicians in the hope of making bordering racist and populist ideas their topic is not helping in the long run. Such election campaigns only drive more people into the arms of racist or populist parties. The independent US senator Bernie Sanders warned a year before the Presidential election that it is crucial for the parties of the democratic middle to focus on what their core values are, to be authentic and to “see” the struggle of the ordinary people instead of trying to implement pieces of the agenda of populists. This applies to Germany now if politicians of the democratic middle want to do better than the American Democrats. Poll after poll revealed that inflation and rising living costs were among the most important topics for American voters. Yet the Democrats failed to address these concerns convincingly.
The most important lesson for moderate German and European politicians is to take note of the financial hardships that inflation causes citizens and to take these problems seriously. German parties, limited by Germany’s legally binding debt brake, need to find a way to work around its limitations to relieve the population. This will be challenging because the debt brake is in the Basic Law of Germany and can only be changed with a two-thirds majority. Addressing this recognises the situation as an economic emergency. Using the instruments at their disposal to prevent price gouging – such as establishing strategic government petroleum reserves, which would be released in times of high petrol prices – Germany’s political parties can buffer the worst effects and the rising costs of living. Controlling inflation would, in turn, strengthen democracy.
So far, none of this seems to be on the radar of Germany’s moderate political parties. There needs to be a credible promise that the economic policies of democratic parties will improve people’s living conditions. This is essential to stop a further rise of right-wing extremist parties such as the AfD. Otherwise, Germans will need to prepare for difficult times ahead.
Hanna Obermüller – a student enrolled in the Master’s programme Peace and Security Studies at Hamburg University. She spent two months working as a trainee at the IDM.
IDM Short Insights 41: Bulgaria and Romania join Schengen (finally!)
During the Justice and Home Affairs Council meeting on 12 December 2024, it was confirmed that Bulgaria and Romania will become full Schengen members in January 2025. The two Black Sea countries have long pursued Schengen membership, with the European Commission deeming them ready since 2011—a stance repeatedly confirmed by experts. After the Netherlands withdrew its veto, Austria’s objection remained, citing illegal migration concerns.
However, domestic politics also played a role in Austria’s stance. As an intermediary step „Air Schengen“ was established, enabling Bulgaria and Romania to lift controls at air- and sea ports, however, it affected fewer people and posed fewer issues like long waits, bureaucracy, or CO2 emissions. Prolonging this arrangement risked creating a two-tier EU, where some member states enjoy full rights despite meeting all criteria, setting a potentially dangerous precedent. This delay also fueled perceptions in Bulgaria and Romania of being treated as second-class EU citizens and diverted attention from more urgent matters in Brussels.
Nevertheless, this situation is now resolved and IDM Director Sebastian Schäffer together with IDM Research Associate Sophia Beiter are very happy that the activities of the institute have contributed a little bit to this positive development through.
Transcript:
Now it is official.
Bulgaria and Romania will join the full Schengen area.
During the last Justice and Home Affairs Council meeting in December 2024, it was decided that Bulgaria and Romania will become full Schengen members in January 2025. The two Black Sea countries have long fought membership and the European Commission deemed them ready back in 2011. This was subsequently reaffirmed by experts. The Netherlands lifted their veto, however, Austria still had reservations on the ground of illegal migration. However, there are certainly also political reasons behind this decision.
In 2023, the implementation of air Schengen was agreed upon. This made it possible for Romania and Bulgaria to lift border controls in sea and air traffic from April 2024 on. However, border controls on land remained in place. The implementation of air Schengen was seen as a positive step in the right direction, but it was never a permanent solution.
First of all, border controls in air traffic affect far less people and are also far less problematic in terms of bureaucracy, waiting times and CO2 emissions. And secondly, a possible stagnation on the level of air Schengen would have created a two-tier EU, where some enjoy more rights than others even though they also fulfill all necessary requirements, setting a potentially dangerous precedent for the future. It would have also been a relatively easy win for European integration.
