Lebenslang lernen, europaweit denken

Europäische Universitäten stehen angesichts gesellschaftlicher Veränderungen vor großen Herausforderungen. Wie transnationale Hochschulallianzen zur Erneuerung und Europäisierung der Bildung beitragen, erklärt KATALIN SZONDY in ihrem Beitrag.
Dieser Artikel wurde in Info Europa 2/2025: Zukunftsfit durch Bildung veröffentlicht. Die gesamte Ausgabe ist hier abrufbar.
Der 1998/1999 ins Leben gerufene Bologna-Prozess markierte einen der bedeutendsten Transformationsprozesse im Bereich Bildung in der EU. Ein einheitlicher Europäischer Hochschulraum mit gemeinsamen Standards sollte geschaffen werden. Das förderte die Mobilität der Studierenden, stärkte die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und erleichterte die gegenseitige Anerkennung von Studienabschlüssen.
Heute stehen Universitäten in Europa vor einem neuerlichen Transformationsprozess. Traditionelle Lehr- und Lernformate weichen veränderten Bedürfnissen einer neuen Studierendengeneration. Diese ist vielfältiger und anspruchsvoller denn je. Lernpfade sind individuell geworden. Neben den herkömmlichen linearen Lernwegen von der Schule an die Uni entdecken nun auch vermehrt Menschen erst nach ihrem beruflichen Einstieg die Hochschulwelt für sich. Hinzu kommen Wiederkehrer*innen, also Menschen, die sich regelmäßig im wissenschaftlichen Rahmen weiterbilden, um sich neuen beruflichen Anforderungen anzupassen.
Triebfeder für Innovation
Das lebensbegleitende Lernen ist längst zu einem der wesentlichen Bausteine des Europäischen Hochschulraums geworden. Die Ausgestaltung der Lehr- und Lernszenarien für diese diverse Zielgruppe benötigt innovative Kräfte. Hier kommen Zusammenschlüsse von Hochschulen ins Spiel, die dabei als Treiber von Bildungsinnovation sowie Forschungsexzellenz eine Schlüsselrolle einnehmen können. Der französische Präsident Emmanuel Macron rief im Jahr 2017 beim Sozialgipfel für faire Arbeitsplätze und Wachstum in Göteborg zur Bildung solcher transnationalen Allianzen in Europa auf. Insbesondere seitdem formieren sich immer mehr Hochschulkonsortien, um sich mit vereinten Kräften den Herausforderungen unserer Zeit zu stellen.
Die Initiativen zielen darauf ab, die akademische Zusammenarbeit zu intensivieren, Innovationen zu fördern, den globalen und gesellschaftlichen Herausforderungen effektiver zu begegnen und die Wettbewerbsfähigkeit Europas im internationalen Kontext zu sichern. Mittelfristig besteht außerdem der Plan, auch eigene akademische Grade, die sogenannten European Degrees, zu vergeben. Diese sollen als ein Gütesiegel für gemeinsam entwickelte und durchgeführte Studienprogramme fungieren, die die kulturelle und sprachliche Vielfalt sowie europäische Werte fördern.
Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass die Ressourcen der Hochschulen knapp sind und das Einwerben von Drittmitteln für die Umsetzung der genannten Aktivitäten aufwändig. Transnationale Konsortien in ganz Europa warten derzeit auf weitere Ausschreibungen für Fördermittel durch die EU-Kommission.
EU.ACE für nachhaltige Bildung
Das Konsortium EU.ACE vereint zehn europäische Hochschuleinrichtungen unter der Koordination der Universität für Weiterbildung Krems (UWK). Initiiert wurde das Projekt gemeinsam mit dem renommierten französischen Partner Le Cnam, der – ebenso wie Krems – zu den führenden Institutionen im Bereich der wissenschaftlichen Weiterbildung zählt. Ein besonderer Schwerpunkt der Allianz liegt auf dem Donauraum, vertreten durch die Universität Ulm, die Andrássy Universität Budapest, die Universität Alba Iulia in Rumänien sowie die Universität Zenica in Bosnien und Herzegowina. Die weiteren Partneruniversitäten finden sich geografisch ausgewogen über Europa verteilt: CEU in Madrid, TUAS in Turku, Hogeschool Utrecht und HSLU Luzern.
Die Stärke des Netzwerks liegt neben der Bündelung der fachlichen Expertise unter anderem in der Durchmischung unterschiedlicher Hochschulsysteme. Öffentliche Universitäten mit traditionellem Fokus und Fachhochschulen mit einem höheren Grad an Angewandtheit ergänzen sich. Auch Multilingualismus und Interkulturalität gehören zum Alltag im Konsortium.
Inklusives Lernen und Forschen
Weiterbildung im Sinne des lebensbegleitenden Lernens stellt den Menschen in allen Lebensphasen in den Mittelpunkt. Eine der wesentlichen Fragestellungen des Konsortiums beschäftigt sich daher damit, wie die Universität der Zukunft aussehen wird. Wie können Hochschulen zu Begegnungsstätten transformiert werden, die allen Interessierten den Zugang zu Bildung, Wissens- und Kompetenzentwicklung ermöglichen? Wie werden sogenannte future-proof Skills, also jene zukunftsrelevanten Kompetenzen, die Menschen in einer sich wandelnden Welt stärken und befähigen, am besten vermittelt?
Innovative Formate in Forschung und Lehre versuchen diese Fragen zu beantworten – und das mit dem Ansatz, die Regionen einzubinden. Denn: Regionalität und Internationalisierung schließen sich nicht aus, ganz im Gegenteil. So kann passgenau auf regionale Bedarfe und Herausforderungen eingegangen werden, etwa in den Bereichen Digitalisierung, Gesundheit, Nachhaltigkeit oder gesellschaftlicher Zusammenhalt. Dieser Ansatz ist forschend und umsetzend zugleich. In Reallaboren („Living Labs“) sowie durch flexible Formate wie Micro-Credentials werden neue Wege erprobt, um Bildung zugänglich, praxisnah und relevant zu gestalten.
Ein starkes Europa braucht Bildung, Vielfalt und Chancengleichheit – und das lebensbegleitende Lernen ist das Herzstück dieser Vision. Obwohl die Relevanz von wissenschaftlicher Weiterbildung in der Gesellschaft zunehmend anerkannt wird, sind entsprechende Studienprogramme auf europäischer Ebene noch nicht gleichwertig zu traditionellen Vollzeitstudiengängen positioniert. Gerade deshalb bringt sich EU.ACE auch aktiv in europäische Arbeitsgruppen ein. Mit dem Lead-Koordinator des Konsortiums, der Universität für Weiterbildung Krems, ist EU.ACE in der Coordination Group on Global Policy Dialogue der Bologna Follow-Up Group vertreten. Diese beschäftigt sich unter anderem damit, das lebensbegleitende Lernen und die wissenschaftliche Weiterbildung als integralen Bestandteil der europäischen Hochschulbildung stärker sichtbar zu machen und als eigenständige, tragende Säule innerhalb des Bologna-Prozesses zu etablieren. Die Umsetzung soll bis zur nächsten Bologna-Minister*innenkonferenz in Iasi-Chisinau 2027 erfolgen.
Dr. Katalin Szondy ist Projektmanagerin des EU.ACE Konsortiums an der Universität für Weiterbildung Krems und forscht zu European University Alliances. Nach ihrer Promotion arbeitete sie an unterschiedlichen Hochschuleinrichtungen mit einem Fokus auf qualitätsvolle Hochschulentwicklung im Sinne des Europäischen Hochschulraums.



