Was macht Grenzregionen fit für die Krise?

Die COVID-19-Pandemie brachte die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Europa ans Limit – mit negativen Folgen für den Arbeitsmarkt. FIONA FAAS hat sich mit der Widerstandsfähigkeit von Grenzregionen beschäftigt und zeigt am Beispiel der Euroregion Neisse-Nisa-Nysa, was bereits gut läuft und was sich ändern muss.

Als sich Europa im März 2020 zum Brennpunkt der COVID-19-Pandemie entwickelte, schlossen Tschechien und Polen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ihre Grenzen zu Deutschland. Sie ergriffen dabei drastische Maßnahmen der Grenzsicherung: An der Eisenbahnbrücke Hirschfelde auf der Strecke von Zittau nach Görlitz, die über polnisches Gebiet führt, patrouillierten erstmals seit 1990 wieder bewaffnete GrenzsoldatInnen. Wenig später führte auch Deutschland vorübergehende Grenzkontrollen ein. Die Einschränkungen im Grenzverkehr erschütterten den Arbeitsmarkt im Dreiländereck und setzten damit auch die Wirtschaft in der Euroregion Neisse-Nisa-Nysa in hohem Maße unter Druck. Görlitz und Bautzen zählen seit der Einführung der Freizügigkeit für polnische und tschechische ArbeitnehmerInnen im Jahr 2011 zu den Landkreisen mit den meisten GrenzpendlerInnen in Deutschland. Gerade im Gesundheitssektor arbeiten viele aus dem polnischen und tschechischen Grenzland. Sie waren von den teils undurchsichtigen COVID-Bestimmungen besonders betroffen. Zudem standen sie ungeachtet der tatsächlichen Infektionszahlen vielfach unter Verdacht, das Virus eingeschleppt zu haben.

Belastungsprobe für Zusammenarbeit

Das Corona-Management durchkreuzte dabei das Ziel grenzüberschreitender Kooperation, die durch den Abbau wirtschaftlicher, rechtlicher, politisch-administrativer und kultureller Grenzen floriert. So stellt sich unweigerlich die Frage, wie Grenzregionen mit Krisen wie diesen umgehen und widerstandsfähiger gemacht werden können. Im Zuge einer Masterarbeit an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl widmete ich mich gemeinsam mit Nadine Hügler diesen Fragen. In einer vergleichenden Fallstudie entwickelten wir ein Modell zur Analyse grenzüberschreitend regionaler Widerstandsfähigkeit (Resilienz). Auf Basis bestehender Literatur und mithilfe unseres Modells betrachtete ich die Arbeitsmarktkooperation in der Euroregion Neisse-Nisa-Nysa im Dreiländereck Deutschland, Polen und Tschechien – eine vergleichsweise junge Grenzregion in Mitteleuropa. Die Grenze verlor erst mit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 und dem EU-Beitritt Polens und Tschechiens 2004 ihren trennenden Faktor. Ein integrierter Arbeitsmarkt besteht allerdings auch drei Jahrzehnte später nicht. Es gibt große branchenbezogene Unterschiede im Lohnniveau und Sprachbarrieren zwischen den drei Teilregionen. Die Euroregion scheint auf den ersten Blick ein abgehängter Raum zu sein. Gerade aber mehr Mobilität kann dem anstehenden Strukturwandel und der Überalterung entgegenwirken. Doch durch die Pandemie-Erfahrung sank für viele ArbeitnehmerInnen der Anreiz, in einem der Nachbarländer zu arbeiten. Auch die ArbeitgeberInnen reagieren zögerlich, BewerberInnen aus den Nachbarländern einzustellen oder sich mit dem eigenen Unternehmen dort niederzulassen. Das verdeutlichen Erfahrungsberichte von VertreterInnen arbeitsmarktbezogener Kooperationsnetzwerke, trilateraler Beratungsstellen, interregionaler Gewerkschaftsinitiativen und der Industrie- und Handelskammer. Die Krisenfestigkeit zeigt sich nicht allein durch wirtschaftliche Zahlen. Zudem ist der Zugang zu diesen oftmals erschwert.