The next Schengen enlargement can only happen after an EU enlargement, and it took attention away from more important things that Brussels could focus on. Additionally, it fueled sentiments in the Bulgarian and Romanian societies, because they felt as second-class citizens.
Now that the veto is lifted, Austria declared that far less migrants have arrived at the Hungarian border.
Nevertheless, we could certainly say that there was probably no more political capital to gain, but a lot of economic capital to lose. With all obstacles cleared, Bulgaria and Romania are now set to become full Schengen members, marking a significant milestone in their European integration journey.
This accession is not only valuable for the European economy, businesses and consumers, it also shows a clear signal of inclusivity, solidarity and unity at the European level.
And we are very happy that we were able to contribute a little bit to these positive developments through our activities at the IDM.
Congratulations to Bulgaria and Romania!
IDM Short Insights 40: Europe Speech 2024: Key future challenges for the EU
The Europe Speech is an annual event where presidents and chairs of European institutions and committees share their perspectives on the EU’s future. In 2024, David McAllister, Chair of the Committee on Foreign Affairs in the European Parliament, delivered the Europe Speech. He addressed key challenges the EU will face in the upcoming legislative period, focusing on issues such as climate policy, migration, and the importance of a robust EU defence and foreign policy. In the latest Short Insight, IDM Research Associate Sophia Beiter reports from Berlin and presents the most important takeaways from this year’s Europe Speech.
Transcript:
The Europe Speech is an annual speech, organised by the Konrad Adenauer Foundation, where presidents and chairs of EU institutions, organisations and committees share their perspectives on the future of the EU. In that way, this speech also intends to foster a better connection between the EU citizens and their highest representatives. Here are five key facts you need to know about the 15th Europe Speech in 2024.
WHO
In previous years, leaders such as Charles Michel, Ursula von der Leyen and Roberta Metsola gave the Europe Speech. This year, the address was given by David McAllister, who is the Chair of the European Parliament’s Committee on Foreign Affairs and in that role oversees and contributes to shaping the EU’s foreign policy.
WHERE and WHEN
As a symbol of a united Europe, the Europe Speech every year takes place on or around the anniversary of the fall of the Berlin Wall at its historic site in Berlin. This year, the Europe Speech took place on 7th November in the Allianz Forum next to the Brandenburg gate.
TOPICS
Just a few days after the U.S. presidential elections and one day after the collapse of the German government, David McAllister used his speech to explore the future of the EU in the next legislative period. He spoke about the milestones, the EU already managed to meet, future challenges, especially also regarding the transatlantic relations, and the need to support Ukraine
LOOKING BACK
In the light of the results of the US elections, David McAllister started his speech with a – also still to our times fitting – quote by Konrad Adenauer from 1950. Adenauer back then said: What does Europe live on? It lives by the grace of the United States. But it will not always be this way. One day, Europe will and must be able to help itself again and stand on its own two feet.
KEY CHALLENGES
McAllister mentioned the five key challenges for the next EU legislative period:
- Competitiveness of the EU. Though an effective industrial strategy, some deregulation and reduction of bureaucracy , the EU needs to become more competitive.
- Climate policy. The EU should stick to its goal to become the first climate neutral continent by 2050. It needs to implement the Green Deal, without affecting the EUs competitiveness in a bad way
- Migration. The EU needs skilled workers, but it also needs to stop illegal migration, according to McAllister. The EU external borders need to be protected better to preserve a Europe without internal borders.
- Institutional reform. Considering the potential accession of new candidate countries, the EU needs to reform itself. If the EU wants to enlarge in the 2030ies, it needs to start thinking about and implementing a reform of the EU institutions now, to become operational and more effective again, even with more members.
- Common foreign and security policy of the EU. The EU needs to strengthen its competencies in the realm of hard power. The new Commissioner for Defence needs to work towards boosting the European defence industry and towards supporting joint procurement and training of soldiers. In that way, we need to work towards a fully fledged European defence Union, how Ursula von der Leyen called it.
