Chancen einer neuen Nachbarschaft: Moldau und Ukraine

Date/Time
November 29, 2004 - November 30, 2004
10:00 - 18:00 CEST/CET


Benita Ferrero-Waldner: Chancen einer neuen EU-Nachbarschaft – Moldau und Ukraine 
‘Das Modell der neuen Nachbarschaft’
Eine Rede gehalten und vorbereitet von
Heinz Timmermann: Das Modell der neuen Nachbarschaft 
Andreas Herdina: The European Neighbourhood Policy
Martin Malek: Aktuelle Fragen der Sicherheitspolitik der Ukraine

Die spezifischen Interessen der EU’

Mit ihrer Erweiterung nach Osten im Mai 2004 erhielt die EU zunächst zwei „Neue Nachbarn“: die Ukraine und Belarus. Nach dem für 2007 anvisierten EU­Beitritt Rumäniens wird auch Moldau zum Neuen Nachbarn. Die gemeinsame Grenze der EU mit den drei Ländern erstreckt sich über 2 400 km. Rechnet man Rußland einschließlich der von den EU­Neumitgliedern Polen und Litauen umschlossenen Exklave Kaliningrad hinzu, so verlängert sich die gemeinsame Grenze von ursprünglich 1 300 km (Rußland­Finnland) bis April 2000 auf insgesamt 5 100 km. So rücken die Neuen Nachbarn geographisch näher an die EU heran, laufen als Außenseiter paradoxerweise jedoch Gefahr, hinter zusätzlich gesicherten Grenzen de facto in eine Randposition gedrängt zu werden. Auch 13 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion ist der Prozeß politischer Neuordnung in Europa weiterhin in vollem Gange.

Die EU hat erst relativ spät auf die tiefgreifenden Neustrukturierungen im gesamten europäischen Raum reagiert und nur zögernd in ihr Kalkül einbezogen, daß sich nach dem Beitritt jenseits der vorgeschobenen EU­Grenzen neue Konstellationen abzeichnen. Immerhin heißt es im endgültigen Entwurf des Verfassungskonvents vom Juli 2003 (Art.56): „Die Union entwickelt besondere Beziehungen zu den Staaten in ihrer Nachbarschaft, um einen Raum des Wohlstands und der guten Nachbarschaft zu schaffen, der auf den Werten der Union aufbaut und sich durch enge, friedliche Beziehungen auf der Grundlage der Zusammenarbeit auszeichnet“.1 Das EU­Strategiepapier „Ein sicheres Europa in einer besseren Welt“ vom Dezember 2003 nimmt ebenfalls Bezug auf die Neuen Nachbarn. Die Erweiterung der EU dürfe keine neuen Trennlinien in Europa aufreißen, heißt es dort. Vielmehr gelte es, einen „Ring gut regierter Länder“ zu schaffen sowie die Vorteile von wirtschaftlicher und politischer Zusammenarbeit auf die Neuen Nachbarn auszuweiten.2 Ihr Ziel muß darin bestehen, Abgrenzungseffekte zu minimieren und gemeinsam mit den Neuen Nachbarn die in der Erweiterung liegenden Chancen zu nutzen. Das gilt für die Bereiche Demokratie, Wirtschaftsordnung und Rechtsstaatlichkeit ebenso wie für die funktionale Zusammenarbeit auf Feldern gemeinsamen Interesses wie Wirtschaftskooperation, Justiz und Inneres, transeuropäische Netze, Sicherheit und Verteidigung. Die USA verfolgen im postsowjetischen Raum zwar oft eher strategische Ziele, teilen jedoch – zumindest im Hinblick auf Ukraine, Belarus und Moldau – weitgehend die Linie der EU.

Nicht zufällig hat die EU daher parallel zu den Beitrittsprozessen der ostmitteleuropäischen Länder seit 2003 eine „Europäische Nachbarschaftspolitik“ (ENP) entwickelt.3 Damit ging sie ähnlich vor wie 1993/94, als sie die Beitrittszusage für die ostmitteleuropäischen Staaten mit dem Abschluß von Verträgen über Partnerschaft und Kooperation mit den westlichen GUS­Staaten einschließlich Rußland verband. In der Substanz bildet die Nachbarschaftspolitik eine Art Dritten Weg zwischen der – bereits existierenden  Partnerschaft und einer bis auf weiteres unrealistischen Mitgliedschaft. Ausschlaggebend für die EU ist dabei ihr hohes Eigeninteresse an stabilen Entwicklungen in der Region, an einer Abwehr von Gefahren, die aus den schwierigen Transformationsprozessen erwachsen.

