Michelkirche, Ukraine, Kyjiw, Krieg, Reisebericht

Vor 100 Jahren in der Zukunft

Anlässlich unserer regionalen Initiativen im Rahmen des 70jährigen Jubiläums des IDM reiste unser Geschäftsführer Sebastian Schäffer Ende April nach Kyjiw. Dort wurde er unter anderem Zeuge von Luftangriffen. Seine Erlebnisse während der Reise hat er in einer interaktiven Story Map zusammengefasst

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Volltext:

Ich scanne mit meinem Mobiltelefon den QR-Code auf dem Tisch in einer Mikrobrauerei am Andreassteig in Kyjiw, um einen Blick in die Speisekarte zu werfen. Plötzlich schrillt eine Sirene und ein Banner erscheint auf meinem Display : „Air alert! There is air alert in Kyiv. Proceed to shelter!”

„War das echt?“, fragt mich die Person, die mir gegenüber sitzt. Es ist nicht der erste Alarm an diesem Tag und ganz generell hat sich auch eine gewisse Indifferenz bei ihr eingestellt. „Ja“, antworte ich und spüre dabei, wie mein Herzschlag deutlich an Frequenz zunimmt. „Ah jetzt sehe ich es auch.“ Sie hat die App seit ein paar Wochen stummgeschaltet. Das ständige Suchen nach jeder noch so kleinen Information nach den unzähligen Luftalarmen im Herbst und Winter haben einen hohen Zoll für die mentale Gesundheit gefordert. „Was machen wir?“, schaut sie mich erst fragend an und lässt dann den Blick durch den Raum schwenken. Meiner folgt ihrem. Keine Aufregung, eher genervte Augen die auf Telefone blicken. Auch hinter der Fensterscheibe auf dem Kopfsteinpflaster ist keine gesteigerte Hektik zu erkennen. „Bier bestellen?“ – „Ok.“

Kraków Główny 

Drei Tage früher fast genau zur gleichen Zeit steige ich in Krakau in einen Zug Richtung Przemyśl. Von der polnischen Grenzstadt, die inzwischen wahrscheinlich bekannter ist als es ihr lieb ist, geht es dann weiter nach Kyjiw. Insgesamt 14,5 Stunden für knapp 860 km, das ging auch schon vor 100 Jahren schneller. Dabei spare ich mir eh einen Teil der Gesamtdistanz von Wien, weil ich bereits zwei Tage an einer Konferenz in Krakau teilgenommen habe. Der Reisetag ist dadurch aber auch extrem lang. Mein 70-Liter Rucksack wird mir in kürzester Zeit schwer auf den Schultern. Ich habe ein Versprechen gegeben, die abgelaufenen Mitbringsel aus dem letzten Jahr zu ersetzen und endlich zu meinem Freund in die ukrainische Hauptstadt zu bringen. Ursprünglich wäre ich am 21. Februar 2022 zu ihm geflogen, habe mich dann aber nicht getraut. Natürlich muss ich das jetzt überkompensieren und habe damit fast Übergepäck. Es würde aber auch niemanden stören, ein Vorteil im Vergleich zum Flug.

Przemyśl

Es nieselt, als ich aus dem leicht verspäteten Intercity der polnischen Eisenbahnlinien PKP steige. Es ist dunkel und auf den ersten Blick nicht zu erkennen, in welcher Richtung sich der Ausgang befindet. Ich folge einfach den vielen scheinbar routinierten Leuten, die sich zielstrebig nach links bewegen. In der Bahnhofshalle dann Helfer*innen mit gelben Westen und Personen in Tarnfarben mit polnischer Fahne am Ärmel. Ich bin unsicher, was ich tun muss, komme aber mit meiner Frage auf Englisch nicht sehr weit. Die von mir angesprochene Gelbwestenträgerin fragt daher auf Polnisch in die Runde, ob hier nicht jemand Englisch spricht. Eine ukrainische Teenagerin, die mit ihrer Mutter reist, bietet sich sofort an. Dank ihrer Hilfsbereitschaft sowie meines bruchstückhaften Ukrainisch weiß ich nun, dass ich nur mit Fahrkarte in die Ukraine den Warteraum links betreten darf und ich mich 40 Minuten vor Abfahrt hinten bei einem abgetrennten Bahnsteig einfinden soll. Bevor ich mir einen Stempel hole, der ermöglicht, nicht jedes Mal die Fahrkarte vorweisen zu müssen, wenn man sich zu den anderen wartenden Personen setzen möchte, will ich sehen, ob ich noch etwas zu essen finde.

