Ein Marathon für die Cybersicherheit

Hacker*innen werden oft mit Kriminalität assoziiert. Die Albanian Cyber Association in Kosovo möchte das ändern. JEHONA HULAJ erklärt, wie nützlich und wichtig ethisches Hacken sein kann. 

Die globalen technologischen Fortschritte haben unseren Alltag in vielerlei Hinsicht erleichtert. Gleichzeitig bringen sie neue Herausforderungen für staatliche Administration, Privatunternehmen und auch in unseren eigenen vier Wänden. Vor allem Hacker*innen lehrten uns das Fürchten vor nie dagewesenen Eingriffen in sensible Datenbanken und unsere Privatsphäre. Filme und Kollektive wie Anonymous prägten lange Zeit ein Bild der vermeintlich gesichtslosen Tech-Affinen: Einzelgänger*innen, schwarze Hoodies, dunkle Zimmer. Doch repräsentiert diese Darstellung die Realität? 

Im Kosovo hat sich eine lebendige Tech-Community entwickelt. Infolge des Krieges 1999 entstanden zahlreiche inoffizielle Hacker*innengruppen im Land, darunter die Kosovo Hackers Group, Kosova Hacker‘s Security, Kosovo Warriors Group und die Albanian Hackers Group. Potentielle Risiken für die Cybersicherheit waren enorm, doch gleichzeitig entstand auch die Chance, diese Talente für gute Zwecke einzusetzen. Tanzer Abazi, der Vorstandsvorsitzende der Albanian Cyber Association, erkannte das Potential der kosovarischen Jugend und entwickelte die Idee für einen Hackathon. Unter dem Namen „The Day When Hacking is Legal“ schlug er mehreren Interessengruppen ein neues Projekt vor. Trotz anfänglicher Widerstände erhielt er schließlich die Unterstützung des ehemaligen Datenschutzbeauftragten der Agentur für Datenschutz in der Republik Kosovo Mentor Hoxhaj und 2015 wurde der Hackathon erstmals in die jährliche Datenschutzkonferenz dieser Behörde integriert. 

Ethisches Hacken 

Hacken ist eine Fähigkeit und als diese weder gut noch böse. Obwohl wir uns über die immensen Schäden, die Hacken mit sich bringen kann, bewusst sind, zeigen Konzepte wie das ethische Hacken wie diese Skills zum Guten eingesetzt werden können. Ethisches Hacken identifiziert die Sicherheitslücken in Computersystemen, indem diese wie bei einem schädlichen Hackerangriff belastet werden. Dies geschieht jedoch im Wissen der Anbieter und innerhalb des gesetzlichen Rahmens. 

Die 2020 gegründete NGO Albanian Cyber Association (ACA) nimmt eine Vorreiterrolle dieser Bewegung im Kosovo ein. Neben der Organisation des Kosovo Hackathons unterstützt sie Medien und Zivilgesellschaft in der digitalen Transformation, indem sie digitale Tools zu deren verbessertem Schutz bereitstellt und sich allgemein für die Rechenschaftspflicht und Transparenz der kosovarischen Regierung einsetzt.  

„The Day When Hacking is Legal“ bringt Hunderte von Hacker*innen im Kosovo zusammen. Gegen Geldpreise identifizieren sie Sicherheitslücken in den IT-Systemen von Medienhäusern, Zivilgesellschaftsorganisationen und Privatunternehmen. Einige von ihnen sind mittlerweile in den IT-Abteilungen von Fortune-500-Unternehmen und Regierungen angestellt. Unterstützt von der US-Botschaft, versucht ACA somit Talente in die richtigen Bahnen zu lenken. Symbolisch tragen die Hacker*innen daher amerikanische Cowboyhüte neben traditionell albanischen PLISA-Hüten.  

Der Erfolg von „The Day When Hacking is Legal“ liegt in seiner realen Anwendung. Im Gegensatz zu Lehrlabors oder sogenannten „Capture the Flag“-Workshops geht es beim Hackathon um echtes Hacken, wobei Unternehmen und Organisationen das Scannen ihrer Websites auf Sicherheitslücken genehmigen. Für jeden gemeldeten Fehler werden Hacker*innen belohnt, sodass eine Win-Win-Situation entsteht, in der Anbieter ihre Cybersicherheit verbessern und Hacker*innen eine legale Möglichkeit finden, ihre Fähigkeiten einzusetzen. Die ACA schüttete in den letzten beiden Jahren mit Unterstützung der US-Botschaft in Priština und in enger Zusammenarbeit mit der Bug Bounty-Plattform FINDBUG Prämien in einer Gesamthöhe von 40.000 US-Dollar an die Gemeinschaft der ethischen Hacker*innen aus. Sie deckten 200 Schwachstellen auf, wovon 57,6 % kosovarische Medien und zivilgesellschaftliche Organisationen betrafen. 

Preise statt Haftstrafen 

Der Hackathon ist bedeutend, um potenziell fehlgeleitete Talente zu motivieren, neue Wege einzuschlagen. Es gab bereits einige Vorfälle, bei denen junge Kosovar*innen wegen unbefugten Zugangs zu Computersystemen und anderer Cyberkriminalität im Ausland verhaftet wurden. Bekannt ist zum Beispiel der Fall Ardit Ferizi. Der Kosovare aus Gjakova soll persönliche Daten von mehr als tausend US-Streitkräften und Bundesbediensteten gestohlen und an die islamistische Terrororganisation Daesh weitergegeben haben. 2014 setzte sich der damals 18-Jährige nach Kuala Lumpur ab, um dort Informatik und Computerforensik zu studieren. Aufgrund eines US-Haftbefehls nahmen ihn die malaysischen Behörden 2015 fest. 2016 wurde er zu einer 20-jährigen Haftstrafe in den Vereinigten Staaten verurteilt. 

Abgesehen vom Angebot eines legalen und profitablen Betätigungsfeldes, erhöht der Hackathon aber auch die Cybersicherheit im Kosovo und streicht den sozialen Charakter von Hacken hervor. Die Initiative und die ACA spielten auch eine entscheidende Rolle beim Eintrag der verantwortungsvollen Offenlegung, die im neuen Cybergesetz vorhergesehen ist. Zurzeit ist der rechtliche Rahmen für Hacken im Kosovo noch vage. Bestehende Gesetze, wie das Gesetz über Cybersicherheit, bieten zwar einen Rahmen für den Einsatz von Hacken zum Schutz von Informationssystemen und die Bekämpfung von Cyberkriminalität, dennoch besteht weiterhin Handlungsbedarf an einer konkreten Gesetzgebung, die ethische Hacking-Praktiken klar absteckt. Dies ist notwendig, um diesen Hacker*innen rechtlichen Schutz zu bieten. 

Stetiger Wandel 

Die neuesten Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung stellen die Community vor neue Herausforderungen. Auf der CYBER ZERO Konferenz im März 2024 diskutierten Expert*innen aus der ganzen Welt Trends wie künstliche Intelligenz, Blockchain und DeepFakes sowie deren Auswirkungen auf Nachrichten, Datenschutz und Sicherheit. Auch politische Entscheidungsträger*innen kamen dafür nach Priština, um gemeinsam Strategien zur Verbesserung von Cybersicherheit, ethischem Hacken und künstlicher Intelligenz in der gesamten Balkanregion zu erarbeiten. Durch solche Kooperationen beweist Kosovo sein Bekenntnis zu ethischen Grundsätzen und zeigt, dass Cybersicherheit nicht nur ein Ziel ist, das es zu erreichen gilt, sondern eine Reise, auf die sich die gesamte Balkanregion gemeinsam begeben muss. 

 

Jehona Hulaj ist kosovarische Journalistin und ehemalige Projektkoordinatorin bei der Albanian Cyber Association. 

Book recommendations

The summer break offers a great opportunity to catch up on the books that have been on your reading list. If you are looking for inspiration or hoping to expand beyond your usual genres, we have got you covered.

Our team has made a list of recommended books that can enhance your understanding of the Danube Region and Central Europe – and beyond. You will find that our selections are often influenced by current events and geopolitical developments. While some of these books might initially seem a bit weighty for holiday reading, do not judge them by their covers: each one has the potential to offer valuable insights and engaging content.

Our team’s special recommendation:

My Danube Story

This little book is the result of a competition organized by the IDM. Readers on the story.one platform selected the 16 best contributions we received, each telling a unique story about the currents of life along the Danube. The reader can find personal travel reports, as well as stories about the struggles of generations living on the shores of the river. Some date further back into history, taking us behind the Iron Curtain, while others even dare a look to the future of Europe.

Воєнний стан – State of war  2023

Anthology / Introduction by Valeriy Zaluzhny. 

The Russian aggression against Ukraine continues. But so does life. For Ukrainians as well as for us. The difference is that there is this looming danger that – depending on where you are in Ukraine – you have 1-7 minutes to seek shelter when the alarms sound. This anthology shows very different aspects of what it means to be in a state of war. For me, it was impossible to read more than one or two stories at once, but that gives you the possibility to maybe fit it in between a lighter summer read.  

Who would be particularly interested in it? Anyone who wants to read the stories of 35 of the most interesting and gifted Ukrainian writers as well as intellectuals including Serhiy Zhadan, who decided to enlist to the Ukrainian Armed Forces and defend his country on the physical battlefield too. The collection gives an insight to the fragility of peace and helps not to forget how quickly life can become very different. 

Sebastian Schäffer, IDM Director 


The Book of Laughter and Forgetting (Kniha smíchu a zapomnění) 1979

Milan Kundera 

A beautiful collection of seven interrelated stories that initially seem independent but gradually come together as a cohesive whole. It is a book about different forms of oblivion and laughter, about people who refuse to forget – whether love or history – and who stand up against the communist regime in Czechoslovakia. When it was published in 1979, Kundera was stripped of his Czechoslovak citizenship. He only regained the Czech citizenship 40 years later in 2019. 

Who would be particularly interested in it? Anyone interested in the times of communist Czechoslovakia and/or great story telling – sometimes touching, sometimes ironic – and rich characters. I would also recommend it to anyone who enjoyed Kundera’s famous The unbearable lightness of being (Nesnesitelná lehkost bytí) (1984) and has not read any other books by this author yet.  

Sophia Beiter, IDM Research Associate


Das achte Leben (Für Brilka), 2014 / The Eighth Life (for Brilka) 

Nino Haratischwili 

This is the best kind of novel: beautifully written, the characters seem to live and breathe as you turn the pages and become entirely engrossed in the events that unfold. From the simplicity of love to the incomprehensible nature of pride, from the power and perils of beauty to the most hideous acts of cruelty, Tbilisi-born author Nino Haratischwili portrays the many dimensions of humanity. You may recognise some historical figures, but the author denies giving them a name, for the story is ultimately about the ordinary and not-so-ordinary Georgian people who are unidentified in history books. As the struggle between democracy and authoritarianism intensifies, bringing the question of Georgia’s relationship with Europe into sharp relief, the book will give you a rich and sweeping insight into this troubled country in the South Caucasus. 

Who would be particularly interested in it? If you enjoy well-researched fiction based on fact and would like to gain an impression of the processes that have shaped Georgia and affected its people since the turn of the twentieth century, then this book is for you.  

