
Veszprém-Balaton 2023: Der Erfolgscode regionaler Netzwerke ist geknackt
von BALÁZS KOVÁCS
Das Kulturhauptstadt-Projekt in der Region Veszprém-Balaton (VEB2023) war ein Paradebeispiel für erfolgreiche internationale Vernetzung, regionale Zusammenarbeit und nachhaltige Zukunftsvisionen. Ein Symbol dafür ist das gerade erst (im März 2025) eröffnete futuristische CODE-Erlebniszentrum, das nicht nur eine außergewöhnliche audiovisuelle Erfahrung bietet, sondern Wissenschaft, Kultur, Tourismus und Kunst vereint. Die immersive Projektionstechnologie basiert auf den Innovationen des Ars Electronica Centers der ehemaligen Kulturhauptstadt Linz.
Das Kulturjahr VEB2023 ging weit über die 60.000-Einwohner*innen-Stadt Veszprém hinaus und vernetzte 116 Gemeinden in der Bakony-Balaton-Region. Diese Kooperation führte die kulturelle und touristische Entwicklung somit auf eine neue Ebene. Veszprém brachte seine tiefen historischen und kirchlichen Wurzeln ein. der Balaton-See konnte auf seinen international etablierten Tourismussektor setzen und die Bakony-Region faszinierte mit der Schönheit der Natur und alten ungarischen Legenden. Der Bewerbungsslogan „Beyond“ betonte diese Einzigartigkeit und die besondere Dichte an außergewöhnlichen Erlebnissen in der Region.
Erlebnisräume im Fokus
Das Kulturhauptstadt-Projektschuf nicht nur Programm für Besucher*innen, sondern auch nachhaltige Zukunftspotenziale für Einheimische und die Freizeitwirtschaft. Die Region entwickelte sich zu einem hochwertigen Erlebnisraum, der über 2023 hinaus Bestand hat. Der Schlüssel zum touristischen Erfolg lag in der Abkehr von einer reinen Destinationsorientierung hin zur Verbesserung der Lebensqualität lokaler Gemeinschaften. Nachhaltige Kultur- und Tourismusprogramme entstanden, die langfristig Wert schaffen. So belebt das Stadtbildentwicklungsprogramm leerstehende Geschäftsräume neu und das Projekt “Balatorium” macht mit wissenschaftlichen, künstlerischen und interaktiven Mitteln sowie unter Einbeziehung der lokalen Bevölkerung auf die ökologischen Herausforderungen des größten Binnensees Mitteleuropas aufmerksam.
Auch nach dem Ende des Kulturhauptstadt-Jahres setzen die 116 beteiligten Gemeinden und das VEB2023-Team die internationale Vernetzung fort, während die regionale Tourismusagentur “VisitBalaton365” die touristische Erlebnis- und Produktentwicklung übernimmt. So bleibt das Erbe der Kulturhauptstadt lebendig und prägt die Entwicklung der Region nachhaltig. Wer den einzigartigen Code von VEB2023 entschlüsselt, erkennt die Zukunft: eine dynamische Verbindung aus kreativer ungarischer Sichtweise, regionaler Zusammenarbeit und europäischer Dimension.
Tartu und Südestland 2024: Die Kunst des Überlebens als Programm
von ANNELA LAANEOTS
Für das Projekt der europäischen Kulturhauptstadt in Tartu und Südestland 2024 schloss sich ein Viertel des gesamten Landes zusammen. Insgesamt 20 Gemeinden aus Südestland boten dem Publikum aller Alters- und Zielgruppen in mehr als 1600 verschiedenen Veranstaltungen vielfältige Programme an und erzählten die Geschichte ihrer Überlebenskunst. Für die Zusammenarbeit wurde sogar ein spezielles Kommunikationssystem entwickelt, um alle Beteiligten – von den Bürgermeister*innen bis hin zu den Kulturmanager*innen – an Bord zu halten und sie immer zur richtigen Zeit zu informieren. Auch die zuständigen Gemeinderäte wurden mit einbezogen, da Tartu 2024 von 20 Gemeinden finanziert wurde.
