Briefing on Parliamentary Elections in Lithuania 2024
Read the briefing by Renata Mieńkowska-Norkiene here:
Also follow the discussion available on the YouTube channel of the IDM:
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Litauen erlebt einen Secondhand-Boom. Warum sich gebrauchte Mode großer Beliebtheit erfreut, die Gründe aber eher praktisch als sentimental sind, erklärt MILANA NIKOLOVA in ihrem Gastbeitrag.
Im Herzen der Altstadt von Vilnius ist es nicht schwer, Souvenirs und Replika aus der Sowjetzeit zu finden. Das Angebot reicht von Pins über Münzen bis hin zu Filmplakaten und militärischen Antiquitäten. Tourist*innen der litauischen Hauptstadt greifen gerne zu diesen Erinnerungstücken, während sich die Begeisterung der Einheimischen zurückhält. Tatsächlich sind kommunistische Symbole in Litauen seit 2008 verboten, doch das Verbot gilt nicht für Bildungszwecke oder den Handel mit Antiquitäten. Daher ruft auch der Vilnius Collectors’ Club einmal in der Woche zum Verkauf von Gegenständen aus der kommunistischen Ära auf.
Abgesehen von Souvenirshops finden Bummler*innen auch zahlreiche Secondhand-Läden. Die weltweit steigende Beliebtheit gebrauchter Ware und Mode macht auch vor den baltischen Staaten keinen Halt. Es gibt unterschiedliche Gründe für diesen Trend, darunter Nachhaltigkeit, Erschwinglichkeit, oder die Suche nach besonderen Einzelstücken. Doch steckt hinter dem Hype für Vintage auch ein Hauch von Nostalgie?
Tatsächlich ist Litauen eines der post-kommunistischen Länder, das am wenigsten von nostalgischen Gefühlen für die Vergangenheit geprägt ist. Gleichzeitig ist es ein Land, in dem Secondhand-Shopping besonders beliebt ist. Eine der weltweit bekanntesten Start-ups für den Wiederverkauf von Gebrauchtware, Vinted, hat seinen Hauptsitz in Vilnius. Zuletzt wurde der Wert des Unternehmens auf 4,5 Milliarden US-Dollar geschätzt. Anfang 2023 belief sich die Zahl aktiver Nutzer*innen auf der App in der EU auf 37,4 Millionen.
Neu kaufen war gestern
Das Konsumverhalten in weiten Teilen der westlichen Welt änderte sich zwischen 2019 und 2023 deutlich. Einer Umfrage von Statista Consumer Insights zufolge stieg der Anteil der Befragten, die zumindest einmal im vergangenen Jahr gebrauchte Ware kauften, in diesem Zeitraum im Vereinigten Königreich von 50% auf 61%, in Frankreich von 40 % auf 57% und in Deutschland von 41% auf 55%. Für Mittel- und Osteuropa gibt es noch keine vergleichbaren Erhebungen, aber in einigen Ländern der Region kann ein ähnlicher Trend festgestellt werden. So wuchs in Polen der Markt für gebrauchte Kleidung laut dem Unternehmen ThredUp im Jahr 2022 um 18%. In einem Euronews-Bericht aus demselben Jahr heißt es, dass Secondhand-Läden in Tschechien insbesondere nach der Pandemie und aufgrund der steigenden Inflation an Beliebtheit zunahmen. Auch online interessierten sich im Zeitraum 2019 bis 2023 mehr Menschen für Gebrauchtware als für neue: 94% der Europäer*innen suchten auf Amazon zuerst nach gebrauchten Artikeln, bevor sie auf neue zurückgriffen, so eine Untersuchung des Online-Händlers.
Vintage in Litauen: jung und weiblich
Forscher*innen der LCC International University und des Klaipėda State College untersuchten im Jahr 2023 Kund*innen, Beschäftigte und Spender*innen von litauischen Secondhand-Läden. Anhand von Umfragen und Interviews fanden sie, dass rund 90% der Befragten weiblich waren, rund 40% waren zwischen 18 und 25 Jahre alt, und jeweils 17% entweder zwischen 26 und 30 Jahre oder zwischen 36 und 45 Jahre alt. In Litauen sind es demnach insbesondere junge Frauen, die sich für Secondhand-Shopping begeistern.
