Balkan, Ukraine und Moldau nach Europa – sofort!

“„Gschichtn“ von Fußball, Freiheit und Zukunft” 

In seinem Kommentar fordert IDM-Geschäftsführer Sebastian Schäffer eine dringende Reform des EU-Beitrittsprozesses und erklärt seine Beweggründe für die Entstehung der “Gschichtn” über die Länder des (West-)Balkans, Ukraine und Republik Moldau. 

Eine dringende Reform des EU-Beitrittsprozesses  

Die EU-Erweiterung ist und bleibt das wichtigste Instrument zur Transformation auf dem europäischen Kontinent. In Artikel 49 des Vertrags über die Europäische Union heißt es wie folgt: 

 „Jeder europäische Staat, der die in Artikel 2 genannten Werte achtet und sich für ihre Förderung einsetzt, kann beantragen, Mitglied der Union zu werden.“ Konkret heißt das: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“  

Leider ist der Beitrittsprozess in den vergangenen Jahren immer technischer und langwieriger geworden. Einzelne Mitgliedstaaten nutzten ihre Möglichkeit, Fortschritte  auch ohne gerechtfertigte Gründe zu blockieren. Das geschah zu verschiedenen Zeitpunkten des Prozesses, etwabevor ein Land den Kandidatenstatus erhielt, bevor die Verhandlungen eröffnet wurden, bevor diese abgeschlossen wurden und dann auch noch vor der endgültigen Aufnahme. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Transformationskraft der EU. Der Austritt des Vereinigten Königreichs hatte ebenfallsEinfluss darauf. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass eine EU-Mitgliedschaft weiterhin für die betroffenen Länder attraktiv ist und die europäische Integration eines der wichtigsten politischen Projekte darstellt. Doch der Prozess muss dringend reformiert werden. Vorschläge dazu gibt es genug, doch es braucht mehr Mut, um die Aufgabe anzugehen. Der Sorge vor einer langen und schwierigen Vertragsrevision möchte ich entgegenhalten: Vom Vertrag von Nizza zum Vertrag von Lissabon – inklusive gescheitertem Verfassungsvertrag und zunächst negativen Volksentscheid in Irland – vergingen etwas mehr als sechs Jahre. Hätten wir direkt nach dem Brexit-Referendum den Mut gehabt, die Verträge und damit auch den Erweiterungsprozess zu reformieren, könnten wir dies bereits jetzt anwenden! 

“Balkan nach Europa – sofort!” 

Im Sommer 2020 fragte mich Erhard Busek, ob wir gemeinsam ein Buch zum Westbalkan schreiben wollen. Ich war sofort begeistert und habe recherchiert, was darüber von wem in den letzten Jahren publiziert wurde Gemeinsam mit einer Kollegin am IDM erstellten wir eine umfangreiche Liste von Titeln in mehreren Sprachen und kamen zu der Erkenntnis, dass es nicht unbedingt Bedarf für weitere umfassende Publikationen gibt. Zudem wurde das Projekt immer größer und es drohte langwierig zu werden. Erhard und mir verband eine gewisse Ungeduld im Hinblick auf die Umsetzung von Aktivitäten für unsere Region, was sicherlich für die Beteiligten nicht immer einfach ist. Die Plattform story.one bietet dieser  Möglichkeit relativ rasch ein Buch zu veröffentlichen und sich aufgrund der maximalen Zeichenanzahl einer Geschichte von 2500 Zeichen(es können höchstens 17 Geschichten in ein Buch) auf das Wesentliche zu beschränken. Somit hatten wir den geeigneten Rahmen für unser Projekt gefunden. Die „Gschichtn“ über Grenzen, Glauben und Grausamkeiten, über Fabeln, Frieden und Fußball verknüpften wir mit unserem Plädoyer  über die sofortige Aufnahme aller Westbalkanstaaten in die EU. 