Ein Erfolg der Aufgabe, Erweiterung und Nachbarschaftspolitik zu zwei Formen künftiger Integrationspolitik zu machen, ist keineswegs gesichert. Zwar versteht sich die EU selbst mit ihren jetzt 450 Mio. Einwohnern als globaler Akteur mit eigenen Interessen, was bei einer Realisierung von 25 Prozent des weltweiten Sozialprodukts sowie 20 Prozent des Welthandels und 45 Prozent der globalen Direktinvestitionen wirtschaftlich sicher zutrifft. Zugleich sind ihre Kräfte jedoch nicht zuletzt als Folge der Erweiterung nach Osten begrenzt, so daß zunächst – auch auf Kosten von Aspirationen der Neuen Nachbarn ­ eine Phase der Konsolidierung und des internen Zusammenwachsens notwendig ist.

In der vorhersehbar beschränkten Handlungsfähigkeit liegt einer der zentralen Gründe dafür, daß die EU eine Mitgliedschaft der Neuen Nachbarn trotz ihres hohen Eigeninteresses an Stabilität und Steigerung des Lebensniveaus in dieser Region zumindest vorerst n​icht​i​ns Auge faßt. Allerdings schließt sie eine solche Option auch nicht grundsätzlich aus, so daß man von einer Strategie der halboffenen Tür sprechen kann. Nach Art.49 EU­Vertrag kann bekanntlich jedes e​uropäische​L​and den Beitritt zur EU beantragen, sofern es die Grundsätze von Menschenwürde, Freiheit, Demokratie und Rechtssicherheit akzeptiert. Zwar fehlt damit der Anreiz, den die Mitgliedsperspektive und die Eingliederung in die arbeitsteilige Weltwirtschaft den Eliten – analog zu den Beitrittsländern Ostmitteleuropas – für die Implementierung der schwierigen Strukturreformen böten. Andererseits werden Enttäuschungen vermieden, wenn sich die Erwartungen der Neuen Nachbarn nicht erfüllen und die Verwirklichung ihrer Aspirationen – wie im Falle der Türkei – immer wieder hinauszögern.

Hinzu kommt ein weiteres Problem, mit dem die EU in ihrer ENP konfrontiert ist. Gemeint ist die Frage, ob die Union ein geschlossenes, für alle Neuen Nachbarn ähnlich geltendes Konzept entwickeln oder ob sie sich jeden seiner vier Komponenten einzeln widmen soll. Gewiß spräche einiges dafür, gleiche oder ähnliche Maßstäbe anzulegen, wenn es um eine Annäherung von EU und Neuen Nachbarn geht. Das gilt für die Bereiche Demokratie, Wirtschaftsordnung und Rechtsstaatlichkeit ebenso wie für die funktionale Zusammenarbeit auf Feldern gemeinsamen Interesses wie Wirtschaftskooperation, Justiz und Inneres, Sicherheit und Verteidigung. Die Ähnlichkeit der gemeinsamen Probleme könnte es durchaus rechtfertigen, in Analogie zu der auf den erweiterten Ostseeraum bezogenen „Nördlichen Dimension“ der EU nunmehr eine entsprechende „Östliche Dimension“ gegenüber den Neuen Nachbarn zu entwickeln, wie insbesondere von Polen vorgeschlagen wird.

Gleichwohl wird der Begriff „Östliche Dimension“ in den EU­Dokumenten vermieden, und das aus gutem Grund. Zum einen hat die „Nördliche Dimension“ politisch und materiell ein nur schwaches Profil entwickelt und ist mit den weitergehenden Zielen der ENP nur schwer vergleichbar. Zum andern sind die Unterschiede dieser Länder in Größe, politischem Gewicht, Wirtschaftskraft und Aspirationen so tiefgreifend, wie sie zwischen den Neumitgliedern Ostmitteleuropas zu keinem Zeitpunkt zu beobachten waren. Sie schließen eine für alle vier Länder geltende EU­Gesamtkonzeption im Rahmen einer „Östlichen Dimension“ faktisch aus und verweisen auf die Notwendigkeit ein es im Kern bilateralen Herangehensweisen. „Differenzierung zwischen den Ländern bleibt die Grundlage der neuen Nachbarschaftspolitik“, heißt es im EU­Papier „Größeres Europa“ vom März 2003.

