IDM Short Insights 42: Poland and Hungary. Friends no more?

Five things you need to know about the current state of Polish-Hungarian relations!  

“Pole, Hungarian, brothers be?” This old saying has been put to the test recently, as relations between the Hungarian and Polish governments continue to deteriorate. The latest flashpoint: Viktor Orbán granting political asylum to Poland’s former deputy justice minister, who is wanted on a European Arrest Warrant for serious corruption cases. 

Our colleagues, Malwina Talik and Peter Techet, answer five key questions about this case and the ongoing cooling of Hungarian-Polish relations. 

Transcript:

“Pole, Hungarian brothers be”, that’s a saying popular in both countries, which emphasizes a strong bond between them. But the relation between Poland and Hungary has turned into a family drama in recent time.

What happened?

Marcin Romanowski, who served as a deputy justice minister under the Law and Justice government, was about to be arrested. The reason? Eleven charges against him, including fraud and an attempted fraud of about 39 million euro, which were to be used for support of crime victims. But Marcin Romanowski disappeared without a trace, which is why the Polish authorities issued a European Arrest Warrant for him. Then, unexpectedly, he appeared in Hungary, where he was warmly welcomed by Viktor Orbán.

Why would Orbán do it?

Orbán is friend of Poland, but I would say only if the political allies had the power. Orbán tried to help his allies to rescue from Poland. But it’s not the first case Orbán is doing this way, because in 2019 the Hungarian authorities had Nikolai Gruevski, a former minister-president, prime minister of North Macedonia, to rescue from his own country. And now he’s living in Budapest, and he was also charged for corruption issues in North Macedonia.

Can an EU country do that?

Yes, it’s not so usual, but we can recall the case of Belgium. Because Belgium refused to extradite the former president of Catalonia, Puigdemont, to Spain, claiming that the process against him was politically motivated in Spain.

How did Poland respond?

Polish authorities consider it a hostile act by Budapest. The Polish ambassador in Hungary was summoned back to Warsaw for consultations, which in diplomatic language means a serious cooling of relations. And the Hungarian ambassador in Poland is considered persona non grata. He was also disinvited from the gala starting the Polish presidency of the EU Council. This is quite a telling and symbolic gesture because Hungary has just concluded its own presidency. And this is just one example for the growing rift between Poland and Hungary.

Why are Poland and Hungary are drifting apart?

Poland is among the most vocal supporters of Ukraine and objects vehemently to the Russian war of aggression and Russian politics. Hungary is pursuing very pro-Russian politics, that’s why even during the former Polish government, the relationship between Poland and Hungary deteriorated, because even the party of Kaczyński is quite anti-Russian and pro-Ukrainian. So I would say the issue with Ukraine would always be a problematic issue between Orbán and any Polish government. Another reason is the approach to the EU. Poland has under the current government a very pro-European stance and has the ambition of becoming an even more important player in EU affairs. And Donald Tusk poses a big threat for Orbán, because the case of Tusk demonstrates how it is possible to transform an illiberal democracy into a liberal one, even sometimes with problematic methods. And at the same time the biggest opponent of Viktor Orbán nowadays in Hungary, Péter Magyar, is sitting in the same party, the European People’s Party, like Donald Tusk. So we’ll see how the situation will evolve. Orbán has promised that he can grant asylum to even more former Polish politicians. And this could drive a further wedge between the two countries.

 

Das Baltikum in Alarmbereitschaft

Die baltischen Länder stehen seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine im Fokus der Sicherheitsfragen der NATO. Auf welche Verteidigungsmaßnahmen Estland, Lettland und Litauen setzen und welche Rolle dabei den Bürger*innen zukommt, erklärt ALEKSANDRA KUCZYŃSKA-ZONIK. 

Eine über 1.600 Kilometer lange Grenze trennt die baltischen Staaten von Russland, Belarus und der russischen Exklave Kaliningrad. Bei einem möglichen Konflikt zwischen Russland und der NATO könnten Estland, Lettland und Litauen daher an vorderster Front stehen. Die hybride Kriegsführung Russlands hat das Baltikum dagegen längst erreicht. Durch wirtschaftliche und energiepolitische Maßnahmen, illegale Migration sowie Cyberangriffe, Desinformation und Propaganda versucht Russland in den baltischen Staaten Einfluss zu nehmen und die nationale Sicherheit zu untergraben. Zwar haben Litauen, Lettland und Estland 2022 traditionelle russische Medien verboten, doch über die sozialen Medien verbreiten sich russische Narrative und Interessen weiterhin.  

Seine Provokationen und Destabilisierungsversuche weitet Russland auch auf die Ostsee aus. Im Frühjahr 2024 alarmierte das Land die NATO mit dem mittlerweile wieder zurückgezogenen Vorhaben, die Grenzen in der Ostsee neu ziehen zu wollen. Zudem nutzt Russland die sogenannte „Schattenflotte“, Schiffe ohne russische Flagge, um sanktionierte Waren und insbesondere Öl zu schmuggeln.  

Eine besondere Rolle spielt im Baltikum auch die russische Minderheit, die in Lettland und Estland etwa 30 % der Bevölkerung ausmacht. Viele Mitglieder dieser Gruppe fühlen sich kulturell nach wie vor stark mit Russland verbunden und leben oft in der Nähe der Grenze in überwiegend russischsprachigen Gemeinschaften. Integrationsprobleme führen nicht selten zu einem gewissen Misstrauen der baltischen Bevölkerung gegenüber der ethnisch russischen Minderheit, was zu gesellschaftlichen Spannungen beitragen kann. 

Aktive Beteiligung der Bürger*innen 

Aufgrund ihrer unmittelbaren Nähe zu Russland, der geringen Bevölkerungsgröße und ihres kleinen Militärs gelten die baltischen Staaten als schwer zu verteidigen. Laut Angaben der jeweiligen Verteidigungsministerien umfassen die litauischen Landstreitkräfte rund 11.500, die lettische Armee 7.300 und die estnische Armee 4.200 aktive bzw. Berufssoldat*innen. Hinzu kommen jeweils Reservist*innen, Wehrpflichtige und Freiwillige. 

Angesichts der rein militärischen Übermacht Russlands setzt das Baltikum auf ein Modell der umfassenden Gesamtverteidigung, das in Finnland bereits gut entwickelt ist. Neben dem Ausbau militärischer Fähigkeiten umfasst dieses Modell auch nichtmilitärische Verteidigungsaktivitäten. Strategische Kommunikation, Kooperationen zwischen öffentlichem und privatem Sektor und die Dezentralisierung von Verantwortlichkeiten sollen das Funktionieren wichtiger Institutionen auch in Kriegszeiten gewährleisten. Bürgerbewusstsein, patriotische Werte und eine verantwortungsvolle Haltung der Gesellschaft gegenüber dem Staat sollen gefördert werden und so die Widerstandsfähigkeit und Bereitschaft der Bürger*innen zur Verteidigung von sich selbst, ihren Angehörigen und des Landes sicherstellen. All das gilt als Voraussetzung für die gesamtgesellschaftliche Bewältigung von Krisen- und Kriegssituationen. 

So betonen die baltischen Länder die Notwendigkeit militärischer Berufsausbildungsprogramme für Jugendliche, um diese auf eine mögliche Karriere in den Streitkräften oder in anderen dem Militär nahen Bereichen vorzubereiten. In Lettland und Estland wurde Verteidigung als neues Schulfach in den Lehrplan aufgenommen, das Erlernen von Russisch als Zweitsprache wird in litauischen und lettischen Schulen dagegen immer seltener angeboten. Über 5.000 als „Elfen” bekannte Freiwillige in Litauen und die im ganzen Baltikum tätige NGO Debunk EU betreiben Faktenchecks und bekämpfen russische Propaganda durch das gezielte Aufdecken von Desinformation. Die Verwendung von Kriegssymbolen ist verboten und Veranstaltungen und Proteste in der Nähe von Denkmälern der Sowjetarmee wurden stark eingeschränkt.  

NATO-Präsenz und europäische Kooperation  

Trotz Einbindung der gesamten Bevölkerung in die nationalen Verteidigungsmaßnahmen, bleibt der wichtigste Garant für die Sicherheit im Baltikum die NATO-Mitgliedschaft und die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten. Derzeit sind insgesamt rund 10.000 NATO-Soldat*innen in den baltischen Staaten stationiert, die meisten davon in Lettland. Seit Jahren erfüllt das Baltikum das auf dem NATO-Gipfel 2014 in Wales festgelegte Ziel, mindestens 2% des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. Im Jahr 2024 beliefen sich die Verteidigungsausgaben in Litauen auf 2,7%, in Lettland auf 2,4% und in Estland sogar auf 3,2% des BIP.  

