Polens Präsident in Wien: Gegenpol oder Brückenbauer?  

Anlässlich des heutigen Staatsbesuches des polnischen Präsidenten Andrzej Duda in Wien betrachtet unsere Kollegin Malwina Talik die politischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Länder. 

Auf der Landkarte sind Polen und Österreich nicht weit voneinander entfernt, außenpolitisch allerdings schon: Polen ist ein aktives NATO-Mitglied, das auf die enge Zusammenarbeit mit den USA setzt, Österreich hingegen ein militärisch neutrales Land; Polen führte seit Jahren eine (über)vorsichtige Politik gegenüber Russland, Österreich pflegte bis Februar 2022 eher freundschaftliche Beziehungen. Der heutige Staatsbesuch des polnischen Präsidenten Andrzej Duda in Wien bietet also genügend Anlass, sich die politischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Länder genauer anzusehen. Der polnische Präsident wird sich mit seinem Amtskollegen, dem österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen, und mit Bundeskanzler Karl Nehammer treffen. Dabei sollen vor allem die europäische Politik in Bezug auf den russischen Invasionskrieg in der Ukraine, bilaterale Beziehungen sowie Erinnerungspolitik um das KZ Mauthausen-Gusen und die Schlacht am Kahlenberg besprochen werden. 

 

Wer ist der polnische Präsident? 

Wenn es um das Vertrauen der polnischen Bevölkerung in ihre Politiker*innen geht, ist Andrzej Duda laut Umfragen auf Platz zwei – vor ihm der liberale Bürgermeister Warschaus Rafal Trzaskowski. Duda war bis zu seiner überraschenden Wahl zum Präsidenten 2015 Mitglied der konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Sein Sieg gegen den amtierenden liberal-konservativen Präsidenten Bronislaw Komorowski war das erste Signal, dass die Präferenzen der Wähler*innen nach rechts rutschen. Auf den Erfolg des ausgebildeten Juristen folgte der nächste für PiS: Im selben Jahr kam die Partei unter der Parole „Guter Wandel“ an die Macht. Im Laufe seiner zwei Amtszeiten pflegte Duda gute Beziehungen zum US-Präsidenten Donald Trump. Insgesamt dreimal besuchte er ihn im Weißen Haus, einmal empfing er ihn in Polen. Aus Angst vor Russland und um die militärische Sicherheit durch die Präsenz der US-Armee in Polen zu verbessern, schlug er sogar vor, eine US-Militärbasis namens “Fort Trump” im Land zu gründen – dieses Vorhaben wurde schlussendlich aber nicht verwirklicht. 

 

Die alte Angst vor Russland 

Während für Österreich der unprovozierte Angriff Russlands auf die Ukraine ein Schock war, stellte er für Polen eine nachvollziehbare Erfüllung der schlimmsten Albträume dar. Die Russland-Politik beider Länder bildet zwei Gegenpole, was insbesondere nach dem  Georgienkrieg 2008 spürbar wurde. „Es ist uns bewusst, dass heute Georgien, morgen die Ukraine, übermorgen die baltischen Staaten und später vielleicht mein Land, Polen, an der Reihe sind“, rief 2008 der mittlerweile verstorbene polnische Präsident Lech Kaczyński bei einer Kundgebung in der Hauptstadt Georgiens, nachdem russische Truppen das Land angriffen. Diese Worte spiegelten pointiert die Wahrnehmung der polnischen politischen Elite über den Kreml wider. Polen protestierte heftig gegen den Bau von Nord-Stream II, nach der Annexion der Krim durch Russland und dem Ausbruch des Konflikts in der Ostukraine 2014  reduzierte esschrittweise seine Energieabhängigkeit von Russland. Während 2014 noch 95% des Öls aus Russland importiert wurde, waren es am Vorabend des Krieges nur mehr 62%. Infolgedessen sind die Energiepreise nach der Invasion zwar auch in Polen gestiegen, aber nicht so stark wie in Österreich. 