Rebecca Thorne, Research Associate 


The Long Hangover: Putin’s New Russia and the Ghosts of the Past, 2018

Shaun Walker

The Long Hangover by Walker, written in 2018, is an essential read for understanding the historical and cultural forces shaping contemporary Russia and Ukraine, especially in light of the 2022 invasion. The book delves into how Russia’s Soviet past influences its present politics and society, examining the resurgence of nationalism and the manipulation of historical narratives underpinning Putin’s regime. As the world witnesses the war in Ukraine, Walker’s analysis of Russian expansionism and foreign policy in Crimea and Donbas offers crucial context. Through vivid storytelling and on-the-ground reporting, the book provides a human dimension to Russian politics, making it both engaging and informative, as well as particularly timely for current global issues. 

Who would be particularly interested in it? Given the book was written in 2018, four years before the full-scale invasion of Ukraine in 2022, anyone following the ongoing war would gain a deeper understanding of the historical and ideological motivations behind Russia’s actions in Ukraine. 

Kamila Bogdanova, Research Assistant  


Österreicher bist du erst in Jesolo – Eine Identitätssuche, 2024

Gerald Heidegger 

No worries, it’s neither a travel guide about Jesolo nor a book about Austrian tourism. The northern Italian city, Jesolo, which became an important holiday destination for the Austrian lower and middle classes after the 1960s, remains a symbol for the centuries-old relationship between Austria and Italy. While part of present-day Italy once belonged to the Austrian Empire, Italian art, jurisprudence, and Italian „thinking“ in general have greatly influenced Austria and the “Viennese” way of life. Formalistic-aesthetic thinking, baroque theatricality of politics and society, more appearance than substance – Heidegger shows in his book how „Italian“ Austria and its culture still are. Art, philosophy, music, gastronomy, and everyday life are presented in a readable style, but with philosophical depth. Even if it’s not about Jesolo, you can read it there as well. 

Who would be particularly interested in it? If you want to understand Austria, you should actually know Italy very well – that is essentially the main message of the book. Therefore, the book is interesting for anyone who wants to understand the distinctiveness of Austrian culture within the German-speaking world, the absurdities and the contradictions of Austrian thinking and life. The path to this understanding leads through Italy, making the book a beautiful trans-European “travel”.  

Péter Techet, Research Associate 


The Magic Lantern: The Revolution of ’89 Witnessed in Warsaw, Budapest, Berlin and Prague, 2019

Timothy Garton Ash

Thirty-five years after the fall of the Berlin Wall, it is fascinating to read this account from one of the most influential historians and writers on the recent history of Central and Eastern Europe. While the original edition was published in 1990 immediately after the events it describes, this new one includes reconsiderations from twenty years of hindsight, linking the past to our present. 

Who would be particularly interested in it? Everyone who wants to revisit a story they did not witness through a very personal and vivid narration, capable of bringing you back in time. Consider it an opportunity to reflect on the advancements we have enjoyed since the end of the communist regimes, but also on the many promises that still need to be fulfilled. 

Francesco Danieli, Trainee


Goodbye Eastern Europe (2023)

Jacob Mikanowski

Despite oversimplifications, this book is an informative, enjoyable and engaging description of Central and Eastern Europe from the perspective of “little people” and family stories. It is a journey through the collective memory of a place which, as the author points out, no longer exists in the perception of its inhabitants: “There is no such thing as Eastern Europe anymore. No one comes from there. People come from countries (…). Or they come from cities (…). But wherever they come from, people don’t identify as Eastern Europeans. (…) Even before the fall of the Berlin Wall, Czechia, Slovakia, Hungary, and Poland all declared themselves part of Central Europe. The Baltic states (…) would now prefer to be thought of as members of a “Nordic” zone”.

Who would be particularly interested in itEveryone interested in Central and Eastern Europe (even if you were allergic to history at school!).

Malwina Talik, Research Associate


Near Abroad: Putin, the West, and the Contest over Ukraine and the Caucus (Dec. 2019)

Gerard Toal

While the physical war in Ukraine did not start in 2022, but in 2014, the psychological battle for influence in the post-Soviet sphere began in 1991. One must observe conflicts in the region through the lens of Russian, Ukrainian, and Georgian sovereignty, national identity, history, and geopolitical tactics. Toal crafts an avenue for understanding the ideology of Russian decision-making in the Caucasus and Eastern Europe post 1991, while not endorsing their politics. His argument emphasizes that Russian invasions of Georgia in 2008 and Ukraine in 2014 are part of a broader, conscious, strategy to counter the West and maintain spheres of influence. At the core of the book is his concept of the Russian Near Abroad. Russia seeks to reassert its dominance over regions that were once part of the Soviet Union or greater Russian Empire through economic, military, and political tactics.

Who would be particularly interested in it? Those who concentrate on post-Soviet studies, specifically around Ukraine and the Caucasus Regions, will find this work insightful. Similarly, people interested in geopolitics and international relations will find there is much to learn from the tracing of political manoeuvering through the studied regions. Lastly, Toal’s accessible writing style lends itself to the casual reader who wants to start exploring the history and dynamics of Russian foreign policy.  

Stephen Chilimidos, Trainee 


Untenrum frei (2018)

Margarete Stokowski

Must-read of German language feminist literature. The anecdotal book by the Polish-German author is especially suitable for people new to feminist literature. 

Melanie Jaindl, Research Associate 


Válka s mloky / War with the Newts (1937)

Karel Čapek

War with the Newts is a fascinating and terrifying book that offers not only a strong political message, but also an unusual and innovative literary style. The book was written in 1936 by the Czech writer Karel Čapek and is considered one of his most important works. The book is interesting for its philosophical undertones and the questions it raises. It reflects on how much people can control the natural environment and what the consequences of human intervention in nature are. 

Who would be particularly interested in it? War with the Newts is a great example of how literary art can be used as a tool of societal and political criticism. The topics covered in the book are still highly relevant and have a great impact on today’s society. Čapeks portrayal of the exploitation and eventual rebellion of the newts serves as an allegory for colonialism, capitalism, and the often self-destructive nature of humanity. This satirical edge remains relevant in today’s world, making readers reflect on contemporary societal issues.

Daniel Martínek, Research Associate

Energizing Cross-Border Cooperation in Central Europe

How can Central Europe cooperate most effectively on the energy transition? Michael Stellwag and Rebecca Thorne put the spotlight on CES7 (Austria, Croatia, Czechia, Hungary, Poland, Slovakia, Slovenia). 

In the lead up to the European elections, the continent witnessed a backlash against green policies. The European Green Deal, which was introduced four years ago and outlines the continent’s path to climate neutrality by 2050, came under particular scrutiny. Integral to the Green Deal is the energy transition, including issues such as where the energy resources come from, how power is generated and who can access the final products. 

While the Greens did indeed lose influence in Germany, France and Belgium, they retained their seats in Austria and even gained their first seats in Croatia and Slovenia. Indeed, the seven Central European states of the EU – Austria, Croatia, Czechia, Hungary, Poland, Slovakia, Slovenia (CES7) – are faced with the tangible effects of climate change, geopolitical instability and economic challenges, which necessarily provokes discussion about the decarbonisation of the energy sectors in the region along with questions of security and affordability. Effective cross-border cooperation is key to solving this conundrum. 

In the aftermath of Russia’s full-scale invasion of Ukraine and the knock-on effects on the prices and supply of energy across Europe, it may appear worthwhile pursuing the goal of self-sufficiency at national level to reduce dependency and the corresponding risk of vulnerability. However, not every country has the capacity to meet all their energy needs through domestic power generation. While some countries possess an abundance of natural energy resources such as wind, water and sun, others run the risk of continuing the detrimental resource exploitation of coal mining. Power generation from coal still dominates the energy landscape of countries with a history of mining, accounting for 44% of the total electricity generation in Czechia and 70% in Poland. Instead of maintaining or even exacerbating this trend, regional cooperation provides alternatives, some of which remain controversial, while others offer clear benefits. 

Diversification and bridge technologies: different approaches 

First of all, cooperation should not come at the cost of security. The region’s historical energy partnership with Russia has highlighted its vulnerability: reducing this dependence is crucial. The EU attempted to enforce immediate diversification by introducing an oil embargo against Russia in 2022. However, the Central European states without a sea border – Austria, Czechia, Hungary and Slovakia pushed for an exemption, resulting in the continuation of imports of Russian oil via the Druzhba pipeline that runs through Ukraine 

Regarding the gas supply, even though the proportion of Russian pipeline gas in EU imports has fallen from over 40% in 2021 to currently 8% in the EU as a whole, the share in parts of Central Europe remains higher. Austria and Hungary are currently the most dependent on gas from Russia and have fought most intensively against possible EU sanctions. In Austria, the share of Russian gas in the total supply has not fallen significantly since the attack on Ukraine due to a non-transparent long-term supply contract that was extended in 2018 and to which, until recently, not even members of the government had access.  

The response of these states to the energy supply crisis has been different. The four Visegrad states are primarily focusing on diversifying both their oil and gas suppliers in order to reduce their dependence on Russia without significantly reducing their consumption. Poland is using the Baltic Pipe as well as importing more from the USA, while increasing the capacity of its liquefied natural gas (LNG) terminals and pipeline infrastructure. Slovakia and Hungary are increasingly sourcing oil from Azerbaijan and Kazakhstan, with security of supply being a priority – yet it is important to note that a certain amount of imports from these countries comes from Russia anyway. Czechia is also making efforts to diversify as well as focusing on energy efficiency measures. 

In an example of minilateral cooperation, Austria has been investing in the LNG terminal on the Croatian island of Krk. This terminal has already existed for some time but is now being expanded far beyond the national requirements of Croatia in order serve as a regional hub. Poland has also been enlarging its LNG capabilities from 5 billion m³ a year via its Świnoujście terminal, aiming to double its capacity with the expansion and planned new construction in Gdańsk. The trend is clear: no reduction in gas, but the reduction of dependence on one single country. Yet a decrease in both would be possible with more intensive coordination and more coherent planning within the group – especially as investing in gas projects poses the danger of Central Europe tying itself further into a dependence on a resource that is ultimately a fossil fuel. 

Nuclear power remains a contentious issue, with many convinced it is the way forward to reducing dependency on fossil fuels. In a further example of cross-border cooperation, Slovenia shares its nuclear power station with Croatia, which is in an earthquake zone and cannot build its own without compromising safety. Slovakia, Hungary and Czechia have also opted to invest in nuclear technologies: 59.7%, 44% and 36.6% of their respective electricity generation comes from nuclear. Hungary furthermore intends to increase this percentage with a new power plant that is to be built using Russian state funding. Poland currently has no domestic nuclear energy production but is developing plans to build its first nuclear power station. 

However, others remain wary of a technology that has the potential to cause widespread harm. Austria is one of few outspoken opponents in Central Europe following the referendum of 1978 and subsequent law against generating nuclear power. Having set a goal to source 100% of its electricity from renewables by 2030, Austria moreover intends to show that the green transition is possible without nuclear energy. 