Eine wichtige Rolle bei der Koordinierung der Zusammenarbeit der baltischen Staaten untereinander – auch zu den Themen Sicherheit und Verteidigung – spielen die in den Neunzigern gegründete Baltische Versammlung und der Baltische Ministerrat. Es bestehen auch bedeutende militärische Verbände wie der trinationale Marineverband Baltic Naval Squadron (BALTRON) und die Baltische Verteidigungsakademie (BALTDEFCOL) zur Ausbildung von Militärpersonal. Polen ist ein wichtiger Partner bei der Stärkung der regionalen Sicherheit und beteiligt sich aktiv an der NATO-Mission Baltic Air Policing, einer Überwachung des NATO-Luftraums. 

Deutschland ist einer der engsten militärischen Verbündeten Litauens. Derzeit ist ein NATO-Bataillon unter deutscher Führung im Rahmen der NATO enhanced Forward Presence (eFP) im litauischen Rukla stationiert. Ein potenzieller Aggressor soll so abgeschreckt und das litauische Verteidigungspotenzial gestärkt werden. Über 1.000 der rund 1.600 Soldat*innen in Rukla sind Angehörige der deutschen Bundeswehr und bis 2028 soll die Einheit um 5.000 weitere Soldat*innen aufgestockt werden. Aus einer Umfrage des litauischen Meinungsforschungsinstituts „Spinter Research” aus dem Jahr 2023 geht hervor, dass 82% der litauischen Bevölkerung die Stationierung der deutschen Brigade befürworten. In den letzten Jahren erwarb die litauische Armee außerdem Ausrüstung, darunter Militärfahrzeuge und Panzerhaubitzen, im Wert von fast einer Milliarde Euro aus Deutschland. Im Jahr 2022 eröffneten die deutschen Rüstungsunternehmen Rheinmetall und KNDS Deutschland (vormals Krauss-Maffei Wegmann) ein Servicezentrum für militärische Ausrüstung im litauischen Jonava. 

Unterstützung für die Ukraine 

Im Jahr 2024 haben Estland, Lettland und Litauen die Initiative „Baltische Verteidigungslinie”, die auch Teil der NATO-Verteidigungspläne ist, ins Leben gerufen. Dabei soll die Grenze zu Russland, Belarus und Kaliningrad gegen eine mögliche Invasion geschützt und eine schnelle militärische Operation eines potenziellen Gegners blockiert oder zumindest verzögert werden. Lettland plant im Rahmen dieser Initiative das Grenzgebiet durch die Umwandlung von Entwässerungsgräben zu Panzergräben und den Bau neuer Panzergräben besser zu sichern. Darüber hinaus sollen speziell ausgewiesene Lager für Sprengstoff, Minen und technische Ausrüstung errichtet werden. Estland will mehr als 400 unterirdische Bunker bauen und der litauische Aktionsplan sieht unter anderem neue militärische Befestigungen sowie die Sicherung von Straßen und Brücken vor.  

Gleichzeitig soll die Unterstützung für die Ukraine ausgebaut werden. In Lettland wurde in Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich im Februar 2024 die sogenannte „Drohnen-Koalition” gegründet. Das Projekt zielt darauf ab, mithilfe innovativer Technologien eine stabile Versorgung der Ukraine mit Drohnen und eine sichere Lieferkette für Bauteile zu gewährleisten sowie die Drohnenherstellung im Westen zu unterstützen. Estland erklärte, dass es der Ukraine zwischen 2024 und 2027 jährlich mindestens 0,25% des BIP für militärische Zwecke zur Verfügung stellen wird. Zusätzlich leisten Estland, Lettland und Litauen auch im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU finanzielle Unterstützung an die Länder der Östlichen Partnerschaft (Ukraine, Georgien und Moldau) und tragen so zu deren Integration in den euro-atlantischen Raum bei.  

Seit Beginn der Vollinvasion Russlands in der Ukraine hat das Baltikum seine verteidigungspolitischen und militärischen Maßnahmen zur Vorbereitung auf Kriegssituationen intensiviert. Dabei lernen die baltischen Staaten auch aus den Erfahrungen der Ukraine im Krieg gegen Russland. Eine erfolgreiche nationale Verteidigungspolitik besteht nicht nur im Aufbau einer starken Armee. Maßnahmen wie der Bau von Schutzräumen, Frühwarnsysteme, die Sicherstellung der Stromversorgung, gute Erste-Hilfe-Kenntnisse in der Bevölkerung, Bildungsmaßnahmen und die Förderung gesellschaftlicher Resilienz gegenüber Desinformation sind ebenfalls essenziell. Denn am Ende ist der Erfolg, sich bei militärischen Angriffen zu schützen und das Land wirksam zu verteidigen, abhängig von sozialem Zusammenhalt, Widerstandsfähigkeit und der Verteidigungsbereitschaft und -fähigkeit der Bürger*innen und des Staates als Gemeinschaft zu handeln. 

 

Aleksandra Kuczyńska-Zonik ist Leiterin der Abteilung für das Baltikum am “Institute of Central Europe” und Assistenzprofessorin an der Katholischen Universität Johannes Paul II. in Lublin (Polen). Sie ist Politikwissenschaftlerin und Archäologin. Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte umfassen die Politik und Sicherheit in Mittel- und Osteuropa sowie im postsowjetischen Raum, die russische Diaspora und das sowjetische Erbe. 

Zeitenwende(n): Eine Frage der Perspektive

Russlands Vollinvasion in der Ukraine läutete eine sicherheitspolitische Zeitenwende ein. Doch was bleibt von dem Begriff fast drei Jahre nach seiner Prägung durch den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz? ULRICH SCHNECKENER erläutert in seinem Kommentar, warum die Metaphorik der Zeitenwende auch problematische Seiten hat.  

Mit seinem Auftritt vor dem Deutschen Bundestag am 27. Februar 2022 – drei Tage nach dem Beginn der russischen Vollinvasion in der Ukraine – verhalf der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz dem Begriff Zeitenwende zu einer globalen Karriere. Seither wurde das deutsche Wort in mehrere Sprachen eingebürgert und die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) kürte „Zeitenwende“ 2022 zum „Wort des Jahres“.  

In Reaktion auf Russlands Drei-Fronten-Angriff auf die Ukraine erklärte Scholz damals: „Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor. Im Kern geht es um die Frage, ob wir es Putin gestatten, die Uhren zurückzudrehen in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts, oder ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen.“ Scholz bezog die Zeitenwende auf die deutsche wie auch auf die europäische Ebene und erteilte sich selbst einen Handlungsauftrag: „Angesichts der Zeitenwende, die Putins Aggression bedeutet, lautet unser Maßstab: Was für die Sicherung des Friedens in Europa gebraucht wird, das wird getan.“  

Doch worin besteht die Zeitenwende konkret? Was soll aus ihr folgen? Und sind die getroffenen Maßnahmen ausreichend? Fast drei Jahre nach Beginn der russischen Invasion bleiben diese Fragen offen und sind zunehmend umstritten. Scholz verweist auf die Kursänderungen in der nationalen Verteidigungspolitik und auf die Rolle Deutschlands als zweitgrößter militärischer Unterstützer der Ukraine (gemessen an absoluten Zahlen). Andere hingegen, darunter auch Stimmen innerhalb des Regierungslagers, halten die Zeitenwende bereits wieder für abgesagt, weil die Unterstützung nicht nur zögerlich erfolge, sondern auch hinter dem zurückbleibe, was möglich und erforderlich wäre. Wiederum andere, nicht zuletzt die Populisten der Alternative für Deutschland (AfD) und des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), wollen die Zeitenwende möglichst rasch rückgängig machen. Sie fordern sofortige „Friedensgespräche“ mit Putin, ein Ende der Waffenlieferungen für die Ukraine sowie den Wiederbezug von russischem Gas.  

Wessen Welt ändert sich?  