 

Enger Verbündete der Ukraine 

Polen gilt als starker Befürworter der Ukraine in der EU, erst letzte Woche hat Andrzej Duda den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Warschau empfangen. Als Nachbarland der Ukraine hat Polen den Krieg ante portas – vor der eigenen Haustür und beherbergt die größte Anzahl an Geflüchteten. Da zu den Nachbarländern auch Lukaschenkas Belarus und die russische Exklave Kaliningrad zählen, spielt die eigene Sicherheit eine größere Rolle als je. Das Gefühl, dass die Ukraine „für uns kämpft“ ist sehr präsent. Das ist einer der Gründe, warum Polen, auf eigene Aufrüstung setzt und für weitere militärische Hilfe für die Ukraine plädiert. Neutralität hin oder her, Polen hofft auf Engagement seitens Österreichs: „Wir sind uns bewusst, dass Österreich ein neutrales Land ist, aber es kann politische und humanitäre Unterstützung leisten“ steht es in der Pressemitteilung der Präsidentschaftskanzlei. 

Was Polen und Österreich weiters unterscheidet ist ihre Position zu der Anwesenheit der von der sanktionierten russischen Spitzpolitiker*innen an internationalen Treffen und Konferenzen. Polen verweigerte Russlands Außenminister Sergei Lawrow eine Einreise zum OSZE-Außenminister-Treffen in Lodz. Diese Entscheidung kritisierte der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg. Dies lies Andrzej Duda nicht ohne Kommentar: „Es tut mir leid, solche Stimmen zu hören. Wenn wir berücksichtigen, dass dies von einem europäischen Politiker eines Landes gesagt wird, das der Europäischen Union angehört, zerbricht für mich zweifellos die europäische Einheit.“ Die russische Delegation, in der auch sanktionierte Diplomat*innen waren, konnte im Februar 2023 nach Österreich einreisen – trotz internationaler Kritik. Diese Meinungsunterschiede sind zweifellos ein weiterer Grund, warum sich Polen für einen hochrangigen Besuch in Wien entschied. 

 

Brückenbauer? 

In Polen ist das Image von Österreich als Brückenbauer kaum bekannt. Das Land versucht aber eine ähnliche Rolle einzunehmen, z.B. mit von polnischen Regierungen initiierten Formaten wie der Östlichen Partnerschaft oder der Three Seas Initiative (3SI), die vorwiegend ehemalige kommunistische Länder miteinbezieht. Interessanterweise ist Österreich das einzige „westliche“ Land in der 3SI.  

Beim Thema Migration vertreten beide Länder hingegen wieder ähnliche Meinungen: Während Polen illegale Pushbacks ausübt und Zäune und Mauern an der Grenze zu Belarus baut, setzt Österreich auf immer strengere Abschiebungspolitik. “Illegale” Migration wurde auch als ein Grund zitiert, um Rumänien und Bulgarien den Schengenbeitritt zu verweigern, weil laut Österreich die beiden Länder unzureichend ihre Grenzen schützten. 

Trotz Unterschieden gibt es also auch viele Gemeinsamkeiten in der Politik beider Länder. Die Frage besteht, ob diese als positive Entwicklungen betrachtet werden sollten. Die jüngsten Reden des österreichischen Bundeskanzlers zeigen, dass die konservativen Parteien in den Regierungen Polens und Österreichs sich in vielen Bereichen annähern statt sich wie Gegenpole abzustoßen. 

Malwina Talik: President Macron is only one of European leaders and his sentiment is not shared across the EU

“The EU is not on the same page regarding its approach towards the US. Some countries like Poland or the Baltic states are proponents of the very close Euro-Atlantic alliance. With his statement Macron represents the position of some EU politicians but not of the EU as whole.”

commented Malwina Talik  on Macron’s remarks that Europe must reduce its dependency on the United States and avoid getting dragged into a confrontation between China and the US over Taiwan.

Read the whole interview for the Eurasia Diary here.

“Solidarität auf dem Prüfstand?” Malwina Talik und Magdalena Baran Szoltys für DerStandard und Eastblog

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zwang Millionen Menschen zur Flucht. Die meisten wurden von Polen aufgenommen. In ihrem Artikel für den Eastblog – Universität Wien und DER STANDARD verdeutlichen IDM-Kollegin Malwina Talik gemeinsam mit Magdalena Baran-Szołtys (RECET – Research Center for the History of Transformations), was ein Jahr Krieg für die ukrainischen Geflüchteten und die polnische Gesellschaft bedeutet.  

Eastblog

DerStandard

The Implications of President Joe Biden’s Visit to Warsaw: national and regional perspectives  

President Joe Biden is coming to Poland this week, almost exactly one year after the Russian invasion in Ukraine started. On 21 February Biden was also in Kyiv on a surprise visit, for which he used Rzeszów in Poland to transfer to Ukraine. But the visit, despite being symbolic, has some domestic and regional implications. 