In dem direkt am Bahnhofsvorplatz gelegenen Imbiss mit einheimischen Spezialitäten lässt sich trotz Türklingel, die automatisch bei meinem Betreten ausgelöst wird, niemand blicken. Ich verstehe den Hinweis und suche nach Alternativen. Inzwischen regnet es richtig und ich trage meine Überkompensation auf den Schultern.  Zumindest Wasser sollte ich mir organisieren. Zum Glück trage ich Funktionskleidung und ziehe mir die Kapuze über den Kopf. Vorbei an dem Hotel, in dem ich bei der Rückfahrt übernachten werde, ein wenig bergauf zu einer Kreuzung, wo der Deutsche in mir trotz des kaum vorhandenen Verkehrs an der roten Ampel Halt macht. Ein polnischer Kiosk namens Żabka, an dem man auch noch spätabends Grundnahrungsmittel bekommt, befindet sich auf der anderen Straßenseite. Ich erkenne, dass meine Sitznachbarin aus dem Intercity an der Apotheke um die Ecke abbiegt. Sie hatte abgepackte Nüsse dabei und wirkte allgemein wesentlich besser vorbereitet als ich, weshalb ich davon ausgehe, dass sie nicht so ziellos umherläuft wie ich. Tatsächlich sind in der Straße ein paar Restaurants. Ich entscheide mich für die Pizzeria. Keine gute Wahl. Es ist schließlich schon fast halb zehn, die Küche ist schon kalt, schließlich schließt man um 22:00 Uhr. Auf die Frage, ob ich noch etwas zu trinken bekommen kann, dreht sich die Kellnerin kurz zur Bar und verneint anschließend. Geschickt weicht sie auch aus als ich frage, ob ich zumindest die Toilette benutzen dürfte. Sie deutet nach draußen und sagt mir dann nach links. Ihr Daumen zeigt dabei auf das WC-Schild hinter ihr. Mamma Mia. Die Ironie lässt mich schmunzeln und ich schultere wieder meinen Rucksack. Wie schon an so vielen Abenden zuvor rettet schließlich der Dönerladen meine Gesamtsituation.

Zurück in der Bahnhofshalle sitze ich auf einem der zusätzlich aufgestellten Sessel und versuche die Geschichten hinter den müden Gesichtern zu erraten. Viele Mütter mit Kleinkindern bis Teenager, einige ältere Menschen, kein einziger erwachsener Mann im wehrpflichtigen Alter. Außer mir. Gegen 22:50 Uhr gehen Mutter und Tochter, die mir bei der Ankunft Auskunft gegeben haben, an mir vorbei und lächeln mich an. Ich lächle zurück und mache mich ebenfalls auf den Weg. Wir stehen gemeinsam in der Schlage, die sich von einem Gebäude ins nächste schlängelt. Daneben ein Zelt der Caritas. Der Regen ist wieder zu einem Nieseln geworden. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es hier im Winter gewesen sein muss. Wir wechseln kein Wort, was insbesondere meinen Kopfhörern geschuldet ist, tauschen aber hin und wieder Blicke und Gesten aus. Ich passe auf den Rollkoffer auf, als beide kurz verschwinden. Die Größe ist im Vergleich zu meinem Rucksack geradezu lächerlich klein, was entweder eine gewisse Regelmäßigkeit der Reise vermuten lässt, oder einen Kurztrip. Die Routine im Ablauf sowie die vergleichsweise gute Laune lässt mich zu Ersterem tendieren.