Das Programm in Tartu und Südestland erzählte die Geschichte der Kunst, des Wissens, der Fähigkeiten und der Werte, die uns helfen werden, in Zukunft besser zu (über)leben. Als Gemeinschaft wollten wir sowohl Wissen weitergeben als auch von anderen lernen. Auf diese Weise kannKultur eine bessere Zukunft schaffen. Im Sinne von Tartu 2024 sind die vier wichtigsten Künste des Überlebens: Einzigartigkeit, Nachhaltigkeit, Bewusstsein und Mitgestaltung.
Langfristige Impulse
In Zusammenarbeit mit Acento, einem Partner für Nachhaltigkeit und Abfallplanung, entwickelte Tartu 2024 eine Umweltstrategie. Mehr als 60 Projekte im Rahmen des Hauptprogramms hatten außerdem einen Bezug zur Schule oder zu Bildungsaktivitäten. Ein Jugendprogramm namens Extended wurde durchgeführt, bei dem junge Menschen aus Südestland lernen konnten, wie kulturelle Veranstaltungen organisiert werden. Im Idealfall werden sie die zukünftigen Kulturmanager*innen von Tartu und Südestland.
Das Projekt Tartu World Academy war eine Reihe von Gemeinschaftsakademien, die in Südestland stattfanden. In diesen von Synergien geprägten Dialogplattformen trafen sich aktive Gemeinschaften mit Wissenschaftler*innen und Künstler*innen und suchten gemeinsam nach Lösungen für globale Probleme vor Ort. Tartu World Academy hat gezeigt, dass die Wissenschaften, unsere gemeinsamen Werte und der vorurteilsfreie Gedankenaustausch zur Lösung unserer Herausforderungen beitragen. Die Erfahrungen dieser Menschen haben ganz Südestland inspiriert.
Die Vorbereitung und Durchführung der Kulturhauptstadt war die bisher größte sektorenübergreifende Zusammenarbeit in Südestland mit dem Ziel, die Wirtschaft der Region durch Kultur weiterzuentwickeln und langfristig positiv zu beeinflussen. Die Auswirkungen der Kulturhauptstadt auf die Region gehen weit über die Schaffung eines neuen Programmangebots und interessanter Erlebnisse hinaus, Südestland konnte als attraktiver Lebens- und Urlaubsort dauerhaft gefestigt werden.
Chemnitz 2025 mit 38 Partnerkommunen: Werdet zu Macherinnen und Machern!
von FRIZZI SELTMANN
Gemeinsam mit 38 Kommunen aus Mittelsachsen, dem Erzgebirge und dem Zwickauer Land, darf sich 2025 das sächsische Chemnitz Kulturhauptstadt Europas nennen. Ein reiches gemeinsames Kultur- und Industrie-Erbe verbindet die mit 250.000 Einwohner*innen drittgrößte Stadt Sachsensund die umliegende Region. Das Motto von Chemnitz 2025 lautet “C the Unseen” und könnte nicht besser gewählt sein. Besucher*innen und Einheimische können und sollen Ungesehenes entdecken – verborgene Potenziale, unentdeckte Orte und bisher unbekannte Geschichten sowie Macher*innen. Der Titel wie auch das Motto sind eine Einladung zu einer vielfältigen Entdeckungsreise in den Osten Deutschlands, mitten in Europa.
Über 220 Projekte und über 1000 Veranstaltungen kommen im Kulturhauptstadtprogramm 2025 zur Umsetzung. An der Umsetzung sind 875 Akteur*innen undPartner aus über 40 Ländern, davon 60 Prozent aus Osteuropa, beteiligt. Im Zentrum des Programms stehen lokale Geschichten und Gesichter, die sich mit europäischen Narrativen und bekannten Namen mischen. Die fünf übergreifenden Programmlinien heißen „Europäische Macher:innen der Demokratie“, „Osteuropäische Mentalität“, „Großzügige Nachbarschaft“, „Macher:innen2“ und „In Bewegung!“. Chemnitz selbst verortet sich als osteuropäische Stadt in einem westeuropäischen Land. Sie ist geprägt von großer Tradition und vielen Umbrüchen, zuletzt vom Ende der DDR und der Rückbenennung von Karl Marx-Stadt in Chemnitz. Eine ausgeprägte Macher*innenmentalität sowie die Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden, sind in dieser Region tief verwurzelt. Gesellschaftliche Veränderungen waren stets Katalysator für Innovation.
