Genutzte und vertane Chancen in der Zusammenarbeit zwischen Kultur und Tourismus

Kann der Titel der Kulturhauptstadt Orte nachhaltig zum Positiven verändern, oder bleibt es bei einem Jahr Spektakel und Glanz? Dieser Frage geht Georg Steiner in seinem Beitrag nach und zeigt, welche Schritte Linz hin zu einer langfristig nachhaltigen Entwicklung machte.
Im Sport werden Großereignisse wie Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften zunehmend kritisch gesehen. Im Bereich der Kultur sind diese Phänomene differenzierter zu betrachten. Weniger die Angst vor einem zu viel, sondern die Sorge, diesem Format nicht gerecht zu werden, hält den Bewerberkreis eher klein. Als es in Österreich darum ging, sich für die Kulturhauptstadt Europas 2009 zu bewerben, überlegten nur Salzburg und Linz ernsthaft. Salzburg gab damals seiner Olympiabewerbung den Vorzug, in Linz dagegen wollte man diesen Titel. Bereits der Kulturelle Entwicklungsplan hatte ein solches Ziel formuliert.
In Deutschland setzte sich ein Jahr später Essen mit seinem regionalen Konzept »Ruhr 2010» gegenüber Aachen, Bremen, Görlitz/Zgorzelec, Potsdam, Halle, Karlsruhe, Kassel, Regensburg, Bamberg und Augsburg durch. Auch 15 Jahre später, als wieder Österreich (2024) bzw. Deutschland (2025) dran waren, blieb der Andrang überschaubar. In Österreich errang den Titel Bad Ischl mit dem Regionalkonzept »Salzkammergut«. Daneben hatten sich St. Pölten und Dornbirn beworben – letzteres hatte sich mit Feldkirch und Hohenems zusammengeschlossen. Chemnitz gewann in Deutschland vor Dresden, Gera, Hannover, Hildesheim, Magdeburg, Nürnberg und Zittau. In anderen Ländern Europas sind in letzter Zeit auch nicht mehr als vier bis sieben Städte in den Ring gestiegen.
Der Weg zum Titel
Was sind die Gründe für diese überschaubare Bewerberanzahl? Ist es kulturelle Lethargie, die Angst vor dem finanziellen Aufwand, die Unsicherheit, den Titel womöglich nicht zu gewinnen? Tatsächlich scheint sich der Eindruck zu verstärken, dass die Auswahlpolitik der EU eher zu Frust als zu Lust beitrug. Kulturell starke Städte hatten das Gefühl, mittels einer Vergabephilosophie ausgebremst zu werden, die eher auf kulturell noch entwicklungsfähige als auf prosperierende Städte setzte. Konzepte, die regionale Ansätze würdigten, schienen im Vergleich zu starken Zentren bevorzugt zu werden.
Auch der Bewerbungsprozess hat sich verändert. Kreativität und Experimentierfreudigkeit ist starken Planungsvorgaben und der Festlegung auf operationalisierbare Ergebnisse gewichen. Während man sich in Linz 2004/2005 zwar mit einem konkreten Konzept bewarb, starteten Intendant Martin Heller und Programmdirektor Ulrich Fuchs alles nochmals neu und setzten ihre Vorstellungen um. Passend dazu erklärte Heller dann auch, dass die Kulturhauptstadt kein Titel, sondern ein Stipendium sei. Die Stadt solle verändert und kulturell sowie touristisch in eine andere Liga gebracht werden.
»Linz09» hat die Stadt verändert. Bei der oft gestellten Frage, ob denn eine Kulturhauptstadt nachhaltig sei, geht es meist um messbare Bewertungskriterien. Die Entwicklung der Übernachtungszahlen gerät schnell in den Blick. Graz 2003 erreichte im Kulturhauptstadtjahr Rekorde. Plus 20 %, jubelte man, um in den folgenden Jahren angesichts einbrechender Zahlen einer Depression zu verfallen. Linz schaffte nur etwa 10 % Steigerung bei den Übernachtungszahlen. Das hing auch mit der großen Wirtschaftskrise 2008/2009 zusammen. Während woanders der Städtetourismus um bis zu 20 % einbrach, konnte die Kulturhauptstadt in Linz vieles kompensieren. In den Folgejahren nahm Linz außerdem den Schwung mit, die Entwicklung war also nachhaltig.
Den Städten ist gemein, dass die künstlerischen Leiter*innen unmittelbar nach Abschluss des Projektes wieder weg waren. Die Management-Firmen der Kulturhauptstadt wurden geschlossen und abgewickelt. Im Salzkammergut, wo die Übernachtungszahlen im Jahr der Kulturhauptstadt 2024 nur im einstelligen Bereich stiegen, gehen aktuell auch die Touristiker*innen von Bord. Das verrückte Jahr 2024 bleibt mit ambivalenten Assoziationen in Erinnerung. Ob und wie es nachwirkt, muss sich erst zeigen.
Wie wird Veränderung nachhaltig?
