Folgen des Ungleichgewichts: Viren im Donaudelta

Viren sind heute mehr denn je Teil unseres Lebens. Verantwortlich dafür ist vor allem die Zurückdrängung der Tier- und Pflanzenwelt. Der Biologe Alexandru TOMAZATOS forscht am Bernhard-NochtInstitut für Tropenmedizin in Hamburg und erklärt, welche Rolle gerade Vögel in der Verbreitung von Viren einnehmen.

Infektionskrankheiten, insbesondere solche, die durch sogenannte Vektoren wie Stechmücken und Zecken übertragen werden, geben zunehmend Anlass zur Sorge. Das Verbreitungsgebiet dieser Viren hat sich seit mehreren Jahrzehnten weltweit ausgeweitet, insbesondere bei dem durch Mücken übertragenen Dengue, Gelbfieber, Zika oder West-Nil-Virus. Sogenannte Arboviren (kurz für arthropode-borne viruses) sind keine richtige Klasse, sondern eine informelle Kategorie, die durch ein grundlegendes ökologisches Merkmal definiert ist: Es handelt sich dabei um Viren, die die Blutspeisung von Gliederfüßern wie Insekten (Arthropoden) »nutzen«, um einen Wirbeltierwirt zu infizieren. In fast allen bekannten Fällen haben Arboviren eine wichtige Eigenschaft gemein: Sie sind RNA-Viren mit einer sehr hohen Mutationsrate. Sie können sich also schnell entwickeln und sind sehr anpassungsfähig. Ihre Moskito-Vektoren sind zu vergleichbaren Leistungen fähig, wenn auch in einem anderen Ausmaß. Sie sind sehr anpassungsfähig und invasiv. Die Eier einiger Arten widerstehen über lange Zeiträume der Austrocknung und reisen in Altreifen, Dosen und anderen Frachtstücken um die Welt. So verließen etwa auch Tigermücke und Gelbfiebermücke ihre ursprünglichen Verbreitungsgebiete in den Wäldern Asiens bzw. Afrikas und passten sich an die neuen städtischen Umgebungen an. Beide Arten sind vom Säugetier- zum Menschenbiss übergegangen und haben sich an die Fortpflanzung in Containern angepasst. Dies hat zu großen Ausbrüchen von Dengue, Chikungunya oder Zika in tropischen und subtropischen städtischen Gebieten geführt. Die Viren gelangen aber auch nach Südeuropa, wo die Tigermücke (Ae. albopictus) sporadisch Dengue oder Chikungunya verbreiten kann, nachdem es zurückkehrende Reisende einschleppen.

West-Nil-Virus (WNV) am Vormarsch

Nach dem Dengue- gehört auch das West-Nil-Virus (WNV) zu den weltweit häufig verbreiteten Arboviren. Es kommt derzeit auf den meisten Kontinenten vor und breitet sich in den gemäßigten Regionen aus. In seinem natürlichen Zyklus wird das WNV zwischen Culex-Mücken und Vögeln übertragen. Veränderungen in der Ökologie von Vektoren oder Wirten führen zu unterschiedlichen Wechselwirkungen und beeinflussen den Viruszyklus. Wenn etwa die bevorzugten Vögel in einem Gebiet auf dem Zug sind, können die Mücken ihre Nahrungspräferenz auf verfügbare Menschen oder Haustiere verlagern. Wenn das WNV dem primären Mücken-Vogel-Mücken-Zyklus entkommt und Menschen oder Pferde infiziert, gerät es in »Sackgassen«. Es kann sich in diesen Wirten nicht in dem Maße vermehren, wie es für eine erneute Infektion einer Stechmücke erforderlich wäre. Obwohl die Mehrzahl der Infektionen beim Menschen keine Symptome zeigt, entwickeln etwa ein Prozent der Fälle Meningitis, Enzephalitis und/oder Poliomyelitis. Bei Pferden treten in der Regel häufiger neurologische Komplikationen auf, obwohl es für sie einen WNV-Impfstoff gibt.

