Ihr Käse ist politisch

Von der Wende gezeichnet und vom Staat enttäuscht: Die BewohnerInnen eines bulgarischen Dorfes setzen lieber auf geschmuggelte Lebensmittel aus Rumänien als auf Supermarktware. Der Schmuggel ist eine Folge neoliberaler Politik, schreibt der Anthropologe STEFAN DORONDEL in seinem Gastbeitrag.

Das Dorf Slanotran liegt in Südwestbulgarien, wenige Kilometer von der Hafenstadt Vidin entfernt. Es gleicht heute einer Geistersiedlung – mit den Ruinen einer Schule, einer verlassenen Arztpraxis aus sozialistischen Zeiten und mehreren geschlossenen kleinen Restaurants. Von den einst 1600 EinwohnerInnen leben heute weniger als 400 in Slanotran. Der Asphalt der Dorfstraßen ist brüchig. Viele Häuser sind verfallen und mit Pflanzen bewachsen, die man nur in den Donauauen finden kann. Einige ihrer BesitzerInnen sind gestorben und haben keine ErbInnen, andere sind für immer weggezogen, um in Westeuropa eine bessere Arbeit zu finden. Letztere kehren meist im Sommer – adrett gekleidet und in schicken Autos – für einen kurzen Besuch ins Dorf zurück. Übrig bleiben die Alten. Sie leben von ihren mageren Renten oder Sozialleistungen. Nutztiere gibt es keine mehr. Die letzten beiden Kühe wurden vor einigen Jahren verkauft. Nur wenige Menschen bewirtschaften die Agrarflächen, manche pflegen einen kleinen Garten hinter dem Haus. Fische dienten vielleicht einmal als Nahrungsquelle, aber die meisten DorfbewohnerInnen sind nun zu alt für diese Arbeit. Die Donau ist nur einen Kilometer vom Dorf entfernt. Dahinter liegt Rumänien.

Geheimer Grenzverkehr

Slanotrans Zustand spiegelt die sozioökonomischen Veränderungen wider, die die politische Wende von 1989 auslöste. Die Kolchosen wurden in der ersten Hälfte der 1990er Jahre zerschlagen und ihre Ländereien und landbezogenen Vermögenswerte privatisiert – ein Prozess, den WissenschaftlerInnen als Entkollektivierung bezeichnen. Das Leben im ländlichen Bulgarien verschlechterte sich infolgedessen kontinuierlich, da sich die Arbeit in der Landwirtschaft nicht mehr lohnte. Stattdessen lockte Westeuropa wie der Gesang einer Sirene mit Arbeitsplätzen und einem besseren Leben. Eine Regierung folgte auf die andere. Sie alle, auch die sozialdemokratischen Regierungen, verfolgten einen neoliberalen Ansatz und trugen nicht zur Verbesserung der Lebensqualität im ländlichen Raum Bulgariens bei. Vielmehr entstand eine neue, gefräßige Elite in Politik und Wirtschaft. Sie machte die Sache noch schlimmer: Die sogenannten Neureichen werden in vielerlei Hinsicht schlechter als die alten Kader der Kommunistischen Partei wahrgenommen, denn diese waren zumindest gezwungen, ihren Reichtum unauffällig zu halten.

Die BewohnerInnen Slanotrans (und anderer Dörfer) mussten also selbst einen Weg finden, sich durchzuschlagen und ihr Einkommen aufzubessern. Eine Möglichkeit dazu ist der Schmuggel von Lebensmitteln, insbesondere Käse, Tomaten und manchmal auch Zwiebeln. Diese Produkte werden von den Dörfern aus Rumänien, gleich auf der anderen Seite der Donau, eingeführt. Um den grenzüberschreitenden Schmuggel zu verstehen, muss man die unterschiedlichen Bedingungen am bulgarischen und rumänischen Donauufer kennen. Trotz Ähnlichkeiten unterscheiden sie sich nämlich in mindestens zwei Punkten: Erstens ist der reiche Boden der OlteniaEbene – obwohl statistisch gesehen eine der ärmsten Regionen Rumäniens – ein Paradies für die Landwirtschaft. Nach der Entkollektivierung erwiesen sich die kleinen privaten Gewächshäuser, die überall in dieser Region zu finden sind, als effiziente Familienbetriebe. Die Weiden jener Gebiete, die von der sozialistischen Regierung nicht überflutet wurden, eignen sich ideal für die Nutztierhaltung. Zweitens ist die rumänische Seite neben den landwirtschaftlich besseren Bedingungen auch etwas weniger von der Abwanderung betroffen. In Bulgarien erschwert dagegen der Mangel an Arbeitskräften die Tierzucht und den Gemüseanbau.

