Ein „Niemandsland“ an der Donau?
Ein Staat ohne Steuern und Verträge, dafür mit Waffen. Bisher besteht das 2015 zwischen Kroatien und Serbien ausgerufene Liberland nur im virtuellen Raum. PÉTER TECHET erklärt in seinem Beitrag, wie realistisch die internationale Anerkennung des Donau-Zwergstaates ist.
Unweit der ungarischen Grenze im Gebiet Gornja Siga hört Kroatien auf und beginnt Serbien – doch wo genau, da sind sich die beiden Staaten uneins. Beide sehen die Donau als Grenze zwischen den Ländern, doch in Gornja Siga verläuft der Fluss in unzähligen Nebenarmen und Kroatien und Serbien ziehen unterschiedliche Flusslinien zur Grenzziehung heran.
Während Kroatien die Donau als Grenze nach den Katasterverzeichnissen aus der österreichisch-ungarischen Monarchie festlegt, bezieht sich Serbien auf den im 20. Jahrhundert durch Flussregulierung und Industrialisierung geänderten Verlauf. Die unterschiedlichen Ansichten erschaffen ein 7 km2 großes Gebiet, das laut Kroatien zu Serbien und laut Serbien zu Kroatien gehört.
Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte?
Obwohl unbewohnt, nennen bereits mehr als 800 Menschen das sumpfige „Niemandsland“ ihre Heimat. 2015 rief der tschechische Unternehmer und ehemalige Politiker Vít Jedlička in Gornja Siga die „Freie Republik Liberland“ aus. Sein Plan: eine libertäre, anarcho-kapitalistische Utopie mit Steuer-, Vertrags- und Waffenfreiheit nach dem Motto „Leben und leben lassen“. „Bereits mehr als 700.000 Menschen haben die Staatsbürgerschaft von Liberland beantragt“, brüstet sich Jedlička. 870 hätten bereits ihre Pässe erhalten. Tatsächlich leben aber keine „Liberländer*innen“ vor Ort, sondern bilden eine virtuelle Gemeinschaft mit eigener Kryptowährung, Flagge und Verfassung. Mit einer App kann die elektronische „Staatsbürgerschaft“ gegen eine freiwillige Spende erworben werden. Zudem hat Liberland einseitige Ländervertretungen in 75 Staaten, darunter Österreich, auf allen Kontinenten.
Würde es völkerrechtlich anerkannt, wäre Liberland der drittkleinste Staat Europas nach Monaco und dem Vatikan. Doch mit der Anerkennung wird das wohl so schnell nichts. Denn auch wenn Jedlička von einem „Niemandsland“ spricht, stellte der Internationale Gerichtshof (ICJ) fest, dass von einem völkerrechtlichen „Terra nullius“ nur dann gesprochen werden kann, wenn es sich um ein von keinem anderen Volk besetztes Gebiet handle und dies von einem souveränen Staat friedlich besetzt wird. Doch Jedlička kann als Einzelperson weder die Rechte in Anspruch nehmen, die den souveränen Staaten als Rechtssubjekten des Völkerrechtes zustehen, noch ist Gornja Siga ein klassisches Niemandsland.
Zwar beanspruchen weder Kroatien noch Serbien das Gebiet für sich, zuvor war es allerdings Teil der Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien. Vor ihrer Unabhängigkeit waren die Grenzen zwischen den konstituierenden Teilrepubliken rechtlich nicht festgelegt. Das wurde nach der Unabhängigkeit Kroatiens zum Problem, denn die internationale Gemeinschaft erkannte 1992 die früheren inner-jugoslawischen Grenzen als neue Staatsgrenzen an, obwohl gerade diese unklar waren.
Im Völkerrecht steht aber auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Das „liberländische Volk“ bildet jedoch keine historisch-kulturelle Einheit und hat keinen Bezug zu Gornja Siga. Es fehlt also gerade das Volk vor Ort, welches Selbstbestimmung für sich einfordern könnte.