Wie der ukrainische Einmarsch in Russland nicht-westliche Länder herausfordert
Die Forderungen Pekings und anderer nichtwestlicher Hauptstädte nach einem Waffenstillstand und Verhandlungen zwischen Moskau und Kyjiw haben nach der ukrainischen Besetzung westrussischer Gebiete neue Bedeutung erlangt. Ein ernsthafter Vorstoß Chinas oder anderer nicht-westlicher Länder für eine russisch-ukrainische Einigung könnte nun zu sinnvollen Friedensgesprächen führen.
Der unerwartet lange und tiefe Einmarsch der Ukraine in russisches Staatsgebiet seit dem 6. August 2024 hat die Diskussion über den Russisch-Ukrainischen Krieg verändert. Die wichtigste internationale Auswirkung, die die ukrainische Überraschungsaktion, alias Kursker Operation haben könnte, ist jene auf offiziell neutrale nicht-westliche Länder wie China, Indien oder Brasilien. Der Westen unterstützte die Ukraine und wird dies auch weiterhin tun – unabhängig von der Kursker Operation und ihrem Ausgang. Im Gegensatz dazu führt eine längere ukrainische Besetzung legitimen russischen Staatsgebiets zu einer neuen Dimension in der nicht-westlichen Herangehensweise an den Krieg.
Wenn Moskau die ukrainische Offensive nicht bald vollständig zurückschlägt, verändert dies die Position Kyjiws in hypothetischen Verhandlungen, die seit Beginn des Krieges 2014 von vielen international Akteuren gewünscht werden. Bisher musste sich Kyjiw in seiner Kommunikation mit ausländischen Partnern ausschließlich auf moralische und rechtliche Argumente stützen, die sich auf die regelbasierte Weltordnung beziehen. Im Gegensatz dazu ist nun ein weniger normativ geprägter, eher transaktionaler und einfacherer „Land für Land“-Deal zwischen Russland und der Ukraine theoretisch möglich geworden.
Eine neue Kriegswahrnehmung
Seit dem 6. August versucht Kyjiw neue Fakten vor Ort zu schaffen. Mit ihrer Kursker Operation will die Ukraine von den früheren „Souveränität/Sicherheit/Land gegen Frieden“-Deals zu einem intuitiveren Gebietsaustausch übergehen.
Die Idee ist, dass die Ukraine die kürzlich eroberten russischen Gebiete, im Austausch für die von Russland eroberten ukrainischen Gebiete zurückgibt.
Diese Formel bringt Putin in eine schwierige Lage: Einerseits ist der anhaltende Kontrollverlust Moskaus über legitimes russisches Staatsgebiet eine enorme Blamage für den Kreml. Andererseits sind die annektierten ost- und südukrainischen Gebiete nach der russischen Verfassung, die 2014 und 2022 überarbeitet wurde, nun aus Moskauer Sicht auch offizielles Eigentum Russlands.
Für den Großteil der russischen Elite und Bevölkerung ist nichtsdestoweniger die Wiederherstellung der vollständigen Kontrolle Moskaus über das eigene geografische Terrain wichtiger als eine dauerhafte Besetzung illegal erworbener Gebiete, die der Rest der Welt ohnehin als ukrainisch betrachtet. Die Integration der annektierten Gebiete in den russischen Staat und die russische Wirtschaft ist zudem kostspielig und wird es auch in Zukunft bleiben. Die illegalen Annexionen ukrainischer Regionen werden die Entwicklung Russlands weiterhin behindern, indem sie Ressourcen verschlingen und die westlichen Sanktionen aufrechterhalten.
Der nichtwestliche Faktor
Die neue ukrainische Strategie seit dem 6. August könnte nicht nur für die Befürworter einer Entspannungspolitik in der russischen Führung, sondern auch für bestimmte Partner Russlands auf internationaler Ebene – vor allem für China – einen neuen Faktor darstellen. Gemäßigte Kräfte sowohl in der russischen Regierung als auch in den Kabinetten anderer Länder, die an einem Ende des Krieges interessiert sind, können nun argumentieren, dass die ukrainischen Annexionen rückgängig gemacht werden sollten, um im Gegenzug die territoriale Integrität Russlands wiederherzustellen. Die Idee eines solchen Land-für-Land-Deals wird mit jeder weiteren Woche, in der die Ukraine ihre eroberten Gebiete in Russland halten kann, populärer werden. Zumindest wird der Druck auf Putin zunehmen, die verlorengegangenen Gebiete endlich wieder unter Moskaus Kontrolle zu bringen – sei es mit militärischen oder diplomatischen Mitteln.