Der Schmuggel von Käse oder Tomaten wurde durch den Bau der Brücke über die Donau, die Rumänien und Bulgarien etwa zehn Kilometer vom Dorf Slanotran entfernt verbindet, erheblich erleichtert. Schmuggel, also die Einfuhr oder Ausfuhr von Waren ohne Entrichtung der gesetzlichen Zölle, gilt natürlich als illegale Tätigkeit. Doch nicht alles, was illegal ist, ist auch moralisch verwerflich. Ich erkläre, warum. Gemeinsam mit meinem Kollegen und Freund Stelu Şerban hielt ich mich für eine längere Zeit in Slanotran auf, um das ländliche Leben zu studieren. Einer jener Menschen, die uns vor Ort am meisten geholfen haben, ist ein Schmuggler. Nennen wir ihn Georg. Er war zum Zeitpunkt unserer Forschung ein bulgarischer Rentner Anfang fünfzig. Im lokalen Sprachgebrauch ist der Lebensmittelschmuggel keineswegs unmoralisch, solange der aus Rumänien eingeführte Käse weitaus billiger und von besserer Qualität ist als der in den bulgarischen Geschäften erhältliche. Unter den LandbewohnerInnen dieser Gegend kursiert sogar ein Witz, wonach der Supermarkt-Käse zwar nach Käse aussieht, aber einen kleinen Mangel hat: Es fehlt ihm völlig an Milch. So ist er zwar vor Keimen geschützt in Plastik eingewickelt, seine Herkunft ist aber unbekannt. Zudem ist er relativ fade und teurer als jener der rumänischen HirtInnen, die über eine lange Tradition der Käseherstellung verfügen. Das Gleiche gilt auch für Tomaten.

Georg, unser Schmuggler, ist ein Mann der Gemeinschaft, er unterhält gute Beziehungen zu einigen rumänischen SchafhirtInnen. Er kauft Frischkäse von seinen rumänischen FreundInnen, lädt ihn in Plastikfässer, die mit Molke befüllt sind, packt ihn in seinen alten VW-Bus, der definitiv schon bessere Tage gesehen hat, überquert die Brücke mit der Erklärung, dass er nichts zu deklarieren habe, und parkt kurze Zeit später in der Dorfmitte und verkauft den Käse an die DorfbewohnerInnen. Er verkauft das von den Einheimischen als »echten Käse« bezeichnete Produkt auch, indem er die Zahlung annimmt, »sobald die Rente eintrifft«. In den Augen der Einheimischen grenzt dieses Entgegenkommen an Sozialhilfe.

Grenzüberschreitender Widerstand

Eines Tages beschwerte sich der Besitzer eines Dorfladens, der standardisierten Käse verkauft, bei den Behörden über diese Praxis und zeigte Georg wegen Verstößen gegen die Vorschriften zur Lebensmittelsicherheit an. Doch sobald das Auto der Behörde zu einer unangemeldeten Kontrolle in das Dorf fuhr, wurde Georg von den Leuten vor Ort gewarnt, er solle seine Waren verstecken. Er entkam jedes Mal. Georgs Rolle geht allerdings über jene des »sozialen Schmugglers« hinaus. Als ein Neureicher aus Sofia versuchte, ein Recyclingunternehmen für Altreifen in der Gegend zu eröffnen, waren Georg und andere maßgeblich an einer Protestbewegung beteiligt. Der Investor aus der Hauptstadt wollte hauptsächlich Reifen aus Österreich importieren und vor Ort verarbeiten – mit erheblichen umweltschädlichen Folgen. Den Einheimischen versprach er vermeintlich gute Löhne, die sich allerdings selbst für bulgarische Verhältnisse als niedrige Summen herausstellten. Als sich die Proteste der DorfbewohnerInnen als unwirksam erwiesen, griffen sie zu einer radikalen Geste: Sie besetzten die Donaubrücke und legten den internationalen Verkehr für etwa fünfzehn Minuten komplett lahm. Die Aktion zog so die Aufmerksamkeit nationaler wie internationaler Medien auf sich. Georg hatte dafür sein Netzwerk von FreundInnen und Bekannten sowohl in Rumänien als auch in Bulgarien mobilisiert. Darunter dieselben Personen, die ihm beim Schmuggeln von Lebensmitteln helfen. Mit ihrer Hilfe gelang es ihm, sich unter dem Radar der regionalen Behörden zu bewegen.