Ein Frühjahr, das alles veränderte… 

Der 24. Februar 2022 war für uns alle ein Schock. Als dann die Ukraine und später auch die Republik Moldau sowie Georgien einen Beitrittsantrag zur EU stellten, haben wir begonnen zu überlegen, ob wir nicht eine Art Nachfolgepublikation schreiben sollten. Leider ist Erhard dann plötzlich am 13. März 2022 verstorben. Dieser neue Schock hat erneut unsere Prioritäten verschoben und das Projekt geriet in den Hintergrund. Als dann nach den Weihnachtsfeiertagen etwas Ruhe eingekehrt ist, holte ich die Idee wieder hervor und begann auszuprobieren, wie es sich anfühlt, das Buch alleine zu schreiben. Mir wurde rasch klar, dass es funktioniert. 

„Ukraine & Moldau nach Europa – sofort!“ 

„Ukraine & Moldau nach Europa – sofort!“ ist zunächst eine Verneigung vor Erhard Busek. Es ist auch eine Verbeugung vor den Menschen, die in der Ukraine für unsere Werte kämpfen. Ich versuche – ähnlich wie bei „Balkan nach Europa – sofort!“ – durch „Gschichtn“ von Fußball, Freiheit und Zukunft Zusammenhänge aufzuzeigen, Zugehörigkeit herzustellen, Zusammengehörigkeit zu veranschaulichen, Zusammenhalt zu vermitteln und damit hoffentlich dazu beitragen, dass die Zeitenwende, wie der 24. Februar 2022 weithin inzwischen bezeichnet wird, am Ende positive Assoziationen hervorruft. Anders als in der ersten Publikation ist aber hier kein konkretes Plädoyer für eine sofortige EU-Mitgliedschaft der Ukraine und/oder Moldau enthalten, weil es nicht mit den gleichen Vorschlägen, die wir im Hinblick auf die Westbalkanstaaten gemacht haben, umsetzbar ist. Ich wollte dennoch durch den Titel bewusst eine Kontinuität in der Arbeit des IDM darstellen.    

Balkan nach Europa – sofort!

Erhard Busek (Vizekanzler a.D. und Vorsitzender des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa – IDM in Wien) und Sebastian Schäffer (Geschäftsführer IDM) fordern die sofortige Aufnahme aller Westbalkanstaaten in die EU. Ihr Plädoyer verbinden sie mit “Gschichtln” über Grenzen, Glauben und Grausamkeiten, über Fabeln, Frieden und Fußball. So bilden die persönlichen Erlebnisse und Erinnerungen der Autoren auch ein Zeugnis ihrer Zeit.

A Study Tour to Austria

Danubius Awards 2022

Danubius Award 2022 to the Bulgarian scientist Prof. Dr. Diana Mishkova, Danubius Mid-Career Award to Ukrainian scientist Assoc. Prof. Dr. Tamara Martsenyuk and Danubius Young Scientist Awards to 13 promising researchers from the Danube region. 

The “Danubius Award” 2022 goes to Bulgarian Prof. Dr. Diana Mishkova, History Professor and Director of the Centre for Advanced Study (CAS) in Sofia, Bulgaria. With her work focusing on modern and contemporary history of Eastern Europe, the modernization of South-Eastern Europe, European societies, and European peripheries as well as national identities, she has contributed profoundly to research on the Balkans. She is o the funding director of CAS Sofia, that is supported by numerous international sponsors, such as the Wissenschaftkolleg Berlin (Institute for Advanced Study Berlin). Prof. Dr. Mishkova has already received several awards for her scientific work and is involved in different international projects – currently in the Horizon 2020 project “PREVEX – Preventing Violent Extremism in the Balkans”.

Ukrainian scientist Assoc. Prof. Dr. Tamara Martsenyuk has been awarded the “Danubius Mid-Career Award” 2022. She is an Associate Professor at the National University of Kyiv-Mohyla Academy. In her studies, she focuses on gender research, social inequality issues, gender policies, social movements, and empowerment. In addition to numerous stays abroad and the participation in international research projects, she also brings her expertise to national policy forums and NGOs. Her research is currently focusing on the topic “Women’s involvement in Russia’s War against Ukraine”. 