Die Ergebnisse deuten außerdem darauf hin, dass Käufer*innen in erster Linie aufgrund des niedrigeren Preises und einzigartiger Fundstücke Secondhand-Läden aufsuchen, während Spender*innen von Kleidung mehr von dem Gedanken an die Wiederverwendung von Ressourcen angetrieben werden. Die Studie kam auch zu dem Schluss, dass Secondhand-Läden längerfristig positive Auswirkungen auf die Umwelt haben können, wenn sie ihre Kund*innen und die Öffentlichkeit für die Vorteile des Secondhand-Konsums sensibilisieren. Ieva Zilinskaites, Forscherin für Nachhaltigkeit an der Universität Lund, beobachtet eine schnell wachsende Slow-Fashion-Szene in Litauen, die der Wegwerfgesellschaft und Ausbeutung von Textilarbeiter*innen entgegentreten möchte.
Kein Platz für Nostalgie
Auch wenn der ein oder andere Secondhand-Laden und Flohmarkt kommunistische Memorabilia verkauft, hat der Trend zu Gebrauchtware in Litauen nichts mit Nostalgie zu tun. Eine Erhebung des Pew Research Centers aus 2016 zeigt, dass Litauer*innen kaum zur kommunistischen Nostalgie neigen. Nur 23% denken, dass die Auflösung der Sowjetunion negative Folgen für ihr Land hatte. Unter den ehemals sowjetischen Ländern zeigt nur die Estland ein geringeres Maß an Nostalgie. Im Gegensatz dazu ist die Nostalgie in Armenien am größten, wo 79% der Menschen den Zusammenbruch der Sowjetunion bedauern, gefolgt von Russland mit 69%.
Die vergleichsweise geringe Nostalgie der Litauer*innen überrascht nicht, wenn man bedenkt, dass Litauen die erste Sowjetrepublik war, die ihre Unabhängigkeit wiedererlangte und seither bemerkenswerte wirtschaftliche Fortschritte verzeichnet. Auch die Mitgliedschaft in der NATO, in der EU und in der Eurozone hat sich das Land erfolgreich gesichert. Doch was ist mit den verbleibenden 23%, die der Sowjetunion ein besseres Zeugnis ausstellen? In einem Interview mit dem litauischen Rundfunk sagt Ainė Ramonaitė dazu: „Die ersten Jahrzehnte der Unabhängigkeit waren schwierig. Doch wir sprechen nicht über die Folgen der Wende, wir schweigen und sagen, wenn jemand Probleme hatte, ist das ihre Sache.“ Die Professorin am Institut für Internationale Beziehungen und Politikwissenschaft der Universität Vilnius vertritt die Auffassung, dass diese Gefühle andauern, bis die Traumata aus den Jahren nach der Wende aufgearbeitet werden.
Vor allem der russische Angriffskrieg in der Ukraine mache es aber schwierig, über die Sowjetzeit zu sprechen. „Die meisten sagen, das diene der russischen Erzählung. Es hilft allerdings auch nicht in offiziellen Diskursen zu schweigen, denn die Leute reden sowieso“, so Ramonaitė. Nostalgie für die Sowjetzeit bedeute nicht gleich, dass Menschen prosowjetische Einstellungen teilen, sondern, dass sie auch von der darauffolgenden Transformation nicht profitierten. In der Tat sind nostalgische Gefühle für die Sowjetzeit vor allem in weniger wohlhabenden und ländlichen Gegenden Litauens verbreitet. In ihnen hat sich das Leben seit der Wende nicht so stark verbessert wie in den Städten.
Secondhand hat viele Facetten
Auch Secondhand-Mode ist historisch gesehen mit Klasse und sozialer Ausgrenzung verbunden. Die von der LCC International University und dem Klaipėda State College durchgeführte Studie spiegelt diese Realität wider. Aus den gesammelten Daten geht hervor, dass rund 33% der Gebrauchtwarenkäufer*innen Teilzeitbeschäftigte waren, während 20% arbeitslos waren. 38% verdienten weniger als den Mindestlohn von 430 Euro. Weitere 22% gaben an, dass das monatliche Budget ihrer Familie zwischen 1400 und 2000 Euro liege und damit unter dem durchschnittlichen monatlichen Haushaltseinkommen des Landes, das laut OECD im Jahr 2022 2.074 Euro betrug.