Eine der vielen Lehren, die man aus dieser kurzen Geschichte ziehen kann, ist, dass wir neue Worte brauchen, um Aktivitäten zu beschreiben, die aus Sicht des Staates illegal sein mögen, aber von den Einheimischen moralisch geschätzt werden. Eine weitere Lektion ist, dass der neoliberale Staat, der ganze Regionen im Stich gelassen hat, von den Einheimischen als Feind angesehen wird. Jahrelange kriminelle Laissez-faire-Politik ignorierte die Bedürfnisse der Menschen und machte den Staat zu einer Instanz, der man nicht trauen kann und die man nur vermeiden oder anfechten kann.

Autor: Stefan Dorondel ist leitender Wissenschaftler am Institut für Südosteuropastudien Bukarest der Rumänischen Akademie und am Francisc I. Rainer Institut für Anthropologie Bukarest. Zu seinen jüngsten Veröffentlichungen zählt (gemeinsam mit Stelu Şerban) A New Ecological Order. Development and the Transformation of Nature in Eastern Europe (Pittsburgh, PA, US, Pittsburgh University Press).

Regional Perspectives on the war in Ukraine / Conference

 

 

International conference organised by the Institute for the Danube Region and Central Europe (IDM), the Institute of European Integration and Regional Studies at the Yuriy Fedkovych Chernivtsi National University and the Center for the Study of Conflict & Peace at the University of Osnabrück.

Questions after the unjustified attack of the Russian Federation against Ukraine developed from “how could we let this happen” through “what can we do to help” to “when will it end”? As the war is ongoing for almost four months, three institutions from Chernivtsi, Osnabrück and Vienna brought together experts to discuss the war  in Ukraine as well as its implications for the wider Danube Region.  

 

 PROGRAMME

Welcome by the organisers

First Panel: Assessing the dynamics of the war: Military, political & humanitarian situation in Ukraine

  • Anatoliy Kruglashov (Yuriy Fedkovych National University of Chernivtsi) 
  • Nadija Afanasieva (UIIP Kyiv)
  • Nataliya Vinnykova (V.N. Karazin Kharkiv National University)

Moderator: Sebastian Schäffer (IDM) 

Followed by open discussion among other invited experts & audience  

Coffee break

Second Panel: Assessing consequences & prospects: The war and the wider Danube Region

  • Minna Ålander (SWP Berlin)
  • Andreas Umland (Stockholm Centre for Eastern European Studies at the Swedish Institute of International Affairs/Kyiv)
  • Mihai-Razvan Ungureanu (IDM/Romanian Centre for Russian Studies at University of Bucharest)  

Moderator: Ulrich Schneckener (University of Osnabrück) 

Followed by open discussion among other invited experts & audience  

Final Concluding remarks by the organizers

End of conference

Route neu berechnen

Was tun, wenn eine Wanderausstellung vor geschlossenen Grenzen steht? Mit den Absagen von physischen Events wuchs das Projekt Kunst am Strom über sich und die Grenzen der analogen Welt hinaus. Ein Bericht von MÁRTON MÉHES.

Alles hat so gut angefangen: »Das internationale Kunstprojekt ‚Kunst am Strom‘ führt Kunstpositionen, KünstlerInnen und KuratorInnen aus dem Donauraum zusammen (…). Ziel des Projekts ist der Dialog von verschiedenen Kunstpositionen aus den Donauländern, die in einer Wanderausstellung (…) in acht Städten der Region gezeigt werden. Darüber hinaus werden sich KünstlerInnen und KuratorInnen aus Deutschland, Österreich, der Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Rumänien und Bulgarien im Rahmen von Symposien begegnen, sich austauschen und Netzwerke bilden.« Soweit ein Zitat aus der Projektbeschreibung, verfasst Mitte 2019. Im Nachhinein merkt man dem Text ein gewisses Selbstbewusstsein an: Wir planen etwas und setzen es dann um – was soll da schon schiefgehen? Nur wenige Monate später, im Mai 2020, schlugen wir im Einführungstext zu unserem Ausstellungskatalog bereits ganz neue Töne an: »Angesichts der aktuellen Klimakrise und der Fragen der post-epidemischen ‚Weltordnung‘ ist der Donauraum mit der Herausforderung konfrontiert, Vergangenheitsbewältigung und die Entwicklung von Zukunftskonzepten gleichzeitig voranzutreiben. Die historischen Erfahrungen aus dieser Region könnten dabei auch hilfreich werden. Wir müssen jetzt auf Innovation und Kreativität setzen.« Unser Selbstbewusstsein ist verpufft. An seine Stelle sind offene Fragen, Herausforderungen und eine ungewisse Zukunft getreten. Die Wanderausstellung Kunst am Strom, die auf viele Treffen, Grenzüberschreitungen, Eröffnungsevents und den persönlichen Austausch setzte, war in der Pandemie-Realität angekommen.