Sieht man über den parteipolitischen Tellerrand hinaus, so erweist sich die Metaphorik der Zeitenwende als ambivalent – gerade mit Blick auf die verfehlte deutsche Politik gegenüber Putins Russland. Dazu möchte ich drei Gedanken beisteuern: Erstens impliziert der Begriff, wie Scholz treffend feststellt, eine scharfe Trennung von Davor und Danach. Er steht für eine tiefe, irreversible historische Zäsur und für damit einhergehende umwälzende Veränderungen. Der russische Angriffs- und Eroberungskrieg fällt zweifellos in diese Kategorie. Gleichwohl: Wer wann welches Ereignis zu einer Zeitenwende erklärt, hängt nur in Teilen vom realen Geschehen selbst ab, sondern zuvorderst von der eigenen Wahrnehmung und Positionierung. Das Ausrufen einer Zeitenwende ergibt sich nicht umstandslos aus einem Ereignis, sondern ist eine Interpretation durch die jeweiligen Akteure.  

So fand aus der Sicht der Ukraine – und anderer mittel- und osteuropäischer Staaten – die eigentliche Zeitenwende bereits 2014 statt, als Russland die Krym annektierte und in den Donbas im Osten der Ukraine einmarschierte. Damals wäre in der deutschen Politik kaum jemand, auch Scholz nicht, auf die Idee gekommen, diesen Begriff zu verwenden. Wenn nun von Zeitenwende die Rede ist, verweist das zunächst auf die fundamentale Erschütterung des eigenen, bis dato wenig hinterfragten Weltbildes. Denn es ist die eigene Welt, die plötzlich nicht mehr als dieselbe erscheint wie davor. In Putins Kopf, geprägt von anti-westlichen Feindbildern und neo-imperialen Vorstellungen, dürfte die Welt hingegen auch heute immer noch dieselbe sein.  

Kehrtwende nach gescheiterter Russland-Politik 

Zweitens erfüllt das Signalwort Zeitenwende eine legitimatorische Funktion. Wenn sich die Welt so grundlegend verändert, können außerordentliche Maßnahmen, die für notwendig und alternativlos gehalten werden, vor der eigenen Bevölkerung leichter gerechtfertigt werden. Dies gilt umso mehr, je tiefgreifender die Abkehr von früheren Positionen und Glaubenssätzen ist, die in der Gesellschaft breit verankert sind. Der deutsche Bundeskanzler hatte im Februar 2022 allen Grund zu einem solchen Kurswechsel. Offenkundig war die bisherige deutsche Sicherheits-, Energie- und Russlandpolitik gescheitert. Diese basierte vor allem auf zwei Leitsätzen: Zum einen gebe es Sicherheit in Europa nur mit und nicht ohne Russland, zum anderen führe wirtschaftliche Verflechtung, vor allem Geschäfte im Energiesektor, zu Stabilität.  

Dieser von der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier vertretene Ansatz wurde auch nach 2014 im Kern nicht korrigiert. Im Gegenteil: Durch den Ausbau der Abhängigkeit von Gasimporten, den Bau von Nordstream II und den Verkauf von Energie-Infrastrukturen an vom Kreml kontrollierte Konzerne wurden die wirtschaftlichen Verflechtungen mit Russland sogar noch intensiviert. Deutschland trug unbeabsichtigt, aber fahrlässig mit dazu bei, Putins Regime jene Ressourcen zu verschaffen, die nun im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt werden. Wem die eigene Politik dermaßen brutal auf die Füße fällt, der muss wohl von einer Zeitenwende sprechen, um argumentativ eine drastische Kehrtwende einzuleiten.  

Dialektik der Zeitenwende? 

Das führt zum dritten, wohl problematischsten Punkt: Die Rede von der Zeitenwende birgt die Gefahr, die eigene Fehlleistung zu relativieren oder zu bemänteln. Wenn denn die Welt vorher eine andere war, dann war die eigene Politik womöglich gar nicht so verkehrt. Wenn sich gewissermaßen „über Nacht“ alles ändert – was angeblich niemand vorsehen konnte – gibt es rückblickend wenig aufzuarbeiten und kaum Lehren, die aus dem eigenen Handeln gezogen werden könnten. Die Betonung eines radikalen Bruchs verstellt somit den Blick auf außenpolitische Pfadabhängigkeiten und kausale Zusammenhänge. In dieser Lesart wirkt der Begriff Zeitenwende wie ein schaler, selbstgerechter Versuch, sich für das eigene Politikversagen und den Mangel an politischer Urteilsfähigkeit zu exkulpieren. Das wiederum erleichtert es, in alte Denkmuster und Parolen zurückzufallen, statt sich selbstkritisch mit der eigenen Verantwortlichkeit auseinanderzusetzen.  

Dies war sicher nicht von Scholz intendiert, als er den Begriff in die Welt setzte. Wer aber heute die deutsche Debattenlage, nicht zuletzt in den TV-Talkshows, verfolgt, muss fürchten, dass genau dieser Effekt bereits eingesetzt hat. Längst sind wieder jene Stimmen in Politik und Gesellschaft lauter geworden, die pauschal auf einen „Frieden“ mit Russland drängen und sei es zum Preis neuer, gewaltsam gezogener Grenzen in Europa. Dies geschähe zum wiederholten Male über die Köpfe der ukrainischen Betroffenen hinweg, ganz so wie es in der unseligen Tradition deutscher Politik steht, die stets primär auf Moskau blickte und erst in zweiter Linie auf die von Putin bedrohten Nachbarstaaten. Damit würde sich jedoch die von Scholz avisierte Zeitenwende auf geradezu dialektische Weise in ihr Gegenteil verkehren.  

 

 

Ulrich Schneckener ist seit 2009 Professor für Internationale Beziehungen & Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Osnabrück und seit 2016 Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF).  Er ist Mitglied im Internationalen Rat des IDM.  In seiner Forschung beschäftigt er sich unter anderem mit globaler und europäischer Sicherheitspolitik und mit Fragen der EU-Erweiterungs- und Nachbarschaftspolitik. 

Germany’s Vulnerability to Trump 2.0

America first – Germany first! Sentiments that prevailed in the US are now gaining ground on the other side of the Atlantic, in the country that has Europe’s largest economy and, more recently, was a reliable and outward-looking democracy. Now, it is the very same economy and democracy that are at risk. Of all European countries, Germany’s economy is the most dependent on the US, which makes it particularly vulnerable to the upcoming Trump presidency and, in turn, opens the doors for its own right-wing populism. 

Europe’s reaction 

In the weeks following the US presidential elections on 6 November 2024, a common sentiment in Europe was concern for the future. Gradually, another feeling emerged: frustration. It derived from the sense of helplessness of moderate and left-wing voters in Europe after seeing most Americans vote against the Democratic party and therefore against a more social future for both domestic and international policies. As the election results revealed, Democrats failed to deliver the message that most voters profit from social cohesion and a close-knit international community bound by the rules of international law.  

After frustration, indifference took over: the Americans are the masters of their own fate – let them reap what they sow! However, this perspective oversimplifies the interconnected world where markets and security are intertwined. Through NATO, Europe – and especially Germany – relies on troops, arms and American deterrence for its security, while globalised markets depend on trade agreements to avoid expensive supply chains. The indifferent attitude towards America’s politics also underestimates the capability and plans of the Trump administration. 

Trump 2.0: What to expect 

On the one hand, expectations of a second Trump presidency have a different tone this time around, given that his first term was not the catastrophe many anticipated. Yes, he tried to harm democratic institutions, but they held up. Yes, his foreign policy style was rough and brash, but in substance, he was less unconventional than his demeanour suggested. Experts and professionals – the “adults” in the White House – contained Trump, just as Congress, the laws, the courts, the Constitution, and the very realities of the global landscape did.  

Yet Trump’s second term will likely be much more drastic because of the lessons from his first term. The political initiative “Project 2025” supports this theory, along with Trump’s own threats to prosecute his political opponents, not to mention a Republican House and Senate that will give him almost unlimited power. During his first term, Trump proudly took credit for spearheading the development of COVID-19 vaccines; now he has plans to bring an anti-vaxxer into his cabinet. His foreign policy will continue to be full of uncertainty. The Trump administration will furthermore likely prioritise a withdrawal from the Paris Agreement again – a legally binding international treaty on climate change, which was adopted at the UN Climate Change Conference in Paris – as well as widespread immigration controls, higher tariffs, reduction in support for Ukraine and a more conditional approach to traditional alliances verging on an isolationist stance. Trump views the US goods trade deficit as a major issue and plans to tackle it with punitive tariffs, as he did during his previous term.  

