Russische Einflussnahme: Stolpersteine auf dem Weg Moldaus in die EU
Bis 2030 plant Moldau Mitglied der EU zu werden – doch nicht, wenn es nach Russland geht. HANNA OBERMÜLLER führt in die Geschichte des Landes ein und SEBASTIAN SCHÄFFER und IRIS REHKLAU analysieren die Stimmung vor dem EU-Referendum.
Zwischen Ost und West (von HANNA OBERMÜLLER)
Die Republik Moldau ist ein rund 2,5 Millionen Einwohner*innen zählender Staat in Osteuropa, der im Norden, Osten und Süden an die Ukraine und im Westen an Rumänien und damit die EU grenzt. Historisch war Moldau ursprünglich ein Fürstentum, das im 15. Jahrhundert unter osmanischen Einfluss geriet, bevor ein Großteil seiner Gebiete 1812 dem russischen Zarenreich zufiel. Nach dem Ersten Weltkrieg erklärte der westliche Teil Moldaus, Bessarabien, seine Autonomie und stimmte im Jahr 1918 für die Vereinigung mit Rumänien, mit dem es historisch, kulturell und sprachlich eng verbunden war. Von der Sowjetunion wurde dies nie anerkannt.
Um seinen territorialen Anspruch zu untermauern, gründete die Sowjetunion 1924 auf dem Gebiet des heutigen Transnistrien die Moldauische Autonome Sozialistische Sowjetrepublik (ASSR) innerhalb der Ukrainischen SSR. Im Zuge des Zweiten Weltkriegs besetzte die Rote Armee das Gebiet Bessarabiens und 1944 wurde dieses endgültig in die Sowjetunion eingegliedert. Es entstand die bis 1991 bestehende Moldauische SSR. Während dieser Zeit versuchte die Sowjetunion das Narrativ einer sowjetisch-moldauischen Identität ohne rumänische Einflüsse durchzusetzen. Die offizielle Sprache wurde Moldauisch genannt und in ky- rillischer Schrift geschrieben.
Weg in die Unabhängigkeit
Nach dem Zerfall der Sowjetunion erklärte Moldau 1991 seine Unabhängigkeit. Mittlerweile ist die Amtssprache Rumänisch und wird in lateinischer Schrift geschrieben. Nach einem Assoziierungsabkommen 2014 erhielt Moldau im Juni 2022 zeitgleich mit der Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten, zwei Jahre später wurden die Beitrittsverhandlungen eröffnet. Die Annäherung der Republik Moldau an den Westen und ihre Unterstützung der Ukraine ist Russland jedoch ein Dorn im Auge. Über die Finanzierung prorussischer Medien und Parteien, Stimmenkauf, die Abhängigkeit von russischem Gas und die gezielte Verbreitung von Desinformation und prorussischen Narrativen sowie Sowjet-Nostalgie versucht Russland die Demokratie in Moldau zu destabilisieren und das Land an sich zu binden.
Hinzu kommen die zwei prorussischen Regionen Transnistrien und Gagausien, über die Russland Einfluss in Moldau ausübt. In Transnistrien im Osten Moldaus stellen Russ*innen immer noch knapp die größte ethnische Bevölkerungsgruppe dar. In einem von 1990 bis 1992 andauernden innerstaatlichen Konflikt leistete Russland aktiv militärische und politische Unterstützung für die transnistrischen Separatisten. Der gewaltsame Konflikt endete mit einem Waffenstillstand 1992, der die Region de facto unabhängig machte. Transnistrien hat seine eigene Regierung und Verwaltung, wird jedoch international nicht anerkannt. Trotz eines Abkommens im Jahr 1994, das den Abzug des russischen Militärs aus Transnistrien vorsah, sind bis heute russische Truppen in der Region stationiert.
Gagausien, das im Süden Moldaus liegt, wird mehrheitlich von ethnischen Gagaus*innen, einem christlich-orthodoxen Turkvolk, bewohnt. Diese Region erhielt nach Unruhen durch ein Abkommen 1994 den Status »Autonome Territoriale Einheit«. Es genießt damit eine gewisse interne Autonomie in Moldau und verfügt über drei Amtssprachen: Rumänisch, Russisch und Gagausisch. Die Region steht unter starkem russischem Einfluss. Die meisten Menschen (rund 84%) fühlen sich ethnisch jedoch vor allem als Gagaus*innen.
Bei der letzten landesweit durchgeführten Volkszählung in Moldau im Jahr 2014 bezeichneten sich 75,1 % der Befragten als moldauisch, 7,0 % als rumänisch, 6,6 % als ukrainisch, 4,6 % als gagausisch und nur 4,1 % als russisch.
Richtungsentscheidung
Am 20. Oktober 2024 fanden in der Republik Moldau sowohl Präsidentschaftswahlen als auch ein bedeutendes Referendum statt. Moldauische Bürger*innen sollten entscheiden, ob das Ziel der EU-Integration in der moldauischen Verfassung festgeschrieben werden soll. Von drei Millionen Wahlberechtigten gaben insgesamt 1,54 Millionen Bürger*innen ihre Stimme ab. Hinzu kamen über 235.000 Stimmen der Diaspora.
