Städtepartnerschaften im Krieg

Aktiver Austausch oder Name am Papier: Städtepartnerschaften werden sehr unterschiedlich gelebt. Im Fall des Ukraine-Krieges ebneten sie oft den Weg für schnelle humanitäre Hilfe. ROBIN GOSEJOHANN zeigt auf, warum die außenpolitische Wirkung von Städtepartnerschaften nicht unterschätzt werden sollte.

Uns Jugendlichen war nicht klar, was dahinterstand: Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg, Élysée-Vertrag und kommunale Außenpolitik haben für einen Fünfzehnjährigen meistens noch keine Bedeutung. Der Austausch mit dem Gymnasium in der Partnerstadt war eine Gelegenheit, um Gleichaltrige kennenzulernen, die Fremdsprache zu üben und Spaß auf einer langen Klassenfahrt zu haben. Das Spektrum einer Städtepartnerschaft kann also breit sein, aber welches Potential haben solche Formate, wenn in Europa Krieg herrscht?

Es gibt historische Ausreißer: die Städtefreundschaft zwischen Paderborn (Deutschland) und Le Mans (Frankreich) wurde erstmals im Jahr 836 erwähnt, als die »ewige Liebesbruderschaft« zwischen den beiden fränkischen Bischofssitzen geschlossen wurde. Über tausend Jahre später, 1930, gingen Klagenfurt und Wiesbaden eine Städtefreundschaft ein. Die allermeisten Städtepartnerschaften, so wie wir sie heute in Europa kennen, verfolgten allerdings den Wunsch nach Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Städte, vertreten durch ihre BürgermeisterInnen, bauen entweder persönliche Kontakte und Freundschaften aus – oder gingen, wie beispielsweise in Linz, auf die Suche nach Partnergemeinden, die durch ihre Größe, Wirtschaftsstruktur oder geografischen Merkmale Parallelen aufweisen. Der Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) ist der Dachverband der nationalen Verbände der Gemeinden und Regionen aus über 30 europäischen Ländern. Nach seiner Definition versteht man als Städteparnterschaft eine förmliche, zeitlich und sachlich nicht begrenzte Partnerschaft, beruhend auf einem Partnerschaftsvertrag. Die Definition umfasst auch Kreise und Gemeinden, schließt aber populärer werdende Städtefreundschaften oder Projektpartnerschaften ohne formale Festlegung aus.

Aktuell zählt der RGRE rund 26.000 Städtepartnerschaften (Town-Twinning) unter all seinen Mitgliedsverbänden. Für Österreich liegen keine aktuellen Zahlen vor: Eine Erfassung des Wiener KDZ – Zentrum für Verwaltungsforschung umfasst 719 ausländische Partnerschaften und Kooperationen unter insgesamt 487 österreichischen Gemeinden. Das heißt, rund ein Viertel aller Gemeinden arbeitet mit ausländischen Partnergemeinden oder -städten zusammen – auf Basis von formalen oder auch informellen Beschlüssen. Je größer die Gemeinde, desto wahrscheinlicher ist es, dass es eine Städtepartnerschaft gibt. Die meisten dieser Partnerschaften bestehen zu angrenzenden Nachbarländern.

Ukrainische und Russische Partnerstädte

Linz ist eine jener österreichischen Städte, die Partnerschaften mit Stipendien und Auslands aufenthalten fördern und dies auch bewusst kommunizieren. 1994 wurde die oberösterreichische Landeshauptstadt vom Europarat ausgezeichnet, weil ihre zahlreichen Städtepartnerschaften die Idee europäischer Einheit und Brüderlichkeit lebendig machen. Als einzige Stadt Österreichs hat Linz Partnerstädte sowohl in der Ukraine (Saporischschja) als auch in Russland (Nischni Nowgorod). Die ukrainische Stadt liegt nur eine Autostunde von der Kampflinie entfernt und wurde zur Drehscheibe der Hilfe für das nahegelegene Mariupol.

Die Linzer Partnerstadt in Russland verfügt über bedeutende Betriebe der Rüstungsindustrie. Wie wirkt sich der Krieg auf Städtepartnerschaften wie diese aus? Der Kontakt zu Saporischschja sei vor dem Krieg eher sporadisch gewesen, heißt es dazu aus dem zuständigen Magistrat. Es habe an gemeinsamen Projekten gefehlt, meint Andrea Pospischek, die die insgesamt zwanzig Partnerschaften der Stadt überblickt. Bei Kriegsausbruch habe der Linzer Bürgermeister Klaus Luger den Anstoß gegeben, einen Arbeitskontakt ins dortige Rathaus aufzubauen. Das gelang, und mit ukrainischen KollegInnen konnte Pospischek eine Bedarfsliste für einen gezielten Hilfstransport in die Partnerstadt erarbeiten, den Linzer Unternehmen und Privatpersonen zusammenstellten. Das Geld dazu kam aus einer Sammlung der Magistratsbediensteten, die Stadt Linz verdoppelte den Betrag. Und Nischni Nowgorod? Die Partnerschaft mit der russischen Stadt existiere lediglich auf dem Papier – und dabei wolle man es belassen, heißt es aus Linz.