Per Vogel ins Donaudelta

Das Donaudelta, vor allem bekannt für seine Vogelfauna, ist das zweitgrößte Feuchtgebiet Europas und ein Hotspot der biologischen Vielfalt. Es ist ein reichhaltiger Komplex von Ökosystemen, der als wichtiger Knotenpunkt für den Vogelzug zwischen Afrika und Eurasien dient. Das ausgedehnte Mosaik aus Seen und Sümpfen, die durch ein Labyrinth von Kanälen miteinander verbunden und in das weltweit größte kompakte Schilfreservat eingebettet sind, bietet Nahrung und Nistmöglichkeiten für mehr als 300 Vogelarten. Viele Vögel nehmen eine Rolle beim Transport exotischer Krankheitserreger ein, entweder als biologische Träger (z.B. als Reservoirwirte) oder als Überträger infizierter Parasiten wie Zecken. Manche Spezies finden im Donaudelta reichhaltige und vielfältige Gemeinschaften blutfressender Arthropoden, die mit neuen exotischen Krankheitserregern in Kontakt kommen oder einheimische Krankheitserreger an Vögel weitergeben können. Das West-Nil-Virus ist eines der zentralen Viren in Europa, da es in zahlreichen südlichen, mittleren und südöstlichen Ländern endemisch ist. Vor kurzem breitete es sich auch nach Norden bis nach Deutschland und in die Niederlande aus, was vor allem auf das veränderte Klima zurückzuführen ist. Aufgrund von Evolutionsstudien geht man davon aus, dass der Ursprung des Virus in Afrika liegt. Die Forschung nimmt an, dass die wiederholte Einschleppung nach Europa über den Vogelzug erfolgt. Durch die Sequenzierung seines Genoms können wir die zeitliche und räumliche Entwicklung des Virus modellieren. Diese phylogeografische Analyse von Proben aus Europa und Afrika zeigt auf, dass die am stärksten betroffenen Naturräume entlang der wichtigsten Migrationskorridore liegen und von Vögeln intensiv genutzt werden. Das ausgedehnte Netz von Zugrouten lässt sich anhand der großen Korridore, über die die Vögel das Mittelmeer im Westen (Gibraltar), im Zentrum (Italienische Halbinsel) und im Osten (Israel, Türkei, Bosporus, Donaudelta) durchqueren. Im Donaudelta haben wir festgestellt, dass das lokale West-Nil-Virus eng mit dem zirkulierenden Virus in der Ukraine und jenem im Wolgadelta verwandt ist. Zusammengenommen haben diese osteuropäischen Virusstämme einen gemeinsamen Ursprung im südlichen und östlichen Teil Afrikas. Die Balkanhalbinsel ist eine weitere Region, über die das Virus häufig nach Europa kommt. Von Griechenland aus gelangt es zu wichtigen Knotenpunkten wie Serbien oder Ungarn. Danach breitet es sich nach Österreich und von dort hauptsächlich nach Westen aus. Dabei handelt es sich um eine vereinfachte Darstellung der Virusausbreitung, da es weniger genetische Daten aus Osteuropa gibt als etwa aus dem Westen. Auch über die Überwinterung des Virus, insbesondere im Osten Europas, ist noch wenig bekannt.