 
In addition, 13 young scientists from the Danube Region will be awarded with the Danubius Young Scientist Award 2022 for their scientific work.

By presenting these Awards, the Austrian Ministry for Education, Science and Research (BMBWF) is contributing to the implementation of the EU Strategy for the Danube Region (EUSDR) adopted by the European Council in 2011. Through the awarding of outstanding scientific achievements, the Danube region is made visible as a research area and the perception of its multidisciplinary challenges and potentials is strengthened.

“The Danube Region provides many opportunities for cross-border and regional cooperation among universities as well as research organizations. And there are, indeed, plenty of common challenges along the Danube and beyond which we need to jointly address and develop solutions for Federal Minister for Education, Science and Research Prof. Martin Polaschek pointed out on the occasion of the award ceremony on 10 November 2022 at the University of Maribor.

“The role of scientists and researchers has changed profoundly in the last decade. On the one hand, scientists and researchers are in a high demand to deliver fast results and provide evidence for critical policy decisions, and they have become indispensable in explaining and communicating the current knowledge available. On the other hand, we see a worrying rise in skepticism towards science and research as well as towards democracy in general, which creates a wide range of problems for and in our societies. We need to work together to counter this skepticism, and I am confident that all of you present and especially the awardees of today can and will contribute with their work towards demonstrating and communicating the relevance of science and research“, Polaschek continued.

The award ceremony in Maribor took place in the presence of Barbara Weitgruber, Head of the Department from the BMBWF, and Friedrich Faulhammer, Chairman of the Institute for the Danube Region and Central Europe (IDM).

In her introduction, Barbara Weitgruber highlighted the solidarity with Ukraine as partner country of the EUSDR: “We will continue our support to the Ukrainian researchers, who have come or aim of coming in the EU, as well as to those remained in Ukraine. In addition to that, we hope for an early beginning of the reconstructions, and we are getting ready for appropriate support measures”. 

Friedrich Faulhammer added: “I am really pleased that once again we are working together with the Ministry for Education, Science and Research to honor scientists, who are significantly contributing to the development of knowledge and understanding within the Danube region in their various fields of research. This year, I am particularly pleased that we can also highlight the scientific work of Ukrainian female researchers, as they are currently forced to work under the conditions caused by the unjustified Russian attack on their country”.

The “Danubius Award” was established in 2011 to honor researchers who have outstandingly dealt with the Danube Region in their academic or artistic work. The prize is granted every year on a rotating basis for achievements in the humanities, cultural and social sciences (2022) or in life sciences and is endowed with € 5,000.

The “Danubius Mid-Career Award” is endowed with € 2,200 and has been awarded since 2017 to researchers who are from 5 to a maximum of 15 years after their last formal scientific degree or have equivalent scientific experience. The prize winners were selected by an independent jury of experts chaired by Univ. Prof. Dr. Stefan M. Newerkla (University of Vienna).

Since 2014, special young talent awards, the “Danubius Young Scientist Awards” have also been awarded. The prize, which is open to all disciplines, highlights the scientific work and talent of young researchers and increases the visibility of the excellence of the research community in the Danube Region. In this way, the prizes also contribute to the fact that young scientists deal with the river and the region in a variety of ways. The young talent prizes are endowed with € 1.350, per award winner. The selection was made by an international jury of experts, whereby the candidates for the award were nominated by their respective scientific institutions. 