Obwohl es einen Zusammenhang zwischen geringerem Wohlstand und einer stärkeren Neigung zur Nostalgie sowie dem Kauf von Gebrauchtwaren zu geben scheint, wäre es zu einfach, die Faszination der Litauer*innen für Secondhand-Mode ausschließlich auf Sowjet-Nostalgie zurückzuführen. Ähnlich wie bei den weltweit zu beobachtenden Trends sind die Manifestationen dieses Einkaufens in Litauen vielfältig und reichen von sowjetischen Gimmicks auf den Straßenmärkten von Vilnius bis hin zur Schaffung eines der international bekanntesten Start-ups für gebrauchte Mode. Je weiter der Trend voranschreitet, desto deutlicher wird, dass die Vorliebe der Litauer*innen für Secondhand-Mode ein komplexes Zusammenspiel von Werten und Bestrebungen widerspiegelt, das von wirtschaftlichen Faktoren über Umweltbewusstsein bis hin zu Kreativität und Unternehmergeist reicht.
Milana Nikolova ist Journalistin. Sie arbeitet und lebt in den Niederlanden, wo sie auch ihr Masterstudium in European Studies absolvierte.
Joint event together with the Institute for the Danube Region and Central Europe (IDM Vienna)
Organizer: Péter Techet (IDM Vienna)
Is post-Soviet Eastern Europe a former colony? Can postcolonial approaches be applied to this region? Why is Russia still perceived in parts of the “Global South” as an anti-colonial alternative to the USA? The discussion, organized by the IDM at the European Humanities University (EHU) in Vilnius, focused on questions about how the postcolonial character of post-Soviet Eastern Europe can be understood.
After Iryna Ramanava (EHU) and Péter Techet (IDM) presented the topic, Tatiana Shchyttsova, a philosopher at EHU, spoke about the differences and similarities between the “Global South” and post-Soviet Europe. She emphasized that postcolonial approaches can provide a better understanding of the ongoing political developments in the region. While the Baltic States consider the Russian and Soviet periods as “occupation” to emphasize the foreignness of the Russian element, the Russian presence in Belarus and Ukraine led to a cultural hybridization. In this context, decolonization means the political, cultural, and linguistic detachment from Russia, which necessarily involves a certain nationalism in countries like Ukraine or Belarus. Nationalism is intended to achieve decolonization, not cultural and ethnic isolation. In this regard, Shchyttsova warned against “methodological nationalism.” The nationalizing aspects of decolonization are dialectical antitheses to colonial history that need to be overcome in a global context.
Almira Ousmanova, a social scientist at EHU, also addressed theoretical questions of decolonization in Eastern Europe, drawing on postcolonial and feminist approaches. She emphasized the necessity of the use of the Belarusian language in the cultural and academic fields. EHU is currently considering a change from Russian as the dominant language of instruction to English and Belarusian.
Both Shchyttsova and Ousmanova criticized that Western European scholarship still treats post-Soviet Eastern Europe in the context of Russia: Especially the “Global South” or certain parts of the Western European left fail to recognize the postcolonial character of Eastern Europe and the colonizing nature of Russia by understanding the colonization as an only Western phenomenon. Thus, Russia, including its Soviet past, can appear as an “anti-colonial power.” However, a deeper interest in post-Soviet Eastern Europe would reveal that colonization is multipolar, and it should not be reduced to the dichotomy of “West” vs. “Global South.”
Ukrainian historian Yurii Latysh, currently researching in Vilnius, presented the different political and legal attempts at decolonization in Ukraine. He critically views the removal of statues and street names of Russian authors. For a modern Ukraine seeking European integration, upholding minority rights, including those of Hungarian, Polish, or Romanian minorities, is strategically important to maintain good relations with EU countries. Latysh also explored whether decolonization and nationalization promote an ethnic or civic understanding of the nation.
Andrei Vazyanau, a sociologist at EHU and urban activist from Belarus, explored different possibilities of identification, noting that ethnicity, language, and nation are not synonymous in post-Soviet Eastern Europe. Therefore, nation-building does not require homogenization of language and an ethnic understanding of the nation.
In the debate, it was emphasized that post-Soviet Eastern Europe must be recognized by the Western academic community as a postcolonial space and by the politics of the “Global South” as a valid example of (de)colonization. However, the reason why post-Soviet Eastern Europe is not accepted as a history of colonization, as some participants argued, is related to the “racial” aspect: Colonization in Post-Soviet Eastern Europe did not rely on racial suppression and hierarchy.
On Sunday, May 23 the Lukashenka regime forced a civil plane to land in Minsk due to an alleged bomb threat. Authorities arrested the Belarusian activist Roman Protasevich and his girlfriend for alleged involvement in terrorism and incitement of public disorder as he was covering the opposition protests following Lukashenka’s rigged election in August 2020. EU ministers imposed further targeted sanctions and restricted air traffic over Belarus. Lisa Behrens (IDM) comments on the recent events and on the questions we as Europeans should ask ourselves concerning the situation in Belarus.