“Zurück nach Europa – Wie geht es weiter?”

Heinz Stingeder (Hg.)

Tagungsbericht: “Zurück nach Europa”
Einleitung – Dr. Heinz Stingeder

Der vorliegende Band zu dieser Veranstaltung soll zeigen, wie man Europa 10 Jahre nach der sogenannten Wende betrachtet hatte und was seit diesem historischen Ereignis in Richtung „Gemeinsames Europa“, worunter man vor allem die Einbeziehung des mittel- und osteuropäischen Raumes in Richtung europäischer Integration verstehen kann, geschieht. Diese Tagung führte namhafte Personen aus Politik, Wirtschaft, Recht und Kultur aus ganz Mittel- und Osteuropa zusammen, um über europäische Integrationsbestrebungen zu diskutieren. Über den Titel der Veranstaltung gab es wiederholt Diskussionen, aber es wurde darauf hingewiesen, dass dieses „Zurück nach Europa“ kein „zurück“ ist, sondern eigentlich ein „vorwärts“ in jenes gemeinsame Europa, das es einmal gegeben hat. So mögen sie das „zurück“ verstehen. Diese Aussage kam damals von Vaclav Havel, Tadeusz Mazowiecki, George Konrad und einer Reihe von anderen. Dr. Busek meinte in seiner Eingangsrede: “Zurück nach Europa – Wie geht es weiter?“ ist die Fragestellung dieser Tage, die uns hier zusammengeführt hat. Ich glaube, dass seit 1989 die Linie klar vorgezeichnet ist. Seit diesem Wendejahr gibt es eigentlich Europa erst wieder, denn die Ereignisse nach 1945 haben dazu geführt, dass der Kontinent geteilt war. Der eine freiwillig mit einer Supermacht über dem Atlantik verbunden gewesen ist, die auch für den Schutz dieses Teileuropas, Sorge getragen hat, und der andere Teil weniger freiwillig mit einer anderen Supermacht unter einer diktatorischen Ideologie verbunden gewesen ist. Dennoch ist es gelungen, mehr neue Demokratien herzustellen, denn je in der Geschichte; im europäischen Bereich und eigentlich auch im globalen Zusammenhang. Es ist in diesen Ländern gelungen, sich politisch stabil weiter zu entwickeln, keine Rückfälle in totalitäre Systeme oder radikale Ideologien, sondern ganz selbstverständliche Regierungswechsel zu vollziehen. Sicher kann man das eine oder andere mit mehr oder weniger Sympathien verfolgen, aber im gesamten, ist das eine ganz positive Entwicklung, die ja nicht selbstverständlich vorgezeichnet gewesen ist, die von Menschen in diesen Ländern errungen wurde, wo wir uns manchmal die Frage stellen dürfen, wo wir die notwendige Assistenz auf der anderen Seite des Kontinents geleistet haben.“ In vielen der Reden, die auf dieser Tagung gehalten wurden, wurde von einer globalen Verantwortung gesprochen, die der Kontinent Europa hat, d. h. es muss auch für die Zukunft, Demokratie und ihre Vernetzung im Mittelpunkt der Bemühungen, nicht nur von Politikern, Wirtschaftstreibenden, Religionen, sondern und das macht Europa aus, von jedem einzelnen stehen. Es muss ein Zukunftskonzept geben und Dr. Busek spricht hier vom Bedarf von institutionellen, politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen, und Europa soll auch eine Frage des Geistes und des Herzens sein. Bundespräsident Dr. Klestil spricht sogar von einem Gezeitenwechsel in Europa, weil nach dem Jahre 1989 ein Paradigmenwechsel in der Politik erfolgt ist. Er meint zudem auch, dass der Reformprozess schwieriger, komplexer als ursprünglich angenommen ist und dass im speziellen für Südosteuropa, in einer umfassenden und koordinierten Weise vorzugehen ist. „Der Stabilitätspakt für Südosteuropa trägt, so meine ich, dieser Einsicht Rechnung. Die Erfahrung hat uns auch gelehrt, dass die Probleme in den Nachbarländern, wenn sie ungelöst bleiben, schließlich