Die U​kraine u​nd M​oldau s​treben zumindest programmatisch einen EU­Beitritt mit allen daraus erwachsenden Konsequenzen für den inneren Wandel an. B​elarus ​mit seinem scharf autoritären Regime hat sich gegenüber der EU und deren Mitgliedsländern selbst isoliert und zielt zumindest verbal auf die Bildung eines Unionsstaats mit Rußland. Vertragliche Beziehungen zu Belarus will die EU erst dann aufnehmen, wenn sich das Land in einer Zug­um­Zug­Strategie zu einer schrittweisen Übernahme europäischer Standards von Demokratie und Menschenrechten bereitfindet, darunter zur Schaffung von Voraussetzungen für freie und faire Wahlen. Indem die ENP p​otentiell a​uch für Belarus gilt, dokumentiert sie Eliten und Bevölkerung immerhin eindrucksvoll den potentiellen N​utzen u​nd den tatsächlichen N​utzenentgang,​den das Land als Folge seines scharf autoritären Regimes hinnehmen muß. So gesehen bildet die ENP einen wichtigen Anreiz für evolutionären Wandel in Belarus.

Russland einerseits zeigt ebenfalls kein Interesse an einer EU Mitgliedschaft: Aufgrund  seiner Größe, seines politischen Gewichts als Nuklearmacht und Mitglied des UN­Sicherheitsrats, seines Rohstoffreichtums und seines Wirtschaftspotentials nimmt Russland eine Sonderrolle ein. Hinzu kommt, daß Rußland im Sinne einer T​eile​uropäisierung zwar zur Anpassung an wirtschaftliche Standards, Normen und Regelwerke bereit ist, der EU im übrigen jedoch lediglich eine „Interessen­ statt einer Wertegemeinschaft, Wirtschaftspragmatismus statt Zivildialog, eine Modernisierungs­ statt Demokratiepartnerschaft“ anbietet. Aufgrund der Spezifika seiner Größe und seines Potentials wird Rußland deshalb in den ENP­Dokumenten der EU auch nur am Rande erwähnt.

Dies geschieht nicht etwa deshalb, weil die Union das Land durch Absorption der drei Neuen Nachbarn Ukraine, Belarus und Moldau an den Rand verweisen und aus Europa herausdrängen will. Vielmehr argumentiert die EU genau umgekehrt, indem sie den herausgehobenen Charakter der bilateralen Beziehungen zu Moskau unterstreicht. Brüssel zufolge ist die strategische Partnerschaft der EU mit Rußland bereits wesentlich weiterentwickelt als mit den drei übrigen Nachbarn im Osten, wie die Vereinbarung des St. Petersburger Gipfels vom Mai 2003 zur Bildung von vier gemeinsamen Räumen ausweist (Wirtschaft, innere Sicherheit, äußere Sicherheit sowie Forschung, Bildung und Kultur). So gesehen bleibt der Vertrag über Partnerschaft und Kooperation auch weiterhin der tragende Pfeiler der strategischen Partnerschaft EU­Rußland, während die ENP gleichsam einen ihrer Stützpfeiler bildet.koenig, Chancen einer neuen EU-Nachbarschaft: Moldau und Ukraine Diplomatische Akademie Wien, 30.11.2004

Die Europäische Nachbarschaftspolitik: Form und Inhalt

Hatte die EU­Kommission im März 2003 mit dem Papier „Größeres Europa – Nachbarschaft“ eine erste Leitlinie für die Politik gegenüber den vier östlichen Staaten entwickelt, so legte sie im Mai 2004 ein „Strategiepapier“ zur „Europäischen Nachbarschaftspolitik“ vor, in dem sie Methoden und inhaltliche Ziele ihrer Beziehungen zu den Neuen Nachbarn weiterentwickelt und präzisiert. Danach bleiben die Verträge über Partnerschaft und Kooperation, die sich auf die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen konzentrieren, auch weiterhin in Kraft (Ausnahme: Belarus) und werden durch die ENP ergänzt und aktualisiert. Falls es der Verdichtungsprozess erlaubt, können sie, sofern die Prioritäten der Aktionspläne erfüllt sind, durch weiterreichende Europäische Nachbarschaftsverträge abgelöst werden. Tatsächlich erscheint eine Erneuerung und Vertiefung der Vertragsbeziehungen zu den Ländern östlich der erweiterten Union nicht zuletzt deshalb sinnvoll, weil die wachsende Zusammenarbeit in zentralen Bereichen durch die Partnerschaftsverträge nur unzureichend oder überhaupt nicht abgedeckt ist. Dazu gehören beispielsweise Justiz und Inneres sowie Sicherheit und Verteidigung.