Austria  Daniela Apaydin  
Bosnia and Herzegovina  Marko Djukanović  
Croatia  Jelena Kranjec Orlović  
Czech Republic  Adela Grimes  
Germany  Jan Schmitt  
Hungary  Blanka Bartos  
Moldova  Nicolae Arnaut  
Montenegro  Miloš Brajović  
Romania  Mihaela Cudalbeanu 
Serbia  Zorana Miletić  
Slovakia  Tibor Zsigmond  
Slovenia  Žane Temova Rakuša  
Ukraine  Illia Diahovchenko  

Watch the Award ceremony below

Die Zukunft von Bosnien und Herzegowina? Aus der Sicht der betroffenen Eliten

Eine Studie über die Einstellungen und Meinungen von Vertretern führender Bevölkerungsgruppen in Bosnien und Herzegowina zur zukünftigen Entwicklung ihres Landes

Projektziel:

 

Projektträger: IDM – Institut für den Donauraum und Mitteleuropa, Wien; Autoren der Studie: Dr. Alfred C. LUGERT, fmr. Associate Professor of Political Science, University of New Orleans, und Prof. Dr. Werner VARGA, Univ.- Lektor an der Wirschaftsuniversität Wien. Finanziert durch den Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank

 

Teil A. Analysen und Forschungsbericht von Dr. Werner Varga

„Wir haben alle verloren“, so lautet ein Tenor der Befragten. Angesichts dessen scheint das Leben im alten Jugoslawien wie ein verlorenes Paradies – dort gab es, was es heute kaum gibt: Sicherheit – physisch und materiell, Arbeitsplätze und Zukunftsaussichten aufgrund der gesicherten Sozialleistungen, aber auch Reisefreiheit. Dieses „goldene Zeitalter“ ist vorüber. Besonders betroffen sind die Befragten davon, dass Länder, die (in ihrer Entwicklung) deutlich hinter BiH rangierten, jetzt vor dem Land liegen und – wie Rumänien und Bulgarien – nunmehr vor der Aufnahme in die EU stehen, während das eigene Land nicht einmal die Zusage zu Beitrittsverhandlungen erreichen konnte. Ausgangspunkt dieser retrograden Entwicklung bildete die Politik Milosevics, mit ihrer anti-demokratischen, nicht marktwirtschaftlichen Ausrichtung, die den Ansatz, eine Konföderation zu bilden, versperrte. Aus der Sicht vieler – meist muslimischer Politiker – ergab sich daraus zwischen 1988 und 1992 ein „window of opportunity“, das es rasch zu nützen galt. Die serbische Seite sah hingegen keine dringende Notwendigkeit zu raschen Veränderungen. Sie hatten „ihr Jugoslawien“. In dieser Zeit kam es wohl auch zu einer Fehleinschätzung auf Seiten der EU. „Es war so, dass die EU uns zu jener Zeit drängte, ein Referendum abzuhalten. Anschließend zeigte sie uns den Rücken.“, sagt einer der muslimischen Zeitzeugen. Damit war die sich bildende junge Demokratie – mit ihren neu entstehenden Parteien –überfordert. Zudem war kurz zuvor die „völlige Gleichberechtigung der Völker im Präsidium von BiH, ohne Rücksicht auf ihre Zahl“ beschlossen worden. Dies ist bis heute eines der theoretisch und praktisch ungelösten Probleme des Landes, die Überschneidungen zwischen dem kollektiven, die Nationalität bewahrenden Rechtsansatz und dem demokratischen, auf den Einzelnen ausgerichteten Bürger-Recht. Im