Um 23:40 Uhr bin ich endlich im Zug. Zehn Minuten vorher war die geplante Abfahrt und ich stand noch in der Halle mit den Grenzkontrollhäuschen. Draußen fuhr ein Zug der ukrainischen Bahn vorbei und mein Herzschlag setzte kurz aus. Dann erinnerte ich mich an einen anderen Reisebericht, in dem stand, dass der Zug erst losfährt, wenn alle durch die Kontrolle gegangen sind. Im Vergleich zu meinen sonstigen Reisevorbereitungen habe ich mich durchaus ausführlicher mit dem Ablauf beschäftigt. Trotzdem wollte ich auch irgendwie nicht zu viel darüber nachdenken. Möglicherweise aus Angst vor der eigenen Courage. Je näher die Reise kam und ich mit Personen über meinen Plan nach Kyjiw zu fahren sprach – unabhängig davon, ob sie das schon selbst gemacht hatten oder nicht – desto nervöser wurde ich. Meine Frau findet ganz grundsätzlich, dass es eine dumme Idee war, kennt mich aber lange genug, um zu wissen, dass mich fast nichts abhalten kann, wenn ich mir etwas richtig in den Kopf gesetzt habe. Und erst recht nicht, wenn ich das in einem publizierten Buch aufgeschrieben habe.

Als ich in meinem Wagon ankomme, ist mein Platz besetzt. Drei Generationen einer Familie. Statt am Fenster sitze ich jetzt eben am Gang, und statt neben der Mutter nun neben der Tochter, damit die Großmutter sitzen bleiben kann. Wir tauschen uns kurz aus und ich biete ihr die Nüsse an, die ich inzwischen besorgt hatte. Sie lehnt ab und holt ihr Handy hervor. Genervt blickt sie auf die Uhrzeit und mir ist das natürlich sofort sympathisch. Zwei Minuten vor Mitternacht setzen wir uns in Bewegung, 28 Minuten Verspätung schon zu Beginn. Als ehemaliger Bahn.Bonus-Status-Besitzer weiß ich, was das in Deutschland bedeuten würde. Bei der Abfahrt macht meine Sitznachbarin tatsächlich die Becker-Faust und ich muss mich sehr zusammenreißen nicht laut loszulachen.

Lwiw

Um genau 0:25 Uhr überqueren wir die Grenze und ich bin zum ersten Mal seit Oktober 2019 wieder in der Ukraine. Knapp eine Stunde später erreichen wir Lwiw. Es ist 02:30. So viele schöne Erinnerungen an diese Stadt kommen zurück. Wie es jetzt wohl sein mag? Ob es all die unterschiedlichen Themenrestaurants noch gibt? Die Kaffeemine. Die Brauerei, die das Bier „Frau Ribbentrop“ herausgebracht hat. Die betrunkene Kirsche. Ich hatte überlegt, einen Stopp auf der Reise einzulegen. Aber das Programm war eh schon voll, ich muss das einfach zu einer anderen Gelegenheit herausfinden. Eine andere Geschichte zur Stadt erzählte mir der Vater meines Freundes, für dessen Geburtstag ich auch nach Kyjiw reise. Im Zuge der vollständigen Invasion durch die Russische Föderation fuhren sie im März 2022 nach Westen, um sich in Sicherheit zu bringen. Nachbar*innen aus Kyjiw informierten ihn, dass die Druckwelle einer Raketenexplosion die Fenster in seiner Wohnung zwar nicht bersten hat lassen, diese aber aufgedrückt hätte. Leider waren seine direkten Nachbar*innen, die seinen Schlüssel hatten, ebenfalls geflohen. Also ließ er ihn in Lwiw nachmachen und schickte ihn mit der Nova Pošta in die Hauptstadt. Einen Tag später konnten die Fenster geschlossen werden. Insgesamt schauen die Leute nun viel mehr aufeinander, auch wenn man vorher kaum etwas miteinander zu tun hatte, schließt er seine Geschichte.

Wesentlich weniger interessant ist dann meine Weiterfahrt. Einfach weil es dunkel ist. Normalerweise schlafe ich sehr schlecht in sich bewegenden Objekten. Meistens nur dieser Sekundenschlaf, nach dem man noch geräderter aufwacht. Dieses Mal geht es aber erstaunlich gut. Zumindest immer wieder am Stück. Zugegeben: Ich habe ein Erste-Klasse-Ticket gebucht, man hat großen Abstand zwischen den Sitzen und nicht jede Bewegung der Mitreisenden weckt einen auf. Es geht auch ohne Reservierung des Nebenplatzes, zu der man mir geraten hatte, um sich ein wenig ausstrecken zu können. Es gibt genug Platz für die Füße im IC+ und sich quer über die Sitze legen würde aufgrund der Abstände auch nicht wirklich gut funktionieren. Wer wirklich liegen möchte, sollte lieber gleich die Verbindung mit Schlafwagen nutzen. Wer oft aufstehen muss, sollte lieber den Gangplatz wählen, die linken Sitze in der Buchungsmaske stehen (meist) in Fahrtrichtung nach Kyjiw, rechts dann bei der Rückfahrt. Die Buchung fand ich sehr einfach, gerade im Vergleich zur polnischen PKP. Leider kann ich die App der Bahngesellschaft Ukrzaliznycja nicht nutzen, weil dafür eine ukrainische Mobilnummer notwendig ist. 20 Tage vor Abfahrt kann man die Tickets buchen. Inzwischen sogar eine Direktverbindung von Wien, die nach knapp 24 Stunden über Budapest und Lwiw nach Kyjiw fährt.