Fast-growing markets 

The renewable energy markets have been rapidly growing, especially the solar industry, with the demand for photovoltaic energy busting market expectations across Europe. There is also significant potential for energy generation from other renewable sources in Central Europe. Poland has begun to make use of the wind on its northern coast with its first offshore farm currently under construction, which is anticipated to generate 1.1GW. Nonetheless, there is still a lot of room for growth, with estimated potential for up to 33GW. Likewise, the Adriatic Sea offers considerable offshore wind power that is not being utilised. While it has been agreed that no wind farms will be built on Croatia’s islands, there is still an area of 29,000 km² that could be developed without encroaching on high-impact zones 

Furthermore, there are natural geothermal heat reservoirs across the region. Indeed, following the European Parliament’s recent call for an EU geothermal energy strategy, the European Committee of the Regions released an Opinion on the “great potential” of geothermal for both cities and regions. To give three examples from the region: in Poland, geothermal reservoirs have been found in around 50% of the country’s area, particularly in central and northwestern Poland. Hungary has already quadrupled its use of geothermal energy since 2010 and is now planning to double its use again by 2030, while Slovenia has been developing a pilot geothermal project that only requires one dry well for operation. 

Prioritise the grid 

With such promising potential of renewables, both large- and small-scale, what is preventing an exponential growth of the clean energy sector? The supply chain is currently not the limiting factor in terms of what is possible. While the manufacturing of solar panels is at present dominated by China, the EU has established initiatives such as the Net Zero Industry Act and the European Solar Charter, which aim to support solar manufacturing in Europe.  

Instead, with a rapid expansion of the renewable energy sector, the grid is the main bottleneck. Energy systems are largely centralised through national grids, which currently do not have the capacity to integrate the rapidly expanding renewable sector. Sectors that were predominantly running on fossil fuels are now being converted to electricity. To further complicate the problem, the grid in Poland, for example, is concentrated on regions in the south of the country that produced energy from coal, whereas the up-and-coming renewable sector is focused on the north. Moreover, the grid does not offer sufficient capacity for large projects at sea. 

Cooperation among the countries of Central Europe would allow a pooling of renewable resources, which is indispensable given the fluctuating nature of supply and demand inherent to renewable energy. Within this partnership, a priority must be the full synchronisation of the grid across the region as well as the expansion of cross-border grid interconnectors. In particular, the triangle between Austria, Hungary and Slovenia has been identified as critical 

Huge potential 

The European Green Deal promises long-term potential for growth, but currently the transition requires significant financial investment, challenges the economies and could threaten established industries in this underperforming region. Among some governments and sections of the population in the Central European countries there are narratives that they are second-class countries within the EU. Many regulations are seen as originating from Western European countries and Brussels, which member states then have to implement regardless of economic feasibility, resulting in a sluggish implementation of individual EGD regulations. Nonetheless, renewable energy sources, even in the year of installation, are cheaper than fossil fuels. In 2022, the global average cost of solar energy was 29% lower than the cheapest fossil fuel option, while the cost of onshore wind energy was 50% lower. An integrated grid would also boost price competitiveness as cheaper, cleaner electricity from neighbouring countries in the region becomes available to consumers. 

Central Europe has significant potential for a green energy transition, as well as for a more dynamic economy and policymaking than is often assumed. Cooperation is essential to accelerate progress – whether a pooling of financial, knowledge or human resources. With the rapid growth of renewables and increasing electrification of the energy sectors, the expansion and improved international interconnectivity of the grid must be a priority not only for the EU, but also on regional level. 

Rebecca Thorne is a research associate at the Institute for the Danube Region and Central Europe (IDM) in Vienna. Her research focus is climate, energy and the environment in Central Europe and the EU candidate countries. 

Michael Stellwag is a research associate at the Konrad Adenauer Foundation in Vienna. Having studied political science in Vienna and Tallinn, he now specialises in politics in Central and Eastern Europe and in EU foreign, security and defence policy. Professional projects have taken him to numerous countries in the region. 

 

Both authors attended the expert workshopCentral Europe Plus – Bridge technologies with regard to a sustainable energy supply organized by the Konrad Adenauer Foundation in Zagreb. The workshop series has existed since 2021 and focuses on the role of Central European States for the future of the EU. It aims to bring together decision-makers and researchers from the countries concerned and to present positions and demands from these countries in Brussels. In 2024, the project has been developed further to include other regions as well, hence the workshop title Central Europe Plus. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Smarte Sommer im Süden Kroatiens

Tourismus ist gut für die Wirtschaft. Doch wenn Städte konstant überfüllt sind, kann er auch zum Fluch werden. NICOLA CAMATTI beschreibt, wie digitale Methoden zu einem nachhaltigen Tourismusmanagement in Dubrovnik beitragen.

Santorini, Venedig, Prag – diese Orte stehen ganz oben auf der Liste der beliebtesten Reiseziele in Europa. Doch trotz idyllischer Traumkulissen finden Tourist*innen oft eine ernüchternde Realität vor: lange Schlangen für das begehrte Selfie, überfüllte Straßen und Lokale sowie genervte Einheimische. Gerade Social Media machte einige lang unbekannte Plätze zu Tourismusmagneten. Das glasklare Wasser von Vlora an der Küste Albaniens oder die imposante Bergkulisse im romantischen Zakopane in Polen wurden so zu Sehnsuchtsorten der Vielen und das mit oft negativen Folgen. 

Europäische Metropolen wie Paris und Barcelona werden schon lange vom Massentourismus geplagt, doch insbesondere kleinere Städte leiden unter dem Phänomen des sogenannten Overtourism (dt. Übertourismus). Laut der Welttourismusorganisation (UNWTO) beschreibt Overtourism jene Situationen, in denen der Tourismus die Lebensqualität der Einheimischen und/oder Besucher*innenerfahrungen spürbar negativ beeinflusst. Am häufigsten äußert er sich in Gentrifizierung, der Überlastung von urbaner Infrastruktur und Massenanstürmen auf maritime Reiseziele sowie einige UNESCO-Kulturerbestätten. 

Reiseinfluencer*innen wurden so für einige Urlaubsorte zum Fluch. Doch Digitalisierung und Informations- und Kommunikationstechnologien können auch Teil der Lösung sein, indem sie Tourist*innenströme regulieren und den Weg für einen umweltbewussteren, sozial gerechteren und wirtschaftlich nachhaltigeren Tourismussektor ebnen. So kann beispielsweise der Einsatz intelligenter, digital betriebener Energiemanagementsysteme Ressourcen schonen. Einige Hotels regulieren somit bereits ihren Energieverbrauch, was sich positiv auf ihre Umweltbelastung auswirkt. Digitale Technologien können auch bei der Entwicklung gezielter Marketingstrategien helfen, die Tourist*innen darüber aufklären, wie sie einen Ort auf nachhaltige Weise besuchen können. Auch Einheimische können sich seit der Digitalisierung aktiver am Tourismus in ihrem Wohnort beteiligen. Über online Netzwerke entstehen gemeindebasierte Tourismusinitiativen, mithilfe derer Einwohner*innen ihr kulturelles Erbe und ihre Traditionen promoten können. 

Tourismus: lieber langsam als schnell 

Digitale Tools erleichtern auch das Sammeln von Daten über Besucher*innenströme, die politischen Entscheidungsträger*innen dabei helfen können, fundierte Entscheidungen für den Tourismussektor zu treffen. Von Overtourism betroffene Städte zeigen nämlich deutlich, dass Tourismus eine Grenze haben muss und es ein Maximum an Menschen gibt, die ein Reiseziel ertragen kann. In der Wissenschaft sprechen wir in dem Zusammenhang von der touristischen Tragfähigkeit. Sie stellt die Anzahl der Tourist*innen an einem bestimmten Ort in einem bestimmten Zeitraum dar, bei deren Überschreitung der Tourismus als übermäßig empfunden wird. Geschieht dies über einen längeren Zeitraum hinweg, drohen der Verlust der lokalen Identität sowie irreparable Schäden für die Umwelt. Sogar in wirtschaftlicher Hinsicht können Einheimische in solchen Fällen nicht mehr profitieren. Dies ist vor allem auf Tourist*innenströme mit begrenzter Kaufkraft zurückzuführen. Sie werden in Reisebussen oder auf Kreuzfahrtschiffen von Ort zu Ort gekarrt und versuchen alle Sehenswürdigkeiten in wenigen Stunden abzuklappern, anstatt sich lokale Delikatessen in kleinen Gastbetrieben zu gönnen, oder nachts mit Einheimischen zur Volksmusik zu tanzen. Dem gegenüber steht der langsame Tourismus mit spendablen Besucher*innen, die hochwertige Dienstleistungen schätzen und auf der Suche nach einzigartigen Erlebnissen sind. 

Dubrovnik: überlaufenes Paradies 

Dubrovnik, ein bekanntes Urlaubsziel im Süden Kroatiens, kämpft seit langem mit den negativen Folgen des Tourismus. Während die einheimische Bevölkerung abwandert und auf mittlerweile 41.000 Menschen schrumpfte, strömen jährlich über 1,5 Millionen Tourist*innen in die Stadt – die meisten auf die wenigen Hochsommermonate konzentriert. Doch nicht nur Mittelmeerliebhaber*innen zieht es in das malerische historische Zentrum Dubrovniks. Seit dem Erscheinen von „Game of Thrones“ pilgern auch Fans der Serie, die teilweise dort gedreht wurde, in großen Zahlen zu dem kleinen Küstenort. Das ist auch auf die übermäßige Vermarktung dieser Tatsache über digitale Plattformen zurückzuführen.

Die Belastung für die Infrastruktur und die Einwohner*innen wurde in den letzten Jahren teilweise unerträglich. Lokale Behörden reagieren daher mit verschiedenen Strategien, die darauf abzielen, die negativen Konsequenzen zu verringern und gleichzeitig auch das Erlebnis der Besucher*innen zu verbessern. Zu den Maßnahmen gehört auch der Einsatz digitaler Lösungen, wie ein Pilotprojekt zur integrierten Nutzung mobiler Anwendungen und intelligenten Überwachung der Besucher*innenströme im historischen Zentrum.   

Die Pilotinitiative wurde im Rahmen des ALTER ECO PLUS Projekts unter der Leitung der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Ca‘ Foscari in Venedig durchgeführt. Ziel ist es, mehrere touristische Kommunikationsplattformen und mobile Anwendungen mit dem Besucher*innenzählsystem Dubrovnik Visitors zu verbinden. Diese digitale Überwachungsplattform setzt Kameras und eine intelligente Software ein, um Tourist*innenströme in Echtzeit zu erfassen und so Überbelastungen rechtzeitig zu erkennen. Mithilfe der Integration dieses Besucher*innenzählsystems mit bereits bestehenden, von Tourist*innen genutzten Apps testete die Stadt ein Benachrichtigungssystem, das Besucher*innen im Falle eines übermäßigen Zustroms von Menschen direkt über Textnachrichten alternative Attraktionen vorschlägt. Dies passierte immer dann, wenn die touristische Tragfähigkeit von 8.000 täglichen Besucher*innen im Jahr 2018 erreicht wurde.  