Dayton-Friedensschluss festgeschrieben, blockieren die Vitalen Nationalen Interessen (kollektiver Rechtsansatz) die Entwicklung und Organisation des Staates. Die „monströsen Strukturen des bosnischen Staates“ sind eines der Resultate, das Fehlen eines „bosnischen Bürgers“ ein weiteres. „Ich weiß nicht, von welchem Bürger sie reden“, war eine der Antworten, „vom Bürger Serben, von den Bürgern Kroaten, den Bürgern Bosnijaken-Muslime oder jenen, denen die Nationalität kein Anliegen ist“. Die sog. Internationale Gemeinschaft (IG) sehen die bosnischen Gesprächspartner als ein Problem sui generis. Viel zu häufig, so wird geklagt, werden die Interessen der einzelnen Länder vertreten, die einander entgegengesetzt oder zumindest nicht kompatibel sind. Im Rechtssystem z.B. wollen die USA anglo-sächsisches Recht angewendet sehen, die Europäer das kontinentale Rechtssystem. Während die USA die Gesamtheit der Medien privat sehen wollen, passen den Europäern öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten durchaus ins Konzept. Zwar wird generell anerkannt, dass das Office des High Representative notwendig war, aber nicht alle sind der Meinung, dass es noch immer notwendig ist. Die Machtfülle des OHR ist insofern ein Ärgernis, als der HR sie nicht entschieden einsetzt. Dazu kommt, dass diese „Machtfülle“ (Bonn-Powers) nicht das Produkt eines konsistenten Plans, sondern ein Stückwerk einzelner ad hoc Entscheidungen ist. So hat das OHR den Friedensvertrag als „Dayton proper“ mit Klauen und Zähnen geschützt, und jene aus ihren Ämtern entfernt, die dagegen opponierten. Heute wird „Dayton proper“ vom OHR nicht nur nicht verteidigt, sondern die Beachtung der „Europäischen Werte“ erwartet. Aber gerade die Werteübereinstimmung innerhalb der sog. Internationalen Gemeinschaft ist oft nicht gegeben. Generell ist festzustellen, dass das OHR außerhalb jeglichen Rechtrahmens agiert – seine Entscheidungen nicht transparent sind, und er durch den „Sintra Peace Implementation Council (PIC) zu wenig kontrolliert wird. (Ein Land zur Demokratie zu führen ist kein Halbtags-JOB!). Wir sind nicht AFRIKA! Dieser Ausspruch eines Interviewpartners steht für ein weiteres Dilemma der IG: der Qualität und dem Auftreten ihrer, meist jungen, Repräsentanten. Die Klage wird darüber geführt (neben der Arroganz der Jugend im Auftreten), dass häufig junge Theoretiker, Universitätsabgänger lediglich mit Lehrbuchwissen sendet, während man Praktiker benötigen würde, das theoretische Wissen sei vorhanden, „wir sind ja nicht in …..“ Ein Neustart BiHs bedarf der Versöhnung – davon zeigen sich viele überzeugt. Doch Verbrechen und Verbrecher müssen bestraft werden. Es waren nicht „die …“Serben“, „die Kroaten“ die Muslime“, sondern Einzelne. Gefordert wird eine „objektive Wahrheit“. Was ist Propaganda, was Wahrheit – dies ist vielen nicht klar. Darüber hinaus benötigt der „Bosnier“ eine verbesserte Kommunikation zwischen den Nationalitäten..