Basis für humanitäre Hilfe

Städtepartnerschaften können also als Grundlage für humanitäre Hilfe dienen. Ein weiteres Beispiel dafür ist die Partnerschaft zwischen der deutschen Stadt Celle in Niedersachsen und der ukrainischen Stadt Sumy. Seit ihrer Begründung im Jahr 1990 schien die Verbindung längst eingeschlafen. Dank des Projekts Urban X-Change Network des Deutschen Volkshochschul-Verbandes (DVV) International wurde sie im Winter 2021 reaktiviert. Mit Mitteln des Auswärtigen Amtes arbeitet die VHS Celle unter Leitung von Liliane Steinke mit dem LifeLong Learning Center in Sumy, geleitet von Yuriy Petrushenko, zusammen. Gemeinsam mit NGOs fördern sie die Erwachsenenbildung. Der Kriegsausbruch änderte alles, doch die Vision der Zusammenarbeit blieb erhalten. Sumy, nahe an der russischen Grenze, war vom ersten Tag an vom Krieg betroffen. Steinke und Petrushenko reagierten rasch und organisierten Unterkünfte in Celler Privathaushalten für ProjektpartnerInnen und ihre Familien aus Sumy. Zu den 70.000 EinwohnerInnen in Celle kamen seit Februar rund 2000 geflohene UkrainerInnen dazu. Und das gemeinsam erdachte Bildungsprojekt wurde weiterentwickelt, neuer Titel: PEACE-Center der Partnerstädte Celle-Sumy: ART of learning and living together.

Partnerschaft im Ruhemodus

So konkret und pragmatisch Hilfsangebote für ukrainische Partnerstädte sein können, gestalten sich die Beziehungen mit russischen Städten derzeit eher heikel. Einer Recherche der Neuen Zürcher Zeitung zufolge hat von rund 100 offiziellen Partnerschaften zwischen deutschen und russischen Städten jede dritte deutsche Stadt die Verbindung einseitig ruhendgestellt. Dabei sticht die Städtepartnerschaft zwischen dem westfälischen Gütersloh und dem russischen Rschew, westlich von Moskau, heraus: Der Kontakt entstand über VeteranInnen beider Armeen, obwohl um Rschew im Zweiten Weltkrieg außerordentlich schwer gekämpft wurde, auch mit sehr vielen zivilen Opfern. Nach langer Vorbereitung plante Gütersloh, u.a. mit Landesmitteln gefördert, für Mitte Mai 2022 eine Konferenz seiner fünf Partnerstädte aus England, Frankreich, Polen, Russland und Schweden, mit dem Ziel alte Verbindungen zu beleben und frische Impulse des kulturellen Austauschs zu senden. Nach Kriegsausbruch erbat der Gütersloher Bürgermeister Norbert Morkes von seinem russischen Amtskollegen in einem persönlichen, aber offenen Brief eine Distanzierung vom russischen Angriffskrieg. Eine Antwort kam nie. Die Städtepartnerschaft und die Konferenzteilnahme Rschews wurden daraufhin ausgesetzt.

Bevölkerung an Bord bringen

Städtepartnerschaften sind – jede für sich – in beständigem Wandel. Sie bieten Raum für länderübergreifendes bürgerschaftliches Engagement und sind dazu geeignet, die lokale Identität zu stärken und Mehrwerte zu generieren. In der Praxis sind sie stark auf das freiwillige Engagement von BürgerInnen angewiesen, die im Idealfall von den Städten und Gemeinden dabei unterstützt werden. Fehlt dieses ehrenamtliche Engagement oder ein mobilisierendes Projekt, können Städtepartnerschaften in eine Art Ruhemodus verfallen. Eine solche Partnerschaft kann bei konkreten Anlässen allerdings auch reaktiviert werden, und sie bedeutet einen hohen Vertrauensvorschuss. Die Zukunft von Städtepartnerschaften liegt somit weniger in Gemeinderatsbeschlüssen und offiziellen Vereinbarungen, sondern in einem ergebnisorientierten und flexiblen Austausch. Die notwendige Unterstützung der lokalen Bevölkerung erfolgt dann, wenn klar kommunizierte Ziele im Zentrum stehen, bei denen auch der Nutzen für die eigene Stadt ersichtlich wird. Nationale Fördertöpfe für österreichische Städte und Gemeinden finden sich für diese Form der kommunalen Außenpolitik allerdings noch zu wenig.

Seit 1989 werden Städtepartnerschaften von der EU gefördert. Aktuell wurde für 2021 bis 2027 im Programm Bürgerinnen und Bürger, Gleichstellung, Rechte und Werte (Aktionsbereich Bürgerbeteiligung und Teilhabe) ein Fördertopf von 393,2 Mio. Euro vorgesehen. Anträge können bei der nationalen Kontaktstelle gestellt werden: cerv.at

 

Autor: Robin Gosejohann