Unerwartete Blickwinkel

Von nun an kamen sich ProjektleiterInnen, KuratorInnen und KünstlerInnen wie ein Navigationsgerät vor, das die Route ständig neu berechnen muss, und dennoch nie ans Ziel kommt. Von den ursprünglich geplanten drei Ausstellungen konnten 2020 zwar immerhin noch zwei (im Museum Ulm und auf der Schallaburg) veranstaltet werden, allerdings mit erheblichen Einschränkungen. In Ulm fand sie ohne den großangelegten Kontext des Internationalen Donaufests statt, und auf der Schallaburg musste sie wegen des erneuten Lockdowns Wochen früher schließen. Ursprünglich hätte die Schau 2021 an weiteren fünf Stationen Halt gemacht – möglich war lediglich eine Veranstaltung in Košice im Herbst 2021, unter Einhaltung strengster Hygiene- und Sicherheitsregeln. Mitte des Jahres 2021 war allen Beteiligten klar, dass das Projekt verlängert werden muss, was dann von den FördergeberInnen auch genehmigt wurde. Spätestens im Sommer hätten sich also alle zurücklehnen können, nach dem Motto »Wir sehen uns nach der Krise…« Doch bald stellte sich heraus, dass der Satz aus dem Katalog von allen Beteiligten ernst gemeint war: Wir müssen jetzt auf Innovation und Kreativität setzen. Im April 2021 fand ein Online-Symposium mit den KuratorInnen statt, um gemeinsam auf innovative, aber rasch und unkompliziert umsetzbare Austauschformen im virtuellen Raum zu setzen. Das Meeting funktionierte gleichzeitig als Ventil: KuratorInnen schilderten die Lage in ihren Städten und die teils dramatische Situation der jeweiligen Kunstszene. Im Mai folgte dann Studio Talks. Die KünstlerInnen wurden im Vorfeld gebeten, ihre Arbeit, ihre Ateliers, ihre Stadt und ihr Lebensumfeld in kurzen Video-Selbstportraits festzuhalten. Diese Videos wurden dann im Laufe der Veranstaltung gezeigt und von den teilnehmenden KünstlerInnen live kommentiert. Aus diesen Videos ist ein einzigartiges Panorama künstlerischen Schaffens im Donauraum entstanden.

Unzertrennliche Welten

Durch die gewonnene Zeit hat die Projektleitung einen Audio-Guide zur Ausstellung produzieren lassen. Auch die Facebook-Seite wurde zu einer wichtigen Präsentationsplattform weiterentwickelt. Die teilnehmenden KünstlerInnen stellten sich mit einem kurzen Werdegang sowie dem Link zu ihren Studio Talks-Videos vor. Ohne diese verstärkte Online-Kommunikation hätte das Projekt nie ein so breites Publikum erreicht. Die Studio Talks und Online-Kampagnen haben unsere physische Ausstellung nicht ersetzt. KünstlerInnen und Publikum freuen sich mehr denn je auf die Veranstaltungen vor Ort. Kunst am Strom ist durch die Pandemie vielschichtiger, informativer und spannender geworden. Eine Entscheidung zwischen »nur analog« oder »nur digital« kann es nicht mehr geben: Beide Welten sind endgültig unzertrennlich geworden und ergeben nur noch gemeinsam ein ganzes Bild.