Teil B. Analysen und Forschungsbericht von Dr. Alfred C. Lugert

BIH und die nationale Frage: Ein zukunftsorientierter Lösungsansatz der nationalen Frage und der Reduktion eines antagonistischen Nationalismus, wird – abgesehen von der grundlegenden Verbesserung der wirtschaftlichen Lage – auch in der Verbesserung der unsicheren emotionalen Befindlichkeit der Befragten in ihrer eigenen Volksgruppe, sowie in der wechselseitigen Respektierung der Volksgruppen und ihrer Kultur und unterschiedlichen Bezeichnung der Landessprache(n) gesehen.

Beziehungen zu den Nachbarstaaten: Eigenpositionierungen und positive und negative Einstellungen zu den Nachbarländern Kroatien und Serbien (SCG) zeigen deutliche nationale Differenzierungen, sowie auch eine – trotz aller mentalen Vorbehalte vorhandene – Identifikation mit dem staatlich definierten Territorium BIH. Die Zukunft von BIH wird auch im hohen Maße in der Abhängigkeit von der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung in Serbien und in Kroatien (auch hinsichtlich EU, Kosovo, Montenegro etc.) gesehen. Mediensituation: Die Mediensituation wird meistens negativ gesehen. Den Medien in Bosnien und Herzegowina wird ein sehr grosser nationaler bis nationalistischer Einfluss auf die Bevölkerung zugesprochen; besonders wird aber auch zwischen den politischen Entscheidungsträgern und den Medien ein besorgniserregender starker wechselseitiger Einfluss gesehen. Ein Übergang vom früheren Mediensystem in Ex-Jugoslawien ist – wie in anderen gesellschaftliche Bereichen – in seiner ganzen Dimension schwer zu verarbeiten. BIH Regierungen, Politiker und politische Parteien: Die Beurteilung der verschiedenen Regierungen für die Zukunft des Landes fällt insgesamt schlecht aus. Die negativsten Stellungnahmen und Bewertungen erhielt die Regierung des Gesamtstaates von BIH. An zweiter negativer Stelle folgen die Regierungen der beiden Entitäten. Kantonsregierungen, die es nur in der Föderation von Bosnien und Herzegowina gibt, werden etwas besser beurteilt. Mehrheitlich positiv hingegen ist die Beurteilung der Bezirksverwaltungen. Den Politikern und den Parteien wird die Fähigkeit das Land in eine bessere Zukunft zu führen in den allermeisten Fällen abgesprochen. Nicht die internationale Gemeinschaft sollte die Hauptverantwortung für die Zukunft des Landes haben, sondern die Bürger des Landes selbst.

BIH und die Internationale Gemeinschaft:

Die überwiegende Mehrheit meint, dass die Ausländer die Probleme von BIH nicht verstehen. Die Leistung der Internationalen Gemeinschaft zur Lösung der Probleme in Bosnien und Herzegowina wird sehr differenziert, positiv und negativ, beurteilt. Oft wird die Meinung ausgesprochen, dass ein tatkräftiges Eingreifen der Internationalen Gemeinschaft den Krieg hätte verhindern können. Hier wird besonders die EU (resp. EG) sehr kritisiert. Die USA konnte mit ‚Dayton‘ den Krieg stoppen, ohne aber eine wirklich weiterführende Konzeption für Bosnien und Herzegowina zu erreichen. Die führend genannten Länder bei ihrer politischen Unterstützung und Hilfeleistung sind der Reihe ihrer Häufigkeit nach: An erster Stelle die USA, gefolgt von Österreich, EU-Staaten generell, Deutschland, Grossbritannien und Frankreich. Insgesamt findet man die Befürworter einer hauptsächlich europäischen Anbindung für die Zukunft – sowie die Befürworter einer gemischten Europa + USA Anbindung von Bosnien und Herzegowina – zu ungefähr gleich großen Teilen. Die zukünftige politische Organisation und Struktur von BIH: Bosnien und Herzegowina als akzeptierter ‚eigener‘ Staat wird in Frage gestellt. Nur ein geringer Teil der Befragten – meist sind es nur bosnische Serben – sind mit der derzeitigen. von ‚Dayton‘ vereinbarten politischen Organisation und Struktur des Landes in Form von zwei Entitäten halbwegs zufrieden. Am häufigsten genannt wird die Änderung der gegenwärtigen innerstaatlichen Struktur zu Gunsten einer ‚Regionallösung‘ durch Schaffung mehrerer – meist 5 – Regionen, die entweder ethnisch-nationale Mehrheiten beinhalten, oder aber nach rein ökonomischen und historisch-geographischen Gesichtspunkten zu bestimmen sind. Bildung und Schulen: Das Schulsystem ist eines der sozialen Felder, die eine sehr hohe Priorität in der Aufmerksamkeit und Besorgnis der Befragten einnimmt. Rund die Hälfte der Befragten sind mit dem Schulsystem unzufrieden. Der Wunsch die nationale Frage zu lösen, der Wunsch nach Erreichung der innerstaatlichen Toleranz – auch bei Trennung der Schulsysteme – sowie der Wunsch nach international anerkannter Qualität zum Wohle der jungen Menschen, wird deutlich. Die Versuche der Internationalen Gemeinschaft – und hier vor allem der OSZE – werden meist sehr negativ-kritisch beurteilt.

  • ProjektleitungUniv. -Prof. Dr. Ingfrid Schütz-Müller, Universität Wien