Geschichte in der Korrekturschleife

Gesetze, Politik und Medien machten queere Geschichte jahrzehntelang unsichtbar. In ihrem Gastbeitrag nehmen Sie ALEXA CARDAȘ und ALEXANDRA CARAMAN mit auf eine Zeitreise durch die wichtigsten Ereignisse der rumänischen LGBTQIA+ Szene im vergangenen Jahrhundert.  

Wenn es um Geschichte geht, sind die besten Erzähler*innen jene, die sie miterlebt haben. Dies trifft umso mehr zu, wenn es sich um die komplexe Geschichte der globalen LGBTQIA+ Gemeinschaft handelt, die von bemerkenswerter Widerstandsfähigkeit und Transformation gekennzeichnet ist. Auch die Entwicklung der queeren Community in Rumänien ist von Widerstand und Wandel, Unterdrückung und einem komplizierten Zusammenspiel soziopolitischer, kultureller und wirtschaftlicher Einflüsse geprägt. 

Liebe im Schatten 

Vor der Wende 1989 zeigte sich die Widerstandsfähigkeit der queeren Gemeinschaft in Rumänien vor allem als Mut zu lieben – wenn auch nur im Verborgenen, denn 1937 wurden öffentliche homosexuelle Handlungen als Straftatbestand eingeführt. Der Staat sah Lesben und Schwule als Gefahr für die streng kontrollierte und vermeintlich homogene Gesellschaft. 1968 wurde Homosexualität dann generell verboten – auch im Privaten – und mit Artikel 200 in das Strafgesetzbuch aufgenommen. Wie die meisten Rumän*innen lebte auch die queere Gemeinschaft unter der ständigen Angst vor dem rumänischen Geheimdienst und misstraute sogar ihren engsten Vertrauten, die womöglich für den Staat spionierten. Jede Form der aktiven Opposition war zu dieser Zeit kaum möglich. Der rumänische Aktivist und Schriftsteller Florin Buhuceanu schreibt über die damalige Zeit: „Homosexualität ist das ständige Ziel von Polizeirazzien. Sie wird vom Rechtssystem inkriminiert, vom medizinischen System ‚behandelt‘, von der Presse zensiert und gesellschaftlich und kulturell verurteilt.“ 

Endlich ans Licht  

Nach der Wende begann in Rumänien eine gesamtgesellschaftliche Transformation, die sich auch in der queeren Szene widerspiegelte. „Homosexuelle betraten die post-kommunistische Bühne als gefährliche Kreaturen, Kreaturen der Finsternis, mit einem Lebensstil, der sie entweder zu Opfern oder Aggressor*innen machte“, so Buhuceanu. 1992 wurde die erste Gruppe zur Stärkung der LGBTQIA+ Rechte gegründet: Total Relations. Nach ihr formten sich immer mehr Nichtregierungsorganisationen, die sich vor allem für die Abschaffung des Artikels 200 einsetzten, der noch immer Existenzen zerstörte. Mariana Cetiner war von 1995 bis 1998 inhaftiert und erinnert sich: „Sie wollten mich zum Gynäkologen bringen, um zu sehen, ob ich eine Frau bin. Ich weigerte mich, deswegen legten sie mir Handschellen an Händen und Füßen an. 24 Stunden lang war ich so an einen Heizkörper gefesselt, ohne Essen und Wasser. Wenn ich pinkeln musste, zogen sie mir die Hose aus. Sie schickten mich ins Gefängnis in Jilava und wollten feststellen, ob ich normal im Kopf bin. Ich war 29 Tage lang im Gefängniskrankenhaus. Dort fragten sie mich, ob ich lesbisch sei. Ich sagte, das sei meine Sache.“ 

Trotz heftigen Widerstands der rumänisch-orthodoxen Kirche und nach Jahren voll hasserfüllter Diskurse kam 2001 schließlich die Erleichterung: Das Verbot der Homosexualität wurde abgeschafft. Queere Menschen konnten endlich aufatmen, denn sie mussten nun nicht mehr rechtliche Konsequenzen ihrer Liebe fürchten. Heute ist es für viele dennoch unverständlich, dass dieser Schritt erst so spät kam. „Es ist seltsam, dass Artikel 200 noch existierte, als ich mit fünf Jahren mit den Nachbarskindern vor unserem Block spielte“, sagt Lia Burg, Community Managerin bei der NGO Identity.Education 

Die Entkriminalisierung bedeutete allerdings noch lange nicht soziale Integration und Anerkennung. Tatsächlich stellte die Legalisierung von Homosexualität einen politischen Schachzug dar, denn Rumänien wollte in die EU und musste somit die Gesetze an EU-Standards anpassen. Die gesellschaftliche Haltung war und ist dennoch von Angst, Abneigung, Vorurteilen und Mikroaggressionen gegen die queere Gemeinschaft geprägt. 