 

According to the information available today, in Poland President Biden (POTUS) will hold bilateral talks with the leaders of the ruling camp (including the Polish President, Andrzej Duda), make a public address to the Poles (at the symbolic place near the Royal Castle in Warsaw), and take part in the meeting of the so-called Bucharest Nine, a group of nine NATO countries in Eastern Europe. Just as it happened on 26 March 2022, the upcoming visit will focus on security issues, and its underlying theme will be the anniversary of Russia’s invasion of Ukraine. 

 

Biden will be the first US president to visit Poland again in less than a year after the previous one, although Barack Obama visited Poland three times: in 2011, 2014, and 2016. Poland was chosen as a destination for the POTUS visit because it has become a hub for international support for Ukraine. Nowadays Poland is a territory through which Western supplies are entering Ukraine, be they humanitarian or military. Moreover, the country is important as it received one of the biggest numbers of refugees (around 950 thousands so far) among EU countries and in the region. Apart from Poland, the Czech Republic and Bulgaria are hosting significant numbers of refugees, but they are significantly lower: 432 thousands and 147 thousands respectively. 

 

Poland is also one of the most hawkish countries in Europe as regards Russia on the international stage. It has proposed far reaching sanctions and other measures that NATO/EU allies could implement (such as the transfer of MIG-29s). Along with the Baltic republics, Poland was also one of the biggest and most active proponents of the EU membership candidate status for Ukraine.  

 

The visit is not free from certain controversies, however. Many Poles as well as commentators in the West do not like the fact that Biden will probably strategically turn a blind eye to the policies of Poland’s ruling government that deteriorate the rule of law and democracy at home. The visit will strengthen the image of PiS as a party that has a special relationship with the US, while the country positions itself on the margins of the EU. In fact, Mr Biden once criticised Poland, listing it alongside Belarus and Hungary as examples of “the rise of totalitarian regimes in the world.” By contrast, ahead of Mr Biden’s visit, White House spokesman John Kirby rightly applauded Warsaw for being “a strident ally and a tremendous supporter of Ukraine.”  

 

In short, the PiS government will be able to present themselves as those who improved Poland’s position in the alliance, and this in turn would play in the government’s favour during the election year. It is important for the PiS government to present the relations with the US as better than ever before because the politicians of the Polish right want to be seen by the domestic audience as world leaders. President Biden’s second visit to Poland in less than a year will only strengthen this view. 

 

In the region, Poland is already perceived as a country that has a leading role in supporting Ukraine. Moreover, while Poland perceives itself as a natural leader in Central Europe, this is not the view of countries like the Czech Republic or the Baltic States. The backsliding of democracy at home does not strengthen Warsaw’s role in the region.  

 

One of the important platforms for regional cooperation – the Visegrad Group – is already struggling to speak with a coherent voice on a Ukraine policy as Hungarian policy has drifted away from Polish, Czech and Slovak approaches. The Czech Republic and Slovakia are also distancing themselves from Hungary and Poland at the EU level, and are more and more interested in engaging with Austria in the Slavkov/Austerliz format. Warsaw is also a supporter of the Three Seas Initiative, a platform of cooperation in Central and Eastern Europe, supported by the US, but which is not so popular, for example in Slovakia. The only platform through which Poland can showcase its leadership is the Bucharest Nine, which became the vehicle of regional governments to demonstrate their interest in helping Ukraine. We should not expect many changes in internal dynamics in this grouping given President Biden’s presence in Warsaw. But without Warsaw reversing the backsliding of the rule of law and democracy at home, Poland will not be seen by other countries in the region as a “leader” in Central Europe. 

 

In a public speech, Biden intends to express his thanks to Polish society for the universal, direct support for refugees and humanitarian aid sent to Ukraine. This is, of course, a praiseworthy attitude, but it is rather the society itself that should be credited for extending a helping hand to Ukrainians. The Polish government’s record is more mixed in this respect. Recognition from the US president will allow the authorities to dismiss accusations of inhumane treatment of migrants on the border with Belarus.  

 

When it comes to the region, President Biden’s visit to Warsaw underlines that fact that NATO’s eastern flank has finally found its voice as it proved to be right about Russia’s intention towards Ukraine in the past. However, as Czech Foreign Minister Jan Lipavský told Politico, Western countries are still “much stronger” on the economic and military front” and they have the financial capacity to help Ukraine.  

 

In short, this visit is important and symbolic but fraught with national and regional sensitivities. 