Für das von Dr. Swantje Volkmann (DZM Ulm) und Dr. Márton Méhes geleitete Projekt Kunst am Strom wählten die KuratorInnen KünstlerInnen aus Ländern und Städten entlang der Donau aus, die zwei Generationen repräsentieren. Das Projekt wird vom Museum Ulm getragen und von mehreren Kooperationspartnern mitfinanziert.

Termine 2022:
27. April–11. Mai: Zagreb
11.–24. Juni: Timișoara
8.–21. August: Novi Sad
12. Oktober–2. November: Sofia

 

Dr. Márton Méhes (*1974) ist promovierter Germanist, ehem. Direktor des Collegium Hungaricum Wien und arbeitet heute als Lehrbeauftragter der Andrássy Universität Budapest sowie als internationaler Kulturmanager in Wien. Seine Schwerpunkte sind Kulturdiplomatie, europäische Kulturhauptstädte und Kooperationsprojekte im Donauraum.

Botschaftervortrag: „Zwischen Frieden und Krieg“ Rumänien und Österreich um 1900

 

Zwischen Frieden und Krieg”. Rumänien und Österreich um 1900.Szenen einer wohlwollenden Gleichgültigkeit.

Vortrag des Botschafters von Rumänien S.E. Botschafter Emil Hurezeanu am 13.01.2022

In Kooperation mit der Diplomatischen Akademie und der Botschaft Rumäniens in Wien.

* * *

Begrüßung

Gesandte Dr. Susanne KEPPLER-SCHLESINGER Stellvertretende Direktorin der Diplomatischen Akademie Wien

Vizekanzler a.D. Dr. Erhard BUSEK Vorsitzender des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa

Mihai Răzvan UNGUREANU Ehemaliger Ministerpräsident von Rumänien Projektmitarbeiter am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM)

 

Moderation

Erhard BUSEK Vorsitzender des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa

Gefahrenzone Himmel: Vögel vor Stromschlägen bewahren

Jährlich werden tausende Vögel durch Stromschläge oder Kollisionen mit oberirdischen Stromleitungen getötet oder verletzt. Mit länderübergreifender Anstrengung soll der Himmel über der Donau für Vögel sicherer werden. Wie das geht, zeigen Marek GÁLIS und Eva HORKOVÁ in ihrem Gastbeitrag für Info Europa.

Die Donau, der so genannte »europäische Amazonas«, ist einer der wichtigsten Zugkorridore, Zwischenstopps, Schlaf- und Überwinterungsplätze für hunderte Vogelarten in Europa. Mit ihren Uferzonen und Flusslebensräumen bildet die Donau ein ökologisches Netz, das oft auch als Rückgrat für biologische Korridore fungiert. Jedes Jahr folgen Millionen Vögel auf ihrer Odyssee von und zu weit entfernten Zuggebieten dem Strom. Allein die Untere Donau und das Donaudelta beherbergen rund 360 Vogelarten, etwa den seltenen Krauskopfpelikan sowie 90 Prozent der Weltpopulation der Rothalsgans. Viele dieser Arten haben in den letzten Jahrzehnten einen dramatischen Rückgang erlebt. Durch Stromschläge und Kollisionen sterben in diesem Gebiet jedes Jahr 20 Prozent der sich fortpflanzenden Populationen von Kaiseradler, Sakerfalken und Krauskopfpelikanen. Zahlreiche Projekte des EU-geförderten LIFE-Programms widmeten sich bisher der Wiederherstellung von Wasserlebensräumen. Diese Maßnahmen haben zur Folge, dass der Vogelzug in diese geschützten Rückzugsgebiete zunimmt. Daher ist der Schutz gefährdeter Arten vor Kollisionen und Stromschlägen enorm wichtig, insbesondere um damit andere Bedrohungen, etwa durch die Folgen des Klimawandels, zu kompensieren.