Tourist*innen in neue Bahnen lenken 

Das Pilotexperiment hat in Dubrovnik den Startschuss zu einer Trendwende gesetzt. Die Initiative hat sich weiterentwickelt, weitere touristische Dienstleistungen wie Übernachtungen und Transport integriert und ist nun Teil eines umfassenden intelligenten Tourismusmanagementplans für die Stadt. Darüber hinaus wird daran gearbeitet, dieses System auf die touristischen Angebote der ländlichen Umgebung Dubrovniks zu erweitern. Die Webplattform „Rural Dubrovnik-Neretva“ hat mehr als 80 agrartouristische Orte digital vernetzt und fördert damit unzählige Restaurants, Weinkeller, Geschäfte, ländliche Unterkünfte, Souvenirläden, 15 Veranstaltungen und sieben thematische Wanderwege in der Region nördlich von Dubrovnik. Diese könnten als Alternative empfohlen werden, sobald die historische Altstadt überlastet ist. 

Tourismus bringt immer negative Auswirkungen mit sich, aber er kann eine Stadt regelrecht vergiften, wenn die Zahl der Besucher*innen die Grenze der touristischen Tragfähigkeit überschreitet. Jegliche Vorteile des Tourismus können die Nachteile dann nicht mehr ausgleichen. Das Beispiel Dubrovnik macht deutlich, wie digitale Tools zu mehr Nachhaltigkeit, positiver Tourismusentwicklung und der kulturellen Aufwertung von Städten und Regionen führen kann, wenn sie richtig eingesetzt werden. 

 

Nicola Camatti ist Forscher an der Universität Ca‘ Foscari in Venedig. Seine Forschung konzentriert sich auf nachhaltige Tourismusplanung und regionale Entwicklung.  

IDM Short Insights 37: New EU Commission: Will von der Leyen secure another term as President?

 

On 18 July, the European Parliament will vote on Ursula von der Leyen for a second term as EU Commission President. In the newest Short Insight Sophia Beiter (IDM) explains under what conditions the re-election will be successful. Von der Leyen needs at least 361 of the 720 votes. She will need the support of the EPP, S&D, Renew and potentially the Greens or the ECR. If von der Leyen’s election is successful, the process of the formation of the new Commission can begin.


Transcript:

I am here in the hemicycle of the European Parliament in Brussels, where the Members of the EU Parliament meet to hold debates and plenary sessions. And it will be the newly elected 720 Members of the European Parliament who will soon decide on the fate of EU Commission President Ursula von der Leyen.

Right after the EU elections in June 2024, the race for the EU top jobs started. By now, EU leaders have approved Ursula von der Leyen for a second term as EU Commission President, Kaja Kallas as High Representative for Foreign Affairs and Antonio Costa as European Council President. But regarding Kallas and von der Leyen, the last say in the matter has the European Parliament.

Ursula von der Leyen needs to be voted by the European Parliament and she needs at least 361 out of the 720 votes. That means that she has to secure votes not only in her own political group, the conservative European People’s Party, but also in other political groups, traditionally the Socialists and Democrats and Renew Europe. Theoretically, the votes from these three groups would suffice for a majority, but not all parties in these groups support von der Leyen. And as the vote is secret, in the end the decision is up to every single Member of Parliament themselves. That is why Ursula von der Leyen might also seek support from the Greens or the European Conservatives and Reformists.

Furthermore, the dynamics in the European Parliament have still been shifting and things are moving very fast these days here in Brussels. Recently, not one but two new far right groups were formed in the European Parliament. The Patriots for Europe, consisting of many parties that previously belonged to the Identity and Democracy Group, and the Europe of Sovereign Nations, a far right group founded by the German AfD.

If the election of Ursula von der Leyen for a second term as EU Commission President is successful, the formation of the new Commission can begin. The Commission President selects the Commissioners based on nominations from each of the 27 EU countries. The Commissioners will also be assigned specific policy portfolios. After that, the commissioner-designates will be assessed by the EU Parliament in public hearings, followed by a vote of the EU Parliament. Only after this process is completed will the new European Commission be ready to start its work for the EU in the next five years.

Ist die künstliche Intelligenz eine Frau?

Programmieren ist Männersachekommt Ihnen diese Ansicht bekannt vor? MALWINA TALIK schreibt über die vielfältigen Auswirkungen, die männliche Dominanz in der KI-Branche haben und darüber, wie Frauen eine lautere Stimme erhalten. 

Bereits im 19. Jahrhundert wird die Welt Zeuge des ersten geschrieben Codes. Was Sie vielleicht nicht wussten: Dieser Code wurde von der Mathematikerin Ada Lovelace erstellt. 1969 wird Grace Hopper, eine Pionierin der Programmierung, die erste Person, die als „Mann des Jahres“ im Programmieren ausgezeichnet wurde. Lange Zeit war Softwareentwicklung reine Frauensache, die nicht viel Ansehen genoss. Hardware war hingegen eine Männerdomäne. In der Nachkriegszeit waren so viele Frauen in der Programmierbranche beschäftigt, dass sogar die Codemenge, die in einer Stunde entwickelt werden konnte, als girlhour bezeichnet wurde. Diese Tendenz war nicht nur in den USA zu beobachten, sondern auch in den Ländern Mitteleuropas wie etwa Polen.  

Heute sieht die Realität ganz anders aus. Unsere Studie “Women in the Digital Space (and AI). Looking into Central Europe. Cases from Austria, Czechia, Poland and Slovakia” bestätigt eine bittere globale Tendenz. Frauen stellen in Mitteleuropa nur zwischen 11% (Tschechien) und 19% (Österreich) aller Mitarbeiter*innen in der IT-Branche dar. Dabei ist unklar, wie viele von ihnen in Bereichen wie Marketing, Projektmanagement oder in Personalabteilungen arbeiten, die keine Programmierkenntnisse erfordern. Hinzu kommt, dass die Gehaltsunterschiede in diesem innovativen Sektor noch gravierender sind als in einigen anderen Branchen. Während der allgemeine Gender-Pay-Gap in der EU 12,7% beträgt, erreicht er in der IT-Branche im Durchschnitt 19%. In Mitteleuropa ist er noch höher und schwankt zwischen 20% (Österreich) und 30% (Tschechien).  

Wenn die KI wie ein Mann tickt 

Im digitalen Raum werden die tief verwurzelten Geschlechterstereotypen und Ungleichheiten der realen Welt wiederholt. Schon ein einfacher Test mit ChatGPT zeigt das. Bei der Übersetzung des im Englischen geschlechtsneutralen Satzes „An AI specialist, a nurse, a teacher, and a doctor went on a trip together“ ins Tschechische, Polnische und Slowakische wird in allen Sprachen nur „nurse“ (= Pfleger*in), und im Polnischen auch „teacher“ (= Lehrer*in)  ins Femininum übersetzt. Weder „doctor“ noch „AI specialist“ werden von ChatGPT in einer dieser Sprachen als weiblich identifiziert, obwohl beispielsweise in Polen fast 60% der Ärzt*innen Frauen sind. Eine Studie des slowakischen Kempelen Instituts für intelligente Technologien ergab zudem, dass Spracherkennungsmodelle in der slowakischen Sprache bei weiblichen Stimmen höhere Fehlerquoten aufweisen und maschinelle Übersetzungswerkzeuge häufig generische maskuline Formen verwenden. 

All das beweist, dass Frauen und Mädchen im Alltag weiterhin übersehen werden. Die künstliche Intelligenz (KI) lernt aus den Daten, mit denen sie gefüttert wird, und diese Daten spiegeln die Vorurteile und die Weltanschauung ihrer oftmals jungen, männlichen Entwickler. Deshalb tendiert KI überproportional oft dazu, wie ein junger weißer Mann zu ticken. Für Frauen, die einer ethnischen Minderheit angehören, sind die Herausforderungen noch größer. Es gibt noch keine ausführlichen Analysen zum Einfluss von KI auf Rom*nja und Sint*izze in Mittel- und Osteuropa. 

KI reproduziert allerdings nicht nur Stereotype, sondern kann Frauen auch im echten Leben schaden. Die in Österreich vom Arbeitsmarktservice verwendete Software wurde heftig kritisiert, da sie unter anderem Frauen mit Kindern diskriminiere. Denn der Algorithmus teilte die Arbeitssuchenden in Bezug auf ihre Chancen auf Einstellung in unterschiedliche Kategorien ein – Mütter wurden dabei ebenso wie Menschen mit Behinderungen tendenziell deutlich niedriger eingestuft. KI wird zudem vermehrt zur Generierung von DeepFakes genutzt –  und diese haben ein eindeutiges Geschlecht. Laut einem Report von Sensity, einem Unternehmen, das sich auf die Beobachtung von DeepFakes spezialisiert, sind zwischen 90 und 95% davon pornografisch, nicht einvernehmlich und stellen Frauen dar. 

Fehlende KI-Expertinnen 

„Aus technologischer Sicht ist das Feld weit offen; die Hindernisse liegen nicht in der Technologie selbst, sondern im umgebenden Umfeld“, sagt Estera Kot, eine KI-Expertin bei Microsoft. Der Grund für fehlende Expertinnen im Bereich der KI ist völlig anders als beispielsweise in den Medien, der Politik oder der Privatwirtschaft, wo viele begabte Frauen gegenüber ihren männlichen Kollegen diskriminiert werden. In der KI fehlt es schlicht an ausreichend Frauen mit den erforderlichen Kompetenzen. Doch auch das ist letztendlich ein Ergebnis von Diskriminierung. 

Schon früh wird Mädchen eingeprägt, dass Informatik nicht für sie geeignet sei. Dieser Irrglaube wird nicht nur durch ihr unmittelbares Umfeld verstärkt, sondern auch durch die Popkultur, in der Hacker*innen und Geeks fast immer männlich dargestellt werden. Dementsprechend streben nur wenige junge Frauen eine Karriere in diesem Bereich an. Unter allen Informatik-Student*innen in den jeweiligen Ländern sind nur 17% Tschechinnen, 15% Polinnen und 12% Slowakinnen. Selbst wenn sie sich schließlich dazu entscheiden, in dem von Männern dominierten Feld zu arbeiten, sind die Arbeitsbedingungen oft herausfordernd, wie unsere Gespräche mit KI-Expert*innen zeigten.  Der Bereich der KI entwickelt sich ständig weiter und erfordert damit ständige Weiterbildung der Beschäftigten. Für viele Frauen ist es schwer, da noch nach der Geburt des ersten Kindes mitzuhalten. Denn wie auch in anderen EU-Ländern ist die Kinderbetreuung in Mitteleuropa weiterhin vor allem Aufgabe der Mütter. In Tschechien und in der Slowakei erhalten laut Eurostat nur zwischen 4,7% und 2,5% der Kleinkinder Fremdbetreuung, was auch am Mangel an Kita- und Kindergartenplätzen liegt. Die Abbruchquote bei Frauen in der IT-Branche ist europaweit dementsprechend deutlich höher als bei Männern. 