Kyjiw

Zwei Minuten vor der geplanten Ankunft um 10:06 Uhr halten wir in Kyjiw-Pasažyrskyj. Ich bin zwar müde, aber sehr glücklich meinen Freund am Ende der Treppe zu sehen. Weder auf der Fahrt noch jetzt, da ich angekommen bin, stellt sich ein Gefühl der Angst ein. Ich war unsicher geworden. Insbesondere nach einem Gespräch, in dem mir illustriert wurde, dass zwar bisher noch keine Züge getroffen wurden, aber es ja durchaus passieren kann, gerade wenn man über eine Brücke fährt, zum Beispiel. Außerdem wären ja Waffentransporte ein militärisches Ziel und die erfolgen auch mit Zügen. Aha. Na Danke für diesen Gedanken. Als ob Putin zwischen zivil und militärisch unterscheiden würde. Auf jeden Fall ist es, wie eine ukrainische Kollegin mir in einem Gespräch mitgeteilt hatte. Manchmal sieht es von der Ferne gefährlicher aus, als wenn man nahe dran ist.

Irpin

Das gilt allerdings nicht für tatsächliche geschehene Grausamkeiten. Nach einer Dusche und nachdem mein Freund und ich versuchen, uns die vergangenen dreieinhalb Jahre, in denen wir uns nicht persönlich gesehen haben, zusammenzufassen, fahren wir auf seinen Vorschlag nach Irpin. Er erzählt mir, dass es schon wesentlich mehr wiederaufgebaut ist als seit seinem letzten Besuch. Dennoch ist es bedrückend und mit Worten nur schwer zu beschreiben.

Kyjiw

Reinfeiern in den Geburtstag meines Freundes in einer Bar geht aufgrund der Sperrstunde um 24:00 Uhr nicht. Neben den Bildern aus Irpin auch immer eine Erinnerung an die Tatsache, dass man sich in einem Land im Kriegszustand befindet. Sonst könnte man es auch leicht vergessen. Das Restaurant, in dem wir Abendessen, ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Karte wird auch hier über den QR-Code abgerufen. Und darüber kann man auch bezahlen. Dabei hatte ich mich so gut vorbereitet auf Ukrainisch um die Rechnung zu bitten. Am nächsten Tag gehen wir dann für das geplante Geburtstagsbarbecue einkaufen. Im Baumarkt besorgen wir Kohle, gleich am Eingang sind unterschiedliche Modelle von Generatoren erhältlich. Alle reduziert. Ich werte das als gutes Zeichen. Tatsächlich gab es seit Anfang März keine Raketenangriffe mehr, Stromausfälle selten und die Unterteilung des Tages in Einheiten mit Elektrizität und ohne ist nur noch eine Geschichte, die mir ein Kollege am nächsten Tag nach unserer gemeinsamen Veranstaltung erzählt.

Der Abend wird ganz wunderbar. Es gibt viel zu Essen, das wir auf dem Markt besorgt haben. Bier, Wein, Whiskey. Musik, Gesang und lustige wie traurige Geschichten. Rechtzeitig vor der Sperrstunde wird das neue Album von The National veröffentlicht, sodass wir es noch in der Runde hören können. Leider müssen die letzten Gäste aber dann gegen 23:30 Uhr gehen. Und da ist sie wieder die Erinnerung. Kriegszustand. Und nur, damit wir es nicht vergessen, gibt es um 04:01 Uhr Luftalarm.

