Endlich frei von Ideologie werden!

Polen machte 2019 mit der Ausrufung sogenannter »LGBT-freier Zonen« internationale Schlagzeilen. MALWINA TALIK berichtet von lokalen Aktionen und Strategien gegen die homophobe Politik.

Polen wurde 2019 zum Schauplatz einer beunruhigenden Entwicklung: Viele Gemeinden, Landkreise und Woiwodschaften (polnisches Pendant der Bundesländer) erklärten sich binnen kurzer Zeit zu »LGBT-(ideologie)freien Zonen« oder schlossen ähnliche homophobe Resolutionen ab. Es ist die Folge eines langandauernden Kulturkampfes, der in Polen seit die PiS-Partei 2015 an die Macht kam, zugenommen hat. Der unmittelbare Auslöser war jedoch eine scheinbar unauffällige und an sich positive Entscheidung des progressiven Warschauer Bürgermeisters Rafał Trzaskowski. Dieser unterzeichnete eine »Erklärung zur Unterstützung von LGBT-Rechten«. Auf Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation sollten queere Themen in den Sexualunterricht (in Polen heißt dieser »Erziehung zum Familienleben«) an Warschauer Schulen aufgenommen werden. Zwar lehnten die nationalkonservativen RegierungspolitikerInnen diesen Schritt mit dem Argument der vermeintlichen »Sexualisierung von Kindern« ab, es waren aber die Behörden auf lokaler Ebene im konservativen Süden und Osten des Landes, die konkrete Maßnahmen dagegen ergriffen. Im März 2019 deklarierten sich erste Ortschaften als »LGBT-frei«. Bald befand sich rund ein Drittel Polens in den selbsternannten Zonen. Die nationalkonservative Zeitung »Gazeta Polska« gab sogar einen »LGBT-freie Zone«- Aufkleber gratis zu einer ihrer Ausgaben hinzu. Die Resolutionen hatten zwar keine rechtliche Wirkung, sie sendeten allerdings ein klares Signal: Wer nicht nach dem traditionellen Familienbild lebt oder diesen Werten folgt, hat hier nichts verloren. Für queere Menschen wurde damit eine weitere rote Linie überschritten. Seit Jahren wandern Betroffene aus Polen aus. Wer bleibt, findet unterschiedliche Wege, um der Homophobie die Stirn zu bieten.

Vorwurf der Ideologie

Um die homophoben »Zonen« sichtbar zu machen, erstellte eine Gruppe von AktivistInnen aus dem ostpolnischen Rzeszów die digitale Landkarte »Atlas des Hasses«. Sie zeigt wo entsprechende Resolutionen verabschiedet, abgelehnt oder in Betracht gezogen wurden. Die InitiatorInnen informieren ebenso darüber, welche Maßnahmen die BürgerInnen ergreifen können, falls ihre Gemeinde so eine Resolution plant. Auch der aus dem ostpolnischen Lublin stammende Aktivist Bart Staszewski machte auf das Ausmaß der »Zonen« mit einer Aktion aufmerksam. Er reiste zu den betroffenen Orten und hing selbstgemachte Schilder mit der Inschrift »LGBT-freie Zone« auf Polnisch, Englisch, Französisch und Russisch an die jeweiligen Ortstafeln. Dann machte er Fotos von Betroffenen vor dem Schild. Seine Protestaktion erhielt bald internationale Aufmerksamkeit. Das Time Magazine setzte Staszewski auf die Liste der »Emerging Leaders« und die Obama Foundation lud ihn zu ihrem Europe-LeadersProgramm ein. Dadurch machte Staszewski verstärkt auf die Homophobie in Polen aufmerksam. Die Gemeinden rechneten nicht mit dem großen Interesse und der internationalen Empörung. Manche zogen die Beschlüsse zurück, andere zeigten AktivistInnen wie Staszewski oder die AutorInnen des Atlas wegen vermeintlicher Verleumdung an. Abgeordnete beteuerten immer öfter, dass sie eigentlich nichts gegen queere Menschen hätten, sondern gegen die sogenannte »LGBT-Ideologie«. Was genau hinter diesem Begriff stecken soll, ist aber unklar. Rechtliche Unterstützung kommt von Ordo Iuris, einer ultrakonservativen Vereinigung. Sie stellte auch eine Muster-Resolution, die sogenannte »Familien-Charta« zur Verfügung, die die Ehe zwischen Mann und Frau durch queeren Sexualunterricht
an Schulen als gefährdet propagiert.

