THOMAS ZEHENDER will der kulturellen Vielfalt entlang der Donau ein Zuhause geben. 2015 gründete er dafür den Verlag danube books mit Sitz in Ulm. Sein Engagement wurde kürzlich von Baden-Württemberg mit dem Verlagspreis Literatur ausgezeichnet. DANIELA APAYDIN sprach mit dem Verleger über Klischees, Krisen und Leidenschaft.
Herr Zehender, in Europa herrscht Krieg, die Menschen klagen über steigende Preise und politisch wird die Schlagkraft der EU von nationalistischen Kräften zerrieben. Wie wirken sich diese multiplen Krisen auf Ihre Arbeit aus?
Jahrzehntelang betrieben Länder wie Deutschland Europapolitik nebenbei. Als Journalist habe ich erlebt, dass diese Themen auch nicht wirklich in den Redaktionen verankert sind. Als Verleger stelle ich fest, dass Europa auf der Arbeitsebene recht gut funktioniert, wenn man sich persönlich kennt und schätzt. Dazu muss man aber die nationale Fahne ein Stück weit einrollen. danube books versteht sich nicht als deutscher, sondern als europäischer Verlag mit Sitz in Deutschland. Natürlich spüren wir aktuell viel Druck. Die Papierpreise gehen durch die Decke. Am meisten trifft die Krise aber die AutorInnen, weil es seit Beginn der Pandemie weniger Publikumsveranstaltungen gibt. Das Ausweichen auf digitale Formate funktioniert zwar, aber bei Online-Lesungen können wir keine Bücher verkaufen und signieren. Trotzdem bleibt mein Motto: Zum Jammern hab‘ ich keine Zeit.
Durch den Krieg in der Ukraine scheint auch das Interesse an der dortigen Kultur zu steigen. Entdeckt Westeuropa nun den Osten wieder, nachdem dieser lange vernachlässigt wurde?
Diese Ansicht teile ich. Die Region taucht meist nur unter zwei Vorzeichen auf: entweder, weil dort etwas sehr billig zu haben ist, z.B. Dienstleistungen, Arbeitskräfte etc., oder – ähnlich wie damals bei den Balkankriegen – wenn es zu wirklich bedrohlichen Situationen kommt. Die Ukraine wurde in Deutschland lange ausgeblendet. Leider ist sie für viele, wie auch andere Länder der Region, immer noch ein großer weißer Fleck auf der Landkarte.
Was hat Sie dazu bewogen, in Zeiten der Digitalisierung einen Buchverlag zu gründen?
In den letzten zehn Jahren gab es tatsächlich mehrere Verlagsgründungen, oft mit einem Nischenprogramm. Ich habe lange als Journalist gearbeitet, mich aber dann davon losgesagt, weil ich vor allem mit dem Tageszeitungsgeschäft nicht mehr zufrieden war. Ich wollte mich neu erfinden. Mein persönlicher Gewinn der Verlagsgründung ist die Horizonterweiterung. Das hält mich geistig fit. Ich bleibe immer mit anderen Sprachen, Kulturen und Mentalitäten in Berührung. Daraus sind auch viele Freundschaften und Kontakte mit AutorInnen entlang der Donau entstanden. Auch wenn es nicht immer leicht ist, habe ich doch meinen Platz gefunden.
Eine erfolgreiche Nische ist Ihre LyrikReihe edition textfluss. Darin veröffentlichen Sie vor allem Beiträge in Originalsprache und deutscher Übersetzung – eine Mühe, die nicht selbstverständlich ist. Warum ist Ihnen sprachliche Vielfalt so wichtig?
Der Verlagsname danube books ist absichtlich englisch, weil es eine verbindende Sprache ist. Wenn ein Gedicht nicht auf Deutsch verfasst wurde, lassen wir es übersetzen, aber immer zusammen mit dem Original. Das ist wichtig, um ein Gefühl von Rhythmus und Melodie zu vermitteln. Insgesamt nimmt das Interesse an Literatur aus Ost- und Südosteuropa deutlich zu. Ich pflege z.B. enge Kontakte zu rumänischen Communities in Stuttgart und in anderen Orten. Sie kommen über Kulturveranstaltungen zusammen, zum Beispiel bei Lesungen oder Konzerten.
Oft scheint der Blick vieler AutorInnen aus der Region stark auf die Vergangenheit gerichtet zu sein. Erfahrungen mit Diktatur, Entfremdung oder Entwurzelung sind zentrale Themen, naturgemäß für AutorInnen, die auswandern mussten. Welche Rolle spielt die literarische Vergangenheitsbewältigung in Ihrem Verlag?
