Ein grüner Streifen Leben

Bewegung liegt in der Natur von Lebewesen. Mit der Errichtung von Grenzen, Straßen und Städten schränkt der Mensch allerdings die Bewegungsfreiheit von Tieren massiv ein. Der Biologe Christoph LITSCHAUER erklärt anhand des Eisvogels, wie die grenzüberschreitende Vernetzung von Naturräumen funktionieren kann.

Der Alpen-Karpaten-Korridor ist ein Landschaftsstreifen zwischen den östlichen Ausläufern der Alpen und dem westlichen Teil der Karpaten. Er stellt eine wichtige Verbindung dieser beiden Biotop-Hotspots für viele wildlebende Tier- und Pflanzenarten dar. Die Beckenlandschaft zwischen den Ballungszentren Wien und Bratislava ist stark vom Menschen geprägt und wird intensiv genutzt. Große Landwirtschafts-, Siedlungs- und Gewerbeflächen sowie Verkehrsinfrastruktur zerschneiden die Landschaft und schränken die Bewegungsmöglichkeiten von Flora und Fauna erheblich ein. Dies führt dazu, dass den Arten das Wandern dem einen in den anderen Großlebensraum kaum mehr möglich ist. Mit dem Verlust von naturnahen Lebensräumen geht auch die Vernetzung der beiden Gebirgsregionen verloren. Darüber hinaus können auch wichtige Leistungen des Ökosystems für den Menschen nicht mehr erbracht werden. Die Fragmentierung der Landschaft führt für viele Tier- und Pflanzenarten zu einem Flaschenhals-Effekt. Zusätzlich ändern sich durch die Folgen des Klimawandels ihre Lebensbedingungen. Höhere Temperaturen, Änderungen in der Menge und Verteilung der Niederschläge, Verschiebungen der Blüh- und Aktivitätszeiten oder Extremwetterereignisse zwingen viele dazu, erst recht zu wandern, um passende Lebensräume zu finden. Damit sind gerade auch im Hinblick auf den Klimawandel die Schaffung und Erhaltung von ökologischen Korridoren zur Erhaltung der Biodiversität enorm wichtig.

Nicht passierbar!

Schon in der Frühzeit waren Flusstäler für die Menschen bevorzugte Siedlungsräume. Sie bieten die besten Voraussetzungen für eine dauerhafte Ansiedlung. Neben den reichhaltigen Au-Lebensräumen mit Fischen und Wild gibt es hier auch fruchtbare, für den Ackerbau geeignete Böden. Einhergehend mit der Industrialisierung wurden Flüsse vermehrt als Handelsrouten, zur Produktion und zur Energieerzeugung genutzt. Hochwässer führten, vor allem durch die steigende engere räumliche Bindung der Menschen an die Flüsse, zu teils beträchtlichen Verwüstungen. Daher entwickelte sich spätestens im 19. Jahrhundert, also in Zeiten starker Bevölkerungszunahme, der Flussbau mit starken Regulierungen. Die natürliche Dynamik der Flüsse wurde massiv eingeschränkt. Seit einigen Jahrzehnten treten immer stärker die Kehrseiten der fast überall erfolgten harten Regulierungen der Fließgewässer in den Vordergrund. Fließgewässer-Ökosysteme sind ausgesprochen artenreich. Obwohl Flüsse und Seen nur 2,3 Prozent der Landfläche der Erde bedecken und nur 0,01 Prozent des Wassers umfassen (der überwiegende Teil des Wassers auf der Erde befindet sich in den Ozeanen), beherbergen sie über 10 Prozent der bisher beschriebenen Arten, davon 30 Prozent aller Wirbeltiere. Fluss-Ökosysteme leisten uns viele Dienste: Die Versorgung mit Trinkwasser, Hochwasser- und Erosionsschutz, Nährstoffrückhalt und Schadstofffilter sowie Habitate für Pflanzen und Tiere und Erholungsraum für den Menschen. Sie zählen aber auch zu den am meisten bedrohten Lebensräumen der Erde. So nahm dem Living Planet Report 2020 zufolge der Süßwasserökosystem-Index zwischen 1970 und 2018 um 84 Prozent ab (WWF 2020). Dieser Index zeigt die durchschnittliche prozentuale Veränderung der Bestandsgröße aller erfassten Populationen von Wirbeltieren seit 1970. Die Hauptursachen für die Gefährdung liegen in der Verschmutzung von Gewässern, dem Einschleppen invasiver Arten sowie hydrologischen und morphologischen Veränderungen – also Veränderungen in der Interaktion des Gewässers mit umliegenden Lebensräumen und der Gestalt des Gewässerbettes. Die Situation der Gewässer in der Beckenlandschaft zwischen den Alpen und den Karpaten stellt sich sehr ähnlich dar wie sie weltweit im Living Planet Report aufgezeigt wird. Zahlreiche nicht passierbare Querelemente verhindern das Wandern der wassergebundenen Arten in Schwechat, Fischa und Rudava – den wichtigsten Zubringern zur Donau im Alpen-Karpaten-Korridor. Weite Strecken sind zudem hart verbaut, das heißt die Ufer der Flüsse sind mit Blockwürfen befestigt.