Wenn Russland den Einfall der Ukraine mit konventionellen Waffen nicht rückgängig machen kann, könnte es versuchen, dies durch Einsatz von Atom- oder anderen Massenvernichtungswaffen zu tun. Eine solche Eskalation würde jedoch in der gesamten internationalen Gemeinschaft Reaktionen hervorrufen und den Charakter des Krieges grundlegend verändern. Der Ausgang der „speziellen Militäroperation“ würde damit nicht nur für Kyjiw, sondern auch für Moskau völlig unvorhersehbar werden. Auch russische Partner wie China und Indien würden sich gegenüber einem unberechenbaren Moskau neu positionieren – eine Entwicklung, die für die russische Wirtschaft katastrophal sein könnte.
Für Putins Regime sind beide Szenarien – anhaltende Demütigung in Kursk oder nukleare Eskalation – riskante Wege. Sie könnten auch in Peking und anderen nicht-westlichen Hauptstädten als unerwünscht angesehen werden. Vor diesem Hintergrund könnte ein „Land für Land“-Deal – der freilich von Moskau abgelehnt wird – an Bedeutung gewinnen. Solange die Besetzung russischer Gebiete durch die Ukraine anhält, könnte eine diplomatische Lösung nicht nur für Teile der russischen Elite, sondern auch für Regierungen wichtiger Drittstaaten zunehmend zum bevorzugten Kriegsausgang werden.
In den letzten zweieinhalb Jahren haben sich eine Reihe offiziell neutraler Nationen auf der ganzen Welt für ein sofortiges und bedingungsloses Ende der Kämpfe und für Verhandlungen zwischen Moskau und Kyjiw ausgesprochen. So werden beispielsweise in Chinas 12-Punkte-Friedensplan vom Februar 2023 unter den Punkten 4 und 5 ein Waffenstillstand und „Beginn von Friedensgesprächen“ erwähnt. Der gemeinsame brasilianisch-chinesische 6-Punkte-Friedensplan vom Mai 2024 schlägt unter anderem vor, dass „[a]lle Parteien die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des direkten Dialogs schaffen und auf eine Deeskalation der Situation bis zur Verwirklichung eines umfassenden Waffenstillstands drängen sollten. China und Brasilien unterstützen eine internationale Friedenskonferenz, die zu einem angemessenen Zeitpunkt stattfindet und sowohl von Russland als auch von der Ukraine anerkannt wird, mit gleichberechtigter Beteiligung aller Parteien sowie einer fairen Diskussion über alle Friedenspläne.“
Ende September 2024 wurde unter der Führung Chinas auf einer Sitzung der UN-Generalversammlung eine sogenannte „Freunde des Friedens“-Gruppe zum russisch-ukrainischen Krieg gegründet. Das chinesische Außenministerium gab in diesem Zusammenhang bekannt, dass „China hofft, dass die beteiligten Parteien zu gegebener Zeit die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen in Betracht ziehen, sich in ihrem Dialog auf halbem Weg begegnen und nach Gemeinsamkeiten suchen, während sie Differenzen in ihren Verhandlungen beiseitelegen, alle Friedenspläne fair diskutieren und die Schaffung einer neuen Sicherheitsarchitektur fördern.“ Hauptfrage ist, ob die Mitglieder der Friedensfreunde-Gruppe oder andere nicht-westliche Länder, die offiziell neutral im Krieg sind, nun durch Taten und nicht nur Worte zu Unterstützern eines gerechten russisch-ukrainischen Friedens anstatt eines russischen „Siegfriedens“ über die Ukraine werden.
