Der Prager Slavenkongreß 1848 (2000)

In deutscher Sprache liegen nur wenige Arbeiten vor, die den Prager Slavenkongreß von 1848 thematisiert haben. [1] Der Grund für die Vernachlässigung dieser so wichtigen ostmitteleuropäischen Perspektive in bezug auf die Revolution von 1848/49 mag die hierzulande zu konstatierende, zuweilen an eine nationale Nabelschau erinnernde Fixierung auf die Ereignisse um die Frankfurter Nationalversammlung sein. Allenfalls die dominierende Gestalt des Vorsitzenden des Prager Kongresses, Franti?ek Palacký, erfuhr wiederholt eine Würdigung. [2] Der vorliegende Band ist somit grundsätzlich zu begrüßen. Er basiert auf einem 1998 in Klagenfurt und Tratten (Po?i?ce) veranstalteten internationalen Symposium, welches unter dem Namen „Trattener Forschungsgespräche“ schon das vierte seiner Art war. Bereits 1994 wurde mit dem Schwerpunkt „Austroslavismus“ ein Aspekt behandelt, welcher eng mit dem Thema des Prager Slavenkongresses verquickt ist. Wie in vielen Sammelbänden sind auch im vorliegenden Fall (qualitativ) höchst unterschiedliche Beiträge vereinigt. Insgesamt 15 Verfasser steuerten Aufsätze bei; leider fehlt die serbische Perspektive, was aber nicht dem Hrsg. anzulasten ist. Grundsätzlich waren die Veranstalter bemüht, Historikerinnen und Historiker zu gewinnen, welche jeweils das Wirken ‚ihrer’ nationalen Gruppe in Prag darstellten. So geht z.B. Olga V. P a v l e n k o in ihrem Beitrag über die slavische Frage im Kontext der russisch-österreichischen Beziehungen der Frage nach, warum die Besorgnis der Delegierten vor der „russischen Universalmonarchie“ fast genauso stark war wie vor großdeutschen Tendenzen. Sie erklärt dies, durchaus plausibel, mit dem zu diesem Zeitpunkt im Umfeld des Zaren vorherrschenden Primat des Legitimitätsprinzips gegenüber einer allslavischen Solidarität. Antoni C e t n a r o w i c z betont die sehr heterogenen Auffassungen des polnischen Lagers gegenüber den Magyaren als revolutionäre, antihabsburgische Avantgarde oder aber als Bedrücker der slovakischen, kroatischen und ruthenischen Brüder – ein Aspekt, der zu Recht in vielen Beiträgen thematisiert wird. Er macht auch deutlich, daß das polnische Bestreben nach der Wiedererlangung einer eigenen Staatlichkeit schon wegen der Galizien-Problematik und der auch später noch virulenten Teschener Frage eine schwere Hypothek für den Erfolg des Kongresses gewesen war. Die insbesondere von den meisten tschechischen Vertretern gewünschte austroslavische Lösung wäre mit den Polen allein schon deshalb wohl kaum zu erreichen gewesen. Wegen ihrer gewaltsamen Auflösung durch die Truppen von Windischgrätz nach dem Prager Pfingstaufstand wurde die Nachwelt allerdings eines abschließenden Urteils über den möglichen Erfolg oder Mißerfolg der Prager Zusammenkunft entbunden. Als eine Art Rückfall in vertraute nationalhistorische Denkgewohnheiten, die übrigens auch in manchen anderen Beiträgen anzutreffen sind, mutet C.s Urteil an, der polnisch-ukrainische Konflikt in Galizien sei allein durch die Wiener Zentrale geschürt worden. Von der inkonzilianten Haltung der polnischen autonomen Verwaltung gegenüber den z.T. durchaus berechtigten Forderungen der ukrainischen Nationalbewegung mag der Vf. nichts wissen. Daß die später nie mehr erreichte grundsätzliche polnisch-ukrainische Einigung über den gleichberechtigten Status beider Nationalitäten eben auch an der polnischen Seite scheiterte, sollte deshalb betont werden. Als ein Zeichen für die Aufgeschlossenheit der geschichtswissenschaftlichen Zunft des ehemaligen sog. Ostblocks gegenüber neueren kulturgeschichtlichen Ansätzen kann der Aufsatz Jiøí ? t a i f s über die Darstellung Palackýs in der deutschen Zeitschrift „Die Grenzboten“ gelten, in dem der Autor mit der Kategorie des „Anderen“ arbeitet; wohl aus Platzgründen unterbleibt leider die Darlegung der theoretischen Prämissen. Zudem kratzt der Autor an dem Bild des nationalen, unfehlbaren Heroen Palacký und markiert dessen Erwartungen an den Kongreß als naiv. Zu erwähnen ist auch der Beitrag Daniela K o d a j o v á s, welche die Einflüsse aktueller politischer Vorgaben auf die Historiographie am Beispiel der Bewertung der Prager Ereignisse durch die slowakische Geschichtsschreibung darstellt. In der unabhängigen ÈSR dominierte demnach die Betonung der antideutschen bzw. antiungarischen Tendenzen des Kongresses. Der nur wenige Seiten lange Beitrag Gudrun S c h m a l z b a u e r s über „Die Problematik der Nachempfindung von byzantinischen Konzepten im Blick auf den Prager Slavenkongreß“ wäre an anderer Stelle wohl besser aufgehoben gewesen. Erstaunlich muten manche Passagen in der Einleitung des mittlerweile leider verstorbenen Hrsgs. an, der (ohne Anführungsstriche) davon spricht, daß die Republik Österreich 1938 „in das große deutsche Vaterland heimgeholt wurde“ (s. 1). Insgesamt liegt – trotz zahlreicher Einschränkungen – ein nicht uninteressanter Sammelband vor, welcher an das Thema heranführt, aber über den bereits erarbeiteten Forschungsstand nicht hinausgeht. Die Autoren räumen abermals mit manchen Legenden – wie dem der deutschen Verhandlungssprache oder einer allslavischen Solidarität – auf und betonen die oft unterschätzte magyarische Komponente in den Verhandlungen des Kongresses. Es wird deutlich, daß schon vor der gewaltsamen militärischen Auflösung genug Zündstoff zur Sprengung des Prager Slavenkongresses von 1848 vorhanden gewesen war – und zwar von innen heraus. Hamburg – Stadtbergen Kerstin S. Jobst

  • Band7
  • Autor/inAndreas Moritsch (Hg.)