Germany at risk 

While Europe will face collective challenges over the next four years, the impact on individual countries will vary. Germany’s economy will be the most vulnerable to the plans of Trump’s presidency. A big difference compared to the last Trump presidency is Germany’s economic condition when Trump comes into power. In 2016, Germany had a particularly strong economy, which made it nearly immune to the repercussions of the US at that time. However, already feeling the indirect effects of the war in Ukraine and the sanctions on Russia, Germany is now facing an economy in recession. The year 2024 is expected to be the second consecutive year with a shrinking economy, which would be Germany’s first two-year recession in over a decade. Austria, whose economy is very dependent on Germany, will face the same fate. Indeed, the Economist’s “Trump Risk Index” (TRI) anticipates that Trump’s presidency will have a noticeable negative influence on Germany’s economy. On a scale from zero (least exposure) to 100 (most exposure), the Index places Germany at 52.9: the third most exposed country in the worldwide ranking. Only Mexico and Costa Rica score higher.  

Why is Germany so vulnerable? The score takes three categories into account: trade, security and immigration. The numbers show that Germany’s high dependency on US security provision (TRI: 72.8) poses the highest risk after decades of underinvestment in national defence. On the other hand, it also reveals a high TRI score in trade (55.5) caused by a bilateral trade surplus, where Germany’s exports into the US are greater than its imports. The German steel, aluminium and automotive sectors are especially vulnerable due to an expected tariff rise by the end of 2025.  

The ramifications for Germany will be both economic and political. An ongoing recession in 2025 due to the Trump administration’s actions would lead to increased prices, while wages are unlikely to keep pace with inflation, resulting in an increasing number of the population struggling financially. A lowered GDP forecast for 2024 and 2025 after Trump’s victory puts even more pressure on Germany.  

Such economic pressures may bolster support for Germany’s populist parties, the far-right Alternative für Deutschland (AfD) and the left-wing Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Both parties use nationalist, Eurosceptic, anti-immigration and pro-Russian rhetoric. After the collapse of the current government, the next elections, which will take place ahead of schedule in February, may produce similar outcomes to the elections in the US and Austria this autumn. A struggling population is more likely to be perceptive to populist rhetoric such as the promise to end the support for Ukraine, anti-immigration slogans or the creation of “us against them”.   

Lessons learned? 

Before electoral campaigns begin in earnest, Germany’s moderate parties need to take action to avoid a reflection of the American political outcome. In the upcoming election, citizens are likely to prioritize bread and butter issues. Inflation and higher costs of living incite doubt in the population, causing citizens to question where the government’s priorities lie: domestically or abroad. Those who have flown regularly are familiar with the emergency protocol: put on your own oxygen mask before helping others. From there, it is only a small step to wanting to put “Germany first”. This is most likely the reason why voters are questioning the EU and Germany’s support for Ukraine or why they are afraid of immigrants.  

However, the fearmongering of moderate politicians in the hope of making bordering racist and populist ideas their topic is not helping in the long run. Such election campaigns only drive more people into the arms of racist or populist parties. The independent US senator  Bernie Sanders warned a year before the Presidential election that it is crucial for the parties of the democratic middle to focus on what their core values are, to be authentic and to “see” the struggle of the ordinary people instead of trying to implement pieces of the agenda of populists. This applies to Germany now if politicians of the democratic middle want to do better than the American Democrats. Poll after poll revealed that inflation and rising living costs were among the most important topics for American voters. Yet the Democrats failed to address these concerns convincingly.  

The most important lesson for moderate German and European politicians is to take note of the financial hardships that inflation causes citizens and to take these problems seriously. German parties, limited by Germany’s legally binding debt brake, need to find a way to work around its limitations to relieve the population. This will be challenging because the debt brake is in the Basic Law of Germany and can only be changed with a two-thirds majority. Addressing this recognises the situation as an economic emergency. Using the instruments at their disposal to prevent price gouging – such as establishing strategic government petroleum reserves, which would be released in times of high petrol prices – Germany’s political parties can buffer the worst effects and the rising costs of living. Controlling inflation would, in turn, strengthen democracy.  

So far, none of this seems to be on the radar of Germany’s moderate political parties. There needs to be a credible promise that the economic policies of democratic parties will improve people’s living conditions. This is essential to stop a further rise of right-wing extremist parties such as the AfD. Otherwise, Germans will need to prepare for difficult times ahead.  

 

Hanna Obermüller – a student enrolled in the Master’s programme Peace and Security Studies at Hamburg University. She spent two months working as a trainee at the IDM.

IDM Short Insights 41: Bulgaria and Romania join Schengen (finally!)

During the Justice and Home Affairs Council meeting on 12 December 2024, it was confirmed that Bulgaria and Romania will become full Schengen members in January 2025. The two Black Sea countries have long pursued Schengen membership, with the European Commission deeming them ready since 2011—a stance repeatedly confirmed by experts. After the Netherlands withdrew its veto, Austria’s objection remained, citing illegal migration concerns.

However, domestic politics also played a role in Austria’s stance. As an intermediary step „Air Schengen“ was established, enabling Bulgaria and Romania to lift controls at air- and sea ports, however, it affected fewer people and posed fewer issues like long waits, bureaucracy, or CO2 emissions. Prolonging this arrangement risked creating a two-tier EU, where some member states enjoy full rights despite meeting all criteria, setting a potentially dangerous precedent. This delay also fueled perceptions in Bulgaria and Romania of being treated as second-class EU citizens and diverted attention from more urgent matters in Brussels.

Nevertheless, this situation is now resolved and IDM Director Sebastian Schäffer together with IDM Research Associate Sophia Beiter are very happy that the activities of the institute have contributed a little bit to this positive development through.

Transcript: 

Now it is official.

Bulgaria and Romania will join the full Schengen area.

During the last Justice and Home Affairs Council meeting in December 2024, it was decided that Bulgaria and Romania will become full Schengen members in January 2025. The two Black Sea countries have long fought membership and the European Commission deemed them ready back in 2011. This was subsequently reaffirmed by experts. The Netherlands lifted their veto, however, Austria still had reservations on the ground of illegal migration. However, there are certainly also political reasons behind this decision.

In 2023, the implementation of air Schengen was agreed upon. This made it possible for Romania and Bulgaria to lift border controls in sea and air traffic from April 2024 on. However, border controls on land remained in place. The implementation of air Schengen was seen as a positive step in the right direction, but it was never a permanent solution.

First of all, border controls in air traffic affect far less people and are also far less problematic in terms of bureaucracy, waiting times and CO2 emissions. And secondly, a possible stagnation on the level of air Schengen would have created a two-tier EU, where some enjoy more rights than others even though they also fulfill all necessary requirements, setting a potentially dangerous precedent for the future. It would have also been a relatively easy win for European integration.

The next Schengen enlargement can only happen after an EU enlargement, and it took attention away from more important things that Brussels could focus on. Additionally, it fueled sentiments in the Bulgarian and Romanian societies, because they felt as second-class citizens.

Now that the veto is lifted, Austria declared that far less migrants have arrived at the Hungarian border.

Nevertheless, we could certainly say that there was probably no more political capital to gain, but a lot of economic capital to lose. With all obstacles cleared, Bulgaria and Romania are now set to become full Schengen members, marking a significant milestone in their European integration journey.

This accession is not only valuable for the European economy, businesses and consumers, it also shows a clear signal of inclusivity, solidarity and unity at the European level.

And we are very happy that we were able to contribute a little bit to these positive developments through our activities at the IDM.

Congratulations to Bulgaria and Romania!

IDM Short Insights 40: Europe Speech 2024: Key future challenges for the EU

The Europe Speech is an annual event where presidents and chairs of European institutions and committees share their perspectives on the EU’s future. In 2024, David McAllister, Chair of the Committee on Foreign Affairs in the European Parliament, delivered the Europe Speech. He addressed key challenges the EU will face in the upcoming legislative period, focusing on issues such as climate policy, migration, and the importance of a robust EU defence and foreign policy. In the latest Short Insight, IDM Research Associate Sophia Beiter reports from Berlin and presents the most important takeaways from this year’s Europe Speech.

Transcript:

The Europe Speech is an annual speech, organised by the Konrad Adenauer Foundation, where presidents and chairs of EU institutions, organisations and committees share their perspectives on the future of the EU. In that way, this speech also intends to foster a better connection between the EU citizens and their highest representatives. Here are five key facts you need to know about the 15th Europe Speech in 2024.

WHO
In previous years, leaders such as Charles Michel, Ursula von der Leyen and Roberta Metsola gave the Europe Speech. This year, the address was given by David McAllister, who is the Chair of the European Parliament’s Committee on Foreign Affairs and in that role oversees and contributes to shaping the EU’s foreign policy.