Stolz nach außen tragen 

Aller Widrigkeiten zum Trotz und über die Kanäle interner Netzwerke formierte sich die erste Pride Parade 2005 mit hunderten Teilnehmer*innen in Bukarest. Die traditionellen Medien berichteten kaum über das historische Ereignis und verbreiteten über die folgenden Jahre sogar Falschmeldungen. Denn die Teilnehmer*innenzahlen wuchsen stetig, während die Zeitungen und Fernsehsender von einer abnehmenden Bedeutung berichteten. Auf diese Weise traten die Medien als wichtige Verbündete der homophoben Regierungsinitiativen auf. Konservative und religiöse Gegendemonstrationen lösten immer wieder gewaltsame Zusammenstöße aus und vor allem trans Menschen stießen auf viel Hass. 

Mittlerweile hat sich der Polizeischutz für Pride-Veranstaltungen verbessert, doch das Vertrauen der Szene in die Polizei ist weiterhin gering. In diesem Zusammenhang blieb vor allem das GayFest 2007 in Erinnerung, das von Polizeigewalt gekennzeichnet war. Nach dem Prinzip „vier Beamte pro Lesbe oder Schwulem“ standen 200 Teilnehmer*innen 800 Polizist*innen gegenüber. Bis heute bleibt unklar, welche Gefahren tatsächlich von der Szene vermutet wurden. 

Insbesondere jüngere Generationen wollen dennoch nicht in Angst leben und tragen ihre Identitäten mittlerweile auch bewusst nach außen. Auch wenn die Diskriminierung weiterhin weh tut, versuchen viele auf Hass mit Humor zu reagieren. Dieser Mentalitätswandel führte zu einem erheblichen Anstieg der Pride-Teilnehmer*innenzahlen und zur Organisation von Pride-Märschen in weiteren kleineren rumänischen Städten wie Timișoara, Cluj, Iași, Brașov und Oradea. Insgesamt nahmen im Jahr 2023 über 30.000 Menschen an Pride-Veranstaltungen in ganz Rumänien teil. Einen wichtigen Beitrag zu diesen Entwicklungen leisten die mittlerweile zahlreichen queeren Organisationen, die einen friedvollen intersektionalen Kampf im Zeichen der Solidarität führen. 

Hass boykottieren 

Dass dieser Kampf weiterhin geführt werden muss, zeigte ein umstrittenes Referendum zur Verfassungsänderung im Jahr 2018. Konservative forderten darin, die Ehe ausschließlich als Verbindung zwischen Mann und Frau neu zu definieren. In der ursprünglichen Fassung wird das geschlechtsneutrale rumänische Wort „soți“ verwendet, was so viel heißt wie „zwischen Ehepartner*innen“. Aus Angst der Konservativen, dies könnte eines Tages nicht-heteronormative Ehen erleichtern, forderten sie den Begriff „soti“ durch „Mann“ und „Frau“ zu ersetzen. Es ist eine unbegründete Angst, denn Artikel 277 der Verfassung verweist – sowohl damals als auch noch heute – ausdrücklich darauf hin, dass alle Formen der rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare, wie Lebenspartnerschaften oder die Ehe, verboten sei. 2022 gab es in Ungarn und 2013 in Kroatien ebenfalls Referenden, die die Ehe auf Mann und Frau beschränken und die erfolgreich waren. In der Slowakei dagegen erreichte 2015 ein ähnliches Referendum nicht die notwendige Beteiligung. So schaffte es auch eine Boykott-Kampagne in Rumänien, die Durchsetzung des Referendums zu Verhindern. Die Botschaft der Kampagne: Liebe ist nicht zum Wählen da.  

Mit Diskriminierung hart ins Gericht gehen 

Die Kampagnen zeigten, dass die Spaltung der Gesellschaft immer noch groß ist. Als queere Gemeinschaft geeint zu sein, ist deswegen umso wichtiger, vor allem, weil wir oft nur einander haben. Der Staat erkennt uns nicht immer nicht als gleichberechtigte Bürger*innen mit gleichen Rechten an. Wir dürfen nicht heiraten oder Kinder adoptieren, und unsere Privatsphäre und Würde werden oft nicht geachtet. Heute haben es insbesondere trans Personen weiterhin schwer, ihr Geschlecht rechtlich anzuerkennen lassen und notwendige Gesundheitsversorgung zu erhalten. Es existiert bisher auch keine neutrale Sprache für nicht-binäre Personen in offiziellen Dokumenten. 