Widersprüchliche Interessen
Bis vor Kurzem implizierten verschiedene nicht-westliche Friedenspläne und ähnliche Vorschläge, eine mehr oder weniger weitreichende ukrainische Befriedigung russischen territorialen und politischen Appetits. Seit Anfang August 2024 hat die Ukraine mit der Eroberung russischen Staatsgebiets die Grundlage für ein Abkommen zwischen den beiden Staaten geschaffen, das auf einem Tauschgeschäft basiert, anstatt auf dem bisher implizierten ungerechten Frieden. Inwieweit werden verhandlungs- und friedensbefürwortende nichtwestliche Länder, allen voran China, auf diese neue Situation reagieren?
Wladimir Putin und andere Vertreter des russischen Regimes haben zwar deutlich gemacht, dass das Eindringen der Ukraine in Russland Verhandlungen unmöglich gemacht hat. Diese Abkehr von der zehnjährigen öffentlichen Befürwortung russisch-ukrainischer Friedensgespräche durch den Kreml überrascht nicht. In der aktuellen Situation bedeutet ein Waffenstillstand nicht mehr eine de facto Kapitulation der Ukraine unter dem Deckmantel einer diplomatischen Einigung. Jetzt wären Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine wirklich sinnvoll, da beide Länder Gebiete zu gewinnen und verlieren haben. Damit haben Friedensgespräche jedoch auch ihre Funktion für den Kreml verloren. Moskau kann sich bisher nur einen militärischen oder diplomatischen Sieg über Kyjiw als Weg vorstellen, den Krieg zu beenden – und nicht eine für beide Seiten akzeptable Einigung.
Russland ist jedoch wirtschaftlich und technologisch auf ausländische Unterstützung angewiesen, vor allem auf die Chinas. Einige der wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Verbündeten Russlands wie Nordkorea, der Iran oder Syrien sind an einem vollständigen Sieg Moskaus interessiert und werden die russische Aggression so weit wie möglich unterstützen. Andere Länder, die Russland mehr oder weniger freundlich gesinnt sind, darunter China, Indien oder Brasilien, könnten dagegen in ihren Regierungen, Parlamenten, Volkswirtschaften und Gesellschaften widersprüchliche interne und externe Interessen haben. Einige politische und gesellschaftliche Lager dürften eine Fortsetzung des Krieges und einen Sieg Russlands befürworten, während andere lieber einen baldigen als einen späteren sowie einen gerechten statt einen ungerechten Frieden bevorzugen.
Peking hat bisher sowohl wirtschaftlich als auch geopolitisch stark vom russisch-ukrainischen Krieg profitiert. Der Krieg hat neue Geschäftsmöglichkeiten für China und auch andere Länder auf der ganzen Welt geschaffen, die sich nicht an den westlichen Sanktionen gegen Russland beteiligen. Peking hat in Moskau nicht nur einen wertvollen Juniorpartner in seiner geopolitischen Konfrontation mit Washington gewonnen. Seit Februar 2022 lenkt der russisch-ukrainische Krieg die Aufmerksamkeit der Vereinigten Staaten und des gesamten Westens vom indopazifischen Raum ab und beansprucht immer mehr westliche finanzielle, militärische und andere Ressourcen in Osteuropa. Andererseits bringt die Fortsetzung des Krieges mit jedem weiteren Monat mehr Risiken und Nachwirkungen mit sich, und nicht nur für den Westen. Einige transkontinentale Auswirkungen der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine und der sich verschärfenden bislang nichtkinetischen Konfrontation Moskaus mit dem Westen könnten weder im wirtschaftlichen noch im politischen Interesse Chinas und anderer bislang inaktiver Zuschauer liegen.