Malwina Talik for radio RMF Classic about challenges and hopes of Austria and Poland in 2023

Malwina Talik was a guest of Łukasz Wojtusik in the programme “Rozmowy dwustronne” (“Bilateral talks”) on the Polish radio channel RMF Classic where she talked about the possible problems that Austria can encounter in the new year, the hopes of Austrians and how they relate with challenges faced by Poland. 
 
The interview is available also as a podcast and can be listened to here (in Polish). 

Why does Poland welcome Ukrainian refugees but denies those from the Global South? Malwina Talik for Fair Observer

“Ukrainian refugees fleeing to Poland from the horrors of Russian aggression have met with a warm welcome. The Poland-Ukraine border, which constitutes the EU’s eastern frontier, opened for the massive influx of despairing people. But, just a hundred kilometers up north, refugees, mainly from the Global South, who are trying to cross the Poland-Belarus border have been experiencing a different treatment: barbed wires and walls, hindering them from entering the country and even if they manage to cross them, they are pushed back” 

In her article for Fair Observer, IDM’s media partner, Malwina Talik explains what lies behind those different approaches to people coming from the worn-torn countries.  


You might also be interested in: 

The Migrant Crisis on Poland-Belarus Border Is Lukashenko’s Revenge”, Malwina Talik, November 15, 2022, Fair Observer 

 

Revolutionale Talks (Leipzig): Malwina Talik at the panel discussion about democracy, the rule of law and culture of memory in Poland

Free elections, freedom of the press and the rule of law were hard-won in Poland in the 1980s. In recent years, the country has repeatedly come under international criticism for dismantling the rule of law. How are the hard-won democratic freedoms of that time remembered today and are they currently in danger? What about the democratic and political awareness of Polish civil society and the culture of remembrance in Poland? 

Those were the core issues discussed during the third Revolutionale Talk (Leipzig): “Democracy in danger?! Developments in Rule of Law and Civil Society” on 3 November 2022 with Katarzyna Batko-Tołuć (Member of the Board at Watchdog Poland), Dr. Jacek Kołtan (Director’s Representative for Research at the European Solidarity Centre), Filip Pazderski (Senior Policy Analyst and Director of the Democracy and Civil Society Program of the Institute of Public Affairs ) and our colleague Malwina Talik (Research Associate at the Institute for the Danube Region and Central Europe). 

You will find more information about the event here. 

You can watch the discussion on the YouTube channel of the Revolutionale:

 

This could be of interest to you:  

Revolutionale 

Revolutionale Talk 1: Conflicted Memory in Bosnia and Herzegovina 

Revolutionale Talk 2: Burdened Memory: The State of Culture of Remembrance in Hungary

Zwei Jahre fast völliges Abtreibungsverbot in Polen – Malwina Talik und Magdalena Baran Szoltys für DerStandard und Eastblog

“Was Frauenrechte angeht, erzielte Polen in vielen, vor allem ökonomischen Bereichen oft bemerkenswerte Ergebnisse. Es hat etwa einen der niedrigsten Gender-Pay-Gaps und eine der höchsten Quoten an Managerinnen aller OECD-Länder. Laut Weltbank verzeichnete das Land 2017 auch die niedrigste Zahl an Müttersterblichkeit weltweit. Im großen Gegensatz dazu steht das neue Abtreibungsgesetz: Es drängt Frauen in die Fremdbestimmung und wird sich – nicht nur – auf die Sterblichkeit von Müttern negativ auswirken.” schrieben in ihrem Artikel für den Eastblog – Universität Wien und DerStandard Malwina Talik (IDM) und Magdalena Baran-Szołtys (RECET – Research Center for the History of Transformations).
Sie erklärten wie und warum die Möglichkeiten einer Abtreibung in Polen immer weiter verunmöglicht werden, welche Auswirkungen das auf internationaler Ebene hat und wie man sich dagegen zur Wehr setzen kann.
Am 22. Oktober jährt sich zum zweiten Mal das Urteil des polnischen Verfassungsgerichtshofs, das eine Gesetzesänderung nach sich zog, die einem fast völligen Abtreibungsverbot in Polen gleichkommt

Eastblog                                  DerStandard

Endlich frei von Ideologie werden!

Polen machte 2019 mit der Ausrufung sogenannter »LGBT-freier Zonen« internationale Schlagzeilen. MALWINA TALIK berichtet von lokalen Aktionen und Strategien gegen die homophobe Politik.

