„Begrenzte Selbstbestimmung muss auf dem Radar von uns allen sein“

Die Grundlagen der Europäischen Union sind Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte, einschließlich der Rechte von Minderheiten. Obwohl die Charta der Grundrechte der Europäischen Union kein ausdrückliches Recht auf Selbstbestimmung beinhaltet, hat sie konkrete Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung bestimmter Grundrechte bewirkt, die mit Selbstbestimmung zusammenhängen – etwa im Bereich der Gleichheit und Nichtdiskriminierung. 

Seit 2019 hat die Europäische Kommission eine Reihe von Gleichstellungsstrategien vorgelegt. Die EU-Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter (2020-2025) stellt politische und legislative Maßnahmen für ein geschlechtergerechtes Europa vor. Unser Ziel ist eine Union, in der Frauen und Männer, Mädchen und Jungen in all ihrer Vielfalt die gleichen Chancen zur Entfaltung haben. Gleichberechtigt sollen sie an unserer europäischen Gesellschaft teilhaben und sie in die Zukunft führen. Im Rahmen der Strategie zur Gleichstellung von LGBTIQ (2020-2025) will die Kommission die gesellschaftliche Akzeptanz von LGBTIQ-Personen erhöhen und rechtliche Hindernisse für ihre Gleichstellung beseitigen. Das geschieht u.a. durch die Förderung des Austauschs bewährter Praktiken zwischen den Mitgliedstaaten bezüglich der rechtlichen Anerkennung des Geschlechts. Die EU-Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2021-2030) enthält Maßnahmen, die sicherstellen sollen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben können, und zwar unter angemessenen Standards, die es ihnen ermöglichen, selbständig zu sein. 

Während sich Europa aufgrund der russischen Aggression in der Ukraine in einem schwierigen geopolitischen Kontext auf die nächsten EU-Wahlen im Juni 2024 vorbereitet, müssen wir erkennen, dass unsere Grundrechte nicht selbstverständlich sind. Darüber hinaus kann eine Demokratie ohne den Zugang zu zuverlässigen Informationen von unabhängigen Medien nicht existieren. Medienfreiheit und -pluralismus gewährleisten einen aktiven Kampf gegen die Manipulation demokratischer Debatten. Heutzutage wird die Fähigkeit der Medienunternehmen, sich selbst zu kontrollieren und ihr Recht auf Selbstbestimmung auszuüben, leider zunehmend durch politischen Druck und ungerechtfertigte Überwachung von Journalist*innen und ihren Quellen bedroht. Um die Unabhängigkeit und die stabile Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Medien zu sichern und das Risiko unzulässiger Eingriffe in die redaktionelle Freiheit zu mindern, haben wir den European Media Freedom Act vorgeschlagen.   

Begrenzte Selbstbestimmung aufgrund von Diskriminierung, Marginalisierung gefährdeter Gruppen und Bedrohungen des demokratischen Prozesses, einschließlich Desinformation, Hassverbrechen und Hassreden, muss auf dem Radar von uns allen sein. Es besteht dringender Bedarf an einem starken und erneuerten Engagement der verantwortlichen Akteur*innen, damit die Menschen ihre Grundrechte tatsächlich wahrnehmen können, auch online. Ich möchte den Autor*innen dieses Magazins für ihren Beitrag zu diesem gemeinsamen Unterfangen danken, indem sie sich anlässlich des 70-jährigen Bestehens des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) mit diesen wichtigen Themen befassen. 

 

Věra Jourová – Vizepräsidentin der Europäischen Kommission