Wichtigste institutionelle Innovation der ENP ist der Vorschlag der Kommission, im Rahmen des Vertragssystems gemeinsam mit den Neuen Nachbarn flexible, auf drei bis fünf Jahre berechnete länderspezifische A​ktionspläne a​uszuarbeiten, die durch europäische Förderprogramme unterstützt werden Die Aktionspläne sollen auf jeweils vorrangigen Aktionsfeldern die ganze Breite der Kooperation erfassen und sektorspezifisch aufgliedern werden, um das Zusammenspiel von Reformen und Zugang zum EU­Binnenmarkt in konkreten Schritten zu gestalten. In den Aktionsplänen, vom Europäischen Rat zu Recht als „politische Schlüsselinstrumente“ bezeichnet, werden Ziele und Maßstäbe, ein jeweils auszuhandelnder Zeitplan für deren Verwirklichung sowie ein Mechanismus zur laufenden Beobachtung (monitoring) festgelegt.

Neu ist ferner die Bereitschaft der EU, die Aktionspläne g​emeinsam mit den Partnern auszuarbeiten und zu implementieren. Damit wird Abschied genommen von der früheren Praxis – so im Falle der „Gemeinsamen Strategien“ gegenüber Rußland und der Ukraine ­, den Neuen Nachbarn einseitig verfaßte Dokumente zu präsentieren und die Förderung von deren Erfüllung abhängig zu machen. Dazu heißt es in dem Strategie­Dokument der EU vom Mai 2004: „Die EU will ihren Partnern keine Prioritäten oder Bedingungen diktieren. Der Erfolg der Aktionspläne hängt an der eindeutigen Anerkennung g​egenseitiger Interessen​bei der Lösung einiger vorrangiger Fragen. Keinesfalls sollen die Partnerländer aufgefordert werden, ein vorgefertigtes Prioritätenpaket zu akzeptieren. Diese werden vielmehr im gemeinsamen Einvernehmen festgelegt und somit von Land zu Land unterschiedlich sein.“

Hinzu kommt: Die bislang in den Verträgen über Partnerschaft und Kooperation eher allgemein gehaltene und daher wenig effektive Konditionalität wird durch ein Instrument ersetzt, das sich in Form jährlicher „Fortschrittsberichte“ der EU­Kommission bereits im Zuge der Erweiterungsprozesse in Ostmitteleuropa bewährt hatte. Anhand politischer, wirtschaftlicher und institutionenbezogener Maßstäbe ermöglichten sie es, die Transparenz der Reformprozesse zu gewährleisten und Fortschritte in den Schlüsselbereichen der Reformen an den vereinbarten Zielen zu messen. Damit vermittelten sie den Vertragspartnern hinsichtlich der Perspektiven ihrer Beziehungen größere Sicherheit und Berechenbarkeit. Den Neuen Nachbarn gäbe ein ähnliches Vorgehen beispielsweise die Gewißheit, daß die mögliche Ablehnung einer baldigen Mitgliedschaft nicht in einer grundsätzlichen und willkürlichen Verweigerungshaltung Brüssels wurzelt, sondern in s​elbst​z​u verantwortenden Mängeln bei der Erfüllung der Anpassungs­ und Transformationsverpflichtungen.

Mit den Aktionsplänen, die im Spätherbst 2004 unter der Regie der neuen Außenkommissarin Ferrero­Waldner verabschiedet wurden, hat die EU gewiß eine erfolgversprechende pragmatische Methode zur Gestaltung ihrer Beziehungen zu den Neuen Nachbarn gefunden. Allerdings bleibt die Frage, ob die inhaltliche Ausgestaltung des Nachbarschaftsverhältnisses gelingt, insbesondere hinsichtlich der gegenseitigen Verpflichtung auf g​emeinsame Werte.Genannt werden dabei in der EU­„Strategie“ die Bereiche „Rechtssicherheit, verantwortungsvolles Regieren, Achtung der Menschenrechte einschließlich der Minderheitsrechte, Förderung gutnachbarlicher Beziehungen und die Prinzipien der Marktwirtschaft und der nachhaltigen Entwicklung“. Dies ist eine hohe Messlatte und könnte die EU hier wie auch im Hinblick auf die funktionale Kooperation mit der Alternative konfrontieren, unilateral zu handeln oder um der Kooperation willen ein Auge zuzudrücken. Im folgenden sollen kurz die anvisierten zentralen Felder der inhaltlichen Zusammenarbeit umrissen werden.

