Wie Energieträume wahr werden
Grün, lokal und unabhängig: So könnte die Energieerzeugung und – versorgung von morgen aussehen. REBECCA THORNE berichtet aus Slowenien, Serbien und Deutschland, wo diese Idee in Projekten verwirklicht wird.
Im slowenischen Ort Hrastnik geht der Schulalltag wie gewohnt weiter. Für die Schüler*innen der lokalen Volksschule hat sich nicht viel verändert, doch wer einen Blick nach oben wagt, kann einen bedeutsamen Unterschied auf dem Dach erspähen. Seit Jänner 2024 liefern dort montierte Solarpanele Energie – und das nicht nur für die Schule, sondern für alle, die an diesem Projekt des Energy Sharings beteiligt sind. Die Lehranstalt schloss sich mit der Gemeinde, zwei Unternehmen, dem Schwimmbad und einigen Anwohner*innen der Kleinstadt zusammen, um als Energiegemeinschaft gemeinsam Strom zu erzeugen. Das Ziel: Mit Ausnahme des Schwimmbads den gesamten Energiebedarf der Beteiligten abzudecken. Mittlerweile haben sich ihre Energierechnungen bereits um ein Drittel verringert.
Doch nicht nur die Geldbeutel profitieren von solchen Energiegemeinschaften. Die verringerte Abhängigkeit von Importen sichert die Stromversorgung und stabilisiert den Energiesektor insgesamt. Der Strom wird dort erzeugt, wo er gebraucht wird. Und da bei Energiegemeinschaften erneuerbare Energieformen zum Einsatz kommen, werden auch weniger Treibhausgase in die Atmosphäre ausgestoßen. Für die früher stark von Kohle abhängige Region in Slowenien ist die eigene Erzeugung sauberer Energie von besonderer Bedeutung.
Die NGO Focus – Association for Sustainable Development leitet das Projekt in Hrastnik. Für die Initiator*innen Barbara Kvac und Boštjan Remic geht es vor allem um demokratische Grundsätze. Die Energiewirtschaft sei in Slowenien momentan noch sehr ungerecht, denn die Bevölkerung ist aufgrund von zentralisierten Modellen und importierter Energie beim Strompreis von Marktschwankungen abhängig.
»Wir wünschen uns eine Demokratisierung des Energiesektors und eine aktive Beteiligung der Menschen,« so Kvac.
Sonnen- und Schattenseiten
Das Konzept von Energy Sharing besteht schon lange. Bis vor Kurzem gab es jedoch weder eine Definition noch eine Rechtsgrundlage, was zu übermäßiger Bürokratie und Gebühren führte. Erst 2019 führte die EU Rechtsvorschriften für Energiegemeinschaften ein. Diese müssen nun von allen Mitgliedstaaten bis Ende Dezember 2024 in nationales Recht umgesetzt werden, doch die Regelungen bleiben in vielen Ländern mangelhaft und undurchsichtig. So verzögerte sich die Implementierung des Projekts in Slowenien, da sich die Gesetzgeber selbst zunächst mit den neuen Vorschriften auseinandersetzen mussten.
In der EU-Nachbarschaft sind Energiegemeinschaften noch nicht im Gesetz verankert und werden auch nicht staatlich gefördert. Dies stellte die serbische Energiegemeinschaft Elektropionir vor eine große Herausforderung. Während das slowenische Projekt unter anderem Finanzierung vom Ministerium erhielt, war Elektropionir auf Crowdfunding angewiesen. Bürokratie und fehlende Arbeitskräfte erschwerten das Vorhaben in Serbien zusätzlich.
Ursprünglich sollte im serbischen Balkangebirge ein kleines Wasserkraftwerk gebaut werden, doch die Anwohner*innen protestierten. Elektropionir gelang es, anstelle des Wasserkraftwerks Solaranlagen auf zwei Kultur- und Kommunalzentren in den Dörfern Temska und Dojkinci zu bauen und damit die ersten Energiegemeinschaften in dieser Gegend zu gründen. Die Stadtverwaltung, in deren Besitz sich die Gebäude befinden, verbraucht den so erzeugten Strom jedoch nicht direkt selbst. Stattdessen wird die Energie auf dem Markt verkauft und der gesamte Gewinn geht an die örtliche Gemeinde zurück. Mit den zusätzlichen Geldern sollen beispielsweise notwendige Erneuerungen in den Dörfern durchgeführt oder kleine Festivals veranstaltet werden.