Nukleare Szenarien
So hat der russische Präsident Putin Ende September 2024 Pläne für eine Lockerung der Beschränkungen für den Einsatz von Atomwaffen in der künftigen Formulierung der russischen Militärdoktrin angedeutet. Putins Ankündigung – selbst, wenn sie tatsächlich in offiziellen russischen Dokumenten umgesetzt wird – sowie ähnliche Signale aus Moskau in jüngster Zeit dürften zwar lediglich eine Fortsetzung des nuklearen Bluffens des Kremls sein, das mit der Annexion der Krim durch Russland im März 2014 begonnen hat. Dennoch untergraben Russlands immer aggressiverer Krieg in der Ukraine und Moskaus fortgesetzte Drohungen mit einer atomaren Eskalation bereits die normativen und psychologischen Grundlagen des weltweiten Nichtverbreitungsregimes für Kernwaffen.
Mit dem Fortschreiten des Krieges steigt die relative Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Eskalation mit schwerwiegenden Folgen für nicht nur Osteuropa, sondern auch das Weltsicherheitsystem kommt. Die ukrainische Nuklearhistorikerin Mariana Budjeryn der Harvard-Universität hat kürzlich darauf hingewiesen, dass ein Russland, welches in der Ukraine auf dem Siegespfad ist, eher Atomwaffen einsetzen könnte, um seinen Sieg zu vervollständigen, als eine Russische Föderation, die den Krieg gegen die Ukraine verliert. Ein solches Verhalten Russlands würde in gewisser Weise dem Muster des ersten und bisher einzigen Einsatzes von Atomwaffen folgen, d. h. dem Verhalten der USA im August 1945 gegenüber Japan. Im schlimmsten Fall könnte die anhaltende öffentliche Einschüchterung westlicher Länder, die die Ukraine unterstützen, durch den Kreml – die auf einen Dritten Weltkrieg hinausläuft – zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden. Man fragt sich, ob China, Brasilien oder Indien an einer solchen Entwicklung interessiert sind.
Auch zeichnet sich immer mehr ein entgegengesetztes Szenario für Instabilität: Der Krieg könnte mit einer vernichtenden militärischen Niederlage Russlands in der Ukraine enden. Dies wiederum würde nicht nur zu einem Regimewechsel in Moskau führen, sondern könnte auch eine teilweise oder gar vollständige Auflösung der Russischen Föderation in mehrere kleineren Staaten zur Folge haben. Dies ist ein mögliches Kriegsergebnis, das kürzlich etwa von dem bekannten russischen Zeithistoriker Professor Alexander Etkind, als mögliches Zukunftsszenario diskutiert wurde. Etkind vergleicht das Vorgehen des späten Österreich-Ungarns mit dem Verhalten Russlands 100 Jahre später. 1914 hatte die habsburgische Doppelmonarchie paradoxerweise einen Weltkrieg begonnen, der 1918 schließlich zum Zerfall des österreichisch-ungarischen Landimperiums führte. Im Jahr 2014 begann die Russische Föderation den russisch-ukrainischen Krieg, der schließlich zum Zerfall des Moskauer postsowjetischen Rumpfimperiums führen könnte.
Einige Beobachter vermuten, dass dieses Szenario einer der Gründe ist, warum Peking den russisch-ukrainischen Krieg durch seine seit 2022 intensivierte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Moskau zynisch anheizt. Je länger der Krieg andauert, so die mögliche Logik Chinas, desto wahrscheinlicher wird ein Auseinanderbrechen der Russischen Föderation und die Öffnung von Territorialfragen entlang ihrer derzeitigen Grenze. Dies beträfe unter anderem die heute russischen und ehemals chinesischen Gebiete im Fernen Osten, die das Zarenreich in den sogenannten „ungleichen Verträgen“ des 19. Jahrhunderts, darunter im Vertrag von Aygun von 1858 und in der Ersten Konvention von Peking von 1860, erhielt. Die in diesen Akten übertragenen Gebiete werden heute als „Äußere Mandschurei“ bezeichnet und haben angesichts der ukrainischen Siedler, die nach der Annexion des chinesischen Gebiets an das späte Romanow-Reich dorthin zogen, auch den inoffiziellen Beinamen „Grüne Ukraine“. Im September 2024 schlug der Präsident der Republik China, d.h.Taiwans, William Lai, der Volksrepublik vor, dass, wenn sie an Irredenta interessiert sei, dies vor allem die nordöstlichen chinesischen Gebiete betreffen sollte, die während des sogenannten „Jahrhunderts der Demütigung“ Chinas an Russland verloren gegangen waren.
