Brüssel-Reise des IDM

Date/Time
May 23, 2002 - May 25, 2002
09:00 - 19:00 CEST/CET


News aus Brüssel


Im Rahmen einer Informationsreise des IDM vom 22.-26. Mai 2002 sammelten die Teilnehmer neueste Informationen über den Stand des Erweiterungsprozesses sowie die Diskussion zur Vertiefung der Union aus Sicht der Brüsseler Institutionen. Die Artikel auf den folgenden beiden Seiten geben einen Überblick.
Mehr Europa – aber wie?
Die Diskussion um die zukünftige Struktur Europas ist nun in und außerhalb des Europäischen Konvents voll entbrannt. Nachdem Großbritannien und Frankreich einen gemeinsamen Vorschlag vorlegten, der im Kern eine politische Führung der EU durch einen auf 5 Jahre vom Ministerrat gewählten Ratspräsidenten vorsieht, hat nun auch die EU-Kommission am 22. Mai ihre Reformideen vorgestellt.
Der Kommissionsvorschlag ist den Vorstellungen der großen Mitgliedsstaaten meist diametral entgegengesetzt. Er sieht nämlich eine Ausweitung der Kompetenzen der Kommission insbesondere in den zunehmend wichtigen Fragen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, der Steuerung der Wirtschafts- und Währungsunion und der inneren Sicherheit. vor. Dass es in all diesen Bereichen in Zukunft mehr Europa geben soll, gilt im EU Konvent mehr und mehr als notwendig und unbestritten. Umso intensiver wird nun die Debatte, wie dabei entschieden wird und wer das entscheidende Gewicht hat.
Grundsätzlich stehen sich dabei der intergouvernementale Ansatz und die sogenannte Gemeinschaftsmethode gegenüber. Ersterer gibt dem von den Beamten und Regierungen der Mitgliedsstaaten ausgehandelten Kompromiss den Vorzug, während letzterer die Bedeutung des im Gesamtinteresse ausgearbeiteten Vorschlags von übernationalen Organen wie Europäischem Parlament und Kommission betont. Die Verbindung beider Methoden in den ausgeweiteten Kompetenzen einer erweiterten EU wird immer schwieriger.
Kommissionspräsident Prodi fordert daher eine Übertragung der Funktion des Hohen Beauftragten für die Außen- und Sicherheitspolitik auf die des Außenkommissars. Die bisherige Doppelgleisigkeit sei eine Quelle der Ineffizienz. Außerdem sei ein ausgeweitetes Budget dafür notwendig. Weiters angestrebt wird die Übernahme der Koordinierungs- und Kontrollfunktion der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) durch einen in der Kommission angesiedelten „Mr. Euro“, der die Eurostaaten auch in den internationalen Finanzorganisationen gemeinsam vertreten soll. Der Rat soll von den Vorschlägen der Kommission zur WWU nur einstimmig abweichen können.
Während sich die spanische Ratspräsidentschaft hinter die Vorschläge aus Paris und London stellte, unterstützen das Europäische Parlament und die Europäische Zentralbank die Kommissionsvorstellungen. Das Zünglein an der Waage werden die kleineren Mitgliedsstaaten spielen. Einerseits sind auch deren Regierungen nicht erfreut weitere Macht an Brüssel abzugeben, andrerseits wissen sie, dass eine Weiterführung des Intergouvernementalismus in einer EU von 25 oder mehr Staaten nur bei Akzeptanz eines inneren politischen Führungsgremiums im Ministerrat möglich ist. Viele fürchten, dass dieses die großen Mitgliedsstaaten an sich reißen werden.
Die Kommission hofft, dass sich daher die meisten der Kleinen doch zu einer Stärkung der übernationalen Institutionen durchringen könnten. Dies zeigt sich auch darin, dass Prodi den Kommissionsvorschlag gemeinsam mit dem finnischen Ministerpräsidenten Lipponen präsentierte, der die französisch-britischen Pläne ablehnt.
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Thema: “Die Zukunft der EU und die Arbeit des Konvents”
Mittagessen auf Einladung der Kommission unter dem Vorsitz von Marcus Bleinroth (Berater im Politischen Beraterstab, Konvent- Task Force der Kommission)
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Besuch im Europäischen Rat
Thema: “Der Rat der EU im Zusammenspiel der Institutionen – Rolle und Herausforderungen” (Vortrag von Andreas Lernhart)
„Die Osterweiterung wird ein Sparprogramm“
Aus Sicht der Generaldirektion für Wirtschaft und Finanzen der Europäischen Kommission, die über die Erfüllung der wirtschaftlichen Kriterien der EU-Erweiterung wacht, wird die EU Erweiterung auf jeden Fall höchst vorteilhaft für die alten Mitgliedsstaaten, und hier besonders für Österreich und Deutschland, werden. Angesichts der Bedeutung der bevorstehenden Erweiterung seien die dafür budgetierten Kosten sogar ein echtes „Sparprogramm“, denn die EU habe heute gar „nicht mehr die Größe für einen echten Marschallplan“. Was die Erfüllung der wirtschaftlichen Kriterien angeht, so seien die 10 MOEL heute zwar einerseits echte Marktwirtschaften, erfüllen aber andererseits allesamt noch nicht das Kriterium der Wettbewerbsfähigkeit im gemeinsamen Binnenmarkt. Trotzdem sieht der Zeitplan für die ersten Beitritte im Jahr 2004 aus Brüsseler Sicht noch haltbar aus, denn letztlich ist die Entscheidung für die Erweiterung immer eine inhärent politische.
