Wenn Diskriminierung durstig macht

Ein Drittel der Rom*nja-Gemeinden in Europa hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und Sanitäranlagen. In seinem Gastbeitrag schreibt BERNARD RORKE über gezielte Entscheidungen, die zu lebensbedrohlichen Situationen für Europas größte ethnische Minderheit führen.

Der Text wurde in der Ausgabe 2/2023 von Info Europa veröffentlicht. Die vollständige Ausgabe ist hier zu lesen.

»Man muss kein*e Wasserexpert*in sein, um zu erkennen, dass es ein unmenschlicher Akt ist, während einer Hitzewelle die Brunnen einer Siedlung abzustellen.« So urteilte der verstorbene Rom*nja-Rechtsaktivist Jenő Setét, nachdem lokale Behörden im August 2017 die Wasserversorgung in den Rom*nja-Vierteln Gulács und Onga in Ungarn einstellten. Während eines ähnlichen Skandals im August 2013 ordnete die Regierung den Bürgermeister von Ózd an, die Wasserversorgung der Rom*nja-Bewohner*innen wiederherzustellen. Der Bürgermeister hatte die Pumpen, auf die Rom*nja angewiesen waren, stillgelegt, weil die Gemeinde ihre Wasserrechnungen senken musste. Diese zum Höhepunkt einer Hitzewelle ergriffene Maßnahme zwang Tausende Rom*nja bei über 40 Grad Celsius stundenlang für Wasser anzustehen. Vorfälle wie diese sind symptomatisch für die Verletzung des grundlegenden Menschenrechts auf sauberes Wasser und sanitäre Einrichtungen. Sie beweisen, dass Institutionen und Politiker*innen ein System des Umweltrassismus erhalten, das für viele Menschen lebensbedrohlich ist. Solche Situationen zeugen außerdem auch vom Versagen des Strategischen Rahmens der EU für die Roma, der das Leben der größten ethnischen Minderheit in Europa verbessern sollte.

Wasserversorgung: Unsicher, unsauber und untauglich

Das European Roma Rights Centre (ERRC) fand 2017, dass eine erhebliche Anzahl von Rom*nja unter dem behördlichen Versagen leidet, sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen für sie sicherzustellen. Am stärksten betrifft das jene, die gezwungen sind, am Stadtrand oder in völlig abgeschotteten Siedlungen ohne angemessene Infrastruktur zu leben. Ihre Wasserquellen sind oft weit von ihrem Wohnort entfernt, wobei die Last der Wasserbeschaffung hauptsächlich auf Frauen und Mädchen entfällt. Zudem werden diese Wasserquellen häufig nicht auf ihre Sicherheit hin überprüft und sind Verunreinigungen ausgesetzt, darunter Trockentoiletten, Insekten und wilden Tieren. Selbst in Vierteln, in denen eine angemessene Wasserinfrastruktur besteht, können sich viele Rom*nja die Anschluss- und Nutzungsgebühren nicht leisten. Die ERRC-Studie bestätigte, dass der fehlende Zugang zu sauberem Wasser nicht auf Dürren und andere Naturereignisse zurückzuführen ist. Es sei ein bewusster Entscheidungsprozess, den Rom*nja das Menschenrecht auf Wasser zu verweigern – ein Recht, das die UNGeneralversammlung als »unverzichtbar für ein Leben in Menschenwürde und als Voraussetzung für die Verwirklichung anderer Menschenrechte« beschreibt.

Diskriminierung entlang des Kontinents

Der Roma Civil Monitor (RCM) stellte fest, dass in Bulgarien, Tschechien, Frankreich, Ungarn, Italien, Rumänien und der Slowakei selbst dort, wo grundsätzlich eine Wasserversorgung und Abwasserentsorgung besteht, Rom*nja systematisch diskriminiert werden. Der EU-Agentur für Grundrechte zufolge ist die Kluft zwischen Rom*nja und der Allgemeinbevölkerung in Rumänien am größten. Rund 70% der Rom*nja hatten im Jahr 2016 kein Leitungswasser in ihren Wohnungen: »Rom*nja haben in Rumänien – dem Land mit der höchsten Anzahl von Rom*nja in der EU – in ähnlichem Maße Zugang zu sauberem Wasser wie Menschen in Bhutan, Ghana oder Nepal.« Bhutan und Nepal stehen auf der UN-Liste der am wenigsten entwickelten Länder der Welt. In fast allen EU-Staaten gibt es Beispiele für Umweltrassismus gegen Rom*nja. Léo Heller, früherer UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung, fand die Lebensbedingungen der Rom*nja in Portugal »beunruhigend und vergleichbar mit den schlimmsten Situationen, die ich in viel weniger entwickelten Ländern gesehen habe«. In Italien haben Untersuchungen in »Nomad*innencamps« in 2005 gezeigt, dass die dort lebenden Kinder häufiger unter Asthma, Durchfall und Bronchitis leiden. Der RCM deckte auf, dass Gemeindebedienstete in Frankreich erklärten, dass sie Massenräumungen rascher durchführen können, wenn sie den Bewohner*innen von Barackensiedlungen Sanitäreinrichtungen vorenthielten. Auch an Irland übte die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) 2019 scharfe Kritik. Lokale Behörden gaben die 4,1 Millionen Euro an zweckgebundenen Mitteln für Unterkünfte für irische »Traveller« aufgrund von Vorurteilen, dem Widerstand der Anrainer*innen und mangelndem politischen Willen nicht aus. Über eine TravellerUnterkunft in Dublin schreibt ECRI: »Die Anlage hatte nur einen Wasseranschluss und eine Toilette für 14 Familien, darunter mehr als 40 Kleinkinder, und keine Müllabfuhr.«