Der p​olitische Dialog u​mfaßt Fragen der Außen­ und Sicherheitspolitik, Konfliktprävention, Krisenbewältigung und gemeinsame Sicherheitsbedrohungen (darunter insbesondere Terrorismus und seine Ursachen, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, illegaler Waffenhandel). Besondere Aufmerksamkeit gilt der gemeinsamen Verantwortung für Sicherheit und Stabilität in den Nachbarregionen. Schließlich offeriert die EU den Neuen Nachbarn engere Zusammenarbeit im Rahmen der Gemeinsamen Außen­ und Sicherheitspolitik und der Europäischen Sicherheits­ und Verteidigungspolitik für den Fall, daß sie über gefestigte demokratische Institutionen verfügen.

Den Kern der ENP bilden Angebote zu engerer w​irtschaftlicher Zusammenarbeit i​n dem Maße, wie die Neuen Nachbarn ihre inneren Transformationsprozesse vorantreiben. Angestrebt wird die Anerkennung der Neuen Nachbarn als Marktwirtschaften sowie die Unterstützung des Beitritts der Ukraine und potentiell auch Weißrußlands zum WTO (der Moldau bereits angehört). Dieser wiederum bildet die Voraussetzung für ihre stufenweise Einbeziehung in den Gemeinsamen Europäischen Wirtschaftsraum nach dem Beispiel des Modells, das für die EU und Rußland ins Auge gefaßt wird. Langfristig könnte dies zur Formierung eines einheitlichen Marktes führen, wie er im Zeichen des Europäischen Wirtschaftsraums zwischen der EU und der Rest­EFTA (Norwegen, Island, Liechtenstein) besteht. Seinen Kern bilden die berühmten vier Freiheiten: Freizügigkeit für Personen, freier Warenaustausch, Dienstleistungs­ und Niederlassungsfreiheit sowie Freiheit des Kapitalverkehrs. Bestandteile dieser Inklusionspolitik sind laut „Strategie“­Dokument der EU u.a.: Angebote zu präferentieller asymmetrischer Marktöffnung und zur Einbeziehung in bestimmte Gemeinschaftsprogramme (Wissenschaft, Bildung, Kultur) sowie Förderung der Annäherung an Rechts­ und Verwaltungsvorschriften, an Standards und Normen der EU. Als Ziel definiert die EU die „Heranführung der Partnerländer an das Wirtschaftsmodell der EU“.

Hohen Rang hat für die EU die Partnerschaft im Bereich J​ustiz und Inneres.​Als zentrale Themen der Zusammenarbeit identifiziert sie hier die Verbesserung des Grenzmanagements, die Ausbildung eines professionellen Grenzschutzcorps sowie die verbesserte Sicherheit von Reisedokumenten. In diesem Kontext plädiert die EU für Konzepte, die die zuverlässige Sicherung der Grenzen mit deren größtmöglicher Durchlässigkeit verbindet. Dabei sind schrittweise Visaerleichterungen vorgesehen – vorausgesetzt, die Neuen Nachbarn erklären sich zum Abschluß eines Rückübernahmeabkommens bereit. Besonders bemerkenswert sind die Überlegungen der EU, spezifische Regelungen für den kleinen Grenzverkehr an ihren Grenzen im Osten zu treffen. Die Perspektive für die Menschen, ohne großen Verwaltungsaufwand traditionelle Kontakte pflegen zu können, ist gerade in den strukturschwachen und/oder von Minderheiten bewohnten Grenzgebieten von vitaler Bedeutung. Eine strikte Anwendung der Schengener Visaregelungen würde familiäre Bindungen zerreißen sowie den Kleinhandel und sonstige grenzübergreifende Aktivitäten unterbinden.

Schließlich stellt die EU­„Strategie“ den Partnern unter der Parole „Die Nachbarn miteinander verbinden ‘eine verstärkte Integration der Infrastrukturnetze in Aussicht. Stichworte sind : Energie und Energieleitsysteme, Verkehr, Umwelt, Information und Kommunikation. Die Förderung regionaler Vernetzungen und gezielter Begegnungen der Menschen („people­to­people“) sollen der funktionalen Kooperation in der verschiedenen Dimensionen kräftige Impulse geben. Die Finanzierung der ENP wird bis zum Jahr 2006 mager sein, da sich im laufenden Budget Mittel nur schwer umschichten lassen. Anschließend soll die Summe erheblich aufgestockt werden: Im Rahmen des Budgets 2007­2013 wird ein neues Finanzierungsinstrument, das Europäische Nachbarschaftsinstrument, geschaffen. Als Ergänzung von Tacis wird sein Schwerpunkt auf Förderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit liegen. Mit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und anderen internationalen Finanzinstituten werden Konsultationen über ein stärkeres Engagement und eine bessere Koordinierung der ENP­Programme gepflegt. Im Hinblick auf die Europäische Investitionsbank, die Hausbank der EU, stimmte der Europäische Rat einer Ausweitung des Mandats auf die Neuen Nachbarn einschließlich Rußlands zu

