Vortrag des Botschafters der Slowakischen Republik

Datum/Zeit
Dezember 1, 2004
19:00 - 22:00 MESZ/MEZ


Slowakei und Österreich – Partner in der Europäischen Union

Prof. Dr. Jozef Klimko, Botschafter der Slowakischen Republik in Wien, 2. Dezember 2004

‚Sehr geehrte Damen und Herren,

erlauben Sie mir erst den Veranstaltern, vor allem dem Institut für Donauraum und Mitteleuropa, sowie der Diplomatischen Akademie für die Einladung und für die Möglichkeit zu danken, so kurz nach meinem Bestellen als neuer slowakischer Botschafter in Wien einige Gedanken über die neue Partnerschaft unserer zwei Länder in der Europäischen Union zu erörtern.

Es sind jetzt fast auf den Tag genau sieben Monate her, da die Slowakische Republik der EU beigetreten ist. Was hat sich mit dem 1. Mai 2004 geändert? Im Grossen und Ganzen relativ wenig, denn seit 15 Jahren ist ein Prozess im Gange, der eine Annäherung an die EU bedeutet und dieser Prozess wird nun fortgesetzt.

Seit dem Beitritt der Slowakischen Republik zur EU ist Österreich für uns nicht nur ein Nachbarland, sondern auch ein gleichwertiger Partner am Brüsseler Verhandlungstisch. Gemeinsam mit anderen Staaten Mitteleuropas bilden unsere Länder die politische, ökonomische und nicht zuletzt auch bedeutende kulturelle Region auf Basis der gemeinsam geteilten Interessen. Es ist deswegen anzunehmen, dass diese Ländergruppe ihre Anliegen im Einklang, so oft es geht, auch in den EU Institutionen vertreten wird. Die Mitgliedschaft Österreichs und seiner Nachbarn in der EU schafft auf diese Weise einen harmonisierten rechtlichen Rahmen, der die Zusammenarbeit der Gemeinden ein großes Stück nach vorne bringt, auch wenn es noch viele rechtliche Unterschiede gibt, die durch die Umstände, Tradition und das Verwaltungsgeflecht bedingt sind.

Wie wird sich der Styl der Politik und Kommunikation im Rahmen dieser Kooperation in unserem Raum entwickeln? Schon die ersten Monate unserer gemeinsamen Mitgliedschaft in der EU zeigen, dass die Zusammenarbeit buntere Facetten zum Tage bringt, als wir in der Vorbeitrittsphase vermuteten. Ich muss redlich zugeben, dass die Entwicklungsunterschiede in der Wirtschaft, im sozialen Status und in der politischen Stabilität noch lange – bedingt

durch die negative vierzigjährige Entwicklung – zu Ungunst der Slowakei ausfallen werden. In vielen anderen Bereichen aber ist die Stellung unserer beiden Länder viel ausgeglichener, in machen hat die Slowakei sogar einen Vorsprung, was unser Nachbar sicher mit Interesse verfolgt. Die Tatsache, das in der Slowakei viele gesellschaftliche Strukturen und Regeln wieder aufgebaut werden, öffnet einen neuen Raum speziell für junge, durch die Vergangenheit unbelastete Menschen, die Lust, Mut, aber auch Talent und Bildung zur Suche nach neuen Lösungen abseits von Stereotypen haben.

Im Zuge des Transformationsprozesses in den neuen EU Staaten, wie auch durch die EU Mitgliedschaft, kommt es zu einer wirtschaftlichen Angleichung der Länder und somit auch der Grenzregionen. Seit dem 1. Mai wurde mit einigen Ausnahmen der EU Binnenmarkt auch an die neuen Mitglieder ausgedehnt und die Grenzregionen haben es als aller erste zu spüren bekommen. Das sieht man vor allem am steigenden kleinen Wirtschaftsverkehr an der Grenze. Es betriff hauptsächlich den Warenverkehr, wie auch den Dienstleistungsverkehr.

Im Bereich des Binnenmarktes gilt es, die bestehenden Barrieren administrativer und struktureller Natur zu mildern oder ganz abzuschaffen. Es braucht ein offenes Umfeld und eine passende Infrastruktur, damit die Firmen und Verbraucher die Vorteile des erweiterten Binnenmarkts nützen können. Barrieren dieser Art sind auch im vernachlässigten Verkehrs­ und Telekommunikationsanbindungen zu finden.

Weil bei den Beitrittsverhandlungen die Arbeitnehmerfreizügigkeit für einige Jahre beschnitten wurde, bleibt diese Art wirtschaftlicher Hindernisse weiterhin bestehen. Das hat zu Folge, dass Investitionen stärker neigen, sich hinter der österreichischen Grenze sich anzusiedeln. Konkret, zum Beispiel das Volkswagen Werk in Bratislava oder das Peugeot Werk in Trnava, wie weitere Duzende ausländischer Betriebe, angesiedelt in den Industrieparks bei der March, zeugen davon.