Polen wurde 2019 zum Schauplatz einer beunruhigenden Entwicklung: Viele Gemeinden, Landkreise und Woiwodschaften (polnisches Pendant der Bundesländer) erklärten sich binnen kurzer Zeit zu »LGBT-(ideologie)freien Zonen« oder schlossen ähnliche homophobe Resolutionen ab. Es ist die Folge eines langandauernden Kulturkampfes, der in Polen seit die PiS-Partei 2015 an die Macht kam, zugenommen hat. Der unmittelbare Auslöser war jedoch eine scheinbar unauffällige und an sich positive Entscheidung des progressiven Warschauer Bürgermeisters Rafał Trzaskowski. Dieser unterzeichnete eine »Erklärung zur Unterstützung von LGBT-Rechten«. Auf Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation sollten queere Themen in den Sexualunterricht (in Polen heißt dieser »Erziehung zum Familienleben«) an Warschauer Schulen aufgenommen werden. Zwar lehnten die nationalkonservativen RegierungspolitikerInnen diesen Schritt mit dem Argument der vermeintlichen »Sexualisierung von Kindern« ab, es waren aber die Behörden auf lokaler Ebene im konservativen Süden und Osten des Landes, die konkrete Maßnahmen dagegen ergriffen. Im März 2019 deklarierten sich erste Ortschaften als »LGBT-frei«. Bald befand sich rund ein Drittel Polens in den selbsternannten Zonen. Die nationalkonservative Zeitung »Gazeta Polska« gab sogar einen »LGBT-freie Zone«- Aufkleber gratis zu einer ihrer Ausgaben hinzu. Die Resolutionen hatten zwar keine rechtliche Wirkung, sie sendeten allerdings ein klares Signal: Wer nicht nach dem traditionellen Familienbild lebt oder diesen Werten folgt, hat hier nichts verloren. Für queere Menschen wurde damit eine weitere rote Linie überschritten. Seit Jahren wandern Betroffene aus Polen aus. Wer bleibt, findet unterschiedliche Wege, um der Homophobie die Stirn zu bieten.

Vorwurf der Ideologie

Um die homophoben »Zonen« sichtbar zu machen, erstellte eine Gruppe von AktivistInnen aus dem ostpolnischen Rzeszów die digitale Landkarte »Atlas des Hasses«. Sie zeigt wo entsprechende Resolutionen verabschiedet, abgelehnt oder in Betracht gezogen wurden. Die InitiatorInnen informieren ebenso darüber, welche Maßnahmen die BürgerInnen ergreifen können, falls ihre Gemeinde so eine Resolution plant. Auch der aus dem ostpolnischen Lublin stammende Aktivist Bart Staszewski machte auf das Ausmaß der »Zonen« mit einer Aktion aufmerksam. Er reiste zu den betroffenen Orten und hing selbstgemachte Schilder mit der Inschrift »LGBT-freie Zone« auf Polnisch, Englisch, Französisch und Russisch an die jeweiligen Ortstafeln. Dann machte er Fotos von Betroffenen vor dem Schild. Seine Protestaktion erhielt bald internationale Aufmerksamkeit. Das Time Magazine setzte Staszewski auf die Liste der »Emerging Leaders« und die Obama Foundation lud ihn zu ihrem Europe-LeadersProgramm ein. Dadurch machte Staszewski verstärkt auf die Homophobie in Polen aufmerksam. Die Gemeinden rechneten nicht mit dem großen Interesse und der internationalen Empörung. Manche zogen die Beschlüsse zurück, andere zeigten AktivistInnen wie Staszewski oder die AutorInnen des Atlas wegen vermeintlicher Verleumdung an. Abgeordnete beteuerten immer öfter, dass sie eigentlich nichts gegen queere Menschen hätten, sondern gegen die sogenannte »LGBT-Ideologie«. Was genau hinter diesem Begriff stecken soll, ist aber unklar. Rechtliche Unterstützung kommt von Ordo Iuris, einer ultrakonservativen Vereinigung. Sie stellte auch eine Muster-Resolution, die sogenannte »Familien-Charta« zur Verfügung, die die Ehe zwischen Mann und Frau durch queeren Sexualunterricht
an Schulen als gefährdet propagiert.