2018 urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass Rumänien die Rechte gleichgeschlechtlicher Ehepartner*innen im Rahmen der Freizügigkeitsgesetze anerkennen muss. Clai Hamilton, amerikanischer Staatsbürger, klagte, nachdem er keine Aufenthaltsgenehmigung in Rumänien erhielt, obwohl sein Ehemann Adrian Coman rumänischer Staatsbürger ist und damit auch ihm als Ehepartner die Einreise möglich sein sollte. Da Clai bis heute – trotz des Urteiles des EuGH – keine Aufenthaltsgenehmigung erhielt, legte das Paar Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein. Der Fall ist noch nicht abgeschlossen. „Wenn wir Rumänien verlassen, werden wir meist so akzeptiert wie wir sind. Umso schmerzlicher ist es, wieder nach Hause zu kommen und auf Missverständnis und Intoleranz zu stoßen“, fasst der serbische Künstler und Aktivist aus Timișoara, Adrian Oncu, ähnliche Erfahrungen zusammen. 

Ein weiterer wichtiger Fall wurde 2019 vor dem EGMR verhandelt, als 22 gleichgeschlechtliche Paare die rechtliche Anerkennung ihrer Beziehung in Rumänien forderten. Im Mai 2023 entschied der EGMR zugunsten der Liebenden und wies eine Beschwerde der rumänischen Regierung im August dieses Jahres zurück. Immer mehr Paare schließen sich nun dieser Forderung an. 

Kunst gegen Konformismus 

Mit Blick auf die Zukunft wollen wir uns also Optimismus erlauben. Im Jahr 2023 ist Timișoara Europäische Kulturhauptstadt und bei Identity.Education nutzen wir diese Gelegenheit, um auf die Anliegen der LGBTQIA+ Gemeinschaft aufmerksam zu machen. Wir sind der festen Überzeugung, dass Kultur und Kunst mächtige Instrumente zur Beeinflussung von Politik und öffentlicher Meinung sind. So veranstalteten wir ein Videokonzert am Kulturpalast in Timișoara, das auf die letzten 30 Jahre queere Geschichte zurückblickte und von eigens komponierter symphonischer Musik begleitet wurde. Der Ort des Videokonzerts hat außerdem eine besondere Bedeutung in der rumänischen Geschichte: Auf dem Balkon des Kulturpalastes 1989 wurde nämlich die Freiheit Timișoaras vom Kommunismus gefordert – eine Forderung, die sich wie ein Lauffeuer in Rumänien ausbreitete und schließlich zum Sturz des rumänischen Diktators Nicolae Ceaușescu führte. Als Titel wählten wir bewusst die Parole der Revolution „Libertate?“ (Freiheit?) mit einem Frage- statt Rufzeichen. Denn – in den Worten der queeren und Rom*nja-Aktivistin Alexandra Corcoveanu – sollten wir „Akzeptanz anstreben, nicht Toleranz. Toleranz bedeutet: Du kannst neben mir sitzen, aber halte Abstand. Wir können die gleiche Luft atmen, aber ich akzeptiere dich nicht als Person. Akzeptanz bedeutet hingegen die Werte der anderen zu akzeptieren und respektieren.“ 

Es ist nur eines von vielen Projekten, die wir neben Stadtführungen, Ausstellungen, Filmen, Vorträgen, Kabarett- und Drag-Shows sowie der Pride Parade mit 1.200 Menschen in diesem Jahr durchführten. Wir wollen damit zeigen, wie lebendig die Kultur und wie reich die Geschichte unserer Gemeinschaft ist. Unsere Geschichte ist die Geschichte Rumäniens. Sie zu kennen, ist befreiend. Es holt uns aus der Unsichtbarkeit heraus, in die uns Gesetze, Politik und Medien über Jahrzehnte gedrängt haben und gibt uns die Zuversicht, in Zukunft mit jenen, die wir lieben, in einer rechtlichen Partnerschaft zu leben, auf der Straße ihre Hände zu halten, ohne belästigt zu werden und schließlich auch irgendwann eine Familie zu gründen. 

 

Alexandra Caraman arbeitet in einer PR- und Kommunikationsagentur in Bukarest und ist Kommunikationsmanagerin bei Identity.Education. 
 

Alexa Cardaș arbeitet als Social-Media-Freelancerin mit Organisationen in den Bereichen Kultur, Kunst, Bildung, Psychologie, Fintech, Marketing und Medizin.