Konservative verwässern Trinkwasserrichtlinie

Das Europäische Parlament stimmte 2018 über die Trinkwasserrichtlinie ab, rund vier Jahre nachdem 1,8 Millionen EU-Bürger*innen in der ersten erfolgreichen Europäischen Bürgerinitiative (EBI) Right2Water gefordert hatten, den Zugang zu sauberem Wasser als grundlegendes Menschenrecht anzuerkennen. Die Europäische Kommission nannte die Abstimmung als Beweis dafür, dass die EU auf die Forderungen der Bürger*innen hört und Kommissar Karmenu Vella erklärte, dass »dank der EU-Gesetze die meisten Menschen in der EU bereits einen sehr guten Zugang zu hochwertigem Trinkwasser haben«. Doch die Äußerung »die meisten Menschen« schließt hunderttausende Rom*nja aus. Der Europäische Gewerkschaftsverband für den öffentlichen Dienst (EGÖD) kritisierte, »dass eine Mehrheit der rechten Fraktion im Europäischen Parlament Zeit und Mühe darauf verwendete, die Forderungen der Zivilgesellschaft zu verwässern«. Es sei eine Schande, dass sich die Mehrheit der Abgeordneten gegen die Aufnahme des Menschenrechts auf Wasser in die EU-Gesetzgebung aussprach. Abgeordnete der Linken und der Grünen bedauerten ebenfalls, dass das Parlament ihre Forderungen nach konkreten Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Richtlinie nicht unterstützte.

Gesundheitliche Risiken, auch abseits der Pandemie

Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 führte den am stärksten ausgegrenzten Rom*nja-Gemeinschaften ihre prekäre Lage schnell vor Augen. Besonders gravierend war die Situation in der berüchtigten Pata-Rât-Siedlung in Rumänien, wo Wohnungsrechtsaktivist*innen von den Behörden Sofortmaßnahmen zum Schutz der Gesundheit der 1500 Rom*nja-Bewohner*innen forderten. In einem offenen Brief schilderten sie, dass das Immunsystem der Rom*nja durch das jahrelange Leben in einer überfüllten und giftigen Umgebung geschwächt sei, und fragten: »Wie sollen sie sich häufig die Hände waschen, wenn sie kein Wasser haben? Wie können sie sich schützen, wenn sie 16m² mit fünf bis sechs Menschen teilen? Wie können sie sich in der Nähe von Giftmülldeponien um ihre Gesundheit kümmern?« Die Pandemie mag vorbei sein, aber die Benachteiligung bleibt. Die Bemühungen der Europäischen Union zur Förderung der Rom*njaIntegration haben dem Umweltrassismus nichts anhaben können. Nach eigener Einschätzung der Europäischen Kommission war der erste EURahmen zur Integration der Roma ein »unentschuldbarer« Misserfolg und eine große Zahl von Rom*nja fand sich am Endpunkt dieses Rahmens im Jahr 2020 genauso ausgegrenzt und verarmt wieder wie schon davor. Es ist bereits jetzt absehbar, dass der neue Zehnjahresplan der Kommission bis 2030 vermutlich keinen spürbaren Wandel herbeiführen wird, denn die Diskussion über Umweltgerechtigkeit hat weder in Brüssel noch in den EU-Mitgliedstaaten begonnen.

 

»Unnatural Disaster: Environmental Racism and Europe’s Roma«, Bernard Rorke, CRD, 2023.

»Brutal and Bigoted: Policing Roma in the EU«, Bernard Rorke, ERRC, 2022.

»Thirsting for Justice: Europe’s Roma Denied Access to Clean Water and Sanitation«, ERRC, 2017.

 

Bernard Rorke wurde in Dublin geboren und lebt in Budapest. Der promovierte Politiktheoretiker ist Advocacy und Politik manager des European Roma Rights Centre (ERRC) und arbeitet seit 1998 zu Rom*nja-Themen. Er schreibt regelmäßig über die Ausgrenzung von Rom*nja, Rassismus und Rechtsextremismus.