Das Resultat des Referendums überraschte: Laut Wahlkommission stimmten 50,4 % der Wähler*innen für eine Verfassungsänderung, während 49,6 % dagegen votierten. Umfragen im Vorfeld hatten eine weitaus deutlichere Mehrheit für den EU-Kurs des Landes prognostiziert. Zu Beginn der Auszählung führte das »Nein«-Lager, bis schließlich die Stimmen der überwiegend proeuropäisch eingestellten Diaspora eintrafen und das Ergebnis zugunsten eines »Ja« drehten.
Ein Referendum und viel Nervosität (von SEBASTIAN SCHÄFFER und IRIS REHKLAU)
Die Entscheidung der moldauischen Präsidentin Maia Sandu, zeitgleich mit der Präsidentschaftswahl auch ein Referendum über die Änderung der Verfassung anzusetzen, war ein politisches Spiel mit hohem Risiko. Durch die Verknüpfung fand eine Verengung des Diskurses statt, denn neben der Amtsinhaberin gab es praktisch keine Gegenkandidat*innen, die den EU-Beitritt und die Aufnahme der EU-Integration als strategisches Ziel Moldaus in die Verfassung unterstützten. Außerdem können solche Referenden auch schiefgehen, wie etwa das Brexit-Referendum im Vereinigten Königreich zeigte.
Was die beiden Abstimmungen verbindet, ist aber nicht nur die grundsätzliche Frage nach einer Zukunft inner- oder außerhalb der Europäischen Union. In Großbritannien hatte der Kreml bereits im Jahr 2016 versucht, mit Desinformation und Geld den Ausgang des Referendums zu beeinflussen. Im Falle Moldaus im Jahr 2024 nahm Russland bis zu 150 Millionen Euro in die Hand, wie investigative Journalist*innen der Medien Euromaidan Press und Ziarul de Gardă kürzlich aufdeckten. Das Geld wurde genutzt, um Stimmen direkt zu kaufen, aber auch für Social Media-Kampagnen, die Wähler*innen beeinflussen sollten, gegen das Ziel des EU-Beitritts zu stimmen. Zudem wurde sowohl in Großbritannien als auch in Moldau eine sehr komplexe Frage so weit heruntergebrochen, dass sie mit einem »Ja« oder »Nein« beantwortet werden sollte.
Ein wichtiger Unterschied besteht allerdings darin, dass ein negativer Ausgang des Referendums in Moldau nicht notwendigerweise den Prozess des EU-Beitritts gestoppt hätte. Abgestimmt wurde nämlich nicht über den Beitritt selbst, sondern über die verfassungsgesetzliche Verankerung des Ziels, der EU beizutreten. Dieser Zusatz erschwert lediglich künftigen Regierungen den Weg der EU-Integration zu verlassen.
Auf der Suche nach der Zukunft
In den Tagen vor der Abstimmung war unter den proeuropäisch eingestellten Menschen in Chişinău eine gewisse Nervosität zu spüren. 2019 hatte die Ukraine eine ähnliche Änderung ihrer Verfassung vollzogen – die Ereignisse der darauffolgenden Jahre geben Anlass zur Besorgnis. Die größte Sorge bleibt dabei die konkrete Zukunft des Landes. Mit dem Referendum wird diese offene Frage letztendlich wieder auf die Entscheidung »proeuropäisch oder prorussisch« reduziert. Dabei gestaltet sich die Zukunft in Moldau aber vielschichtiger und komplexer. Neben der Frage nach der geopolitischen Positionierung des Landes sind tiefgreifende strukturelle Veränderungen wie Reformen im Bereich der Justiz notwendig und ebenso wichtig. Eine positive Erzählung, die die Sorgen und Ängste der Moldauer*innen, aber auch der EU-Bürger*innen auf- und mitnimmt, findet sich kaum. Dies wiederum bietet fruchtbaren Boden für Desinformationskampagnen – nicht nur aus Russland.
Bis 2030 will die aktuelle Regierung unter Ministerpräsident Dorin Recean von Sandus Partei Aktion und Solidarität (rum. Partidul Acțiune și Solidaritate – PAS) die Republik Moldau in die EU führen. Am Ende des langwierigen Verhandlungs- prozesses soll dann erneut ein Referendum stehen. Die nächste Entscheidung der Bürger*innen bezüglich der Annäherung an die EU wird aber spätestens schon im Juli 2025 stattfinden, wenn die Moldauer*innen ein neues Parlament wählen. Denn letztendlich entscheidet im politischen System nicht die Präsidentin, sondern die Regierung über den Kurs des Landes. Bis dahin wird es noch auf allen Seiten viel Gelegenheit zur Nervosität geben, wie der äußerst knappe Ausgang des Referendums zeigt. Aber es bleibt auch die Hoffnung auf eine Zukunft der Republik Moldau in der EU.
P.S. Moldawien oder Moldau? In österreichischen Medien wird immer noch häufig von »Moldawien« gesprochen. Dies ist allerdings eine direkte Übersetzung der russischen Bezeichnung für das Land. Die offizielle Bezeichnung im Deutschen lautet Moldau.
Sebastian Schäffer ist Direktor des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) und Generalsekretär der Donaurektorenkonferenz (DRC).
Iris Rehklau ist Associate bei SSC Europe und Projektmanagerin im Bereich Bildung und Integration.
Hanna Obermüller ist Masterstudentin für »Peace and Security Studies« am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH) in Hamburg und ehemalige Trainee am IDM.