In einigen Jahren werden die österreichischen Nachbarn inklusive die Slowakei zum schengener Raum beitreten und die Grenzbalken werden sich erstmals nach 1918 wieder vollständig öffnen. Nach der Abschaffung der Zollgrenze am 1. Mai dieses Jahres werden somit auch die Passkontrollen an der inneren Grenze verschwinden, was der Mobilität der Bevölkerung und der Arbeitskraft einen neuen Impuls geben wird. Umso wichtiger wird es sein, dass die menschlichen Kontakte über die äußere EU­Grenze hinweg gepflegt werden. Die Schengenaußengrenze im Osten zur Ukraine, wo unter anderen auch eine slowakische Minderheit lebt, sollte in keinen neuen eisernern Vorhang umgebaut werden. In jetziger angespannter Situation bei dem größten östlichen EU­Nachbarn sollten wir uns gemeinsam bemühen, dass keine zwei Europas entstehen

Sehr geehrte Damen und Herren,

als ich vor einigen Wochen in der Zeitung gelesen habe, dass an einem Expertentreffen der Stadt Wien, des Landes Niederösterreich und des Landkreises Bratislava vereinbart wurde, ein Autobahnring rund um die Region Wien­Bratislava zu bauen, hatte ich es als Zeichen angesehen, dass der Region zwischen diesen beiden Hauptstädten eine dynamische Wandlung bevorsteht. Die ländliche Idylle rund um Hainburg hat sich aber seit 1989 noch nicht substantiell geändert. Die Verkehrswege haben kaum den Kvantensprung seit der Monarchie geschafft. Die Hauptstrassenverbindung ist noch immer eine Bundesstrasse und die Eisenbahnlinien sind eher als eine Lokalbahn zu bezeichnen.

Heute kann ich mit Freude feststellen, dass in einem der wichtigsten Bereiche – in der Infrastruktur – vor kurzem eine wichtige Hürde überwunden wurde. Am 26. November haben die Verantwortlichen von beiden Seiten den Spatenstich für die Fertigstellung der Autobahnerbindung zwischen Parndorf und Kittsee getätigt. Verspätet nachgeholt, aber doch. Auf eine Verwirklichung warten noch weitere Projekte, vor allem die Brücken über die March. Wenn man bedenkt, dass es vor dem zweiten Weltkrieg wesentlich mehrere Verbindungen zwischen beiden Ufern dieses Grenzflusses gegeben hat als heute, wo hier lediglich eine provisorische Pontonbrücke und eine Fähre die ganze Infrastruktur darstellen, so gibt das einen ernsten Grund zum nachdenken. Wenn die Möglichkeit für die Bewohner der Grenzregion, auf die andere Seite des Flusses zu gelangen, vom Wetter und der Höhe des Wasserspiegels abhängt, dann haben wir auf beiden Seiten etwas Wesentliches versäumt. Betrachtet man dann dazu die so viel versprechende Region Centrop zwischen Wien – Bratislava – Brünn – Sopron, so ist es klar, dass es an Potenzial und Perspektiven nicht mangelt. Das kräftige Wirtschaftswachstum und Handel sind Beweise dafür, dass das keine vergeudeten Investitionen wären.

Die Schaffung einer schnellen und modernen Eisenbahnverbindung, Entwicklung der Schifffahrt und die Zusammenarbeit im Flugverkehr, sind nur wenige weitere Herausforderungen, auf die wir in der nächsten Zeit reagieren werden müssen. Die einzigartige Nähe unserer zwei Hauptstädte schafft eine gute Basis auch für eine effektive Zusammenarbeit beider Flughäfen. In Bratislava sind zur Zeit die Vorbereitungen zu Privatisierung des Flughafens Ivanka im Laufe und – wie wir alle wissen – macht sich der Wiener Flughafen große Hoffnungen an eine Beteiligung. Im Elektrizitätsbereich fehlt bis heute leider eine leistungsfähige Übertragungsleitung, die den Binnenmarkt in diesem Bereich zu Entfaltung bringen würde. Positiv zu bewerten ist die zurzeit im Bau befindliche Verbindung der slowakischen und österreichischen Raffinerien Slovnaft und OMV und somit auch der Rohölpipeline aus Russland und dem Westen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Grenze zwischen der Slowakei und Österreich ist nicht lang. Umso erfreulicher ist die positive Entwicklung in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Wie haben wir die letzten 15 Jahre dazu genützt, um eine vergessene Grenze am Eisernen Vorhang zwischen Ost und West zu einer verbindenden Linie umzufunktionieren? Wir müssen objektiv feststellen – nicht immer effektiv und adäquat.