Dazu kommen Vorurteile, die Frauen daran hindern, Führungspositionen in Start-ups einzunehmen. Dies wäre insbesondere in frühen Phasen der Produktentwicklung wesentlich, da sie dann eine aktive Rolle bei der Gestaltung des KI-Produkts einnehmen und es gendersensitiver prägen könnten.  Allerdings sind Frauen nur zu 15% unter den Gründer*innen von Start-ups in der EU, und sie erhalten auffallend weniger Finanzierung. In Mitteleuropa erhalten ausschließlich von Männern geführte Start-up-Teams 94% der investierten Kapitalmittel, während Start-ups von Frauen nur knapp 1-2% erhalten. Gleichzeitig generieren von Frauen gegründete Start-ups aber mehr Umsatz pro investiertem Euro und übertreffen Teams, die ausschließlich von Männern geleitet werden, in der Kapitalproduktivität um 96%. 

KI und Frauengesundheit 

Die Ausrichtung der KI auf männlich geprägte Daten hat auch in der Medizinforschung Konsequenzen. Viele für Frauen typische Symptome, die von Ärzt*innen und damit auch der KI oft als „untypisch“ erachtet werden, sowie Krankheiten, die vor allem oder ausschließlich Frauen betreffen, bleiben bis heute nicht gründlich erforscht. Dies kann dazu führen, dass KI-unterstützte Systeme bei Frauen falsche Diagnosen stellen. 

Gerade im Bereich der Medizin kann die KI aber auch Teil der Lösung sein und gerade in Mitteleuropa Hoffnung für die Frauengesundheit bringen. Die Sterberate durch Brustkrebs gehört in Polen und der Slowakei zu den höchsten in der EU, ein Mangel an Ärzt*innen und Kapazitäten ist einer der vielen Gründe dafür. Bisherige Studien zeigen, dass ein*e Radiolog*in mithilfe von KI eine höhere Genauigkeit bei der Krebserkennung aufweist als zwei Radiolog*innen. Viele heimische Start-ups arbeiten gerade an KI-Lösungen, die positive Veränderungen in diesem Bereich bewirken könnten. 

Durch Menstruations- und Schwangerschafts-Apps können Forscher*innen nun beispiellose Mengen an Daten über den weiblichen Körper sammeln und die Wissenslücken schließen. Gleichzeitig besteht das Risiko, dass diese Daten auch für Marketingzwecke verwendet werden. Angesichts des zunehmenden Abbaus reproduktiver Rechte besteht zudem die Gefahr, dass diese Informationen gegen Frauen verwendet werden könnten. Gehackte Daten aus Schwangerschafts- oder Menstruationsapps könnten beispielsweise zeigen, ob eine Frau schwanger ist oder schwanger war und (illegalerweise) abgetrieben hat. Auch wenn das derzeit hypothetische Gefahren sind, genügt es, nach Polen oder in die Slowakei zu schauen.  In Polen wurde unter der PiS-Regierung mit Ausnahme von sehr wenigen Fällen die Abtreibung verboten und die Gesetze bleiben auch nach dem Regierungswechsel streng. In der Slowakei gibt es wiederkehrende Debatten darüber, ob das Abtreibungsgesetz verschärft werden sollte. Viele Frauen sind sich der Konsequenzen der Nutzung vermeintlich kostenloser Apps nicht bewusst. Grundlegende digitale Kompetenzen weisen nur zwischen 41% (Polen) und 61% (Österreich) der digitalen Nutzerinnen vor. 

Zeit, die Spielregeln umzuschreiben 

Die fehlenden KI-Expert*innen sind eine globale Herausforderung. Allein in der EU fehlen etwa 700.000 Fachkräfte. Die IT-Branche muss viel inklusiver und flexibler werden, um bahnbrechend bleiben zu können – und das eröffnet viele Chancen für Frauen. Dieses Zeitfenster wird jedoch nicht ewig dauern, daher ist es wichtig, dass Frauen jetzt einsteigen. Die von Stereotypen geprägte Denkweise muss durch Bildung und öffentliche Kampagnen aufgebrochen werden. Weibliche Vorbilder sollten nicht nur innerhalb von Unternehmen präsentiert, sondern auch in Medien- und Diskussionsforen gezeigt werden. Bereits jetzt gibt es in Mitteleuropa viele energische und von Frauen getriebene Initiativen, wie zum Beispiel Ženský algoritmus (Frauenalgorithmus) oder Aj ty v IT („Auch du in der IT“) in der Slowakei, Czechitas in Tschechien, Let’s Empower Austria in Österreich oder die IT Girls Foundation in Polen. Sie überzeugen, coachen und unterstützen Mädchen und Frauen durch Spiele, Coding-Workshops Beratung und die Vergabe von KI-Preisen für Expertinnen, um sie für die IT zu begeistern. 

Für eine langfristige Zukunft für Frauen in der KI muss die Branche mit unserer Zeit Schritt halten und sich nicht ausschließlich an den Bedürfnissen der männlichen Fachkräfte orientieren. Bis das erreicht ist, ist die künstliche Intelligenz in Mitteleuropa keine Frau. 

 

Malwina Talik ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am IDM sowie freiberufliche Forscherin und Übersetzerin. Davor war sie als Expertin für wissenschaftliche Zusammenarbeit bei der Polnischen Akademie der Wissenschaften / Wien und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei der Polnischen Botschaft ebenso in Wien tätig. 

Frauenhass mit einem Klick

Diffamierungen und Hasskommentare sind in den sozialen Medien allgegenwärtig. Marginalisierte Gruppen sind besonders häufig von ihnen betroffen. MILA JOSIFOVSKA DANILOVSKA und DESPINA KOVAČEVSKA berichten über geschlechtsspezifische Online-Hassreden in Nordmazedonien.

Anfang 2024 sprach das Gericht in Bitola das erste Urteil wegen Hassrede gegen die LGBTQIA+ Gemeinschaft in Nordmazedonien. Die Beklagte wurde schuldig befunden, durch wiederholte Äußerungen auf Facebook, schwere Diskriminierung gegen queere Personen begangen zu haben. Die Community verbucht dieses erstmalige Urteil als Erfolg in ihrem langen Kampf gegen Diskriminierung. Nichtsdestotrotz bleibt die rechtliche Situation von Hassrede in Nordmazedonien, vor allem jene, die im Internet und aufgrund von geschlechtsspezifischen Merkmalen begangen wird, vage. 

Hass im Netz trifft viele, vor allem in der Öffentlichkeit stehende Personen, egal ob Politiker*innen, Journalist*innen oder Influencer*innen. Obwohl der Europarat und die Vereinten Nationen einen Rahmen für die weltweite Bekämpfung von Hassrede abgesteckt haben, fehlt bislang eine allgemeine Definition dieses Phänomens. Daher pflegen verschiedene Staaten auch einen unterschiedlichen Umgang mit Hass im Netz: Die USA betonen das in der Verfassung verankerte Recht auf freie Meinungsäußerung, während Europa bei gleichzeitigem Schutz der Redefreiheit rigoroser gegen Hetze vorgeht.  

Frauen als Zielscheibe von Hass im Netz 

Besonders Frauen sind im Internet häufig von geschlechtsspezifischem Hass betroffen. Die Metamorphosis Foundation untersuchte die Zusammenhänge von Gender und Online-Hassrede sowie die behördliche Behandlung dieser Vorfälle in Nordmazedonien. Geschlechtsspezifische Hassreden auf Online-Plattformen richteten sich demnach insbesondere gegen Journalistinnen, Aktivistinnen und Politikerinnen. Doch auch offline sind Frauen in öffentlichen Ämtern einer Flut von Beschimpfungen, Drohungen, Beleidigungen und Verleumdungen ausgesetzt. Politischen Persönlichkeiten wie der Bürgermeisterin von Skopje, Danela Arsovska, und der Verteidigungsministerin Slavjanka Petrovska werden ihre Autorität und Legitimität abgesprochen. Auch Journalistinnen werden aufgrund ihrer Berichterstattung oft Opfer von Hass. Tanja Milevska, die als Brüssel-Korrespondentin für die nordmazedonische Nachrichtenagentur MIA arbeitet, traf ein Shitstorms, weil sie die Regierung kritisierte. Miroslava Byrns, die derzeit für Sloboden Pecat schreibt, wurde aufgrund eines Artikels, in dem sie Verstöße gegen den Journalist*innenkodex aufdeckte, diffamiert. Und auch Akademikerinnen wie Katerina Kolozova und Influencerinnen wie Mia Kostova bleiben von Hassreden nicht verschont.  

Obwohl ihre öffentlichen Stellungnahmen die darauffolgenden Angriffe auslösen, bezieht sich der Hass gegen diese Frauen meist nicht auf ihre Aussagen, sondern ihr Erscheinungsbild. Bodyshaming, Rassismus und Misogynie beweisen die komplexe Intersektionalität von Hassreden gegen Frauen im Internet. Im Gegensatz beziehen sich Angriffe auf Männer eher auf deren Intelligenz oder Promiskuität. Facebook erweist sich als wichtigste Plattform für online Hassreden, da es auch das meistgenutzte soziale Netzwerk in Nordmazedonien ist.  

Hassreden im Internet bleiben oft unbestraft  

Die nordmazedonische Verfassung erklärt unmissverständlich die Gleichheit der Bürger*innen in Bezug auf ihre Freiheiten und Rechte, ungeachtet des Geschlechts, der Ethnizität, der Nationalität, der politischen oder religiösen Überzeugungen, des Eigentums oder des sozialen Status. Während traditionelle Medien einem klaren Rechtsrahmen unterliegen, arbeiten viele Online-Portale außerhalb der behördlichen Aufsicht. Das Strafgesetzbuch und Mediengesetz enthalten keine ausdrücklichen Bestimmungen zu Online-Hassreden, doch der Artikel 394(g) stellt die Verbreitung rassistischer und fremdenfeindlicher Inhalte über Computersysteme unter Strafe. Nichtsdestotrotz macht das Fehlen eines klaren Eintrages in der Legislation den Kampf gegen Online-Formen von Hassrede und Diskriminierung schwierig. 

Die milde Haltung der Justiz zeigt sich auch darin, dass bei Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit Online-Hassreden Bewährungsstrafen üblich sind. Eine Analyse von Gerichtsurteilen, die sich auf Artikel 394(g) berufen, zeigt, dass Fälle von Online-Missbrauch oft auf die politische Zugehörigkeit des Opfers zurückzuführen sind, insbesondere bei Beamt*innen. Darüber hinaus sind Hassreden auf der Grundlage des persönlichen oder sozialen Status weit verbreitet. Einige Fälle umfassen Hassreden auf der Grundlage von Religion, ethnischer Zugehörigkeit und Alter. Die Analyse zeigt jedoch auch, dass es keine Urteile zu Hassreden aufgrund von Geschlecht oder Genderidentität gibt. 

Die lückenhafte Definition von Hassreden und die mangelhafte Regulierung von Online-Medien verschärfen das Problem und lassen Täter*innen oft ungestraft davonkommen. Nur selten melden Betroffene diese Vorfälle. Eine Umfrage unter 103 Befragten zeigt, dass 65 % selbst bereits Opfer von Hassreden wurden oder jemanden kennen, aber nur 40 % die Vorfälle an staatliche Einrichtungen oder soziale Medien meldeten. Die Ergebnisse der Meldungen reichten von keinerlei Maßnahmen bis hin zur Entfernung der Nachrichten und zur Sperrung des Plattformzugangs der Täter*innen. Als Grund, warum sie Vorfälle nicht meldeten, nannten die Befragten Skepsis gegenüber der Wirksamkeit, das geringe Vertrauen in institutionelle Mechanismen und Angst vor Polizeikorruption. Zudem gaben einige an, nicht zu wissen, wo oder wie sie Vorfälle melden sollten. Diese Kommunikationslücke unterstreicht die Notwendigkeit einer effektiveren Verbreitung von Informationen über verfügbare Ressourcen und Meldewege, um Hassreden im Internet wirksam zu bekämpfen.  