Fazit und Ausblick

Realistischerweise hat die EU der Versuchung widerstanden, Stabilität an ihren östlichen Grenzen durch immer weiter ausgreifende Einbindung und Integration zu schaffen. Tatsächlich wäre es verfrüht, Neuen Nachbarn bereits jetzt eine Mitgliedsperspektive zu geben. Andererseits darf das Konzept der EU aber auch nicht als Legitimation zurBeitrittsverweigerung d​ienen. Sinnvoller als finale Entscheidungen scheint hier eine prozeßhafte Außensteuerung mit einer möglichst breiten Palette an funktionalen und instutionellen Kooperations­ und Fördermöglichkeiten der EU“.

Die Turbulenzen in der Ukraine nach den manipulierten Wahlen vom Oktober/November 2004 unterstreichen die Bedeutung der Neuen Nachbarn in der geopolitischen Zwischenzone zwischen der EU und Rußland. In diesem Kontext kann es die Europäer nicht gleichgültig lassen, wie sich die Verhältnisse in der Region und insbesondere in der Ukraine als größtem und bedeutendstem Land entwickeln. Wie aber könnte eine Brüsseler Politik von Interessenausgleich und Zusammenarbeit in dem sensitiven Dreieck EU­ neue Nachbarn­ Russland aussehen? Zunächst sind zwei extreme Ansätze zu vermeiden. Einerseits sollte die EU die neuen Nachbarn nicht als abhängige Variables ihrer Partnerschaft mit  Russland behandeln. Einen Anspruch Russlands, nur Moskau könne in diesem Raum als Ordnungsmacht fungieren und der Westen müsse das respektieren, kann nicht akzeptiert werden. Dies käme einer Anerkennung von Moskauer Dominanzansprüchen gleich und würde die fragwürdige These von der „begrenzten Souveränität“ neu beleben. Andererseits sollte die Verdichtung der Beziehungen zu den Neuen Nachbarn aber auch nicht als Nullsummenspiel in K​onfrontation z​u Rußland betrieben werden. Angesichts der engen wirtschaftlichen sowie der vielfachen historischen menschlichen und kulturellen Verbindungen zwischen ihnen sollte die EU auch die Interessen Rußlands in dieser Region in ihr Kalkül einbeziehen und danach streben, sie bei der Gestaltung Gemeinsamer Europäischer Räume in Rechnung zu stellen.

In diesem Kontext sollten die Neuen Nachbarn als u​nabhängige Staaten b​ehandelt werden, in je spezifischer Weise offen nach West u​nd O​st. Sie sollten die Chance erhalten, in freien und fairen Wahlen nach europäischen Standards über ihre Zukunft selbst zu entscheiden. Dies wäre ein wichtiger Schritt zur Vertrauensbildung in Gesamteuropa, zu der Putin vor dem deutschen Bundestag im September 2001 aufrief. Diesem optimistischen Szenario steht ein

eher skeptisches gegenüber: Sollten in Russland Kräfte die Oberhand gewinnen, die die ENP als expansionistisches Vorgehen der EU (im Verbund mit den USA) wahrnehmen und auf offensives Vorgehen drängen, so könnte im Zeichen von wiedererstarkender Wirtschaft und Wiederherstellung der Größe Rußlands eine Situation entstehen, in der Konfliktlinien zwischen Russland und der Union gerade durch die Ukraine, Belarus und Moldau verlaufen. Dies durch möglichst enge, interessengeleitete und kompromißgeprägte Beziehungen zu Russland zu verhindern, sollte eine zentrale Aufgabe der Gemeinsamen Außen­ und Sicherheitspolitik der erweiterten EU sein.’

(Eine erweiterte Fassung des vorliegenden Beitrags findet sich in dem Anfang 2005 im Berliner Wissenschaftsverlag erscheinenden Buch Ernst Piehl/Peter Schulze/Heinz Timmermann, Die offene Flanke der Europäischen Union: Russische Föderation, Belarus, Ukraine, Moldau.)