ganz Europa in Mitleidenschaft ziehen. Ich denke dabei an die großen Flüchtlingsströme, die sich nicht nur innerhalb dieser Länder, sondern auch über die Grenzen ergossen, an die organisierte Kriminalität, an die Gefahren für die Umwelt. Und noch etwas ist für mich ganz klar, es kann auf Dauer nicht zwei Europa geben. Ein gemeinsames, ein friedliches, ein wohlhabendes und ein geteiltes, ein krisenhaftes, ein armes. Deshalb ist es auch so wichtig, dass die Europäische Union und damit die Zone der Integration, der Sicherheit, der Prosperität nach Osten erweitert wird.“ Intendant Dr. Manfred Jochum sprach in seiner Begrüßungsrede von einer geografischen Polposition Österreichs für die Herausforderung der EU-Erweiterung. Vor allem hob er die besondere Verantwortung hervor, wobei er auch von einer besonderen Herausforderung des neuen Europas sprach. Wichtig sei die Zukunft nicht nur alleine vom wirtschaftlichen Weiterkommen der neuen Demokratien auszugehen, sondern auch die Chance einer nachhaltigen Friedensordnung für den Kontinent wahrzunehmen. Bei mehreren Referaten kommt immer wieder eine Feststellung zum Tragen. Europa wird zusehends zu einem Globalplayer, mit Solana als Kontaktperson, die Herr Kissinger seit 40 Jahren eingefordert hat. Europa hat eine herausragende Rolle auf dem Sektor der Menschenrechte und der Demokratie einzunehmen. Genau dieser Umstand steht auch in den Kopenhager Kriterien zum EU- Beitritt der Kandidatenländer aus Mittel- und Osteuropa im Mittelpunkt, d. h. die Stabilitätszone der EU, um ein weiteres schillerndes Mosaik zu erweitern. Es ist dies eine historische Chance ein Gesamtkunstwerk zu schaffen, in einem Gemeinsamen Europa. Bei all dieser Euphorie darf man aber die Hausaufgaben, sowohl von der bestehenden EU und von Mittel- und Osteuropa nicht bei Seite lassen, um ein vernünftiges Zusammenspiel aller Länder zu schaffen. Auch darf es in Zukunft keine Festung Europa geben. Innerhalb dieses Europas gibt es viele Problemlagen anzugehen, weil der Transformationsprozess, vielleicht politisch in Ansätzen erreicht ist, aber wirtschaftliche Aspekte ins Spiel kommen. Nämlich ist besonders die sozioökonomische Situation vieler Länder, konkret die Armut einiger Bevölkerungsschichten zu beachten, wie Prof. Andre Marga, damals Minister für nationale Erziehung in Rumänien meinte. Fälle von Gewalt und der Zusammenbruch von ganzen Sozialsystemen dürfen nicht unterschätzt werden, denn die Etablierung von Demokratie und Stabilität hängt von der Sicherung des Wachstums ab. Prof. Kyiak, damals Vorsitzender des Rates für nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine streicht die außergewöhnlich bedeutsame Rolle Mitteleuropas als Brücke zwischen Ost- und Westeuropa heraus und ringt gleichzeitig nach einer genauen Definition, wobei er das Wiener Kaffeehaus als wichtigen Ort dafür nennt. Die emotionale Ebene beschreibt für in der Dichter Rainer Kunze in seinem Gedicht „Die Mauer“ aus dem Jahre 1990 am besten: “Als wir sie schleiften, ahnten wir nicht wie hoch sie ist in uns. Wir hatten uns gewöhnt an ihren Horizont und an die Windstille. In ihrem Schatten warfen wir aber keinen Schatten. Nun stehen wir entblößt, bar jeder Entschuldigung“. Durch das neue Europa dürfen keine Trennlinien gehen, besonders nicht zwischen jenen Europäern, die schon europäisch leben und jenen, die an Europa glauben. Das neue Europa ist eine Idee und eine Hoffnung, die nur in gemeinsamer Verantwortung politische, gesellschaftliche und geistige Wirklichkeit werden kann. Wien, im Dezember 2001

12/2001