Leitungen und Masten als Gefahrenquellen

Projektpartner aus sieben von zehn Donauländern, darunter Österreich, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Bulgarien und Rumänien, sind Teil des LIFE Danube Free Sky-Projekts, das sich darauf konzentriert, die Gefahren durch Stromleitungen zu lindern. Vögel sind vor allem in der Nähe von Gewässern und deren Umgebung in erheblichem Maße von Stromschlägen oder Kollisionen mit Stromleitungen bedroht. Das fand ein vorhergehendes LIFE-Projekt, das in der Slowakei zwischen 2014 und 2019 durchgeführt wurde, heraus. Infolgedessen konzentriert sich das aktuelle Projekt auf 23 sogenannte Besondere Schutzgebiete (BSG) sowie auf neun signifikante Gebiete für Vögel, Important Bird Areas (IBA). Der Aktionsradius ist enorm: Denn entlang der gewählten 2000 Kilometer befinden sich acht verschiedene Arten oberirdischer Stromleitungen, die allesamt eine potenzielle Gefahr für Vögel darstellen. Ein wesentliches Ziel besteht darin, direkte und indirekte Vogelsterblichkeit durch Stromschläge und Kollisionen mit den Stromleitungen innerhalb des Projektgebiets zu verhindern bzw. zu verringern. Damit trägt das Projekt dazu bei, die Biodiversitätsstrategie der EU umzusetzen, und dem Verlust der biologischen Vielfalt und der Ökosystemleistungen entlang der Donau entgegenzuwirken. Indem sichere Zugrouten und Lebensräume geschaffen werden, können sich die Populationen von 12 Zielarten* erholen und anwachsen.

Betroffene Arten

Zu einer der häufigsten Gefahren zählen Zusammenstöße mit Hochspannungsleitungen. Viele Vögel können die Leitungen nicht rechtzeitig erkennen. Das geschieht vor allem in offenen Gebieten, in denen Stromleitungen wichtige Futter-, Nahrungs- und Nistplätze kreuzen. Vogelverluste aufgrund von Kollisionen mit oberirdischen Stromleitungen können an Verteilungs- oder Übertragungsnetzen auftreten. Am stärksten gefährdet sind große, schwere Vogelarten mit geringer Manövrierfähigkeit, das heißt solche mit hoher Flügelbelastung und geringer Streckung, wie beispielsweise Trappen, Pelikane, Wasservögel, Kraniche, Störche und Schneehühner. Das Risiko von Zusammenstößen ist nachts, in der Dämmerung und bei schlechten Sichtverhältnissen generell  höher. Zusammenstöße mit hoher Geschwindigkeit haben oft tödliche Folgen für die Vögel. Neben Kollisionen gehören auch Stromschläge zu den größten Gefahren. Sie treten meist dann auf, wenn Vögel auf dem Strommast landen und gleichzeitig mit einem Draht in Berührung kommen oder wenn sie die beiden Leiter gleichzeitig berühren. Das höchste Risiko besteht bei Mittelspannungsleitungen, die für viele Vögel in offenen ländlichen Gebieten ohne Baumbewuchs sehr attraktive Sitzstangen darstellen. Die höchste Sterblichkeitsrate durch Stromschläge verzeichnen mittelgroße und große Vögel, insbesondere Adler, Falken, Geier, Milane, Falken, Eulen, Störche und Rabenvögel. Bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit höher, mit ungeschützten Elementen der Mastkonstruktion in Kontakt zu kommen.

Wie geholfen wird

Um so effektiv wie möglich zu helfen und die Ressourcen so effizient wie möglich einzusetzen, müssen die Maßnahmen im Rahmen des genannten LIFE-Projekts an jenen Orten ergriffen werden, die die größten Risiken für Vögel bergen. Dazu muss durch koordinierte Feldforschung der Grad der Gefährdung von Vögeln ermittelt und bewertet werden. Insgesamt werden im Rahmen des Monitorings mehr als 1150 Kilometer Stromleitungen und über 10.000 potenziell gefährliche Strommasten untersucht. Feld-AssistentInnen sammeln in den beteiligten Ländern die entsprechenden Daten. Danach kommen die am Projekt beteiligten Energieversorgungsunternehmen ins Spiel: Sie werden gemeinsam auf 245 Kilometer vorrangiger Leitungen Warnvorrichtungen installieren, um Kollisionen zu verhindern. Darüber hinaus werden mindestens 3250 Masten isoliert, um Stromschläge zu vermeiden. In Österreich isolieren die Projektpartner in Zusammenarbeit mit der ÖBB-Infrastruktur AG hunderte der gefährlichsten Bahnstrommasten in der Nähe der Donau. In Rumänien, Serbien und der Slowakei werden Jungtiere (Sakerfalken, Kaiseradler und Krauskopfpelikane) mit Sendern ausgestattet, um gefährliche Masten in ihrem Heimatgebiet und ihren bevorzugten Lebensräumen zu identifizieren. In der Slowakei werden zehn Hektar Land von Ackerland wieder zurück in Weiden verwandelt. So wird der Naturwert des Gebietes erhöht, wovon verschiedenste Vogelarten profitieren. Zudem unterstützt das Projektteam die Brutmöglichkeiten für Sakerfalken, Blauracken und Rotfußfalken, indem es in Bulgarien, Rumänien, Serbien und in der Slowakei insgesamt 370 Nistkästen anbringt.