Glaube unter dem Regenbogen

Die katholische Kirche in Polen positioniert sich eindeutig gegen LGBTQIA+ und verbreitet diese Haltung während Predigten und über eigene Medien. Sie setzt sich auch für sogenannte »Konversionstherapien« ein, die Homosexualität als heilbare Krankheit verstehen. Solchen Praktiken fehlt jedoch jede wissenschaftliche Basis, die Bezeichnung Therapie ist somit irreführend. Das offenbart ihren rein ideologischen Charakter. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Kirche Einfluss auf die nationalkonservative PiS-Regierung ausübt und dadurch auf das regierungstreue öffentliche Fernsehen. Marek Jędraszewski, Erzbischof von Krakau und stellvertretender Vorsitzender der Polnischen Bischofskonferenz, bezeichnete die LGBTQIA+ Community als »neue Seuche in den Farben des Regenbogens«. Unter den Kirchenvertretern ist er mit Aussagen wie dieser nicht allein. Die Ausgrenzung betrifft insbesondere queere Gläubige. Für sie bietet seit einigen Jahren die außerkirchliche Gruppe »Glaube und Regenbogen« in sechs polnischen Großstädten Unterstützungsleistungen an. Neben lokalen Treffen berät die Gruppe auch Betroffene und Angehörige und organisiert Kampagnen, an denen sich auch liberale christliche Medien beteiligen.

Kunst für Nächstenliebe

Da die katholische Kirche als Motor der Homophobie in Polen betrachtet wird, stehen religiöse Symbole oft im Zentrum des Protests. So verpassten drei AktivistInnen der stark verehrten Madonna von Częstochowa durch digitale Bildbearbeitung einen Heiligenschein in den Farben des Regenbogens (Cover). Die Plakate klebten sie in der Nähe von Kirchen auf. Die Botschaft: Maria würde ihren Sohn, auch wenn er queer wäre, akzeptieren. Die AktivistInnen wurden 2019 wegen Beleidigung religiöser Gefühle angeklagt, eine von ihnen temporär verhaftet und vor kurzem freigesprochen. Die »Regenbogen-Madonna« wurde so auch international bekannt. Eine andere Aktion kam von dem schwulen Künstler Daniel Rycharski. Seine Werke handeln von Homosexualität und Glaube. Er kehrte nach Jahren in Krakau wieder in sein Heimatdorf Kurow zurück, um dort mithilfe von Kunst auf die Ausgrenzung der LGBTQIA+ Community aufmerksam zu machen. Unter anderem stellte er Kreuze auf, auf denen Kleidung queerer Menschen hing. Wie Vogelscheuchen würde ihre sexuelle Orientierung und Geschlechts-identität die Leute abschrecken. Seine Ausstellung »Alle unsere Ängste«, die im Museum für Moderne Kunst in Warschau präsentiert wurde, thematisiert die Frage, wie man ChristIn bleiben kann, wenn die eigene Kirche einen ablehnt. Die öffentlichkeitswirksame Ausstellung führte dazu, dass der Kulturminister eine Rechtfertigung von der Direktorin des Museums verlangte.

Druckmittel im Lokalen

LokalpolitikerInnen sind den BürgerInnen oft näher als RegierungspolitikerInnen und können auch leichter konfrontiert werden. Durch die homophoben Resolutionen fühlten sich viele Betroffene in den Gemeinden ausgegrenzt. Piotr aus Südpolen (Name geändert) erklärt, dass sich daraufhin einige outeten und die LokalpolitikerInnen mit der Frage konfrontierten, warum sie stigmatisiert werden. Dieser persönliche Kontakt bewirkte in vielen Fällen eine Änderung. Schließlich zogen viele Gemeinden die homophoben Beschlüsse zurück. In mehreren Fällen wurden die Resolutionen durch Gerichtsurteile aufgehoben, dasselbe Schicksal teilten die »LGBT-freie Zone«-Aufkleber, die verboten wurden. Sowohl direkte lokale Initiativen als auch internationales Aufsehen führten dies herbei. Die Kritik der EU-Kommission und die Aussetzung der Zusammenarbeit durch westeuropäische Partnerstädte zwangen Gemeinden, ihre Beschlüsse neu zu überdenken. Sie mussten auch mit der Streichung von Fördergeldern rechnen. Für viele regionale Abgeordnete war der Druck zu groß. »Die Politik versucht die Welt schwarz und weiß darzustellen, sie hat aber alle Farben des Regenbogens«, sagt Piotr. Wie viele andere queere Menschen wartet er darauf, dass sich Polen von der einzig schädlichen Ideologie befreit: jener des Nationalismus, der Diskriminierung und des Hasses.

LGBTQIA+ steht für Lesbisch, Schwul (gay), Bisexuell, Trans, Queer, Intersex, Asexuell. Der Begriff beschreibt sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten. Das + soll weitere Orientierungen und Identitäten entlang des Spektrums inkludieren.

 

Autorin: Malwina Talik