WHERE and WHEN
As a symbol of a united Europe, the Europe Speech every year takes place on or around the anniversary of the fall of the Berlin Wall at its historic site in Berlin. This year, the Europe Speech took place on 7th November in the Allianz Forum next to the Brandenburg gate.

TOPICS
Just a few days after the U.S. presidential elections and one day after the collapse of the German government, David McAllister used his speech to explore the future of the EU in the next legislative period. He spoke about the milestones, the EU already managed to meet, future challenges, especially also regarding the transatlantic relations, and the need to support Ukraine

LOOKING BACK

In the light of the results of the US elections, David McAllister started his speech with a – also still to our times fitting – quote by Konrad Adenauer from 1950. Adenauer back then said: What does Europe live on? It lives by the grace of the United States. But it will not always be this way. One day, Europe will and must be able to help itself again and stand on its own two feet. 

KEY CHALLENGES

McAllister mentioned the five key challenges for the next EU legislative period:

  1. Competitiveness of the EU. Though an effective industrial strategy, some deregulation and reduction of bureaucracy , the EU needs to become more competitive.
  2. Climate policy. The EU should stick to its goal to become the first climate neutral continent by 2050. It needs to implement the Green Deal, without affecting the EUs competitiveness in a bad way
  3. Migration. The EU needs skilled workers, but it also needs to stop illegal migration, according to McAllister. The EU external borders need to be protected better to preserve a Europe without internal borders. 
  4. Institutional reform. Considering the potential accession of new candidate countries, the EU needs to reform itself. If the EU wants to enlarge in the 2030ies, it needs to start thinking about and implementing a reform of the EU institutions now, to become operational and more effective again, even with more members.
  5. Common foreign and security policy of the EU. The EU needs to strengthen its competencies in the realm of hard power. The new Commissioner for Defence needs to work towards boosting the European defence industry and towards supporting joint procurement and training of soldiers. In that way, we need to work towards a fully fledged European defence Union, how Ursula von der Leyen called it. 

Wie der ukrainische Einmarsch in Russland nicht-westliche Länder herausfordert

Die Forderungen Pekings und anderer nichtwestlicher Hauptstädte nach einem Waffenstillstand und Verhandlungen zwischen Moskau und Kyjiw haben nach der ukrainischen Besetzung westrussischer Gebiete neue Bedeutung erlangt. Ein ernsthafter Vorstoß Chinas oder anderer nicht-westlicher Länder für eine russisch-ukrainische Einigung könnte nun zu sinnvollen Friedensgesprächen führen. 

Der unerwartet lange und tiefe Einmarsch der Ukraine in russisches Staatsgebiet seit dem 6. August 2024 hat die Diskussion über den Russisch-Ukrainischen Krieg verändert. Die wichtigste internationale Auswirkung, die die ukrainische Überraschungsaktion, alias Kursker Operation haben könnte, ist jene auf offiziell neutrale nicht-westliche Länder wie China, Indien oder Brasilien. Der Westen unterstützte die Ukraine und wird dies auch weiterhin tun – unabhängig von der Kursker Operation und ihrem Ausgang. Im Gegensatz dazu führt eine längere ukrainische Besetzung legitimen russischen Staatsgebiets zu einer neuen Dimension in der nicht-westlichen Herangehensweise an den Krieg. 

Wenn Moskau die ukrainische Offensive nicht bald vollständig zurückschlägt, verändert dies die Position Kyjiws in hypothetischen Verhandlungen, die seit Beginn des Krieges 2014 von vielen international Akteuren gewünscht werden. Bisher musste sich Kyjiw in seiner Kommunikation mit ausländischen Partnern ausschließlich auf moralische und rechtliche Argumente stützen, die sich auf die regelbasierte Weltordnung beziehen. Im Gegensatz dazu ist nun ein weniger normativ geprägter, eher transaktionaler und einfacherer „Land für Land“-Deal zwischen Russland und der Ukraine theoretisch möglich geworden. 

Eine neue Kriegswahrnehmung 

Seit dem 6. August versucht Kyjiw neue Fakten vor Ort zu schaffen. Mit ihrer Kursker Operation will die Ukraine von den früheren „Souveränität/Sicherheit/Land gegen Frieden“-Deals zu einem intuitiveren Gebietsaustausch übergehen. 

Die Idee ist, dass die Ukraine die kürzlich eroberten russischen Gebiete, im Austausch für die von Russland eroberten ukrainischen Gebiete zurückgibt. 

Diese Formel bringt Putin in eine schwierige Lage: Einerseits ist der anhaltende Kontrollverlust Moskaus über legitimes russisches Staatsgebiet eine enorme Blamage für den Kreml. Andererseits sind die annektierten ost- und südukrainischen Gebiete nach der russischen Verfassung, die 2014 und 2022 überarbeitet wurde, nun aus Moskauer Sicht auch offizielles Eigentum Russlands.  

Für den Großteil der russischen Elite und Bevölkerung ist nichtsdestoweniger die Wiederherstellung der vollständigen Kontrolle Moskaus über das eigene geografische Terrain wichtiger als eine dauerhafte Besetzung illegal erworbener Gebiete, die der Rest der Welt ohnehin als ukrainisch betrachtet. Die Integration der annektierten Gebiete in den russischen Staat und die russische Wirtschaft ist zudem kostspielig und wird es auch in Zukunft bleiben. Die illegalen Annexionen ukrainischer Regionen werden die Entwicklung Russlands weiterhin behindern, indem sie Ressourcen verschlingen und die westlichen Sanktionen aufrechterhalten. 

Der nichtwestliche Faktor 

Die neue ukrainische Strategie seit dem 6. August könnte nicht nur für die Befürworter einer Entspannungspolitik in der russischen Führung, sondern auch für bestimmte Partner Russlands auf internationaler Ebene – vor allem für China – einen neuen Faktor darstellen. Gemäßigte Kräfte sowohl in der russischen Regierung als auch in den Kabinetten anderer Länder, die an einem Ende des Krieges interessiert sind, können nun argumentieren, dass die ukrainischen Annexionen rückgängig gemacht werden sollten, um im Gegenzug die territoriale Integrität Russlands wiederherzustellen. Die Idee eines solchen Land-für-Land-Deals wird mit jeder weiteren Woche, in der die Ukraine ihre eroberten Gebiete in Russland halten kann, populärer werden. Zumindest wird der Druck auf Putin zunehmen, die verlorengegangenen Gebiete endlich wieder unter Moskaus Kontrolle zu bringen – sei es mit militärischen oder diplomatischen Mitteln. 

Wenn Russland den Einfall der Ukraine mit konventionellen Waffen nicht rückgängig machen kann, könnte es versuchen, dies durch Einsatz von Atom- oder anderen Massenvernichtungswaffen zu tun. Eine solche Eskalation würde jedoch in der gesamten internationalen Gemeinschaft Reaktionen hervorrufen und den Charakter des Krieges grundlegend verändern. Der Ausgang der „speziellen Militäroperation“ würde damit nicht nur für Kyjiw, sondern auch für Moskau völlig unvorhersehbar werden. Auch russische Partner wie China und Indien würden sich gegenüber einem unberechenbaren Moskau neu positionieren – eine Entwicklung, die für die russische Wirtschaft katastrophal sein könnte. 

Für Putins Regime sind beide Szenarien – anhaltende Demütigung in Kursk oder nukleare Eskalation – riskante Wege. Sie könnten auch in Peking und anderen nicht-westlichen Hauptstädten als unerwünscht angesehen werden. Vor diesem Hintergrund könnte ein „Land für Land“-Deal – der freilich von Moskau abgelehnt wird – an Bedeutung gewinnen. Solange die Besetzung russischer Gebiete durch die Ukraine anhält, könnte eine diplomatische Lösung nicht nur für Teile der russischen Elite, sondern auch für Regierungen wichtiger Drittstaaten zunehmend zum bevorzugten Kriegsausgang werden. 

