Am 20. Mai 2025 fand die Generalversammlung des IDM in St. Pölten, im Gebäude des niederösterreichischen Landtagesstatt. Österreich begeht heuer das 30-jährige Jubiläum seiner EU-Mitgliedschaft. Im Rahmen der Generalversammlung diskutierten Expert*innen gemeinsam mit dem Publikum über die hypothetische Frage, was passiert wäre, wenn Österreich vor 30 Jahren nicht der EU beigetreten wäre. Das Nachdenken über ein Szenario, in dem Österreich heute außerhalb der EU stünde, ermöglichte zugleich Überlegungen zu unterschiedlichen Zukunftsperspektiven – sowohl für Österreich innerhalb der EU als auch für die Weiterentwicklung der europäischen Integration insgesamt.
Generalversammlung
Die Veranstaltung wurde von Fritz Ofenauer, Abgeordneter zum Nationalrat, in Vertretung von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, mit Begrüßungsworten eröffnet. Bei der Generalversammlung stellten Rektor Mag. Friedrich Faulhammer, Vorsitzender des IDM-Vorstandes, und Mag. Sebastian Schäffer, Direktor des IDM, die Tätigkeit des Instituts im vergangenen Jahr vor. Bereits die Zahlen belegen die vielfältige und erfolgreiche Arbeit des IDM: Es fanden 57 Events mit rund 13.000 Teilnehmer*innen bzw. Aufrufen statt. In über 200 Seiten befassten sich 40 Autor*innen in den diversen Publikationen des IDM mit der ostmittel- und südosteuropäischen Region. Die Arbeit am Institut wurde durch ausgewählte Highlights der Mitarbeiter*innen veranschaulicht.
Wie Vorstandsvorsitzender Mag. Faulhammer betonte, lässt sich die vielfältige Tätigkeit des IDM mit fünf „Ps“ beschreiben, die künftig die Arbeits- und Tätigkeitsbereiche des Instituts repräsentieren sollen: Platform, Publications, Policy Analysis, Projects, Public Events.
Das IDM bietet eine Plattform für österreichweite sowie grenzüberschreitende Kooperationen (etwa im Rahmen der Donaurektorenkonferenz oder der ARGE Donauländer), veröffentlicht verschiedene Publikationen (Der Donauraum, Info Europa, Briefings etc.), analysiert politische Entwicklungen mit konkreten Vorschlägen (sowohl in einer eigenen Reihe von Policy Papers als auch in regelmäßigen Kommentaren für österreichische und ausländische Medien), realisiert Projekte in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und organisiert vielfältige Veranstaltungen und Podiumsdiskussionen über Ostmittel- und Südosteuropa.
Friedrich Faulhammer als Vorsitzender des IDM-Vorstands wiedergewählt
Nach der Vorstellung der Institutstätigkeiten wurde der Bericht der beiden Rechnungsprüfer*innen einstimmig angenommen und somit auch der Vorstand entlastet. Danach wurde der Vorstand neu gewählt: Rektor Mag. Faulhammer wird dem Vorstand für drei weitere Jahre als Vorsitzender vorstehen. Als Stellvertreter*innen wurden Dipl.-Ing. Rudolf Schicker und Univ.-Prof.in MMag.a Dr.in Eva Schulev-Steindl wiedergewählt. Für die Publikationstätigkeit wird Univ.-Prof.in Dipl.-Ing.in Dr.in Franziska Sielker als Schriftführerin verantwortlich sein; als Finanzreferent wurde Mag. Thomas Prorok gewählt.
Unter anderem aus dem Vorstand ausgeschieden ist Univ.-Prof. Dr. Stephan Newerkla, der nach über zwei Jahrzehnten intensivem Engagement für das IDM mit einer lateinischen Urkunde und einem Buchgeschenk verabschiedet wurde. Er bleibt allerdings in anderen Funktionen, zum Beispiel als Vorsitzender der Danubius Awards Jury, dem Institut verbunden.
Im Zuge der Generalversammlung wurde auch der neu gegründete Verein idëmo! vorgestellt, der seit November 2024 seinen Vereinssitz am IDM hat. Die idëmo!-Vorstandsmitglieder Teresa Reiter und Dario Brentin stellten die Aktivitäten des Vereins vor, darunter auch das Projekt “Speak up!”, das gemeinsam mit dem IDM, dem österreichischen Außenministerium sowie der US-Botschaft durchgeführt wird.
Diskussion: „Was wäre, wenn Österreich vor 30 Jahren nicht der EU beigetreten wäre?“
Im Anschluss an die Generalversammlung fand eine Diskussion anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des EU-Beitritts Österreichs statt: Sophia Beiter, MA, wissenschaftliche Mitarbeiterin am IDM und Charlemagne Prize Fellow 2024/25, und Mag.a Ilse Penders-Stadlmann, Senior EU Policy Advisor im Verbindungsbüro Niederösterreich, diskutierten über die Vorteile der österreichischen EU-Mitgliedschaft – auch mit persönlichen Bemerkungen dazu, wie ihr Leben durch den EU-Beitritt geprägt wurde.
Ein Gedankenexperiment wie „Was wäre, wenn Österreich 1995 nicht der EU beigetreten wäre?“ lässt sich nicht exakt beantworten, doch es gibt viele konkrete Bereiche, in denen wirtschaftliche Unterschiede deutlich spürbar wären.