Sollte Peking tatsächlich insgeheim eine Zersetzung des russischen Staates durch die Fortsetzung des russisch-ukrainischen Krieges fördern, wäre dies jedoch eine heikle Strategie. Sie würde nicht nur nördlich von China eine Zone der Instabilität schaffen. Sollte Russland infolge des Krieges tatsächlich zerfallen, könnten einige der nordasiatischen Nachfolgerepubliken, die aus der derzeitigen Pseudoföderation hervorgehen, zu Atomwaffenstaaten werden. Ob russische Kernsprengköpfe in einem oder in mehreren Nachfolgestaaten der derzeitigen Russischen Föderation enden würden, wäre vielleicht unerheblich. Die meisten der eventuellen post-russischen Staaten, Kleinstaaten und Gebiete werden hauptsächlich von ethnischen Russen bevölkert sein. Obwohl sie sich voneinander trennen, könnten sie sich dennoch grenzübergreifend solidarisch genug fühlen, um sich gegenseitig gegen nicht-russischen Irredentismus zu unterstützen – auch gegen den Chinas.
Schlussbemerkungen
Ob Russland in seinem Krieg gegen die Ukraine vollständig gewinnt oder spektakulär verliert, die internationalen Auswirkungen beider Szenarien werden beträchtlich sein. Ein vollständiger Sieg Russlands würde das UN-System sowie das nukleare Nichtverbreitungsregime völlig aus dem Gleichgewicht bringen. Es könnte sogar, wie Budjeryn im Bulletin of the Atomic Scientists angedeutet hat, zur Explosion eines oder mehrerer nuklearer Sprengköpfe kommen.
Wenn Russland in der Ukraine auf demütigende Weise verliert, wird die daraus resultierende politische Instabilität in Moskau weitreichende Auswirkungen haben. Auf die eine oder andere Weise würde sich dies auch auf die internationale Sicherheit auswirken. Der russisch-ukrainische Krieg hat China und dem globalen Süden zwar viele politische und wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnet. Doch häufen sich die negativen Nachwirkungen und globalen Risiken nicht nur für die Ukraine und den Westen, sondern auch darüber hinaus.
Die kommenden Monate werden zeigen, wie stark die pazifistischen versus bellizistischen, risikofreudigen versus risikoscheuen Neigungen in verschiedenen relevanten nicht-westlichen Nationen sind. Werden Peking und/oder andere mächtige nicht-westliche Hauptstädte bereit und in der Lage sein, die Gelegenheit zu ergreifen, Moskau von einer Feuerpause entlang der gesamten Frontlinie, d. h. auch innerhalb Russlands, zu überzeugen? Sind Länder wie China, Indien und Brasilien stark genug am Frieden interessiert, um ihr internationales Gewicht einzusetzen und Russland zu ernsthaften Verhandlungen zu zwingen?
Werden die großen nicht-westlichen Länder ein gemeinsames Interesse mit dem Westen an einem gerechten Frieden zwischen der Ukraine und Russland erkennen und die vom Kreml angestrebte Kapitulation der Ukraine nicht zulassen? Werden Peking und andere nicht-westliche Länder bereit und in der Lage sein, den Kreml zu zwingen, den Kriegspfad über einen Ausweg, anstatt über eine Siegesallee zu verlassen? Die ambivalente Situation, die die Ukraine mit ihrer Kursker Operation seit Anfang August 2024 geschaffen hat, könnte die letzte Chance sein, eine Ausweitung des Krieges über die russisch-ukrainische Front hinaus zu verhindern.
Dr. Andreas Umland ist Analyst am Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien (SCEEUS) des Schwedischen Instituts für Internationale Angelegenheiten (UI).