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Allianzen gegen die Krise

Bereits während der ersten Gespräche zeichnete sich eine wichtige Erkenntnis ab: Netzwerke, die handlungsfähig blieben und den Arbeitsmarkt aktiv gestalteten, bildeten die Dreh- und Angelpunkte in der Bewältigung der Krise. Dahinter standen eine entsprechend rechtlich abgesicherte Grundlage, solide Finanzmittel und interkulturell kompetentes Personal. Vor allem mehrsprachige MitarbeiterInnen wirkten positiv auf die Zusammenarbeit. Neben den Kenntnissen der Nachbarsprachen, zeichnete sich der Erfolg auch durch eine gemeinsame Problemwahrnehmung aus. Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie erlebten sämtliche InterviewpartnerInnen als beeinträchtigend und für einen zeitgemäßen europäischen Arbeitsmarkt rückschrittlich. In manchen Fällen führte dies sogar zu einem gemeinsamen Vorgehen der ArbeitnehmerInnen- und ArbeitgeberInnenseite. Ihrem Engagement ist es zu verdanken, dass Einschränkungen wieder zurückgenommen oder Ausnahmen für GrenzgängerInnen geschaffen wurden. Während solche Allianzen in Nicht-Krisenzeiten oft an entgegengesetzten Interessen scheiterten, erlangten sie im Kontext der Pandemie nun gebündelte Durchsetzungskraft. Das lässt den Schluss zu, dass die Widerstandsfähigkeit von Regionen auch davon abhängt, ob einzelne AkteurInnen oder Netzwerke grenzüberschreitend denken und handeln und im Ernstfall über Eigeninteressen hinwegsehen können.

Wo gibt es weiteren Handlungsbedarf?

Unsere Studie zeigt auch, dass Sprachbarrieren in Grenzregionen weiter abgebaut werden müssen. Damit wird nicht nur die Zusammenarbeit, sondern auch der Arbeitsmarkt insgesamt gestärkt. Krisenmanagement muss immer grenzüberschreitend gedacht werden, denn die behördlichen Rahmenbedingungen haben einen entscheidenden Einfluss darauf, wie lokale AkteurInnen auf Krisen reagieren. Neben der Pandemie machen auch Herausforderungen wie der Klimawandel und die damit verbundenen Extremwetterereignisse keinen Halt vor Grenzen. Im deutsch-polnisch-tschechischen Dreiländereck wurde deutlich, wie lokale und private Initiativen Aufgaben übernehmen, wenn das zwischenstaatliche Krisenmanagement scheitert. Dazu zählen nicht nur die von uns betrachteten Kooperationsnetzwerke, sondern auch die Zivilgesellschaft und nicht zuletzt einzelne sehr engagierte BürgerInnen. Ihre Rolle bei der Krisenbewältigung genauer in den Blick zu nehmen, wäre daher eine lohnende Aufgabe für die weitere Forschung über die Resilienz von Grenzregionen.

Neben dem Begriff Euroregion existieren für Initiativen grenzüberschreitender Zusammenarbeit auch Bezeichnungen wie Europaregion, Euregio oder Eurodistrikt. In Europa gibt es aktuell über 150 solcher Zusammenschlüsse. Euroregionen unterscheiden sich in ihrer Größe und Rechtsform sowie in ihren Tätigkeitsfeldern und Zielsetzungen stark voneinander.

 

Autorin: Fiona Faas hat European Studies an der Universität Passau studiert und ihren Master an der Verwaltungshochschule Kehl absolviert, wo sie die geschlossenen Grenzen in der deutsch-französischen Grenzregion hautnah miterlebte. Aktuell ist sie Trainee am IDM in Wien.