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Dr. phil. Martin Malek,
Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie, Wien

”AKTUELLE FRAGEN DER SICHERHEITSPOLITIK DER UKRAINE’

‘Das Interesse an zwei Ländern, die sonst nicht im Mittelpunkt der Medienberichterstattung oder außenpolitisch relevanter Konferenzen stehen, kann man nur begrüßen, wenngleich Moldova durch die aktuellen Ereignisse in der Ukraine naturgemäß in den Hintergrund gedrängt ist. Die Ukraine macht derzeit Schlagzeilen in der Weltpresse wie wohl seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 nicht mehr, auch wenn der Anlaß – nämlich massive Hinweise auf Fälschungen des zweiten Durchgangs der Präsidentenwahlen am 21. November – wenig erfreulich ist.

Ich freue mich über die Einladung, vor einer so hoch besetzten Versammlung über die Sicherheitspolitik der Ukraine zu sprechen. Es ist aber natürlich unmöglich, in kurzer Zeit einen Überblick über ein so komplexes Thema zu geben, so daß ich einige wenige aktuelle Schwerpunkte setzen muß. Dabei gebe ich n​icht eine offizielle Meinung des Bundesministeriums für Landesverteidigung oder der Landesverteidigungsakademie wieder.

 

Außen­ und sicherheitspolitische Aspekte der Präsidentenwahlen

Die beiden Hauptkandidaten Ministerpräsident Viktor Janukovič und Ex­Ministerpräsident Viktor Juščenko standen (auch) in der Außen­ und Sicherheitspolitik für sehr verschiedene Konzepte der politischen Zukunft der Ukraine. Nach Angaben der Moskauer Presse sagte Janukovič russischen Gesprächspartnern im Wahlkampf den Verzicht auf eine „Europäisierung des Landes“ zu und erklärte, daß „eigenständige Versuche der Integration (der Ukraine) in internationale Strukturen und Organisationen … nicht aussichtsreich“ seien und zusammen mit Rußland erfolgen müßten.1 Das wäre allerdings ein erheblicher – und zudem freiwilliger – teilweiser Verzicht auf Souveränität der Ukraine in der Gestaltung ihrer auswärtigen Angelegenheiten.

Es ist denkbar, daß ein Präsident Janukovič in den EU und Nordamerika nicht empfangen wird und diverse Hilfsprogramme für die Ukraine gekürzt werden. Er könnte aber – wie der weißrussische Diktator Aleksandr Lukašenko – die pragmatische Position beziehen, daß das keine Rolle spielt, solange er der Unterstützung Moskaus sicher sein kann. Von dort aus wäre er in einem solchen internationalen Umfeld freilich umso leichter zu beeinflussen.

 

Russische Interessen

Die Ukraine gehört zur Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) und damit automatisch zur von Russland beanspruchten „Zone besonderer Interessen“, aus der sich dritte Staaten und Organisationen – darunter die EU, von der NATO ganz abgesehen – möglichst fernhalten sollen. Natürlich kann Moskau die GUS nicht völlig abschirmen, aber das ändert nichts an seiner Betrachtung auch der ukrainischen Präsidentenwahlen durch dieses geopolitische Prisma. In Russland beschuldigt man den Westen, Juščenko zu unterstützen, um – so wörtlich die Moskauer „Nezavizimaja gazeta“ – „die Ukraine von Russland ‚abzureißen’“.2 Der russische Präsident Vladimir Putin meinte nach dem zweiten Wahlgang, daß die „Ukraine keinen Nachhilfeunterricht in Sachen Demokratie braucht“. Was er nicht dazugesagt, aber zweifellos gemeint hat, war: „Solange der prorussische Kandidat gewinnt“.

Ein Sieg Janukovičs wäre in den Augen Moskaus eine Garantie für seinen großen fortdauernden Einfluß auf die Ukraine. Daher kann es subjektiv gar nicht anders handeln als sich einer Übernahme des Präsidentenamtes durch Juščenko mit allen politischen und propagandistischen Mitteln entgegenzustellen. Möglicherweise kommt noch eine andere Dimension dazu: In den letzten Tagen verdichteten sich nämlich die Hinweise auf den Aufenthalt russischer Spezialeinheiten in und um Kiew, auch wenn der russische Verteidigungsminister Sergej Ivanov das (wenig überraschend) entschieden zurückwies. Klarheit zu dieser Frage steht jedenfalls aus.