Die nächsten jährlichen Fortschrittsberichten werden diesmal schon einen Monat früher im Oktober 2002 erscheinen und auch schon konkrete Empfehlungen zur Beitrittsreife der einzelnen Kandidaten enthalten. Und hier wird erwartet, dass „plötzlich“ 8 weitere Beitrittskandidaten auf einmal (alle 10 MOEL Kandidatenländer minus Bulgarien und Rumänien) die erforderlichen Kriterien „wie von Zauberhand erfüllen“ werden und somit der Weg frei ist für eine Erweiterung um 10 neue Mitgliedsstaaten.
Schwierige Verhandlungen
„Der Erweiterungsprozess wird mehr und mehr politisch, die technischen Verhandlungen stehen vor dem Abschluss.“ Dies erklärte Renate Kobler, die Vertreterin Österreichs in der Ratsarbeitsgruppe Erweiterung vor einer Gruppe des IDM in Brüssel. Es werde daher auch immer schwieriger Voraussagen über den weiteren Verlauf und die Einhaltung des Zeitplans zu machen.
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Besuch in der Ständigen Vertretung Österreichs in der EU
Thema: “Die Erweiterung der Europäischen Union” (Vortrag von Renate Kobler)
Bis zum europäischen Rat in Sevilla im Juni sollten die EU-Positionen für alle Verhandlungskapitel vorliegen. Die österreichische Diplomatin äußerte starke Zweifel, dass es dazu kommt. Der Disput über den Finanzrahmen sei zu tiefgreifend, um ihn in der kurzen Zeit erledigen zu können. Wahrscheinlich werde erst nach den deutschen Wahlen ein Kompromiss erzielbar sein. Deutschland lehnt – wie auch die anderen Nettozahlerländer, Großbritannien, Niederlande und Schweden – den Vorschlag der EU-Kommission zu den Finanzen ab. Insbesondere die darin vorgesehene Gewährung von landwirtschaftlichen Direktzahlungen ab Beitrittszeitpunkt geht nach deren Meinung angesichts der bevorstehenden Agrarreform in die falsche Richtung. Wie die Reform aussehen werde , wisse man erst nach der sogenannten Midterm Review der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), die für Sommer dieses Jahres vorgesehen ist.
Der Abschluss des gesamten Verhandlungsprozesses bis Ende des Jahres sei trotzdem möglich, meinte Kobler. Auf technischer Ebene werde auch weiter daraufhin gearbeitet. So hat man schon begonnen den Vertragstext zu verfassen – für alle 10 Kandidatenländer einen gemeinsamen.
Heranführung der Länder Ost- und Südosteuropas
Per Eklund, der Leiter der Abteilung „Geografische Koordinierung Europa“ innerhalb der Generaldirektion „EuropeAid für Zusammenarbeit“, präsentierte die Rolle der Programme TACIS und CARDS für die Heranführung der ost- und südosteuropäischen Länder an die EU. TACIS als Programm für die Mitglieder der GUS und die Mongolei soll den Aufbau demokratischer Strukturen, einer funktionierenden Marktwirtschaft sowie die Bekämpfung von Armut unterstützen. CARDS schließt die Balkanländer Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Mazedonien, Serbien und Montenegro ein und geht einen Schritt weiter als TACIS, da es sich bei den an CARDS teilnehmenden Ländern allesamt um potenzielle Kandidatenländer handelt. Die Schwerpunkte in CARDS sind Reformen des Verwaltungsapparats, im Bereich Justiz – Inneres (Grenzkontrollen, Zollwesen, Steuerwesen, Unabhängigkeit der Justizorgane), die Rückkehr der Flüchtlinge und der Wiederaufbau der Infrastruktur (insbesondere im Energiebereich).
Die Projekte werden üblicherweise bilateral realisiert. Mit jedem Land wurde ein für 4 Jahre gültiges Strategiepapier vereinbart, auf dessen Basis Aktionsprogramme und schließlich konkrete Projekte unter Einbeziehung dritter Auftragnehmer verwirklicht werden.