In den letzten zweieinhalb Jahren haben sich eine Reihe offiziell neutraler Nationen auf der ganzen Welt für ein sofortiges und bedingungsloses Ende der Kämpfe und für Verhandlungen zwischen Moskau und Kyjiw ausgesprochen. So werden beispielsweise in Chinas 12-Punkte-Friedensplan vom Februar 2023 unter den Punkten 4 und 5 ein Waffenstillstand und „Beginn von Friedensgesprächen“ erwähnt. Der gemeinsame brasilianisch-chinesische 6-Punkte-Friedensplan vom Mai 2024 schlägt unter anderem vor, dass „[a]lle Parteien die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des direkten Dialogs schaffen und auf eine Deeskalation der Situation bis zur Verwirklichung eines umfassenden Waffenstillstands drängen sollten. China und Brasilien unterstützen eine internationale Friedenskonferenz, die zu einem angemessenen Zeitpunkt stattfindet und sowohl von Russland als auch von der Ukraine anerkannt wird, mit gleichberechtigter Beteiligung aller Parteien sowie einer fairen Diskussion über alle Friedenspläne.“ 

Ende September 2024 wurde unter der Führung Chinas auf einer Sitzung der UN-Generalversammlung eine sogenannte „Freunde des Friedens“-Gruppe zum russisch-ukrainischen Krieg gegründet. Das chinesische Außenministerium gab in diesem Zusammenhang bekannt, dass „China hofft, dass die beteiligten Parteien zu gegebener Zeit die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen in Betracht ziehen, sich in ihrem Dialog auf halbem Weg begegnen und nach Gemeinsamkeiten suchen, während sie Differenzen in ihren Verhandlungen beiseitelegen, alle Friedenspläne fair diskutieren und die Schaffung einer neuen Sicherheitsarchitektur fördern.“ Hauptfrage ist, ob die Mitglieder der Friedensfreunde-Gruppe oder andere nicht-westliche Länder, die offiziell neutral im Krieg sind, nun durch Taten und nicht nur Worte zu Unterstützern eines gerechten russisch-ukrainischen Friedens anstatt eines russischenSiegfriedens über die Ukraine werden. 

Widersprüchliche Interessen 

Bis vor Kurzem implizierten verschiedene nicht-westliche Friedenspläne und ähnliche Vorschläge, eine mehr oder weniger weitreichende ukrainische Befriedigung russischen territorialen und politischen Appetits. Seit Anfang August 2024 hat die Ukraine mit der Eroberung russischen Staatsgebiets die Grundlage für ein Abkommen zwischen den beiden Staaten geschaffen, das auf einem Tauschgeschäft basiert, anstatt auf dem bisher implizierten ungerechten Frieden. Inwieweit werden verhandlungs- und friedensbefürwortende nichtwestliche Länder, allen voran China, auf diese neue Situation reagieren? 

Wladimir Putin und andere Vertreter des russischen Regimes haben zwar deutlich gemacht, dass das Eindringen der Ukraine in Russland Verhandlungen unmöglich gemacht hat. Diese Abkehr von der zehnjährigen öffentlichen Befürwortung russisch-ukrainischer Friedensgespräche durch den Kreml überrascht nicht. In der aktuellen Situation bedeutet ein Waffenstillstand nicht mehr eine de facto Kapitulation der Ukraine unter dem Deckmantel einer diplomatischen Einigung. Jetzt wären Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine wirklich sinnvoll, da beide Länder Gebiete zu gewinnen und verlieren haben. Damit haben Friedensgespräche jedoch auch ihre Funktion für den Kreml verloren. Moskau kann sich bisher nur einen militärischen oder diplomatischen Sieg über Kyjiw als Weg vorstellen, den Krieg zu beenden – und nicht eine für beide Seiten akzeptable Einigung. 

Russland ist jedoch wirtschaftlich und technologisch auf ausländische Unterstützung angewiesen, vor allem auf die Chinas. Einige der wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Verbündeten Russlands wie Nordkorea, der Iran oder Syrien sind an einem vollständigen Sieg Moskaus interessiert und werden die russische Aggression so weit wie möglich unterstützen. Andere Länder, die Russland mehr oder weniger freundlich gesinnt sind, darunter China, Indien oder Brasilien, könnten dagegen in ihren Regierungen, Parlamenten, Volkswirtschaften und Gesellschaften widersprüchliche interne und externe Interessen haben. Einige politische und gesellschaftliche Lager dürften eine Fortsetzung des Krieges und einen Sieg Russlands befürworten, während andere lieber einen baldigen als einen späteren sowie einen gerechten statt einen ungerechten Frieden bevorzugen. 

Peking hat bisher sowohl wirtschaftlich als auch geopolitisch stark vom russisch-ukrainischen Krieg profitiert. Der Krieg hat neue Geschäftsmöglichkeiten für China und auch andere Länder auf der ganzen Welt geschaffen, die sich nicht an den westlichen Sanktionen gegen Russland beteiligen. Peking hat in Moskau nicht nur einen wertvollen Juniorpartner in seiner geopolitischen Konfrontation mit Washington gewonnen. Seit Februar 2022 lenkt der russisch-ukrainische Krieg die Aufmerksamkeit der Vereinigten Staaten und des gesamten Westens vom indopazifischen Raum ab und beansprucht immer mehr westliche finanzielle, militärische und andere Ressourcen in Osteuropa. Andererseits bringt die Fortsetzung des Krieges mit jedem weiteren Monat mehr Risiken und Nachwirkungen mit sich, und nicht nur für den Westen. Einige transkontinentale Auswirkungen der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine und der sich verschärfenden bislang nichtkinetischen Konfrontation Moskaus mit dem Westen könnten weder im wirtschaftlichen noch im politischen Interesse Chinas und anderer bislang inaktiver Zuschauer liegen. 

Nukleare Szenarien 

So hat der russische Präsident Putin Ende September 2024 Pläne für eine Lockerung der Beschränkungen für den Einsatz von Atomwaffen in der künftigen Formulierung der russischen Militärdoktrin angedeutet. Putins Ankündigung – selbst, wenn sie tatsächlich in offiziellen russischen Dokumenten umgesetzt wird – sowie ähnliche Signale aus Moskau in jüngster Zeit dürften zwar lediglich eine Fortsetzung des nuklearen Bluffens des Kremls sein, das mit der Annexion der Krim durch Russland im März 2014 begonnen hat. Dennoch untergraben Russlands immer aggressiverer Krieg in der Ukraine und Moskaus fortgesetzte Drohungen mit einer atomaren Eskalation bereits die normativen und psychologischen Grundlagen des weltweiten Nichtverbreitungsregimes für Kernwaffen. 

Mit dem Fortschreiten des Krieges steigt die relative Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Eskalation mit schwerwiegenden Folgen für nicht nur Osteuropa, sondern auch das Weltsicherheitsystem kommt. Die ukrainische Nuklearhistorikerin Mariana Budjeryn der Harvard-Universität hat kürzlich darauf hingewiesen, dass ein Russland, welches in der Ukraine auf dem Siegespfad ist, eher Atomwaffen einsetzen könnte, um seinen Sieg zu vervollständigen, als eine Russische Föderation, die den Krieg gegen die Ukraine verliert. Ein solches Verhalten Russlands würde in gewisser Weise dem Muster des ersten und bisher einzigen Einsatzes von Atomwaffen folgen, d. h. dem Verhalten der USA im August 1945 gegenüber Japan. Im schlimmsten Fall könnte die anhaltende öffentliche Einschüchterung westlicher Länder, die die Ukraine unterstützen, durch den Kreml – die auf einen Dritten Weltkrieg hinausläuft – zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden. Man fragt sich, ob China, Brasilien oder Indien an einer solchen Entwicklung interessiert sind. 

Auch zeichnet sich immer mehr ein entgegengesetztes Szenario für Instabilität: Der Krieg könnte mit einer vernichtenden militärischen Niederlage Russlands in der Ukraine enden. Dies wiederum würde nicht nur zu einem Regimewechsel in Moskau führen, sondern könnte auch eine teilweise oder gar vollständige Auflösung der Russischen Föderation in mehrere kleineren Staaten zur Folge haben. Dies ist ein mögliches Kriegsergebnis, das kürzlich etwa von dem bekannten russischen Zeithistoriker Professor Alexander Etkind, als mögliches Zukunftsszenario diskutiert wurde. Etkind vergleicht das Vorgehen des späten Österreich-Ungarns mit dem Verhalten Russlands 100 Jahre später. 1914 hatte die habsburgische Doppelmonarchie paradoxerweise einen Weltkrieg begonnen, der 1918 schließlich zum Zerfall des österreichisch-ungarischen Landimperiums führte. Im Jahr 2014 begann die Russische Föderation den russisch-ukrainischen Krieg, der schließlich zum Zerfall des Moskauer postsowjetischen Rumpfimperiums führen könnte. 