Im Rahmen unseres Forschungsprojekts befragten wir auch Anwaltskanzleien und zivilgesellschaftliche Organisationen zur Häufigkeit der Inanspruchnahme von Rechtshilfe in Fällen von Online-Hassreden. 42% der Anwaltskanzleien und zwei Drittel der zivilgesellschaftlichen Organisationen, die kostenlose Rechtshilfe anbieten, gaben an, noch nie um Unterstützung in solchen Fällen gefragt worden zu sein. Am häufigsten würden jedoch erwerbstätige Frauen im Alter von 30-55 Jahren in Skopje um Hilfe in solchen Fällen suchen.  

Öffentliches Bewusstsein stärken  

Insbesondere zivilgesellschaftliche Organisationen plädieren für die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Online-Täter*innen und eine stärkere administrative Kontrolle von Social-Media-Plattformen. Sie weisen auch auf die Herausforderungen hin, die durch gefälschte Profile entstehen, und betonen die Notwendigkeit öffentlicher Sensibilisierungskampagnen. Bei all diesen Sensibilisierungsmaßnahmen muss auch die geschlechtsspezifische Natur von Hassreden im Internet berücksichtigt werden. Die Hate-Speech-Plattform des mazedonischen Helsinki-Komitees zeigt Spitzenwerte der gemeldeten Fälle im Jahr 2020. Gerade während der COVID-19-Pandemie nahmen Hassreden im Netz sowie die gemeldeten Fälle in Nordmazedonien stark zu – auch wegen des pandemiebedingten Anstiegs der Online-Aktivitäten, der zunehmenden digitalen Polarisierung und der geringen digitalen Kompetenz in der Bevölkerung. In den Jahren danach ist ein Rückgang zu verzeichnen, da sich Nutzer*innen möglicherweise selbst zensierten, um Gegenreaktionen zu vermeiden. Hassreden, die sich gegen die LGBTQIA+ Gemeinschaft richten, häufen sich dagegen weiterhin bei Veranstaltungen wie der Pride-Parade.  

In Nordmazedonien verschärft geschlechtsspezifische Online-Hassrede häufig die bestehenden Herausforderungen für Frauen. Gerade in patriarchalen Kulturen wie auf dem Balkan wird geschlechtsspezifischer Hass gegen Frauen oft bagatellisiert. Im Oktober 2022 wies die Europäische Kommission darauf hin, dass Nordmazedonien die Umsetzung der Gesetze gegen Hassreden und den nationalen Aktionsplan zur Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen verbessern muss. Die Kommission identifizierte Online-Medienplattformen als Hauptquelle für Desinformation und Hassreden. Der Bericht sprach sich schließlich für Kampagnen aus, um das Verständnis der Beteiligten und der Öffentlichkeit zu verbessern.  

Rechtliche Grundlagen schaffen 

Mittlerweile hat auch das Strafgesetzbuch Änderungen erfahren. So werden Angriffe auf Journalist*innen seit 2023 ähnlich wie Vorfälle gegen Beamt*innen oder Rechtsanwält*innen geahndet, für die eine Gefängnisstrafe vorgesehen ist. Außerdem wurde das Spektrum der Gründe, die Personen zu Opfer von Straftaten machen können – online oder im realen Leben – erweitert. Diese umfassen nun auch die Kategorien Geschlecht, sexuelle Orientierung und Genderidentität. 

Die Bewältigung dieser Herausforderungen erfordert jedoch weiterhin Verbesserungen der rechtlichen Infrastruktur und der Mechanismen zur Rechenschaftspflicht für Online-Plattformen. Opfer zu ermächtigen, Vorfälle zu melden, und die Förderung einer Kultur der digitalen Verantwortung sind entscheidende Schritte zur Bekämpfung von Hass im Netz. Untätigkeit führt nicht nur dazu, dass Einzelpersonen weiter geschädigt werden, sondern untergräbt auch das Vertrauen in digitale Räume. 

 

Mila Josifovska Danilovska ist Programmmanagerin der Metamorphosis Foundation for Internet and Society in Nordmazedonien. Sie setzt sich für Menschenrechte im Internet ein und fördert digitale Inklusion. 

Despina Kovačevska ist Spezialistin für Medienbeobachtung und konzentriert sich auf die Analyse von Medieninhalten im Hinblick auf Desinformation und Hassrede.  

Kryptowährungen außer Kontrolle

Montenegro hat eine lange Geschichte des Zigaretten-, Waffen- und Drogenschmuggels. Mittlerweile werden auch Kryptowährungen für illegale Aktivitäten genutzt. SAŠA ĐORĐEVIĆ und ANESA AGOVIĆ erklären, wie fehlende Regulierungen dem organisierten Verbrechen neue Türen öffnen 

Montenegro galt jahrzehntelang als kriminelle Drehscheibe für diverse illegale Aktivitäten unter mafiaähnlichen Strukturen. Im Global Organized Crime Index 2023 landet das Land nach wie vor auf der fünften Stelle der europäischen Länder mit der höchsten Rate an organisierter Kriminalität und an zweiter Stelle in den westlichen Balkanländern. 

Seit 2021 bekommt Montenegro auch die Aufmerksamkeit von Investor*innen in Kryptowährung und darunter auch jene, die diese digitalen Vermögenswerte missbrauchen wollen. Das veränderte die kriminelle „Unterwelt“ im Land. Einer der bekanntesten Akteure in ihr ist Do Kwon, ein südkoreanischer Staatsbürger, dem die USA und Südkorea wegen eines angeblichen milliardenschweren Betrugs am Kryptowährungsmarkt und Verstößen gegen Kapitalmarktgesetze den Prozess machen wollen. Die montenegrinischen Justizbehörden entscheiden derzeit über seine Auslieferung. 

Parallel zu Kriminalfällen wie diesen unternimmt Montenegro Schritte, um sich als Krypto-Oase zu positionieren. Für Investor*innen in Kryptowährungen sollen günstige Steuern angeboten und Hürden abgebaut werden – so wie es bereits in Belarus, Bermuda, den Britischen Jungferninseln und den Kaimaninseln, El Salvador und Georgien üblich ist. Der Versuch dieser neuen Ausrichtung fiel mit dem Aufstieg des derzeitigen Premierministers Milojko Spajić zusammen, der von der Wirtschaft in die Politik wechselte.   

Im April 2022 gewährte Montenegro Vitalik Buterin, einem Mitbegründer von Ethereum, die Staatsbürgerschaft und signalisierte damit Offenheit für Krypto-Innovator*innen. Ethereum ist die zweitbeliebteste Kryptowährung nach Bitcoin. Im Vergleich zur Konkurrenz erlaubt sie Nutzer*innen auch Smart Contracts (kodierte Blockchain-Verträge) und Transaktionen zu entwickeln und durchzuführen. Die Ausrichtung einer bedeutenden Krypto-Konferenz im Mai 2023 und die Aufnahme von Gesprächen mit dem US-Krypto-Unternehmen Ripple über die mögliche Einrichtung einer digitalen Zentralbankwährung oder eines nationalen Stablecoin (eine montenegrinische Kryptowährung, die einen stabilen Wert behalten soll) im Juli 2023 haben das wachsende Engagement Montenegros und gleichzeitig das Interesse für Krypto-Unternehmen erhöht. 

Fehlende Gesetze als Einladung zur Geldwäsche 

Nicht alle sehen diese Entwicklungen positiv. Der Länderbericht der Europäischen Kommission 2023 äußert Bedenken hinsichtlich des unregulierten Status des Kryptowährungsmarktes. Die EU selbst verlangt von Kryptowährungsdiensten, dass sie die illegale Verwendung dieser aufdecken und verhindern. Darüber hinaus äußerte sich Montenegros Präsident Jakov Milatović kritisch gegenüber dem Vorstoß von Premierminister Milojko Spajić, Montenegro zu einer Krypto-Oase zu machen. 

Kryptowährungen sind in Montenegro nicht illegal wie in China, Tunesien oder Ägypten. Obwohl sie offiziell nicht als gültige Zahlungsmethode anerkannt sind, ist ihr Besitz und ihre Verwendung nicht verboten. Doch genau diese fehlenden Regulierungen bergen ernsthafte und vielfältige Risiken. Zum Beispiel ermöglicht es Geldwäscher*innen, unrechtmäßig erworbene Gewinne digital zu verbreiten, indem sie sich hinter Pseudonymen verstecken.  

Neben dem Fall Do Kwon wurde im Juni 2023 ein illegaler Kryptomat an der Küste Montenegros gefunden. Dieser Automat ermöglichte die Umwandlung von digitalen Währungen in Bargeld oder andere Kryptowährungen. Er wurde mit dem vorbestraften Briten George Cottrell in Verbindung gebracht, der unter Beobachtung der US-Behörden steht. Ein weiterer illegaler Kryptomat tauchte in der Hauptstadt Podgorica auf. 

Auch am Immobilienmarkt spielt Krypto eine Rolle. So gab eine montenegrinische Agentur bekannt, dass ihre Makler*innen eine Immobilie im Wert von 6 Millionen Euro – bezahlt in Kryptowährung –verkauft hätten. Derlei Geschäfte stammen in erster Linie von Käufer*innen außerhalb Montenegros, etwa aus Russland, der Ukraine, Zypern, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Israel und den USA.   

Auf Krypto bauen 

Die montenegrinischen Behörden schaffen nur langsam Fortschritte, um mit Krypto einhergehende Risiken einzudämmen. Im Juli 2021 richtete das Finanzministerium zwei Abteilungen ein, die sich mit Blockchain und Kryptowährungen befassen. Darüber hinaus bietet die Zentralbank Informationen über neue Finanztechnologien, um Privatbanken zu unterstützen. Bemühungen zur Regulierung der Blockchain-Technologie wurden Anfang 2022 von Spajić, damals noch Finanzminister, eingeleitet. Die instabile politische Lage verhinderte jedoch bislang das Einführen konkreter Rechtsvorschriften. 

Dieses Rechtsvakuum eröffnet neue Möglichkeiten im Bereich der illegalen Finanzströme, darunter der Geldwäsche. So können beispielsweise Gewinne aus dem Drogengeschäft, die außerhalb Montenegros erwirtschaftet werden, durch den Bau und Kauf von Immobilien ins Land gelangen. Die Regierung erklärte Immobilien in ihrer nationalen Risikobewertung offiziell als Hochrisikosektor für Geldwäsche.  