Für mich ist der Ist-Zustand viel interessanter als die Vergangenheit, gerade der Prozess der Transformation, etwa in Rumänien und Bulgarien. Beide Länder sind noch nicht wirklich in Europa angekommen. Das zeigt sich in den biografischen Texten wie »Das Paprikaraumschiff« von Sigrid Katharina Eismann, die mit sechzehn aus Rumänien emigrierte. Die Autorin sagte einmal, dass Jugendliche das Pendeln zwischen den Kulturen und Systemen viel stärker wahrnehmen als Erwachsene. Wie wir mit den Erfahrungen von Migration und Integration umgehen, wird die Zukunft Europas beeinflussen. Das ist ein spannendes Thema, zu dem ich aktiv jüngere, auch noch unbekannte AutorInnen suche. Und sehen Sie mit dem Generationenwechsel mehr als 30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs eine veränderte Perspektive? 2018 erschien die Lyrik-Anthologie »Die Spitzenelf/Primul unsprezece« mit elf LyrikerInnen aus Rumänien, die alle nicht älter als 39 Jahre waren. Da bekommen Sie genau den Sound dieser Generation. Und auf diesen Sound müssen wir noch viel genauer hören. Mein Ziel ist es, nicht nur die weiße Landkarte der Deutschen und ÖsterreicherInnen bunter zu gestalten, sondern auch beizutragen, dass sich die Menschen östlich von Wien untereinander mehr zuhören.
Worin liegen heutzutage die größten Herausforderungen, als AutorInnen fußzufassen?
Fast die Hälfte unseres Programms besteht aus Erstwerken. Am besten funktioniert es, wenn die AutorInnen beruflich schon mit Sprache zu tun haben, zum Beispiel als JournalistIn oder AkademikerIn. Die größte Herausforderung ist es, auf den Punkt zu kommen und eine Struktur zu erstellen. Ich fordere immer einen Waschzettel, also ein halbes DIN-A4-Blatt, auf dem die ganze Geschichte kurz und knackig dargestellt werden muss.
2022 hat danube books den Verlagspreis Literatur des Landes Baden-Württemberg erhalten. Wie schwierig ist es, stromabwärts von Ulm als Verlag präsent zu sein? Die Buchmärkte sind doch stark nationalstaatlich begrenzt.
Auszeichnungen wie diese sind besonders wichtig. In Deutschland gibt es – im Gegensatz zu Österreich – keine institutionelle Förderung für unabhängige Verlage wie danube books. Die Veranstaltungsprogramme von Kulturinstituten in der Region wie dem Goethe-Institut sind bei der grenzüberschreitenden Arbeit sehr wichtig. In manchen Ländern sind die staatlichen Literaturagenturen sehr aktiv. Eines der kleinsten Donauländer, die Slowakei, macht unglaublich viel für seine Literatur und AutorInnen, sponsert Lesereisen, etc. Slowenien und Rumänien sind ebenfalls sehr aktiv. In Ungarn sieht man Literatur vorrangig als nationales Kulturgut. Das Interesse nach außen zu wirken, könnte stärker sein. Gemeinsam mit dem IKGS München konnten wir zwei anspruchsvolle Projekte verwirklichen: einen Lyrikband in allen Sprachen der Bukowina und die deutsche Ausgabe einer Graphic Novel aus der Ukraine über die Lyrikerin Rose Ausländer. Die Buch Wien ist für mich eine wichtige Verbindung zu Ostmittel- und Südosteuropa.
© danube books
Im November 2022 wird danube books wieder auf der Buch Wien vertreten sein. Sind solche Messen leistbar für einen kleinen unabhängigen Verlag und lohnt es sich, dort präsent zu sein?
Um ehrlich zu sein, es ist sauteuer geworden. Bei vielen Messen sind die Konditionen so hoch, dass man den Eindruck haben könnte, kleine Verlage werden dort nicht gewollt. Aus diesem Grund stelle ich weder in Leipzig noch in Frankfurt aus. Wien ist dagegen angenehm klein, übersichtlich und die großen deutschen Konzernverlage fehlen weitgehend. Ich bin jedes Mal über die Vielfalt an Verlagen in Österreich erstaunt. Auch die Verkäufe dort sind sehr gut. Als Mitglied des Danube Cultural Cluster profitieren wir auch von einer hohen Sichtbarkeit durch Veranstaltungen auf der DonauLounge.
Weitere Informationen
Verlag-Webseite: danube-books.eu
Magazin danube connects:
danube-connects.eu
Danube Cultural Cluster:
danubeculturalcluster.eu
Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas: ikgs.de
IDM-INTERVIEW mit Daniela Apaydin und Thomas M. Zehender, lic. rer. publ. (geb. 1959 in Backnang, Deutschland) hat 2015 den Verlag danube books gegründet. Davor war er vorwiegend als Redakteur diverser Tageszeitungen und als Mitarbeiter des Magazins danube connects – Magazin für die Donauländer sowie als freier Journalist tätig.