Einige Beobachter vermuten, dass dieses Szenario einer der Gründe ist, warum Peking den russisch-ukrainischen Krieg durch seine seit 2022 intensivierte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Moskau zynisch anheizt. Je länger der Krieg andauert, so die mögliche Logik Chinas, desto wahrscheinlicher wird ein Auseinanderbrechen der Russischen Föderation und die Öffnung von Territorialfragen entlang ihrer derzeitigen Grenze. Dies beträfe unter anderem die heute russischen und ehemals chinesischen Gebiete im Fernen Osten, die das Zarenreich in den sogenannten „ungleichen Verträgen“ des 19. Jahrhunderts, darunter im Vertrag von Aygun von 1858 und in der Ersten Konvention von Peking von 1860, erhielt. Die in diesen Akten übertragenen Gebiete werden heute als „Äußere Mandschurei“ bezeichnet und haben angesichts der ukrainischen Siedler, die nach der Annexion des chinesischen Gebiets an das späte Romanow-Reich dorthin zogen, auch den inoffiziellen Beinamen „Grüne Ukraine“. Im September 2024 schlug der Präsident der Republik China, d.h.Taiwans, William Lai, der Volksrepublik vor, dass, wenn sie an Irredenta interessiert sei, dies vor allem die nordöstlichen chinesischen Gebiete betreffen sollte, die während des sogenannten „Jahrhunderts der Demütigung“ Chinas an Russland verloren gegangen waren. 

Sollte Peking tatsächlich insgeheim eine Zersetzung des russischen Staates durch die Fortsetzung des russisch-ukrainischen Krieges fördern, wäre dies jedoch eine heikle Strategie. Sie würde nicht nur nördlich von China eine Zone der Instabilität schaffen. Sollte Russland infolge des Krieges tatsächlich zerfallen, könnten einige der nordasiatischen Nachfolgerepubliken, die aus der derzeitigen Pseudoföderation hervorgehen, zu Atomwaffenstaaten werden. Ob russische Kernsprengköpfe in einem oder in mehreren Nachfolgestaaten der derzeitigen Russischen Föderation enden würden, wäre vielleicht unerheblich. Die meisten der eventuellen post-russischen Staaten, Kleinstaaten und Gebiete werden hauptsächlich von ethnischen Russen bevölkert sein. Obwohl sie sich voneinander trennen, könnten sie sich dennoch grenzübergreifend solidarisch genug fühlen, um sich gegenseitig gegen nicht-russischen Irredentismus zu unterstützen – auch gegen den Chinas. 

Schlussbemerkungen 

Ob Russland in seinem Krieg gegen die Ukraine vollständig gewinnt oder spektakulär verliert, die internationalen Auswirkungen beider Szenarien werden beträchtlich sein. Ein vollständiger Sieg Russlands würde das UN-System sowie das nukleare Nichtverbreitungsregime völlig aus dem Gleichgewicht bringen. Es könnte sogar, wie Budjeryn im Bulletin of the Atomic Scientists angedeutet hat, zur Explosion eines oder mehrerer nuklearer Sprengköpfe kommen. 

Wenn Russland in der Ukraine auf demütigende Weise verliert, wird die daraus resultierende politische Instabilität in Moskau weitreichende Auswirkungen haben. Auf die eine oder andere Weise würde sich dies auch auf die internationale Sicherheit auswirken. Der russisch-ukrainische Krieg hat China und dem globalen Süden zwar viele politische und wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnet. Doch häufen sich die negativen Nachwirkungen und globalen Risiken nicht nur für die Ukraine und den Westen, sondern auch darüber hinaus. 

Die kommenden Monate werden zeigen, wie stark die pazifistischen versus bellizistischen, risikofreudigen versus risikoscheuen Neigungen in verschiedenen relevanten nicht-westlichen Nationen sind. Werden Peking und/oder andere mächtige nicht-westliche Hauptstädte bereit und in der Lage sein, die Gelegenheit zu ergreifen, Moskau von einer Feuerpause entlang der gesamten Frontlinie, d. h. auch innerhalb Russlands, zu überzeugen? Sind Länder wie China, Indien und Brasilien stark genug am Frieden interessiert, um ihr internationales Gewicht einzusetzen und Russland zu ernsthaften Verhandlungen zu zwingen? 

Werden die großen nicht-westlichen Länder ein gemeinsames Interesse mit dem Westen an einem gerechten Frieden zwischen der Ukraine und Russland erkennen und die vom Kreml angestrebte Kapitulation der Ukraine nicht zulassen? Werden Peking und andere nicht-westliche Länder bereit und in der Lage sein, den Kreml zu zwingen, den Kriegspfad über einen Ausweg, anstatt über eine Siegesallee zu verlassen? Die ambivalente Situation, die die Ukraine mit ihrer Kursker Operation seit Anfang August 2024 geschaffen hat, könnte die letzte Chance sein, eine Ausweitung des Krieges über die russisch-ukrainische Front hinaus zu verhindern. 

 

Dr. Andreas Umland ist Analyst am Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien (SCEEUS) des Schwedischen Instituts für Internationale Angelegenheiten (UI). 

 

Belarus‘ Political Prisoner Releases: Humanitarian Gesture or Strategic Move?

In September, ahead of Belarus’s newly established National Unity Day, Belarusian leader Aliaksandr Lukashenka signed a decree pardoning 37 individuals convicted of “extremist crimes.” This is the fourth wave of political prisoner releases since July, bringing the total to 115 men and women. However, it is only a small fraction of the estimated 1,300 political prisoners currently incarcerated for their political views. Many are on the humanitarian list, requiring immediate release due to health, age or other reasons.  

The repressions in Belarus, which began in 2020 after the controversial presidential elections, have resulted in over 300,000 people fleeing the country. This situation has drawn significant international attention, with human rights organisations, Nobel laureates and members of the European Parliament (MEPs) advocating for amnesty.  

The first acquittals this year officially took place under the “Law on Amnesty in Connection with the 80th Anniversary of Belarus’s Liberation from Nazi Occupation.” Since then, there has been a prisoner exchange involving Russia, Belarus and Western countries, followed by another decree pardoning 30 people “convicted of protest-related offenses.” Grigory Kostusev, leader of the opposition party Belarusian People’s Front, who suffers from cancer and had been sentenced to a 10-year prison term, is among those now on parole. 

According to Belarusian authorities, all pardoned individuals “admitted their guilt, sincerely repented of their actions and committed to leading a law-abiding life.” After their release, the former prisoners will be under the control of the Ministry of Internal Affairs, except for German citizen Rico Krieger, who had previously been sentenced to death in Belarus but was allowed to return to Germany after the prisoner exchange. However, the release process has not prevented ongoing repressions, with new arrests and trials taking place almost daily. Well-known political figures, including Siarhei Tsikhanouski, Mikola Statkevich, Viktar Babaryka and Maria Kalesnikava, remain incommunicado. 

Calls for amnesty: Nobel laureates and European Parliament responses 

Earlier this year, a group of Nobel laureates made their first public appeal to EU leaders, calling for the release of political prisoners in Belarus. The letter, signed by prominent figures, urged European countries to prioritise human rights over commercial interests. The signatories emphasised that the economic goals of EU nations should not take precedence over their duty to protect innocent people who have become victims of the Belarusian regime. Additionally, they stressed the importance of defending the rights not only of Belarusians but also of national minorities, who continue to face severe discrimination under the current government. 

Later in the year, the same group of Nobel laureates addressed an open letter to Lukashenka, expressing cautious approval of recent developments in Belarus. In their letter, they acknowledged these early steps as a positive move toward addressing human rights concerns in the country, though the broader context of continued repression remained a pressing issue. The message conveyed the hope that these initial actions would pave the way for more comprehensive reforms and the eventual release of all political prisoners. 

The European Parliament has now also adopted a resolution addressing the worsening conditions of political prisoners in Belarus. The resolution expresses deep concern over the treatment of many prisoners, particularly those who have been deprived of communication with the outside world for extended periods, often for months or even years. Many of these individuals are reported to be suffering from severe health issues due to prolonged isolation, mistreatment and, in some cases, torture. The European Parliament calls on Belarusian authorities to provide transparent information about the conditions of political prisoners and to grant access for lawyers, family members and representatives of the International Committee of the Red Cross. 

The resolution also highlights broader concerns about political repression in Belarus, noting that since 2020, around 300,000 Belarusians have been forced to flee the country to escape persecution. MEPs urged the European Union to strengthen sanctions against individuals and entities responsible for these repressions. Furthermore, they emphasised the need to hold the Lukashenka regime accountable for its human rights violations and to apply the principle of universal jurisdiction in seeking justice for the crimes committed. 

Lukashenka’s strategy: humanitarian gesture or political calculation? 