Die Möglichkeiten zur Geldwäsche mit Kryptowährungen sind vielfältig. So arbeiten beispielsweise Krypto-Händler mit Minern zusammen. Mining ist das Bereitstellen von Rechenleistung, um Transaktionen zu verarbeiten und zu verifizieren – dies wird den Minern für gewöhnlich ebenso in Kryptowährung entlohnt.  Wenn Miner eine überhöhte Rechnung erstellen, die Händler mit Bitcoin oder einer anderen digitalen Währung bezahlen, können illegale Gelder durch gefälschte Papiere in legitim aussehende Einkünfte umgewandelt werden.  

Eine andere Taktik ist die Verwendung von Mixern, die auch als Tumbler bezeichnet werden. Dabei werden Gelder, die durch kriminelle Aktivitäten erlangt wurden, durch zahlreiche Transaktionen in verschiedenen Krypto-Wallets in mehrere Kryptowährungen umgewandelt. Dieser Prozess findet häufig auf Handelsplätzen statt, die in Ländern mit laxer Feststellung der Kund*innenidentität und schwachen Geldwäschegesetzen betrieben werden, oder auf Handelsplätzen, deren Standorte nicht bekannt sind. 

Kryptoboom unter Auflagen 

Auch bei der wirksamen Bekämpfung illegaler Finanzströme steht Montenegro seit Jahren vor erheblichen Hürden, worauf auch die Europäische Kommission hinwies. Obwohl zwischen 2016 und 2022 insgesamt 80 Finanzermittlungen eingeleitet wurden, konnten nur zwei erfolgreich abgeschlossen werden. In den meisten Fällen werden die Finanzermittlungen aufgrund ihrer Komplexität erst nach den strafrechtlichen Ermittlungen gestartet, was es schwierig macht, die illegalen Finanzströme aufzuspüren und zu beschlagnahmen. Die Zahl der Geldwäschefälle vor Gericht steigt, doch die Zahl der daraus resultierenden Urteile bleibt bemerkenswert niedrig. In den Jahren 2021 und 2022 wurden nur zwei Urteile gegen drei Personen gefällt, und das auch nur aufgrund von Geständnissen gegen mildere Strafen. 

Trotz des Fehlens aktueller Vorschriften behauptet die Zentralbank, dass Kryptowährungen keine unmittelbare Bedrohung für das lokale Bankensystem darstellen. Diese Haltung ist jedoch keine Garantie für die zukünftige Stabilität. In Anbetracht der Geschichte Montenegros mit Zigaretten- und Drogenschmuggel sowie der weit verbreiteten Korruption auf hoher Ebene ist es notwendig, robuste Regulierungsmaßnahmen zu ergreifen. Das Land sollte die 2023 verabschiedeten EU-Vorschriften für Kryptomärkte und Geldtransfer vorbereiten sowie den europäischen Pass für Kryptowährungsdienstleister einführen. Denn wenn Montenegro wirklich anstrebt, eine Krypto-Oase zu werden, muss es ein maßgeschneidertes Regulierungssystem entwickeln und seine Kompetenz im Bereich der Finanzermittlung und -untersuchung verbessern.  

 

Saša Đorđević ist Senior Analyst bei der Global Initiative Against Transnational Organized Crime und Doktorand an der Fakultät für Strafjustiz und Sicherheit in Slowenien. 

Anesa Agović ist Journalistin und Forscherin. Seit 2020 ist sie Feldkoordinatorin für Bosnien und Herzegowina bei der Global Initiative Against Transnational Organized Crime.   

In Belgrads Straßen sind Geheimnisse nicht sicher

In Absprache mit China montierte das serbische Innenministerium tausende Kameras zur biometrischen Gesichtserkennung. Trotz der versuchten Geheimhaltung, fand die Zivilgesellschaft ihre Standorte und technischen Spezifika heraus, wie DANILO KRIVOKAPIĆ in seinem Gastbeitrag erklärt. 

Nach drei Jahren harter Verhandlungen verabschiedete die Europäische Union 2024 ihr Gesetz zur Regulierung künstlicher Intelligenz (KI) und bestätigte dabei die Vorreiterrolle der EU in diesem Bereich. Vor dem globalen Hintergrund stellt das Gesetz einen mutigen Schritt dar, denn wie aus unserer kürzlich durchgeführten Untersuchung „Beyond the Face: Biometrics and Society“ hervorgeht, gibt es nur wenige bis gar keine umfassenden rechtlichen Bemühungen, den Einsatz von KI in ihrer schädlichsten Form – der menschlichen Gesichts- und Verhaltenserkennung – einzudämmen. Ob in den Vereinigten Staaten, Australien, China, Brasilien, Südafrika oder den Vereinigten Arabischen Emiraten: Die jeweiligen Vorschriften decken die Risiken der bereits eingesetzten Technologien nicht einmal ansatzweise ab.  

Menschenrechtsorganisationen in Serbien äußern ebenfalls Bedenken über die Transparenz, menschliche Aufsicht und den Datenschutz in Bezug auf die vorgeschlagenen oder verabschiedeten KI-bezogenen Gesetze. Als EU-Beitrittskandidat übernimmt Serbien nach und nach EU-Rechtsstandards, doch bei deren effektiven Umsetzung und insbesondere im Bereich der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Unabhängigkeit der Justiz und der Korruption bestehen weiterhin Probleme. Die jüngsten globalen Entwicklungen haben die Situation im Land noch komplexer gemacht. Die politischen, wirtschaftlichen und technologischen Einflüsse aus Russland und China setzen Serbien weiteren geopolitischen Spannungen aus.  

Unter dem Vorwand der Sicherheit 

Anfang 2019 kündigten die serbischen Behörden Pläne zur Einführung eines Systems zur Gesichts- und Nummernschilderkennung an, das die gesamte Hauptstadt Belgrad erfassen sollte. Solche Maßnahmen würden die Sicherheit der Bürger*innen gewährleisten und die Regierung betonte, dass die ständige automatische Überwachung „nicht missbraucht werden kann“. Details bezüglich technischer Einzelheiten, finanzieller Auswirkungen, angestrebter Ziele oder Vorkehrungen zum Schutz vor möglichen Menschenrechtsverletzungen gab sie jedoch nicht bekannt. Vertreter*innen der Zivilgesellschaft, die über Anträge auf Informationsfreiheit versuchten an Informationen zu gelangen, wurden abgewiesen. 

Der SHARE Foundation ist es dennoch gelungen, die Hintergründe zumindest teilweise aufzuklären. Im Rahmen eines stillen Abkommens über die wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit zwischen Serbien und China entstand die Initiative „Sichere Gesellschaft“, die Informations- und Kommunikationstechnologien stärken und die Sicherheit von Bürger*innen verbessern sollte. Huawei, der damalige Hauptpartner der Initiative, veröffentlichte unbeabsichtigt Details: Eine Fallstudie auf der Website des Unternehmens beschrieb die technischen Besonderheiten der Systeme und verwies auch auf den Kontakt mit dem serbischen Innenministerium. Nachdem die Medien darüber berichteten, entfernte Huawei die Fallstudie umgehend.  

Die Hauptkritik an diesen Maßnahmen ist das völlige Fehlen einer vorhergehenden öffentlichen Debatte über die Notwendigkeit eines solchen Systems und über die spezifischen Probleme der öffentlichen Sicherheit, zu deren Lösung es beitragen sollte. Die ständige und wahllose Überwachung öffentlicher Räume verstößt an sich gegen die Verfassungsbestimmungen zum Schutz der Menschenrechte und es gab keine Begründung, warum eine Ausnahmeregelung erforderlich ist. Nichtsdestotrotz begannen die Behörden mit der Installation der intelligenten Kameras in Belgrad, insbesondere zu Beginn der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020, als die öffentliche Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt wurde. 

Netz aus Kameras 

Aufgrund der fehlenden offiziellen Angaben nahm die Öffentlichkeit die Ermittlung der Standorte der intelligenten Kameras selbst in die Hand. Die Bürgerinitiative #ThousandsOfCameras (#hiljadekamera) erstellte eine Karte, auf der die verifizierten Standorte, die Anzahl und die technischen Daten dieser Kameras verzeichnet waren. Diese Karte unterschied sich sehr deutlich von der Liste der Kamerastandorte, die die Polizei später veröffentlichte. Auf ihr wurden dreimal weniger Kameras in Belgrad angeführt. Nachdem sich der öffentliche Druck auf sie erhöhte, aktualisierte die serbische Polizei ihre Liste, veröffentlichte sie aber nie in Form einer Karte, sondern lediglich die Namen von Straßen und Kreuzungen. 

Um das Bewusstsein für die Kameras in der Öffentlichkeit zu schärfen und dem vorherrschenden Narrativ entgegenzuwirken, brachten Aktivist*innen auffällige Aufkleber mit QR-Codes an Kameramasten an. Auch von der Überwachung inspirierte Kunstinstallationen tauchten überall in der Stadt auf. Eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne machte sogar eine eigene Modekollektion, #hiljadekamera, beliebt, während Websites, kurze Videodokumentationen und Podcasts sich dem Thema widmeten. 

Ende des Sommers 2021 verlagerten sich der Diskurs und die Sorgen rund um die biometrische Überwachung in Serbien auf die legislative Ebene. Das Innenministerium leitete eine als öffentlich bezeichnete, aber unauffällige Debatte über ein vorgeschlagenes neues Polizeigesetz ein, das gesetzliche Bestimmungen für den Einsatz biometrischer Massenüberwachung vorsah. Lokale Menschenrechtsorganisationen erhielten erhebliche Unterstützung von globalen und regionalen Organisationen gegen dieses Vorhaben und innerhalb von zwei Tagen zog das Ministerium den umstrittene Vorschlag zurück. Damit tauchte Serbien auf der Landkarte des weltweiten Kampfes gegen biometrische Überwachung auf.  

Ein unheimlicher Trend 

Biometrische Technologie verwendet menschliche Merkmale zur Identifizierung von Personen. Werden diese Systeme im öffentlichen Raum eingesetzt, kann dies als biometrische Massenüberwachung betrachtet werden. Sie beruht auf der willkürlichen Erfassung, Verarbeitung oder Speicherung sensibler biometrischer Daten in großem Maßstab ohne Kontrolle oder Wissen der jeweiligen Personen. Expert*innen und Aktivist*innen warnen immer wieder, dass dies die Grundrechte und -freiheiten unangemessen einschränkt. Das Gefühl, ständig überwacht zu werden, habe eine Abschreckwirkung und könne dazu führen, dass Menschen weniger am öffentlichen Leben teilnehmen.  

Im Buch „Beyond the Face: Biometrics and Society“, das im Dezember 2023 auf der Tactical Tech in Berlin und im Europäischen Parlament)vorgestellt wurde, untersuchen die Autor*innen die Verwendung biometrischer Massenüberwachung, die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Risiken, die sie für Menschen und insbesondere gefährdete Gruppen auf der ganzen Welt, darstellen. Betrachten wir die rasanten Entwicklungen in diesem Bereich, ist die Studie keineswegs vollständig. Sie bietet aber eine umfassende Momentaufnahme des weltweiten Status quo der biometrischen Überwachung im Jahr 2023. Zudem gibt sie einen Überblick über dokumentierte Fälle aus den Bereichen Polizeiarbeit, Grenzkontrolle und Crowd Management aus Myanmar, Großbritannien, Frankreich, den USA – und Serbien. 