 

Der Faktor EU

Hohe und höchste EU­Vertreter mit dem damaligen Kommissionspräsidenten Romano Prodi und dem damaligen Erweiterungskommissar Günter Verheugen an der Spitze haben einer ukrainischen EU­Mitgliedschaft bekanntlich immer wieder explizit eine Absage erteilt. Das hat in der Ukraine naturgemäß einigen Unwillen ausgelöst, und viele – und v.a. die Führung von Präsident Leonid Kučma – sahen in einer Rückwendung zum „Osten“ – also nach Rußland und der GUS – einen Ausweg. Eine Absage der EU an die Ukraine interpretiert Moskau als – aus seiner Sicht sehr erfreuliches – Desinteresse Brüssels an ihr. Daraus gedachte Rußland bei seinem eigenen geopolitischen, sicherheitspolitischen sowie ökonomischen Engagement in der GUS Vorteile zu ziehen. Dazu ist etwa der von Rußland forcierte sogenannte „Einheitliche Wirtschaftsraum“ mit der Ukraine, Belarus und Kasachstan zu nennen, der eine EU­Mitgliedschaft der Ukraine sehr erschweren, wenn nicht verunmöglichen würde.

Beim ihrem Gipfeltreffen am 25. November 2004 in Den Haag einte die EU und Rußland nur noch der Wunsch, daß die Krise in der Ukraine friedlich beigelegt werden möge. Damit endeten aber bereits die Gemeinsamkeiten. Brüssel hat bisher Janukovič nicht als Wahlsieger anerkannt. Es ist aber die Möglichkeit zu bedenken, daß – auch wenn es kein Politiker offen zugeben wird – der EU trotz aller Kritik an der vermuteten Wahlfälschung ein Präsident Janukovič gar nicht so unwillkommen wäre, denn unter Juščenko würde Kiew sehr bald nachdrücklich an die Tore der Union klopfen. Dort aber steht man ohnedies vor der Frage, wie man mit der Türkei weiter verfahren soll, und da scheint ein weiterer großer Kandidat wie die Ukraine durchaus entbehrlich. – Ein solcher „Pragmatismus“ der EU wäre längerfristig aber zweifellos kontraproduktiv, zumal sich zahlreiche Probleme, die vor einer Mitgliedschaft der Türkei zu lösen wären, mit Kiew erst gar nicht stellen würden: So spielen die ukrainischen Streitkräfte kaum eine eigenständige politische Rolle, und auch die „kulturelle Kompatibilität“ wäre gegeben – schließlich ist die Ukraine völlig eindeutig ein europäisches Land.

 

Änderungen in der neuen Militärdoktrin der Ukraine

Am 15. Juni 2004 bestätigte Kučma per Erlaß eine neue Militärdoktrin. Genau einen Monat später gab er einen weiteren Erlaß heraus, mit dem er das ursprünglich verankerte Ziel eines Beitritts zur NATO wieder aus dem Text entfernte. Zwar bleiben Formulierungen wie „Vertiefung der Beziehungen mit NATO und EU als Garanten der Sicherheit und Stabilität in Europa“ in der Doktrin, doch war die Genugtuung in Moskau dennoch sehr groß. Eine vergleichbare russische Freude gab es zum letzten Mal anläßlich der Entlassung des als prowestlich „verunglimpften“ Außenministers Borys Tarasjuk (der dann im Lager Juščenkos auftauchte) im September 2000. Eine keineswegs nationalistische Moskauer Zeitung schrieb zur Doktrinänderung: „Ein solcher Schwenk (der Ukraine, M.M.) vom Westen zum Osten kann man als offenkundigen Sieg Moskau im Wettstreit um Einfluß auf die Ukraine ansehen“.3 Diesen geopolitischen „Wettstreit“ möchte Rußland unbedingt für sich entscheiden, auch wenn die meisten westlichen Beobachter in Zweifel ziehen dürften, daß er überhaupt existiert.

Eine offizielle Reaktion der NATO auf diese Doktrinänderung ist mir nicht bekannt. Jedenfalls sagte Janukovič im Wahlkampf zu, daß es unter seiner Präsidentschaft keine NATO­Mitgliedschaft der Ukraine geben wird. Die Debatte ist aber eher akademisch, denn erstens ist die Ukraine von einem innenpolitischen Konsens in dieser sensiblen Frage weit entfernt und zweitens hat die NATO bisher keine ernsten Absichten erkennen lassen, die Ukraine aufzunehmen. Der wichtigste Grund dafür ist zweifellos der „russische Faktor“: es fällt schwer zu glauben, daß sich die NATO nach den Krisen der Vergangenheit (so während des Kosovo­Krieges 1999 und wegen der beiden Erweiterungsrunden 1999 und 2004) wegen der Ukraine auf eine erneute drastische Verschlechterung der Beziehungen zu Moskau einlassen will.’

 


 

Kooperation im Bereich Wissenschaft und Bildung – Chancen und Defizite
Ralf König: European Research Programmes
Bohdan Cerkes / Klaus Semsroth: 10 Jahre europäische Nachbarschaft:Lemberg-Wien

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