Glaube unter dem Regenbogen

Die katholische Kirche in Polen positioniert sich eindeutig gegen LGBTQIA+ und verbreitet diese Haltung während Predigten und über eigene Medien. Sie setzt sich auch für sogenannte »Konversionstherapien« ein, die Homosexualität als heilbare Krankheit verstehen. Solchen Praktiken fehlt jedoch jede wissenschaftliche Basis, die Bezeichnung Therapie ist somit irreführend. Das offenbart ihren rein ideologischen Charakter. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Kirche Einfluss auf die nationalkonservative PiS-Regierung ausübt und dadurch auf das regierungstreue öffentliche Fernsehen. Marek Jędraszewski, Erzbischof von Krakau und stellvertretender Vorsitzender der Polnischen Bischofskonferenz, bezeichnete die LGBTQIA+ Community als »neue Seuche in den Farben des Regenbogens«. Unter den Kirchenvertretern ist er mit Aussagen wie dieser nicht allein. Die Ausgrenzung betrifft insbesondere queere Gläubige. Für sie bietet seit einigen Jahren die außerkirchliche Gruppe »Glaube und Regenbogen« in sechs polnischen Großstädten Unterstützungsleistungen an. Neben lokalen Treffen berät die Gruppe auch Betroffene und Angehörige und organisiert Kampagnen, an denen sich auch liberale christliche Medien beteiligen.

Kunst für Nächstenliebe

Da die katholische Kirche als Motor der Homophobie in Polen betrachtet wird, stehen religiöse Symbole oft im Zentrum des Protests. So verpassten drei AktivistInnen der stark verehrten Madonna von Częstochowa durch digitale Bildbearbeitung einen Heiligenschein in den Farben des Regenbogens (Cover). Die Plakate klebten sie in der Nähe von Kirchen auf. Die Botschaft: Maria würde ihren Sohn, auch wenn er queer wäre, akzeptieren. Die AktivistInnen wurden 2019 wegen Beleidigung religiöser Gefühle angeklagt, eine von ihnen temporär verhaftet und vor kurzem freigesprochen. Die »Regenbogen-Madonna« wurde so auch international bekannt. Eine andere Aktion kam von dem schwulen Künstler Daniel Rycharski. Seine Werke handeln von Homosexualität und Glaube. Er kehrte nach Jahren in Krakau wieder in sein Heimatdorf Kurow zurück, um dort mithilfe von Kunst auf die Ausgrenzung der LGBTQIA+ Community aufmerksam zu machen. Unter anderem stellte er Kreuze auf, auf denen Kleidung queerer Menschen hing. Wie Vogelscheuchen würde ihre sexuelle Orientierung und Geschlechts-identität die Leute abschrecken. Seine Ausstellung »Alle unsere Ängste«, die im Museum für Moderne Kunst in Warschau präsentiert wurde, thematisiert die Frage, wie man ChristIn bleiben kann, wenn die eigene Kirche einen ablehnt. Die öffentlichkeitswirksame Ausstellung führte dazu, dass der Kulturminister eine Rechtfertigung von der Direktorin des Museums verlangte.

Druckmittel im Lokalen

LokalpolitikerInnen sind den BürgerInnen oft näher als RegierungspolitikerInnen und können auch leichter konfrontiert werden. Durch die homophoben Resolutionen fühlten sich viele Betroffene in den Gemeinden ausgegrenzt. Piotr aus Südpolen (Name geändert) erklärt, dass sich daraufhin einige outeten und die LokalpolitikerInnen mit der Frage konfrontierten, warum sie stigmatisiert werden. Dieser persönliche Kontakt bewirkte in vielen Fällen eine Änderung. Schließlich zogen viele Gemeinden die homophoben Beschlüsse zurück. In mehreren Fällen wurden die Resolutionen durch Gerichtsurteile aufgehoben, dasselbe Schicksal teilten die »LGBT-freie Zone«-Aufkleber, die verboten wurden. Sowohl direkte lokale Initiativen als auch internationales Aufsehen führten dies herbei. Die Kritik der EU-Kommission und die Aussetzung der Zusammenarbeit durch westeuropäische Partnerstädte zwangen Gemeinden, ihre Beschlüsse neu zu überdenken. Sie mussten auch mit der Streichung von Fördergeldern rechnen. Für viele regionale Abgeordnete war der Druck zu groß. »Die Politik versucht die Welt schwarz und weiß darzustellen, sie hat aber alle Farben des Regenbogens«, sagt Piotr. Wie viele andere queere Menschen wartet er darauf, dass sich Polen von der einzig schädlichen Ideologie befreit: jener des Nationalismus, der Diskriminierung und des Hasses.

LGBTQIA+ steht für Lesbisch, Schwul (gay), Bisexuell, Trans, Queer, Intersex, Asexuell. Der Begriff beschreibt sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten. Das + soll weitere Orientierungen und Identitäten entlang des Spektrums inkludieren.