Die Kunst als Geschichtenerzählerin
Chemnitz, Zwickau und die umliegende Region haben maßgeblich zur industriellen Entwicklung Deutschlands beigetragen, insbesondere in Textil-, Maschinenbau-, Eisenbahn- und Automobilindustrie. Der Bergbau im Erzgebirge machte die Region einst zur wirtschaftlichen Hochburg und das traditionelle Kunsthandwerk ist bis heute weltweit bekannt. Die Industrialisierung brachte Reichtum und Wohlstand sowie eine Blütezeit von Kunst und Kultur. Davon zeugen hochkarätige Museen und eine einzigartige Architektur. Die Region ist aber auch geprägt von einer hohen Dichte an Schlössern aus Mittelalter, Renaissance und Barock sowie Theater, Musik und Kunstsammlungen. Außerdem gibt es vielfältige Wander-, Rad- und Wasserrouten.
Die reiche Geschichte der Region findet sich im Kulturhauptstadt-Programm wieder. Denn Kunst erzählt Geschichte(n) und verbindet. Der Kunst- und Skulpturenweg PURPLE PATH ist das größte Projekt der Kulturhauptstadt und verbindet die 38 Städte und Gemeinden in der Kulturhauptstadtregion mit Chemnitz. .Zwischen Mittweida und Schwarzenberg, Glauchau und Seiffen, Freiberg und Schneeberg entsteht mit dem PURPLE PATH ein nachhaltig konzipiertes und gestaltetes Skulpturen-Museum in öffentlichen Räumen. Das Narrativ “Alles kommt vom Berg” verbindet Werke von Stars der internationalen zeitgenössischen Kunstszene und international agierenden Künstler*innen aus der Region. Der PURPLE PATH wird dabei zum Storyteller: Hinter der Folie der installierten Kunstwerke formuliert sich eine ungekannte Geschichte der Region, eine Erzählung von Bergbau und Industrie, Ausbeutung und Profit, Ausgrenzung und Solidarität sowie eine bis heute andauernde Wechselbeziehung von Prekariat und Innovation.
Die von Alexander Ochs kuratierten Werke von mehr als 60 Künstler*innen finden sich auf Industriebrachen, an Bahnhöfen, Flussufern oder im stillen Wasser eines Mühlgrabens. Sie korrespondieren mit Bauern- und Textilmuseen, verbinden sich mit Schlössern und alten Kirchen, ihren Orgeln und ihrer Kunst. Manchmal spielen sie auch in illustren Ecken und Winkeln UNESCO-geschützter Orte, die zu Kontextgebern wie vielstimmigen Erzählern erwähnter Geschichte werden. Am Skulpturenweg, wie auch an anderen Projekten, beispielsweise der Kreativwerkstätten im Rahmen des „Makers, Business & Arts” oder des in einem ehemaligen Autohaus geschaffenen kulinarischen Begegnungsorts “NETZ-Werk” wird deutlich, dass Chemnitz 2025 ein Netzwerk zwischen den Kommunen, Kunst, Wirtschaft, Tourismus und Macher*innen initiiert. So schafft Chemnitz 2025 neue touristische Anziehungspunkte in der Kulturhauptstadtregion, die in den kommenden Jahren ihre Wirksamkeit entfalten und langfristig das Tourismusaufkommen in der Region erhöhen werden.
Dipl. oec. Balázs Kovács ist internationaler Experte für nachhaltigen Tourismus und CEO von GD Consulting. Er ist Nachhaltigkeitsbotschafter des European Climate Pact und Mitglied des Nachhaltigen Welttourismusrats (GSTC). 2023 war er als Regionalbeauftragter von VEB2023 in Österreich und Süddeutschland tätig.
Annela Laaneots ist Regionalmanagerin der europäischen Kulturhauptstadt Tartu 2024 undwar für 19 Gemeinden verantwortlich.Sie ist als Kommunikationsmanagerin für estnische und internationale Unternehmen tätig und unterrichtet Kommunikationswissenschaften an der Universität Tallinn.
Frizzi Seltmann ist Projektmanagerin für Tourismus, Marketing und Kommunikation bei der Chemnitz 2025 gGmbH. Sie koordinierte die inhaltliche Abstimmung und die Finalisierung dieses Artikels, den die Kulturhauptstadt in Zusammenarbeit mit den Chemnitz 2025-Hauptprojekten zur Verfügung stellte.
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