Podiumsdiskussion: „Antisemitismus – Die alte-neue Gefahr vor den Europaparlamentswahlen“

Der Alumni Club der Universität für Weiterbildung Krems (UWK) organisierte zusammen mit dem Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) eine Podiumsdiskussion über das alte-neue Phänomen des Antisemitismus in Bezug auf die bevorstehenden Europaparlamentswahlen. Die Teilnehmer*innen der Podiumsdiskussion im Haus „Erlebnis Europa“ in der Wiener Innenstadt gingen den Fragen nach, ob der „alte“, rassistisch motivierte Antisemitismus bei rechten bzw. rechtsradikalen Parteien immer noch anzutreffen ist und inwiefern neue Formen des Antisemitismus in gewissen linken und islamistischen Kreisen, oft als „Antizionismus“ getarnt, zu beobachten sind. Die Veranstaltung wurde von Lisa Mayr von der Arbeiterkammer moderiert.

Karin Bischof, Universitätsprofessorin für Europapolitik und Demokratieforschung an der UWK, betonte, dass sich Österreich – im Vergleich zu Deutschland – seiner eigenen Geschichte unter dem Nationalsozialismus kaum oder nur verspätet und vereinzelt gestellt habe: Der Mythos, das erste Opfer von Adolf Hitler gewesen zu sein, verhinderte einen kritischen Umgang mit der eigenen Geschichte, weswegen antisemitische Meinungen und Strukturen längerfristig – und nicht nur bei der FPÖ – fortbestanden hätten. Sie wies darauf hin, dass der „klassische“, rechte Antisemitismus als gesellschaftliche Gefahr – trotz der neuen Formen der Judenfeindlichkeit – nicht unterschätzt werden dürfe.

Christina Hainzl, Leiterin der „Plattform Nachhaltige Entwicklung“ an der UWK, stellte unter anderem ihre Interviews und Forschungen über das jüdische Leben in Österreich vor. Jüd*innen würden sich in Österreich sicher fühlen, es lasse sich sogar eine gewisse Renaissance des jüdischen Vereins- und Kulturlebens vor allem in Wien beobachten. Ein wichtiges Mittel gegen jegliche Form von Antisemitismus bestehe in den persönlichen, individuellen Kontakten, bei denen keine Klischees über Juden vorherrschen. Heinzl zitierte anschließend einen jüdisch-orthodoxen Interviewpartner, der gemeint habe, der antimuslimische Hass sei im alltäglichen Leben in Österreich ausgeprägter als der Antisemitismus.

Cengiz Günay, Direktor des Österreichischen Instituts für Internationale Politik (oiip), betonte eben deswegen, dass der Rassismus an sich zu bekämpfen sei: Der Antisemitismus ist ebenso rassistisch motiviert wie der Antimuslimismus. Während aber der Antisemitismus den Juden eine herrschende Position zuschreibt (siehe die Verschwörungen über die „jüdische Weltherrschaft“), betrachtet der antimuslimische Fremdenhass Muslim*innen als minderwertig.

Nicolas Stockhammer, Leiter des „Research-Cluster »Counter-Terrorism, CVE (Countering Violent Extremism) and Intelligence«“ an der UWK, stellte die Hintergründe des rechtsradikalen, antisemitischen Terrorismus bzw. dessen Unterschiede zum islamistischen, antisemitischen Terrorismus dar.

Péter Techet, wissenschaftlicher Mitarbeiter am IDM, sprach darüber, wie die rechtspopulistischen Parteien, die gerade in Österreich und weiteren mittel- und osteuropäischen Ländern historisch im Antisemitismus verwurzelt sind, in der letzten Zeit den „Islam“ zum Hauptfeind erklären. Sie verpacken den Antimuslimismus als Philosemitismus, was die ostentative Unterstützung für Israel erklärt. Techet betonte, dass eine pro-israelische Wende bei einigen rechtspopulistischen Parteien, etwa in den Niederlanden, bereits in den früheren 2000er Jahren anzutreffen war. Diese Tendenz sei ihm zufolge auch in Österreich und anderen Staaten Mittel- und Osteuropas angekommen. Techet erwähnte mehrere Beispiele aus Ungarn, darunter wie etwa Viktor Orbán die traditionell antisemitisch eingestellte ungarische Rechte antimuslimisch umstimmen konnte, was aber nicht bedeutet, dass antisemitische Codes (etwa in den Hasskampagnen gegen George Soros, den US-amerikanischen Milliardär ungarisch-jüdischer Abstammung) nicht mehr bedient werden.

In der Debatte wurde auch der „linke Antisemitismus“ angesprochen: Wann ist die Kritik an der israelischen Regierung noch legitim, und wo fängt Antisemitismus an? Günay meinte, dass die Kritik gegen Israel territorial und nicht rassistisch geprägt sei. Auch Techet war der Meinung, dass der „linke Antisemitismus“ die Juden nicht aus rassistischen Gründen ablehne. Er geht davon aus, dass der „linke Antisemitismus“ eine übertriebene Form des Antikolonialismus sei, wo Juden stellvertretend für „Kolonialismus“ und „Imperialismus“ stünden. Im „linken Antisemitismus“ lasse sich demnach ein gewisser linker Hass gegenüber dem ganzen Westen erkennen, so Techet.

Die Teilnehmer*innen waren sich darin einig, dass der Antisemitismus als rassistischer Judenhass in den westlichen Gesellschaften immer noch vorhanden ist und nicht erst durch muslimische Migrant*innen nach Europa „exportiert“ worden ist. Dennoch seien die rechten Parteien in ihren öffentlichen Diskursen weniger antisemitisch. Der gesellschaftliche Frieden erfordere aber die Ablehnung jeglicher Rassismen; der Judenhass gefährde demnach ebenso den gesellschaftlichen Frieden wie der Hass gegen Muslim*innen.