 

Autorin: Malwina Talik

 

»Die Schlacht ist noch lange nicht gewonnen«

Gemeinsam mit seinen Kollegen aus Warschau, Prag und Budapest gründete Bratislavas Bürgermeister Matúš Vallo 2019 den Pakt der Freien Städte – mit dem Ziel, sich anti-demokratischen Tendenzen in der Region entgegenzustellen. Der Ukraine-Krieg zeige, wie falsch Viktor Orbáns illiberale Politik sei, so Vallo im IDM-Interview. DANIELA APAYDIN hat mit ihm über die Veränderungskraft von Städten und ihren Allianzen gesprochen.

Mit einiger Verspätung schaltet sich Matúš Vallo zu unserem Zoom-Call hinzu. Er wirkt geschäftig, entschuldigt sich für die Wartezeit. Interviewanfragen von österreichischen Medien seien eher selten, an internationaler Aufmerksamkeit mangele es aber nicht, heißt es aus dem Pressebüro. Vallo spricht fließend Englisch. Er hat in Rom Architektur studiert, in London gearbeitet und erhielt ein Fulbright-Stipendium an der Columbia University in New York. Als politischer Quereinsteiger wurde er 2018 zum Bürgermeister von Bratislava gewählt. Im Herbst kämpft der 44-Jährige um die Wiederwahl zum Bürgermeister.

Herr Vallo, der US-amerikanische Politikberater Benjamin Barber argumentiert in seinem Buch »If Mayors Ruled the World« (2013), dass BürgermeisterInnen wirksamer auf transnationale Probleme reagieren als nationale Regierungen. Manche sprechen in diesem Zusammenhang von einer »lokalen Wende« des Regierens und Verwaltens. Leisten Städte und BürgermeisterInnen wirklich bessere Arbeit?

Ich kenne das Buch, und ich glaube an dieses Narrativ. Wir haben in den letzten Jahren erlebt, wie Regierungen den Kontakt zu ihrer Basis verloren haben. Als Bürgermeister kann ich diesen Kontakt nicht verlieren, selbst wenn ich das wollte. Alle guten BürgermeisterInnen, die ich kenne, gehen gern durch ihre Stadt und treffen Menschen. Manchmal halten sie dich an und erzählen dir von einem Problem. Als BürgermeisterIn bist du ein Teil der Gemeinschaft. Du kannst nicht nur leere Versprechungen geben. Du musst Ergebnisse vorweisen können. Städte sind auch flexibler und ergebnisorientierter als nationale Regierungen. BürgermeisterInnen sorgen für die Qualität des öffentlichen Raums. So ist zum Beispiel die Anzahl der Spielplätze in einem Bezirk sehr wichtig. Das klingt simpel, aber der öffentliche Raum ist ein Schlüsselelement dafür, wie die Menschen ihr Leben gestalten.

Sie sind einer von vier Bürgermeistern, die den Pakt der Freien Städte (englisch: Pact of free Cities) unterzeichneten. Damit positionierten Sie sich gemeinsam mit Budapest, Prag und Warschau als pro-europäisches und anti-autoritäres Städtebündnis. Mit welchen Absichten sind Sie dieser Allianz damals beigetreten und wie würden Sie deren Erfolge heute bewerten?

Der Pakt wurde als ein Bündnis der VisegradHauptstädte geschlossen, um ein Gegengewicht zu den antidemokratischen und illiberalen Kräften zu bilden. Wir sind durch unsere Werte verbunden. Wir wollen den Populismus bekämpfen, Transparenz fördern und bei gemeinsamen Themen wie der Klimakrise zusammenarbeiten. Natürlich gab es schon vorher Bündnisse zu verschiedenen Themen, aber dies ist vielleicht das erste Mal, dass diese Werte im Mittelpunkt stehen.

Der Pakt der Freien Städte wurde am 16. Dezember 2019 an der Central European University in Budapest unterzeichnet. Wenig später mussten die meisten Abteilungen der Universität aufgrund politischer Repressionen nach Österreich umziehen. Erst kürzlich wurde Viktor Orbáns nationalkonservative Fidesz-Partei wiedergewählt. Ist der von Orbán propagierte Illiberalismus wieder auf dem Vormarsch? Wie reagieren die BürgermeisterInnen des Paktes darauf und wie unterstützen Sie sich gegenseitig?

