Die letzten Donauriesen
Störe zählen zu den legendärsten Lebewesen in der Donau. Doch was würden sie uns erzählen, wenn wir sie verstehen könnten? Würden sie uns anklagen, weil wir ihren Lebensraum zerstören? DANIELA APAYDIN wagt den Versuch eines Perspektivenwechsels.
Für euch sind wir nur stumme Bilder auf Papier, eine Zahl unter der sinkenden Kurve, eine Randnotiz der Klimakatastrophe. Für uns aber seid ihr die BotInnen eines bitteren Abschieds, TäterInnen und Opfer zugleich. Seit mehr als 200 Millionen Jahren wandern wir auf diesem Planeten. Vom Schwarzen Meer stromaufwärts bis nach Budapest, Wien und noch weiter. Lange bevor eure Städte diese Namen trugen, beherrschten wir den wilden Donaustrom. Und wir waren viele, geborene MigrantInnen, die wandern müssen, um zu überleben. So will es die Natur. Lange lebten wir neben euch, sahen Kriege und Katastrophen kommen und gehen. Die Gründe eures Blutvergießens sind uns bis heute fremd. Selbst als eure stolzen Imperien zerbrachen, reisten wir weiter zu unseren gewohnten Plätzen. Während ihr damit beschäftigt wart, Brücken aufzubauen und wieder einzureißen, teilten wir den grenzenlosen Reichtum dieser Unterwasserwelt. KönigInnen gleich.
Trophäen des Fortschritts
Ihr habt uns in dieser Zeit wenig Beachtung geschenkt. Wir dagegen kennen euch gut. Denn in der kurzen Zeit, in der wir diesen Raum mit euch teilen, habt ihr Geschichte geschrieben. Jetzt arbeitet ihr an unserem letzten Kapitel, ohne es zu wissen. Es handelt von Stahl und Beton, Plastikmüll und vielen unsichtbaren Gefahren. In euren Geschichten sind wir nur Trophäen. Manchmal auch Opfer des Fortschritts, oder wie auch immer ihr das nennt. In seinem Auftrag habt ihr neue Giganten in den Strom gesetzt. Monströse Dämme, die selbst die Stärksten von uns zum Umkehren zwingen. Wir bezahlen den Preis. Wofür, das wissen wir nicht. Doch mit den Monstern sterben unsere Völker. Sagt uns, wohin sollen wir nun ziehen? Wir sind schwimmende Legenden. Unsere AhnInnen wurden hundert Jahre alt, bootslange Donauriesen. So erzählte man sich. Nur die Bäume über uns haben ähnlich viel erlebt. Die alten Auwälder warfen einst lange Schatten auf unsere Routen. Auch sie sind fast verschwunden. Selbst die größten Lebewesen dieses Planeten haben wir überlebt. Es braucht keinen zweiten Kometen, ihr Menschen habt es fast geschafft.
Gemeinsam wandern
Aber versteht uns nicht falsch! Wir klagen euch nicht an. Sicher wollt ihr uns kein Leid. Nur wenige eurer Art jagen uns mit bitterem Ernst. Stundenlang kämpfen wir an ihren Haken um unser Leben. Ihre Beweggründe kennen wir nicht. Wir wollen sie auch nicht wissen. Spart euch euer Mitleid! Was wir fordern ist euer Respekt. Nennt uns nicht Relikte, sondern gebt uns eine Zukunft! Noch leben wir hier, noch müsst ihr euer sinkendes Reich mit uns teilen. Auch wenn es stiller um uns wird, stiller als je zuvor, so bleiben wir nicht stumm. Unser Strom hat sich verändert, und dennoch folgen wir seiner Stimme. Als BotInnen der Meere wandern wir weiter. Und wir sind nicht allein. Die FürsprecherInnen unter euch werden immer mehr. Sie erzählen unsere Geschichte. Sie sagen: Nehmt euch ein Beispiel an den letzten Donauriesen! Sie sind stolze RäuberInnen wie wir Menschen, doch anders als wir kennen sie ihre Grenzen und leben nicht darüber hinaus. Versetzt euch in die Lage dieser stolzen Wesen und wandert auf ihren Spuren entlang der Donau! Baut lieber Brücken statt Dämme und haltet die JägerInnen im Zaum! Lasst die Geschichte der Donauriesen nicht so enden!
Die Spuren der Störe reichen mehr als 200 Millionen Jahre zurück, bis zur Zeit der Dinosaurier. Trotz ihrer Anpassungsfähigkeit gehören sie heute zu einer der am meisten bedrohten Tierarten. Eine von sechs Arten, die in der Donau einst vorkamen, ist bereits ausgestorben. Die Gründe dafür sind neben Überfischung auch der Verlust an Lebensraum, etwa durch die Verbauung der Ufer und durch blockierte Wanderrouten. Störe werden u.a. für den illegalen Kaviarhandel gejagt. Der im Schwarzen und Kaspischen Meer lebende Europäische Hausen oder Beluga-Stör (Huso huso) ist der größte Süßwasserfisch Europas. Dem WWF zufolge hatte der gewaltigste Hausen, der je gefangen wurde, 1571 Kilogramm und war 7,2 Meter lang. Zum Laichen wandert er hunderte Kilometer stromaufwärts, bevor er von den Staudämmen Eisernes Tor I und II aufgehalten wird. In Österreich gibt es nur mehr eine wildlebende Störart, den Sterlet, der in einem kleinen Abschnitt der Donau bei Aschach (OÖ) vorkommt.
Autorin: Daniela Apaydin