Zurzeit ruht der zivile Kampf um öffentliche Räume frei von willkürlicher Überwachung in Serbien. Mehrere Verantwortliche wurden entlassen und Gesetzesentwürfe zur Überarbeitung zurückgezogen. Das KI-Gesetz der EU bringt etwas Erleichterung, da es neue Maßstäbe für risikobasierte Schutzmaßnahmen setzt und dringend benötigte neue Perspektiven aufzeigt. Gleichzeitig bleibt abzuwarten, inwieweit dieses KI-Gesetz die serbischen Gesetzgeber*innen beeinflussen wird. Denn es scheint sicher, dass die Regierung ihr Bestreben nach teurer und komplexer biometrischen Massenüberwachung nicht völlig aufgegeben hat. Sie sieht sich in den globalen Trends zur Versicherheitlichung der Gesellschaft bestätigt, die die Unterschiede zwischen Demokratien und autokratischen Regimen verwischen. Und obwohl keine Rechtsvorschriften erlassen wurden, werden immer noch in ganz Serbien biometrische Überwachungssysteme installiert. 

Und so hängen weiterhin Tausende von intelligenten Kameras über unseren Köpfen, auf unseren Straßen und Plätzen, und erinnern uns auf unheimliche Weise daran, dass unsere Körper nur einen Klick davon entfernt sind, zu digitalisierten Objekten in einem dystopischen Experiment zu werden.  

 

Danilo Krivokapić ist Direktor der SHARE Foundation, einer in Belgrad ansässigen Organisation für digitale Rechte. Er ist Mitbegründer der Initiative #hiljadekamera, die sich für den verantwortungsvollen Einsatz von Überwachungstechnologie einsetzt. 

Nostalgie im Kleiderschrank?

Litauen erlebt einen Secondhand-Boom. Warum sich gebrauchte Mode großer Beliebtheit erfreut, die Gründe aber eher praktisch als sentimental sind, erklärt MILANA NIKOLOVA in ihrem Gastbeitrag.

Im Herzen der Altstadt von Vilnius ist es nicht schwer, Souvenirs und Replika aus der Sowjetzeit zu finden. Das Angebot reicht von Pins über Münzen bis hin zu Filmplakaten und militärischen Antiquitäten. Tourist*innen der litauischen Hauptstadt greifen gerne zu diesen Erinnerungstücken, während sich die Begeisterung der Einheimischen zurückhält. Tatsächlich sind kommunistische Symbole in Litauen seit 2008 verboten, doch das Verbot gilt nicht für Bildungszwecke oder den Handel mit Antiquitäten. Daher ruft auch der Vilnius Collectors’ Club einmal in der Woche zum Verkauf von Gegenständen aus der kommunistischen Ära auf. 

Abgesehen von Souvenirshops finden Bummler*innen auch zahlreiche Secondhand-Läden. Die weltweit steigende Beliebtheit gebrauchter Ware und Mode macht auch vor den baltischen Staaten keinen Halt. Es gibt unterschiedliche Gründe für diesen Trend, darunter Nachhaltigkeit, Erschwinglichkeit, oder die Suche nach besonderen Einzelstücken. Doch steckt hinter dem Hype für Vintage auch ein Hauch von Nostalgie?  

Tatsächlich ist Litauen eines der post-kommunistischen Länder, das am wenigsten von nostalgischen Gefühlen für die Vergangenheit geprägt ist. Gleichzeitig ist es ein Land, in dem Secondhand-Shopping besonders beliebt ist. Eine der weltweit bekanntesten Start-ups für den Wiederverkauf von Gebrauchtware, Vinted, hat seinen Hauptsitz in Vilnius.  Zuletzt wurde der Wert des Unternehmens auf 4,5 Milliarden US-Dollar geschätzt. Anfang 2023 belief sich die Zahl aktiver Nutzer*innen auf der App in der EU auf 37,4 Millionen. 

Neu kaufen war gestern 

Das Konsumverhalten in weiten Teilen der westlichen Welt änderte sich zwischen 2019 und 2023 deutlich. Einer Umfrage von Statista Consumer Insights zufolge stieg der Anteil der Befragten, die zumindest einmal im vergangenen Jahr gebrauchte Ware kauften, in diesem Zeitraum im Vereinigten Königreich von 50% auf 61%, in Frankreich von 40 % auf 57% und in Deutschland von 41% auf 55%. Für Mittel- und Osteuropa gibt es noch keine vergleichbaren Erhebungen, aber in einigen Ländern der Region kann ein ähnlicher Trend festgestellt werden. So wuchs in Polen der Markt für gebrauchte Kleidung laut dem Unternehmen ThredUp im Jahr 2022 um 18%. In einem Euronews-Bericht aus demselben Jahr heißt es, dass Secondhand-Läden in Tschechien insbesondere nach der Pandemie und aufgrund der steigenden Inflation an Beliebtheit zunahmen. Auch online interessierten sich im Zeitraum 2019 bis 2023 mehr Menschen für Gebrauchtware als für neue: 94% der Europäer*innen suchten auf Amazon zuerst nach gebrauchten Artikeln, bevor sie auf neue zurückgriffen, so eine Untersuchung des Online-Händlers. 

Vintage in Litauen: jung und weiblich 

Forscher*innen der LCC International University und des Klaipėda State College untersuchten im Jahr 2023 Kund*innen, Beschäftigte und Spender*innen von litauischen Secondhand-Läden. Anhand von Umfragen und Interviews fanden sie, dass rund 90% der Befragten weiblich waren, rund 40% waren zwischen 18 und 25 Jahre alt, und jeweils 17% entweder zwischen 26 und 30 Jahre oder zwischen 36 und 45 Jahre alt. In Litauen sind es demnach insbesondere junge Frauen, die sich für Secondhand-Shopping begeistern. 

Die Ergebnisse deuten außerdem darauf hin, dass Käufer*innen in erster Linie aufgrund des niedrigeren Preises und einzigartiger Fundstücke Secondhand-Läden aufsuchen, während Spender*innen von Kleidung mehr von dem Gedanken an die Wiederverwendung von Ressourcen angetrieben werden. Die Studie kam auch zu dem Schluss, dass Secondhand-Läden längerfristig positive Auswirkungen auf die Umwelt haben können, wenn sie ihre Kund*innen und die Öffentlichkeit für die Vorteile des Secondhand-Konsums sensibilisieren. Ieva Zilinskaites, Forscherin für Nachhaltigkeit an der Universität Lund, beobachtet eine schnell wachsende Slow-Fashion-Szene in Litauen, die der Wegwerfgesellschaft und Ausbeutung von Textilarbeiter*innen entgegentreten möchte. 

Kein Platz für Nostalgie 

Auch wenn der ein oder andere Secondhand-Laden und Flohmarkt kommunistische Memorabilia verkauft, hat der Trend zu Gebrauchtware in Litauen nichts mit Nostalgie zu tun. Eine Erhebung des Pew Research Centers aus 2016 zeigt, dass Litauer*innen kaum zur kommunistischen Nostalgie neigen. Nur 23% denken, dass die Auflösung der Sowjetunion negative Folgen für ihr Land hatte. Unter den ehemals sowjetischen Ländern zeigt nur die Estland ein geringeres Maß an Nostalgie. Im Gegensatz dazu ist die Nostalgie in Armenien am größten, wo 79% der Menschen den Zusammenbruch der Sowjetunion bedauern, gefolgt von Russland mit 69%. 

Die vergleichsweise geringe Nostalgie der Litauer*innen überrascht nicht, wenn man bedenkt, dass Litauen die erste Sowjetrepublik war, die ihre Unabhängigkeit wiedererlangte und seither bemerkenswerte wirtschaftliche Fortschritte verzeichnet. Auch die Mitgliedschaft in der NATO, in der EU und in der Eurozone hat sich das Land erfolgreich gesichert. Doch was ist mit den verbleibenden 23%, die der Sowjetunion ein besseres Zeugnis ausstellen? In einem Interview mit dem litauischen Rundfunk sagt Ainė Ramonaitė dazu: „Die ersten Jahrzehnte der Unabhängigkeit waren schwierig. Doch wir sprechen nicht über die Folgen der Wende, wir schweigen und sagen, wenn jemand Probleme hatte, ist das ihre Sache.“ Die Professorin am Institut für Internationale Beziehungen und Politikwissenschaft der Universität Vilnius vertritt die Auffassung, dass diese Gefühle andauern, bis die Traumata aus den Jahren nach der Wende aufgearbeitet werden. 

Vor allem der russische Angriffskrieg in der Ukraine mache es aber schwierig, über die Sowjetzeit zu sprechen. „Die meisten sagen, das diene der russischen Erzählung. Es hilft allerdings auch nicht in offiziellen Diskursen zu schweigen, denn die Leute reden sowieso“, so Ramonaitė. Nostalgie für die Sowjetzeit bedeute nicht gleich, dass Menschen prosowjetische Einstellungen teilen, sondern, dass sie auch von der darauffolgenden Transformation nicht profitierten. In der Tat sind nostalgische Gefühle für die Sowjetzeit vor allem in weniger wohlhabenden und ländlichen Gegenden Litauens verbreitet. In ihnen hat sich das Leben seit der Wende nicht so stark verbessert wie in den Städten. 

Secondhand hat viele Facetten 

Auch Secondhand-Mode ist historisch gesehen mit Klasse und sozialer Ausgrenzung verbunden. Die von der LCC International University und dem Klaipėda State College durchgeführte Studie spiegelt diese Realität wider. Aus den gesammelten Daten geht hervor, dass rund 33% der Gebrauchtwarenkäufer*innen Teilzeitbeschäftigte waren, während 20% arbeitslos waren. 38% verdienten weniger als den Mindestlohn von 430 Euro.  Weitere 22% gaben an, dass das monatliche Budget ihrer Familie zwischen 1400 und 2000 Euro liege und damit unter dem durchschnittlichen monatlichen Haushaltseinkommen des Landes, das laut OECD im Jahr 2022 2.074 Euro betrug.   

Obwohl es einen Zusammenhang zwischen geringerem Wohlstand und einer stärkeren Neigung zur Nostalgie sowie dem Kauf von Gebrauchtwaren zu geben scheint, wäre es zu einfach, die Faszination der Litauer*innen für Secondhand-Mode ausschließlich auf Sowjet-Nostalgie zurückzuführen. Ähnlich wie bei den weltweit zu beobachtenden Trends sind die Manifestationen dieses Einkaufens in Litauen vielfältig und reichen von sowjetischen Gimmicks auf den Straßenmärkten von Vilnius bis hin zur Schaffung eines der international bekanntesten Start-ups für gebrauchte Mode. Je weiter der Trend voranschreitet, desto deutlicher wird, dass die Vorliebe der Litauer*innen für Secondhand-Mode ein komplexes Zusammenspiel von Werten und Bestrebungen widerspiegelt, das von wirtschaftlichen Faktoren über Umweltbewusstsein bis hin zu Kreativität und Unternehmergeist reicht. 

 

Milana Nikolova ist Journalistin. Sie arbeitet und lebt in den Niederlanden, wo sie auch ihr Masterstudium in European Studies absolvierte.