Transnationale Zusammenarbeit unerlässlich

Um die Vögel auf ihren Zugrouten zu schützen, müssen die Stromleitungen auf den gefährlichsten Abschnitten entschärft werden, und zwar über Ländergrenzen hinweg. Im Zuge des Projekts DANUBEparksCONNECTED wurde daher eine Plattform für die transnationale Zusammenarbeit geschaffen. Sie bildet die Grundlage für die LIFE Danube Free Sky-Projektpartnerschaft, an der acht Energieunternehmen, drei Nationalparks, drei Vogelschutzorganisationen und ein Eisenbahnunternehmen beteiligt sind. Obwohl das Projekt während der Pandemie begann, funktioniert die Zusammenarbeit aller beteiligten Projektpartner sehr gut. Die meisten der Koordinierungstreffen finden immer noch online statt, doch die Hoffnung ist groß, dass persönliche Treffen bald möglich sein werden.

Projektwebseite: danubefreesky.eu
Facebook/Instagram: danubefreesky

Natura 2000 ist ein Netz von zentralen Fortpflanzungs- und Ruhestätten für seltene und bedrohte Arten und einige seltene natürliche Lebensraumtypen, die geschützt sind. Es erstreckt sich über alle 27 EU-Länder, sowohl an Land als auch im Meer. Ziel des Netzes ist es, das langfristige Überleben der wertvollsten und am stärksten bedrohten Arten und Lebensräume Europas zu sichern, die sowohl in der Vogelschutzrichtlinie als auch in der Habitatrichtlinie aufgeführt sind. 23 besondere Schutzgebiete, die an dem Projekt beteiligt sind, sind Teil des Natura-2000-Netzes.

 

Dr. Marek Gális ist Wissenschaftlicher Koordinator der Projekte LIFE Danube Free Sky und LIFE Energy. Er studierte Ökologie und Umweltstudien an der naturwissenschaftlichen Fakultät der Philosoph KonstantinUniversität in Nitra, Slowakei. Nach seiner Promotion im Jahr 2014 begann er bei der Nichtregierungsorganisation Raptor Protection of Slovakia. Er hat mehrere Artikel zum Thema Vögel vs. Stromleitungen veröffentlicht und ist aktiv am Prozess der Risikobewertung von Stromleitungen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Vögel in der Slowakei beteiligt.

Mag. Eva Horková ist Kommunikationsmanagerin des LIFE Danube Free Sky Projekts. Sie studierte Politikwissenschaft und internationale und diplomatische Studien an der Comenius Universität Bratislava und an der Hochschule für internationale und öffentliche Beziehungen Prag, Institut Bratislava. Mehrere Jahre lang war sie hauptsächlich in den Bereichen Projektkoordination, Management und Marketing in der Privatwirtschaft tätig. Mit dem Wunsch nach einem beruflichen Wechsel in den dritten Sektor trat sie ab November 2020 dem LIFE Danube Free Sky Team bei.

Rumänien ein halbes Jahr nach den Parlamentswahlen 2020

 

Online Podiumsdiskussion veranstaltet vom IDM in Kooperation mit der Politischen Akademie und dem Karl-Renner-Institut

Begrüßungsworte

Mihai-Razvan Ungureanu, ehemaliger Ministerpräsident Rumäniens, Projektmitarbeiter am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM)

 

Briefing über die aktuelle Lage in Rumänien Carmen Bendovski, Projektmitarbeiterin am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM)

 

Podiumsdiskussion

Kurt Scharr, Historiker an der Universität Innsbruck

Dana Trif, Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei dem Center for the Study of Democracy, Cluj-Napoca

Janka Vogel, Românissimo, Sozialpädagogin und Rumänistin mit Schwerpunkt Migration, Berlin

 

Moderation

Sebastian Schäffer, Geschäftsführer des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM)

 

Weitere Informationen zu der Onlinediskussion inklusive das Briefing über die Lage in Rumänien finden Sie auf https://www.idm.at/veranstaltungen