Als vordringliches Ziel in den genannten Ländern gilt die Stärkung der Zivilgesellschaft, Unabhängigkeit der Medien und die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen über Grenzen hinweg.
CARDS sieht sich als komplementäre Ergänzung zum Stabilitätspakt für Südosteuropa, keinesfalls als Konkurrent. Während sich der Stabilitätspakt auf gesamtregionale Entwicklungsperspektiven konzentrieren soll, fokussiert CARDS auf die einzelnen Länder. Es gibt zudem zahlreiche Projekte des Stabilitätspakts die aus Mitteln von CARDS finanziert werden.
Ungarische Verhandlungspositionen
Tibor Váradi, der ungarische Koordinator der Verhandlungen zum Beitritt des Landes zur Europäischen Union, erklärte der IDM-Gruppe in Brüssel die ungarische Sichtweise zu den problematischen Punkten der Beitrittsverhandlungen. Ungarn hat bereits 1994 die Mitgliedschaft beantragt, 1998 wurden die Verhandlungen gemeinsamen mit den übrigen fünf Ländern der Luxemburg-Gruppe aufgenommen.
Vor allem in den Bereichen Medien und Wettbewerb wurden von EU-Seite Mängel festgestellt. Ungarn konnte nicht sofort darauf reagieren, da aufgrund der Parlamentswahlen im April wichtige Entscheidungen hinausgezögert wurden. Herr Váradi kritisierte, dass die EU von den neuen Mitgliedern ohne Verzögerung die vollständigen Beitragszahlungen fordert, für den Rückfluss jedoch lange Übergangsfristen festsetzen möchte. Die größten Auffassungsunterschiede gibt es dabei im Agrarbereich, wo laut einem Vorschlag der Kommission 25% der Direktzahlungen ab dem Beitritt geleistet, bis 2013 stufenweise 100% erreicht werden sollen. Für die ungarische Seite sei dieser Vorschlag, so Váradi, inakzeptabel. Dadurch werde der EU-interne Wettbewerb in der Landwirtschaft verzerrt. Obwohl Reformen im Agrarbereich unumgänglich seien, betonte er die positive Handlungsbilanz mit der EU in diesem Segment.
Im Zuge der Reform der EU tritt Ungarn für die Vergemeinschaftung der dritten Säule (Justiz und Inneres) ein. Die GASP muss auf jeden Fall verbessert werden, ist derzeit ein Chaos.
Befragt zum umstrittenen Statusgesetz, das im benachbarten Ausland lebenden ethnischen Ungarn Sonderrechte in Ungarn garantiert, stellte Váradi fest, dass es das Ziel sei, die ethnischen Ungarn außerhalb der Staatsgrenzen zu unterstützen und ihnen ein besseres Leben sowie die Bewahrung ihrer Kultur im Ausland zu ermöglichen.
Das TAIEX Büro in Brüssel
Das Hilfsprogramm „Technical Assistance Information Exchange Office“ (TAIEX) wurde im Jänner 1996 ins Leben gerufen. Es wird mit Geldern aus dem PHARE-Fonds finanziert und bietet allen 13 Beitrittskandidaten Unterstützung bei der Rechtsangleichung. Im Verhältnis zu PHARE oder anderen EU-Hilfsprogrammen zeichnet sich TAIEX dadurch aus, dass es sehr unbürokratisch und offen ist, weshalb es sich auch sehr großer Beliebtheit bei den Beitrittskandidaten erfreut.
Die konkrete Hilfestellung von TAIEX besteht z.B. aus Trainingsprogrammen für Übersetzer und Dolmetscher. Des weiteren werden Besuche vor Ort in den EU-Mitgliedstaaten organisiert, um die praktischen Arbeitsabläufe an den Grenzübergängen, z.B. bei der Kontrolle von Lebensmitteln aus Drittstaaten, zu vermitteln.
Die Umsetzung des Acquis Communautaire stellt gemäß Hauptverwaltungsrätin Christiane Kirschbaum für die Beitrittskandidaten ein enormes Problem dar. So wird zum Zeitpunkt ihres EU-Beitritts der Prozentsatz der nicht umgesetzten Richtlinien viel höher ausfallen, als dies bei vorangegangenen Erweiterungsrunden der Fall war. Deshalb rechnet sie auch spätestens ein Jahr nach den Beitritten mit einer „Klageflut“ beim Gerichtshof, der ihrer Meinung nach mit Sicherheit überlastet sein wird.
PHARE wird nach den bevorstehenden Beitritten wahrscheinlich weiterlaufen, wenn auch unter einer anderen Bezeichnung, hingegen ist der Fortbestand von TAIEX noch ungewiss.
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Susan Milford (IDM) und Gerald Roßkogler (IDM) vor dem Brüsseler Wahrzeichen, dem Mannekenpis
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Besuch des Europakolleg Brügge

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