Der Geograph Predrag Momčilović, Mitglied von Elektropionir, beobachtet, dass das Projekt der Energiegemeinschaft auch zu mehr Zusammenhalt unter den Dorfbewohner*innen und einem gestärkten Gefühl von Vertrauen in der Gemeinde führte. Für den Kampf gegen den Klimawandel reichen einzelne Initiativen wie diese dagegen nicht aus. »Dafür brauchen wir eine viel größere sozioökonomische Transformation der gesamten Gesellschaft,« ist Momčilović überzeugt.
Wie ein Fisch im Wasser
Sonnenenergie – die derzeit beliebteste Quelle erneuerbarer Energie – stößt im Winter und nachts an ihre Grenzen. Und auch Windenergie ist stark von aktuellen Wetterverhältnissen abhängig. Im Vergleich dazu fließt Wasser rund um die Uhr und sichert so eine stabile Grundversorgung. Doch traditionelle Wasserkraftwerke verloren in den letzten Jahren wegen ihrer zerstörerischen Eingriffe in die Umwelt an Beliebtheit. Neben den schädlichen Auswirkungen auf die natürlichen Ökosysteme des Flusses brauchen die Kraftwerke viel Beton, ein kohlenstoffintensives Material.
Nicht so der Energyfish. Mit Expertise, Geduld und viel Hoffnung widmete sich das Startup Energyminer aus Deutschland der Problematik der Wasserkraftwerke. Zusammen mit ihrem kleinen Team entwickelten die Gründer Dr. Georg Walder und Dr. Richard Eckl eine Technologie, die mithilfe von natürlich fließendem Wasser saubere Energie erzeugt, ohne dabei Fischen zu schaden oder in die Flussökosysteme einzugreifen. Der Energyfish wird mithilfe eines Ankerseils im Flussbett verankert und schwimmt kaum sichtbar unter der Wasseroberfläche. Dort produziert er durchgehend Strom, der direkt ins lokale Niederspannungsnetz eingespeist wird.
100 blaue »Fische« bilden einen Energyfish-Schwarm, der den Strombedarf von knapp 500 Haushalten decken kann. Dabei ist die Technologie dahinter nicht nur selbstreinigend, sondern passt sich jeder Wetterlage an: Bei Hochwasser und Eisbildung taucht der Energyfish einfach ab und produziert weiter. Die Pilotanlage wurde in München getestet, mittlerweile sind weitere Standorte in Bayern sowie am Rhein geplant.
Dezentralisierung als Antrieb
Doch auch für das deutsche Startup stellt das Genehmigungsverfahren derzeit die größte Herausforderung dar. Da das Konzept und die Technik des Energyfish noch neu sind, dauern die Prozesse länger. »Die Unterstützung der Politik ist für die Zukunft innovativer Initiativen im Bereich der erneuerbaren Energien essenziell,« so Walder.
Dezentralisierung ist der Kerngedanke des Energyfish-Schwarmkraftwerks. Wie in den Energiegemeinschaften in Slowenien und Serbien wird der Strom vor Ort produziert und genutzt. Die Erzeugung ist sauber, die Energie selbst leistbarer und die Versorgung wird unabhängiger, demokratischer und sicherer. Durch Energy Sharing können auch Partizipation gestärkt und Gemeinschaften zusammengeführt werden – und das nicht nur in kleinen Gemeinden, sondern auch in größeren Städten, wie der Energyfish in München zeigt. Jedes Projekt trägt damit auch ein Stück zur Umsetzung der Energiewende bei. Walder zeigt sich optimistisch: »Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir den Umschwung zu erneuerbarer, dezentraler Energie europaweit schaffen.«
Ob mit Solarpanelen, dem Energyfish oder anderen innovativen Ideen – die Dezentralisierung durch Energiegemeinschaften beschleunigt nicht nur die Energiewende, sondern trägt auch zu ihrer Akzeptanz in der Bevölkerung bei. So wie sich der Klimawandel mit langen Hitzewellen, Hochwasser, anderen Naturkatastrophen und zunehmenden Migrationsbewegungen immer bemerkbarer macht, so können mithilfe der Energiegemeinschaften auch die Lösungen greifbar werden.
Rebecca Thorne ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) in Wien. Ihre Forschung konzentriert sich auf Klima, Umwelt und Energie in Mittel-, Ost- und Südosteuropa.