Die Entwicklung von Gäste- und Übernachtungszahlen ist und bleibt wichtig. Worum geht es aber wirklich? Wie kann man den Erfolg einer Kulturhauptstadt messen? Ist es sinnvoll, Kulturhauptstädte auf ein Jahr zu beschränken? Nachhaltig ist das ehrlich gesagt nicht. Man reißt was an, man reißt was auf. Viele Finanzierungen stehen ohnehin schon auf wackligen Beinen und nach einem Jahr ist die Luft wieder raus. Wir sollten hier in längeren Zyklen denken, um langfristig eine gute Entwicklung zu ermöglichen. Wie sieht es mit den Strukturen aus, mit denen Kulturhauptstädte abgewickelt werden? Oft ist es ein Nebeneinander von Kultur und Tourismus. Oft ist es aber auch ein Nebeneinander von Kultur und Kultur. In Linz gab es kulturelle Einrichtungen, die froh waren, als die Verantwortlichen für die Kulturhauptstadt die Stadt wieder verlassen hatten und man wieder selbst die Kontrolle übernahm. Zu gemeinsamen Strukturen von lokalen Betreiber*innen und dem Management der Kulturhauptstadt kommt es nur in wenigen Fällen.
In Linz herrschte, meiner Einschätzung nach und im Gegensatz zu vielen anderen Städten, ein wirklich konstruktives Miteinander zwischen den Kulturhauptstadt-Verantwortlichen und dem einheimischen Tourismus. Das hat Vertrauen über die Zeit der Kulturhauptstadt hinaus aufgebaut. Gemeinsame Formate wie etwa die Ticketangebote »Museum Total« oder »Linz-Kultur-Card«, sind entstanden, aber auch gemeinsame Plattformen der Abstimmung und Koordinierung von Themen. Außerdem wurde zwar die Organisation der Kulturhauptstadt abgeschlossen, aber andere Akteur*innen wie der Tourismusdirektor und weitere Mitarbeiter*innen blieben.
Wir wollen mehr können und uns nach der Kulturhauptstadt besser auskennen. Das war die Devise und das Ziel. Und in Linz investierte man weiter. Die Finanzgebarung der Kulturhauptstadt, der zufällig der Tourismusobmann vorstand, konnte Geld für die Folgejahre zurücklegen. Und der Tourismusverband selbst verdoppelte die Umlagen der Betriebe freiwillig, um weiter in das Marketing und die Entwicklung von Linz zu investieren.
Kulturhauptstadt als Testphase?
Diese Voraussicht und Investierfreudigkeit hatten positive Folgen. Der Linzer Weg versuchte zumindest in Teilbereichen, die Kulturhauptstadt nachhaltig zu gestalten. Der Tourismus erfand sich neu und führte in den Folgejahren das Motto der Kulturhauptstadt »Kultur – Natur – Industrie« und den neuen Stadtslogan »Linz verändert« in sogenannten Jahresschwerpunkten jährlich wechselnd weiter. Das Thema »Veränderung« wurde zum Kult gemacht. Nicht Kitsch und Klischee, sondern Authentizität stand im Mittelpunkt. Die Entwicklung von Linz, wo Industrie, Kultur und Natur ein ganzheitliches Erlebnis ermöglichen, konnte in den verschiedenen Projekten im Rahmen der Kulturhauptstadt zunächst einmal ausgetestet, um danach weiterentwickelt zu werden.
Höhepunkt dieser ungewöhnlichen und unkonventionellen Entwicklung war sicherlich die aus der Corona-Pandemie heraus konzipierte Kampagne »Linz ist Linz« ab dem Jahr 2022. Ein Imagefilm brachte die touristische Kommunikationswelt ins Wanken. Plötzlich begeisterte man nicht mehr mit schöner Landschaft, Kulissen und Kulinarik, sondern mit Authentischem: mit Menschen, die so sind, wie sie sind, mit augenzwinkerndem Thematisieren von Schwächen und mit Gastfreundschaft. Gäste und Einheimische sind nicht mehr zwei verschiedene Universen, sondern gehören zusammen. »Die Menschen, nicht die Häuser machen die Stadt« – diese Erkenntnis des griechischen Staatsmannes Perikles aus dem Jahr 500 v. Chr. wurde in Linz aufgenommen.
Das Jahr der Kulturhauptstadt war in Linz in vielerlei Hinsicht ein Segen. Die Menschen sind stolzer auf ihre Stadt geworden. Und der Tourismus fand neue Wege, die nicht nur im Bereich der Nächtigungen Zuwachs schufen, sondern der Stadt auch ihre Geschichte näher brachte. Das Motto »Linz verändert« wurde in Erlebnisse verpackt – von neuen Ansätzen bei Stadtführungen bis hin zur Verknüpfung von Stadterlebnissen weit über die klassischen Attraktionspunkte hinaus.
Prof. Georg Steiner war von 2007 bis 2023 Tourismusdirektor der OÖ Landeshauptstadt Linz. Er begleitete die Kulturhauptstadt Eu ropas »Linz09« und sorgte darauf aufbauend für die nachhaltige Weiterentwicklung dieses Prozesses. Er war in zahlreiche Bewerbungs prozesse von Kulturhauptstädten involviert.
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