Der Illiberalismus ist auf dem Vormarsch, einige führende PolitikerInnen konnten zurückschlagen, aber die Schlacht ist noch lange nicht gewonnen. Der jüngste Sieg von Viktor Orbán ist ein Beweis dafür. Wir sehen, dass die illiberale Demokratie bestimmten Gruppen oder einzelnen BürgerInnen Vorteile verschafft. Wir sehen aber auch, dass die Situation in der Tschechischen Republik anders ist und dass in Polen bald Wahlen stattfinden werden. Warschaus Bürgermeister, Rafał Trzaskowski, ist eine große Hoffnung für uns alle. Auch in der Slowakei haben wir eine pro-europäische Regierung und ich freue mich darüber, wie sie die Dinge regelt, um der Ukraine zu helfen. Von dort, wo ich jetzt sitze, sind es nur sechs Autostunden bis zur ukrainischen Grenze. Dieser Krieg zeigt auch, dass Orbán im Unrecht ist. Seine Unterstützung für Russland bedeutet auch die Unterstützung eines Regimes, das unschuldige Menschen tötet. Wo sehen Sie die konkreten Vorteile in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen BürgermeisterInnen und Städten? Da gibt es zwei Ebenen: Erstens geht es darum, miteinander zu reden. Bratislava ist die kleinste Stadt unter den Gründungsmitgliedern. Daher waren wir sehr froh, als wir in den ersten Wochen des Ukraine-Krieges die Bürgermeister von Warschau und Prag um Know-how und Ratschläge bitten konnten. Ich bin nach Warschau geflogen und habe mich mit dem Bürgermeister darüber beraten, wie sich die Stadt darauf vorbereitet. Der Pakt bietet eine sehr konkrete und direkte Möglichkeit, Wissen auszutauschen. Die zweite Ebene ist die Bildung eines Bündnisses von BürgermeisterInnen mit den gleichen Werten, die auch bereit sind, auf europäischer Ebene für diese Werte zu kämpfen. Durch die Pandemieerfahrung ist die Position der Städte noch stärker als zuvor. Ich glaube, dass in vielen Ländern die Städte und ihre BürgermeisterInnen die Situation gut meisterten. Die Menschen nehmen die Städte als ihre Partner wahr. Deshalb ist es wichtig, die Kräfte zu bündeln und mit einer klaren Stimme zu sprechen.

© patri via Unsplash

In Medienberichten wurden die Gründungsmitglieder des Pakts auch als »liberale Inseln in einem illiberalen Ozean« dargestellt. Diese Metapher birgt jedoch die Gefahr, bereits bestehende Gräben zwischen der urbanen, oft liberaler eingestellten, Bevölkerung und konservativeren BürgerInnen in ländlichen Gebieten zu vertiefen.

Ich verwende diese Metapher nie, und ich versuche auch nicht, diese Spaltung vorzunehmen. Ich bin mir über meine Werte im Klaren, aber als Bürgermeister setze ich mich für Dinge ein, die allen zugutekommen, etwa Spielplätze oder bessere öffentliche Verkehrsmittel. Das ist keine Frage von konservativen oder liberalen Werten. Wir haben Prides in Bratislava, aber wir unterstützen auch die OrganisatorInnen eines großen Treffens der christlichen Jugend. Ich arbeite mit konservativen und liberalen KollegInnen zusammen. Ich weiß, dass das schwierig sein kann, aber wir versuchen, die Menschen zu verbinden. Einige PolitikerInnen nutzen die Spaltung aus, weil sie wollen, dass sich die Menschen streiten, aber ich möchte lieber für eine gute Lebensqualität arbeiten.

Wenn Sie sich von der nationalen Regierung etwas wünschen könnten, das die Städte stärken würde, was wäre das?

Unser Verhältnis zur slowakischen Regierung ist nicht ideal. Auch nach COVID sieht man uns nicht als Partner. Wir brauchen klare Regeln und mehr Finanzmittel, denn im Vergleich zu anderen europäischen Städten sind wir sehr unterfinanziert.

 

Interview mit Daniela Apaydin und Matúš Vallo. Matúš Vallo ist ein slowakischer Politiker, Architekt, Stadtaktivist, Musiker und Bürgermeister von Bratislava. 2018 wurde er als unabhängiger Kandidat mit 36,5 Prozent der Stimmen an die Spitze der slowakischen Hauptstadt gewählt. 2021 zeichnete ihn der internationale Thinktank City Mayors mit dem World Mayor Future Award aus.