Feldforschung im Donaudelta

Die Erfassung von Überträgerarten im Donaudelta ist schwierig, da die Kerngebiete nur mit dem Boot erreichbar sind. Auch lassen sich manche Arten nicht mit den üblichen Fallen einfangen. Arboviren können über lange Zeiträume hinweg unbemerkt zirkulieren. Eine stille, unbemerkte Verbreitung in suboptimalen Zeiten ist typisch für Arbovirus-Zyklen. Sobald sich die Bedingungen wieder bessern, zum Beispiel die Dichte von Stechmücken oder Vögeln zunimmt, intensiviert sich auch die Virusübertragung und kann rasch epidemische Ausmaße erreichen. Als das WestNil-Virus im Donaudelta auf sehr niedrigem Niveau im Umlauf war versuchten wir einen neuen Ansatz: Wir benutzten die gesammelten Mücken mit ihrem Blut als »fliegende Spritzen«, um zu sehen, ob wir immunologische Signale der Infektion im Blut des Wirts nachweisen konnten. Wir sequenzierten zunächst die DNA der Blutmahlzeiten der Mücken und identifizierten damit die Wirte. Dann suchten wir nach Antikörpern gegen das West-Nil-Virus und verwandten Viren in Mücken, die sich von Menschen, Pferden, Hunden und Vögeln ernährt hatten. Bei Blutmahlzeiten von Hunden und Pferden führte diese Methode zu Treffern. Interessenterweise konnten wir dabei in der Blutmahlzeit eines Hundes auch Antikörper gegen das Usutu-Virus feststellen. Seit mehr als zwei Jahrzehnten taucht dieser enge Verwandte des West-Nil-Virus immer wieder in Europa auf. In Wien verursachte Usutu Anfang der 2000er Jahre enormes Vogelsterben. Hunderttausende Vögel, darunter vor allem Amseln, verendeten. Beim Menschen traten die Symptome aber sehr selten und mild auf. In den letzten Jahren haben außergewöhnlich heiße Sommer die Entwicklung von Stechmücken und die Ausbreitung beider Viren in ganz Europa gefördert. Bei Usutu könnte die Zahl der menschlichen Fälle, einschließlich neurologischer Erkrankungen, allerdings stark ansteigen. Darüber hinaus trägt die große Verwandtschaft zwischen den beiden Viren dazu bei, dass das Auftreten dieses Virus in Europa unterschätzt wird.

Gesundheit ohne Grenzen

Die biologische Vielfalt spielt eine wichtige Rolle in der Ökologie von Krankheiten. Manche Wirte begünstigen Epidemien, andere dämpfen oder verhindern die Ausbreitung, indem sie als »Verdünnungswirte« fungieren. Unter bestimmten Bedingungen kann sich diese auch verstärken. Denn wenn der Mensch die biologische Vielfalt verringert, verändern sich auch das Verhalten der Arten und die Muster der Krankheitsübertragung, was oft gerade in dicht besiedelten städtischen Gebieten Folgen hat. Durch die Ausweitung unserer Zivilisation und die Veränderung von Landschaften kommen wir mit Viren in Kontakt, die zuvor auf ungestörte Naturgebiete beschränkt waren. So bieten wir ihnen die Möglichkeit, den Wirt zu wechseln und neue Entwicklungswege außerhalb ihres angestammten Verbreitungsgebiets und in unsere Städte zu beschreiten. Schätzungsweise 75 Prozent der menschlichen Infektionen werden mit anderen Tieren geteilt. Diese Tatsache bildet die Grundlage des One-Health-Ansatzes. Dahinter steht die Erkenntnis, dass die Grenzen zwischen der Gesundheit von Mensch, Tier und Ökosystem künstlich sind – alle drei sind voneinander abhängig.

Dobson et al. 2006. Sacred Cows and Sympathetic Squirrels: The Importance of Biological Diversity to Human Health. PLoS Medicine, doi:10.1371/journal.pmed.0030231

Tomazatos et al. 2019. Ecology of West Nile Virus in the Danube Delta, Romania: Phylogeography, Xenosurveillance and Mosquito
Host-Feeding Patterns. Viruses, 11, 1159; doi:10.3390/v11121159

 

Alexandru Tomazatos ist als Biologe in der Abteilung Arbovirologie des Bernhard-NochtInstituts für Tropenmedizin in Hamburg tätig. Er hat kürzlich seine Doktorarbeit zum Thema Entdeckung und Überwachung von Viren im Donaudelta abgeschlossen und forscht derzeit im Virus Discovery and Evolution Lab.