Heimat im Metaversum
Tatsächlich befindet sich zurzeit niemand in Gornja Siga. Jedlička erklärt: „Wir dürfen Liberland nicht betreten.“ Denn obwohl Kroatien das Gebiet nicht beansprucht, wird es von dem EU-Mitgliedstaat verwaltet und kontrolliert. Besonders der Schengen-Beitritt 2023 hat den Auftrag, die EU-Außengrenzen zu schützen, verstärkt. Wer von Serbien aus nach Gornja Siga reisen will, trifft also auf kroatische Grenzkontrollen. Zwar könnte man über Ungarn einreisen, aber jene, die Symbole Liberlands bei sich haben, werden von der kroatischen Polizei daran gehindert. So erlebte es ein britischer Youtuber im April. Zagreb will separatistische Bewegungen nicht dulden, ob Gornja Siga nun zu Serbien gehöre oder zu Kroatien. Jedlička spricht in diesem Zusammenhang von einer „Invasion“ und eines „Angriffs“ Kroatiens. Das serbische Außenministerium teilte hingegen bereits 2015 lakonisch mit, dass Belgrad die Gründung von Liberland nicht interessiere.
Im August 2023 konnten nichtsdestotrotz einige „Liberländer*innen“ nach Gornja Siga fahren und dort übernachten. „Im September wollte ich dann meinen 40. Geburtstag in Liberland feiern“, erzählt Jedlička. Doch die kroatische Grenzpolizei verhinderte das und verwies ihn für fünf Jahre des Landes. Auch sein Boot „Liberty“ wurde beschlagnahmt. Jedlička kann jetzt nur mehr vom serbischen Donauufer aus „sein“ Land beobachten. Seit Jahresanfang campt er dort mit einigen Aktivist*innen des „Freistaates“.
Aufgeben will Jedlička aber nicht: „Vom Tourismus in Liberland würden auch Serbien und Kroatien profitieren.“ In dem von Nationalparks umgebenen Gebiet will er einen Vergnügungspark und den höchsten Wolkenkratzer Mitteleuropas hochziehen. Verwirklichen wird er dies aber vorerst nur im virtuellen Raum: Mehrere Architekturbüros erhielten den Auftrag, Liberland als Großstadt im Metaversum aufzubauen. Auf Google Maps findet man sogar schon erste „liberländische“ Ortsnamen – so zum Beispiel den „Jefferson Square“ und die „Jefferson Street“. In der Realität besteht bislang aber kaum Infrastruktur in Gornja Siga. Bei ihrem Aufenthalt im Sommer 2023 errichteten die „Liberländer*innen“ einige einfache Holzhäuser, die die kroatische Polizei mittlerweile allerdings wieder entfernte.
Irgendwo zwischen Hippie-Idyll und Staatsunterwanderung
Wie ist das Projekt Liberland also einzuschätzen? Ist es einfach eine Utopie einiger Abenteuer*innen, die sich jeglicher staatlichen Kontrolle – und Steuerpflicht – entziehen wollen? Sezessionistische Projekte wie Liberland sind in libertären, rechtsradikalen wie auch links-anarchistischen Kreisen weltweit verbreitet. Sie wollen die bestehenden Staaten nicht „nur“ innenpolitisch unterwandern, sondern auch völkerrechtlich infrage stellen.
Das Vorhaben Jedličkas und seiner Anhänger*innen zeigt Tendenzen der „Alt-Right“-Szene. Jedlička war früher Mitglied bei einer kleinen, rechtsliberalen, EU-skeptischen Partei, den „Svobodní“ (den „Freien“) in Tschechien. Er unterstützte Donald Trump im Wahlkampf von 2016. Der serbische Historiker Vladimir Jerković erklärt aber, dass die „Liberländer*innen“, die sich jetzt auf der serbischen Seite der Donau aufhalten, unterschiedliche Beweggründe hätten. Einige hoffen auf eine Steueroase, während andere einfach ihr bürgerliches Leben für ein Abenteuer in einem unbewohnten Gebiet aufgeben wollen. Auch wenn Liberland also eher ein Projekt einiger Träumer*innen zu bleiben scheint, veranschaulicht es die Fragilität der ex-jugoslawischen Grenzen.
Péter Techet ist promovierter Jurist und Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am IDM.