Österreich profitiert massiv vom EU-Binnenmarkt: Über 70% der österreichischen Exporte gehen in EU-Länder. Ohne die Mitgliedschaft hätte Österreich entweder ein separates Handelsabkommen – wie etwa die Schweiz (aber mit geringerem Mitspracherecht) – oder gar keine Sonderregelung und müsste als Drittstaat Zölle und bürokratische Hürden in Kauf nehmen. Laut Studien (etwa des WIFO) erhöhte der EU-Beitritt das österreichische BIP um 5–10%. Besonders der Finanzstandort Wien und die Ostregion hätten sich ohne EU-Mitgliedschaft weniger dynamisch entwickelt.
Zwischen 1995 und 2020 erhielt Österreich rund 30 Milliarden Euro an EU-Förderungen. Ohne den EU-Beitritt wären viele dieser Mittel (etwa für strukturschwache Regionen wie Kärnten oder das Südburgenland) entfallen, und Österreich hätte alle Förderprogramme selbst finanzieren müssen.
Dank der EU-Freizügigkeit können österreichische Unternehmen heute leichter Arbeitskräfte aus dem EU-Ausland beschäftigen (z. B. in Bau, Pflege, IT). Ohne die EU-Mitgliedschaft hätte Österreich weniger Zugang zu qualifizierten Arbeitskräften – was zu stärkeren Engpässen etwa in der Pflege, im Tourismus oder im Handwerk führen würde.
Ilse Penders-Stadlmann fasste die Auswirkungen des EU-Beitritts zusammen: „Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich lauter EU-Projekte.“ Ein Österreich außerhalb der EU sei für sie schlichtweg „denkunmöglich“. Sie betonte besonders die wirtschaftlichen Vorteile: regionale Förderungen, Teilnahme am Binnenmarkt, grenzüberschreitende Wirtschaftsbeziehungen und die EU-Freizügigkeit.
Sophia Beiter hingegen wies darauf hin, dass die EU allen Bürger*innen eine Möglichkeit zur demokratischen Teilhabe biete, auch wenn diese Vorteile weniger messbar seien als die ökonomischen. Für Beiter ist die EU daher vor allem ein Stabilisierungsfaktor für Demokratie und Frieden – mit „doppelt gesicherten“ demokratischen Strukturen, besonders relevant für Mitgliedstaaten, in denen die Demokratie innenpolitisch gefährdet sei.
Beiter, die nach dem EU-Beitritt geboren wurde, erklärte, wie stark ihr eigenes Leben davon geprägt wurde: Ihre Familie zog nach dem Beitritt aus Deutschland nach Wien, wo sie aufwuchs und heute an einem Institut wie dem IDM mit vielen anderen Europäer*innen zusammenarbeitet. Wie auch IDM-Direktor Mag. Schäffer als Moderator betonte, sei der EU-Beitritt für das IDM besonders relevant: Das Institut beschäftigt sich heute mit EU-Mitgliedern und EU-Beitrittskandidaten aus der Region. Der ostmittel- und südosteuropäische Raum, mit dem sich das IDM seit über 70 Jahren als einer der ältesten Think-Tanks Österreichs befasst, ist durch die EU-Erweiterung – oder die Aussicht darauf – noch enger zusammengewachsen.
Zwischen Rückblick und Ausblick: Rege Beteiligung des Publikums
Auch das Publikum beteiligte sich mit persönlichen Erinnerungen und Zukunftsideen an der Diskussion. Dabei wurde jedoch auch kritisch angemerkt, dass ein Weg außerhalb der EU nach Schweizer Vorbild für Österreich womöglich denkbar gewesen wäre. Penders-Stadlmann widersprach diesem Vergleich: Die Schweiz sei nicht mit Österreich vergleichbar – und müsse für die Teilnahme am Binnenmarkt ebenfalls zahlen.
IDM-Vorstandsmitglied Dr. Klaus Wölfer stellte den österreichischen EU-Beitritt in den Kontext der seiner Meinung nach derzeit „steckengebliebenen“ EU-Erweiterung: „Wenn Österreich der EU nicht beigetreten wäre, wäre das kein Weltuntergang, aber der Beitritt war ein Signal für die darauffolgende EU-Erweiterung nach Osten.“ Die damalige Erweiterung sei somit ein Vorzeichen für die spätere Osterweiterung gewesen. Gleichzeitig kritisierte er den mangelnden politischen Willen zur Fortsetzung der Erweiterung am Westbalkan.
IDM-Direktor Mag. Schäffer meinte abschließend, das heurige Jubiläum biete auch Anlass zur Reflexion über die Zukunft der europäischen Integration und bat die Panelistinnen um eine Einschätzung, wie Europa bzw. die EU 2055 aussehen wird.
Sophia Beiter verwies auf das Einstimmigkeitsprinzip als ein zentrales Problem bei Entscheidungen auf EU-Ebene: Einige Mitgliedstaaten können Entscheidungen blockieren oder verzögern. Ilse Penders-Stadlmann zeigte sich hinsichtlich einer Abschaffung dieses Prinzips skeptisch und meinte, dies sei „auch in 30 Jahren kaum möglich“. Beiter betonte, dass es 2055 nur dann eine handlungsfähige EU geben wird, wenn jetzt Entscheidungsmechanismen reformiert würden. Sie stellte zwei Szenarien gegenüber: ein negatives (Rückbau der Integration zu einem losen Staatenbund) und ein positives, das eine tiefere Integration vorsieht. Um Letzteres zu erreichen, müsse man Reformen umsetzen – „ansonsten tritt das negative Szenario ein“.
Die Diskussion wurde im Anschluss bei einem Empfang, gegeben von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, im wunderschönen Ambiente des Landtagsschiffs fortgesetzt. Wir freuen uns auf die weitere Kooperation mit dem Vorstand, unseren Kooperationspartnern und den IDM-Mitgliedern!