Vernetzung wiederherstellen

Im Zentrum des Projektes »Alpen Karpaten Fluss Korridor« steht die Vernetzung der beiden Gebirgszüge durch Fließgewässer und deren unmittelbarem Umland. Gewässer durchziehen die Landschaft wie ein blaues Netz und bilden daher oft die einzig verbliebenen vernetzenden Elemente zwischen bestehenden Schutzgebieten. Deshalb ist es vor allem aufgrund der zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels wichtig, Flüsse und ihre begleitenden Auen zu erhalten und zu renaturieren. Als Herzstück des Projektes wurden 13 ökologische Pilot-Maßnahmen an fünf Flüssen in der Grenzregion Österreich – Slowakei (Schwechat, Fischa, Rudava, Mociarka und Malina) umgesetzt. Wichtig für die Umsetzung waren neben der direkten Beteiligung der Gemeinden und der Bevölkerung die grenzübergreifende Zusammenarbeit und die gemeinsame Entwicklung von Strategien mit dem Ziel, der Verinselung von Lebensräumen entgegenzuwirken und seltene Arten vor dem Aussterben zu schützen. Eine dieser seltenen Arten ist der Eisvogel; er wurde als »Projekt-Leitart« ausgewählt. Der Eisvogel nimmt aufgrund seiner hohen Lebensraumansprüche die Rolle einer sogenannten Indikatorart für naturnahe, dynamische Fließgewässer ein. Eine gute Nahrungsgrundlage (Fischreichtum), adäquate Habitatstrukturen (Ufergehölz als Ansitzwarten und Deckung), gute Jagdbedingungen (klares, langsam fließendes Gewässer) sowie nutzbare Brutwände (überhängende, vegetationsfreie und störungsfreie UferAbbruchkanten) sind entscheidende Faktoren für das Vorkommen und die Siedlungsdichte des Eisvogels. Die Ergebnisse einer von BirdLife im Zuge des Projektes durchgeführten Studie zeigen eindeutig, dass die höchste Dichte an Brutplätzen wenig überraschend an unregulierten Gewässerbereichen festgestellt wurde. Im abschließend erstellten Aktionsplan wurden MaßnahmenVorschläge für insgesamt 100 Standorte gelistet, um den Eisvogelbestand grenzüberschreitend zu stützen. Zwei dieser Maßnahmen wurden bereits gemeinsam mit SchülerInnen des Bundesrealgymnasiums Schwechat, der Gemeinde Schwechat sowie ExpertInnen des Nationalpark Donau-Auen und BirdLife umgesetzt. Auch bei zusätzlichen Maßnahmen für die Verbesserung der Habitate für weitere gefährdete Arten wie Würfelnatter, Nase und Co. haben die Gemeinden entlang der Flüsse des Alpen-Karpaten-Korridors engagiert mitgeholfen, Projektmaßnahmen erfolgreich umzusetzen und Naturschutz für die Bevölkerung erlebbar zu machen. Insgesamt wurden rund zwei Millionen Euro in die Umsetzung von FlussRevitalisierungen und Artenschutzmaßnahmen investiert. 85 Prozent davon wurde durch den European Regional Development Fund bereitgestellt, der Rest durch Ko-Finanzierung von Bund, Land NÖ und Schwechat Wasserverband.

Wie soll es weitergehen?

Die erfolgreiche Umsetzung des Projektes kann nur ein erster Schritt zur Verbesserung der ökologischen Konnektivität des Alpen-KarpatenKorridors sein. Um das ökologische Netzwerk der Schutzgebiete und Lebensräume für die kommenden Herausforderungen durch den Klimawandel zu stärken, sind weitere Investitionen in Grüne Infrastruktur, wie Revitalisierung von Flussgebieten, unerlässlich.

 

Mag. Christoph Litschauer studierte Biologie mit Schwerpunkt Ökologie an der Universität Wien. Nach seinem Abschluss begann er für den WWF Österreich im Bereich Gewässerschutz zu arbeiten. Von 2010 bis 2013 leitete er das transnationale Projekt »Save the Alpine Rivers!« für das Europäische Alpenprogramm des WWF. Ziel des Projekts war es, Schutzmaßnahmen für alpine Flüsse in Frankreich, Italien, Slowenien und Österreich voranzutreiben. Nach einem Sabbatical wechselte er in den Nationalpark Donau-Auen und ist dort als Projektmanager für den Alpen Karpaten Korridor zuständig.