Eine effektive Zusammenarbeit muss auf mehreren Ebenen stattfinden, die sich ergänzen, nicht sich im Wege stehen sollen. Um eine gute Zusammenarbeit anzufangen, müssen die immer noch bestehenden Barrieren fallen. Vor allem sind es sprachliche, mentale, technische, rechtliche und wirtschaftliche Hindernisse. Es ist erfreulich, dass es immer mehrere Studenten, junge Bürgermeister, Unternehmer und Beamte gibt, die slowakisch als Fremdsprache lernen, um die Chancen auf eine bessere Zusammenarbeit ergreifen zu können. In der österreichischen Hauptstadt – in Wien – bilden die Slowaken die größte Gruppe ausländischer Schüler und Studenten. An den Wiener Universitäten studieren derzeit an die 1800 slowakischer Studenten. Das ist ohne Zweifel ein sehr positives Signal. Nur zum Vergleich, in der Tschechischen Republik studieren 4700 Slowaken.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Wie steht nun die Slowakei inmitten der Fünfundzwanzig? Als relativ neuer Staat war die Entwicklung nicht immer gradlinig und einfach, aber nach einigen Jahren tief greifender Reformen können wir erste Erfolge verbuchen. Reformen im Steuerbereich und im Pensionsbereich – das klingt, glaube ich, auch für österreichische Ohren vertraut – sind schon vom Parlament verabschiedet worden und jetzt werden die Änderungen ins reale Leben umgesetzt.

Die erste – und vielleicht die radikalste – Reform betrifft das Steuersystem. Es ist ziemlich breit bekannt, dass wir eine so genannte „Flat Tax“ eingeführt haben. Seit dem 1. Jänner 2004 betragen die Einkommen­ und Körperschaftssteuer nunmehr einheitlich 19%. Bisher betrug der Körperschaftssteuersatz 25%, bei der Einkommenssteuer gab es fünf Steuerklassen. In Summe wurden 21 verschiedene Einzelsteuern abgeschafft, Ausnahmen und Sonderregelungen ersatzlos gestrichen. Das macht die Steuerprüfungen einfacher und billiger und es schafft ein investitionsfreundliches Klima – für Unternehmen, aber auch für Private.

Gegenfinanziert wird die Steuerreform durch die Verlagerung des Aufkommens von den direkten zu den indirekten Steuern. Die beiden Mehrwertsteuersätze von 14 und 20 Prozent wurden auf einen einheitlichen Satz von 19 Prozent zusammengezogen. Dadurch wurden zwar Lebensmittel und Benzin teurer, Elektronikartikel und andere Verbrauchswahren dagegen billiger. Um soziale Härten zu vermeiden wurde flankierend zur Einführung der „Flat Tax“ bei natürlichen Personen das nicht steuerbare Minimum erhöht.

Mit dieser Reform verfügt die Slowakei nunmehr über eines der attraktivsten Steuersysteme im ganzen EU­ und OECD­Raum – nicht nur durch den niedrigen Steuersatz, sondern vor allem durch die Transparenz und die Steuergerechtigkeit. Zusammen mit den Investitionsförderungen wird die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Slowakei deutlich verbessert.

Die Steuerreform ist aber nur ein Teil, der die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Slowakei ausmacht. Mit einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von 4,2% (2002 bis 2004) ist die Slowakei eine der am stärksten wachsenden Volkswirtschaften im OECD­Raum. Die Kerninflation betrug 2003 3,5%, für 2004 wird eine Inflationsrate von 2,3% erwartet. Der Wechselkurs der Slowakischen Krone zum Euro ist stabil. Wir arbeiten daran, bei der Inflation die Maastricht­Kriterien zu erfüllen, um im Jahre 2009 der Euro­Zonen beitreten zu können.

Eine der weiteren Reformen gilt dem Pensionssystem. Um die Pensionen auch für nächste Generationen zu sichern bedarf es einen tief greifenden Einschnitt in das bestehende System und ab 2005 wird zu einer staatlich garantierten Säule eine zweite folgen, in welcher die eingezahlten Beiträge auf persönliche private Konten gezahlt werden können. Für Alle, die noch nie im Arbeitsprozess gestanden sind – also für junge Leute – wird das neue System verpflichtend sein. Alle anderen können sich freiwillig entscheiden, ob sie im alten System bleiben, oder ob sie später ihre Pensionen aus zwei Quellen beziehen möchten. Bei einer Frist von mehr als zehn Jahren im neuen System sollten die Pensionen höher ausfallen als die staatlich garantierten.

Sehr geehrte Damen und Herren,

um zum Abschluss zu kommen, erlauben sie mir noch auf eine Tatsache hinzuweisen. Vor wenigen Jahren haben wir in einem geteilten Europa gelebt. Heute sprechen wir über unsere Zusammenarbeit und Partnerschaft in der EU. Vielleicht wird es noch einige Zeit dauern, die mentalen Hindernisse, die Mauern in den Köpfen der Leute beiderseits der Grenze durchzubrechen. Jahrzehntelang wurden die Menschen auf beiden Seiten der Grenze voneinander abgeschottet, Familienbände unterbrochen und Ängste geschürt. Einiges davon ist in den Hinterköpfen der Leute geblieben. Hier kann eine breite Aufklärung eine Abhilfe schaffen. Bei all den Erfolgen und Zukunftsplänen sollten wir das nicht vom Auge verlieren.

Wenn ich am Anfang meiner Rede über die gemeinsam geteilten Interessen von Ländern der mitteleuropäischen Region innerhalb der EU gesprochen habe, muss ich zugleich betonen, dass es eine Harmonisierung dieser Interessen bedarf. Alles braucht diskutiert und verhandelt zu werden. Und meine Anwesenheit an diesem Forum betrachte ich als meinen Beitrag zu solcher Diskussion.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit‘

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