Are these amnesties a genuine humanitarian gesture or part of a calculated political strategy? Lukashenka’s actions appear to serve dual purposes, directed both at domestic and international audiences. Internally, the releases may signal the start of the presidential election campaign for 2025, with Lukashenka seeking to improve his image as a more humane and benevolent leader. The deaths of political prisoners in Belarusian prisons have reportedly caused discomfort even among his supporters, compelling him to bring this issue to the forefront. At the same time, the fact that Belarusians continue to be arrested for political reasons is intended as a signal to Belarusian society that the course of transition from authoritarianism to totalitarianism is irreversible and that repressions will continue.  

Externally, Lukashenka seeks recognition of the 2025 presidential election results from Western countries, viewing amnesty as a subject for bargaining with the European Union. By releasing a limited number of political prisoners, he is testing the West’s willingness to engage in negotiations. However, these gestures have thus far failed to yield the expected diplomatic response. The general tone is reflected in the statements of the spokesperson for the European External Action Service, Peter Stano. According to the statement, the EU acknowledged the release of several political prisoners in Belarus, noting that these individuals had been convicted for participating in peaceful protests following the widely disputed 2020 presidential elections. However, the EU also urged Belarusian authorities to go further, calling for the immediate and unconditional release of all remaining political prisoners. 

Indeed, the West’s conditions for normalising relations with Belarus remain clear: Belarus must stop supporting Russia’s aggression against Ukraine, release all political prisoners, and conduct free and fair elections. Lukashenka’s unwillingness to fulfil these conditions presents a fundamental obstacle to improving relations. This divergence between the priorities of Belarus and the West — a ‘mismatch between supply and demand’ — continues to hinder any meaningful resolution.  

Conclusion 

The recent pardoning of political prisoners in Belarus, while seemingly a step forward, remains a tactical manoeuvre by Lukashenka rather than a genuine humanitarian gesture. While the pardons have been framed domestically as compassionate acts, they are overshadowed by the fact that over 1,300 political prisoners remain incarcerated, and ongoing repressions show no signs of easing. Lukashenka’s releases, which target a Western audience, appear aimed at testing whether symbolic gestures can ease sanctions or improve diplomatic relations with the West. However, given the deeper issues — such as Belarus’ support for Russia’s invasion of Ukraine and the crackdown on dissent — the West is unlikely to engage meaningfully without more substantial changes. The releases, while a signal, are too small to reverse Belarus’s deepening isolation or to change the perception of Lukashenka as a leader entrenched in repressions. Yet the overture reflects Minsk’s discomfort with total dependence on Moscow and hints at Lukashenka’s desire to maintain some degree of autonomy, especially with the upcoming 2025 presidential elections. Whether this manoeuvre succeeds or not remains to be seen, but the road to normalised relations with the West is long and fraught with obstacles. 

Call for action! 

Every year it becomes more challenging to support political prisoners. The authorities are determined to break the solidarity of Belarusians and block opportunities to support those who are in prison. In the face of numerous restrictions imposed on political prisoners, several human rights organisations like Viasna have gathered possible ways to support political prisoners from abroad. 

How can you help political prisoners in Belarus?   

1) Write letters – this remains the main method of communication for political prisoners. Letters and postcards can be sent online via Maysternya Pashtovak Salidarnasci (volunteer initiative), pismo.bel (service) or Viasna Manual. 

If you consider helping political prisoners in Russia by sending them letters, please check the following websites and initiatives: OVD-Info/ human rights in Russia monitoring & advocacy; Solidarityzone; RussiansAgainstWar 

2) Send parcels. You can support political prisoners with “a real gift: a parcel with sweets and a pleasant knick-knack.” 

3) Support people in open-type correctional institutions 

4) Support people in home confinement 

5) Support families of political prisoners 

6) Fundraise to support the repressed Belarusians #BYSOL 

7) Share information  

You can find more information and tips on the following websites: Viasna and Libereco 

 

Kamila Bogdanova – is a Research Assistant at the IDM and a student in the Master’s program in International Relations at Masaryk University (Brno, Czechia). She holds a BA degree in International Area Studies from Charles University (Prague, Czechia). 

IDM Short Insights 39: Presidential Elections and a Referendum in Moldova

On 20 October, Moldova will hold presidential elections and a referendum that will decide on amending the Constitution with a view to the accession of the country to the European Union. In the latest IDM Short Insight, IDM Director Sebastian Schäffer reports directly from Chișinău and explains what impact the votes could have and how Russia is trying to intervene in the process of the elections and the referendum.

Transcript

This coming Sunday there will be a decisive election here in the Republic of Moldova. Not only is the reelection of the current president Maia Sandu on the ballot, but also the question if the goal of European integration should be inserted into the constitution of the Republic of Moldova.

It’s currently unclear if there will be a majority for this constitutional change. Roughly 40% would be in favour of it, 40% against it and 20% are still undecided. There’s also the question if Maia Sandu will be reelected as President. She’s currently leading in the polls, with roughly one third of the votes. However, the 9 other candidates are almost evenly split, with a frontrunner coming from the party of Socialists, Alexander Stoianoglo. The question will be if the votes for the other mostly independent candidates – amongst them the former Baskan of Gagauzia Irina Vlah – will be then going to Maia Sandu or towards the second placed candidate.

In any case, there is more at stake here: the question of a European future for the country, and this decision is heavily influenced by disinformation coming from the Kremlin. There has been a big disinformation campaign uncovered by an investigative journalist just yesterday. And we will see if the propaganda that is coming from Moscow, will tear this country back into the realm of the Kremlin.

We hope that there will be a European future for the country. However, what we need to do is also discuss and maybe decouple this question between an election for the President and the vote in the constitutional amendment.

This is not something that is happening here. There is quite a nervousness in the country, especially the fear of people, that if the negative referendum will close the European path and also block maybe the future accession negotiations. I don’t think that this would be necessarily the case. It’s not a referendum on joining the European Union or not. But of course, the stakes are very high, the situation is very tense and we also do not see a lot of advertisements on the streets, but it’s rather on TV, and on social media channels. So the battle is fought on the virtual space, which is, of course, also heavily influenceable.

We will, of course, continue to talk about the developments in the country regardless of the outcome. In any case, we hope for a European future for the Republic of Moldova.

IDM Short Insights 38: An election poster or a crime?

A controversial election campaign in the Czech Republic risks further polarising society. The Czech Freedom and Direct Democracy party (SPD) is facing criminal allegations after using overtly racist and biased posters as part of its election campaign. In the latest IDM Short Insight, Research Assistant Kamila Bogdanova explains why the Prague police and the Czech Constitutional Court are investigating the case.

 

Transcript:

The Prague police have initiated criminal proceedings against the Freedom and Direct Democracy party (SPD) for using a controversial poster ahead of the regional council elections. The suspected crime is the incitement of hatred towards a specific group of people. Due to the severity of the case, the Czech Constitutional Court will also investigate the election campaign. 

The poster features a dark-skinned man with a bloody knife and a bloodied shirt, accompanied by the text, „Deficiencies in health care can’t be solved by importingsurgeons. ‘Stop the EU Migration Pact!’.“ These posters are overtly racist and biased, attempting to gain political support by instilling fear and driving a wedge between different groups of the population. After critical reactions, the leader of the opposition party SPD, Tomio Okamura, responded that he was merely reacting to the government’s actions, which, according to him, will lead to more migrants arriving in the Czech Republic. He also referred to the newly approved EU Migration Pact. 

Furthermore, another poster depicts two Roma boys smoking a cigarette. The image was created by artificial intelligence. The accompanying text reads: “They say we should go to school, but our folks couldn’t care less…” and “Welfare just for families whose children attend school!” The Roma community strongly condemned the SPD’s election posters. They have decided to file a report of a crime against the party. 

The Freedom and Direct Democracy party (SPD) is known for its anti-immigration and anti-Islamist policies, advocating for direct rather than representative democracy, and is critical of the EU. Due to its ideology, which is dominated by nationalism and Euroscepticism, the party is often described as radical or extreme right-wing. In the 2024 European Parliament elections, the movement ran as a candidate in the SPD and Tricolor coalition, which entered the European Parliament with one mandate, having received 5.73% of the vote. 

Additionally, the Ministry of the Interior of the Czech Republic has stated that the SPD party uses disinformation and conspiracy theories as part of its policies, thereby inciting hatred and fear in society. This strategy effectively targets a part of the population that does not verify the information presented. The SPD’s unsuccessful result in the 2024 EU elections served as an impulse to launch this controversial electoral campaign. The regional council elections in September this year will reveal how effective this campaign has been.