Letztendlich ist es genauso unspektakulär wie dieser Satz. Meine App löst nicht aus, weil mein Telefon im Schlafmodus ist. Ich bin offensichtlich wirklich nicht gut vorbereitet. Mein Freund weckt mich leise und flüstert fast: „Du könntest ein paar Explosionen hören.“ Er hat es kaum ausgesprochen, schon gibt es unnatürliche Geräusche und einen Knall. „Müssen wir etwas tun?“, frage ich nicht nur schlaftrunken. „Ich denke nicht.“ IRIS-T SLM, oder ein anderes Luftverteidigungssystem, regelt das tatsächlich. Gegen 6:25 Uhr gibt es Entwarnung. Leider ist es nicht für alle so glimpflich ausgegangen. In Uman trifft eine Rakete ein Wohnhaus. Tote und Verletzte. Freund*innen, Kolleg*innen und meine Familie schreiben mir. Es schafft es also auch in internationale Medien. Im Nachhinein Berichte darüber zu lesen trifft mich nochmal anders. Die Direktorin des Instituts, mit der ich das Event später um 11:00 Uhr organisiere, entschuldigt sich, dass ich das erleben musste. Ich antworte, dass es für mich einmal so war, für sie aber seit 14 Monaten so ist. Dennoch muss ich in meinen Eröffnungsworten natürlich darauf Bezug nehmen. Unser Thema dreht sich letztendlich auch um Sicherheit.

Während der Fahrt von Teremky, der Endstation der blauen Metrolinie, in deren Nähe ich übernachte, nach Majdan Nezaležnosti Matt Berningers Stimme auf den Ohren zu haben verursacht Gänsehaut. Ganz echte, sichtbare und nicht nur eine Phrase, die ich sonst über ein für mich besonderes Lied oder Album auf Sozialen Medien posten würde. Ich werde abgeholt. Also von einem Kollegen, nicht nur von den Liedern. Es ist nicht so einfach sich im Labyrinth der Station zu finden. Außerdem hat sie erst kürzlich wieder geöffnet. Die verzweigten Tunnel ermöglichen einen direkten Zugang zum Präsidentenpalast. Wir gehen nicht wie bei meinem letzten Besuch am Michaelsplatz die ebenfalls nach Michael benannte Straße hinauf, sondern parallel dazu zum Institut für Philosophie der ukrainischen Akademie der Wissenschaften, in dessen Gebäude sich die Büros unserer Kooperationspartner*innen befinden.

Im Gebäude grüßt der Portier jovial. Im vierten Stock ist es dann ernster, dort befinden sich Polizei und Militär auf einem Kontrollgang. Aus dem Fenster hat man eine ideale Schusslinie auf das St. Michaelskloster. Die slowakische Präsidentin und der tschechische Präsident sind in der Stadt. Unser Event ist natürlich von den aktuellen Ereignissen geprägt, es ergibt sich aber eine, wie ich finde, sehr spannende Diskussion, die sehr offen und ehrlich geführt wird. Zudem beteiligen sich auch die Teilnehmer*innen im Webinar mit interessanten Fragen. Es gerät fast in den Hintergrund, dass es sich auch um eine Veranstaltung im Rahmen unserer 70-Jahre-IDM Aktivitäten handelt, was ja einer der Hauptgründe für meine Reise ist.

Anschließend gehe ich mit den beiden Mitarbeiter*innen des Ukrainian Institute for International Politics (UIIP) auf einen Spaziergang durch das Viertel. Entlang an der „Memory Wall“, an der die gefallenen Soldat*innen seit 2014 mit Bildern verewigt werden. Die Wand musste bereits zweimal erweitert werden. Es hört und hört nicht auf. Ich merke wie sich ein Klos in meinem Hals bildet. Als ich auf das Geburtsdatum eines Soldaten schaue und 2001 lese muss ich hörbar einatmen. So jung, so tapfer, aber auch so unnötig. Wofür? Vor der Diplomatischen Akademie der Ukraine dann eine Ausstellung einiger russischer Panzer sowie beschossene Autos, ein Anblick, den ich schon aus Irpin kenne. Dahinter drei Sandsacktürme. Sie schützen das Denkmal der Fürstin Olga, an das ich keine Erinnerung von meinem letzten Besuch habe. Ich war mir sicher, die Demonstration, die ich im April 2019 dort aus dem Fenster beobachtet hatte, fand auf einem leeren Platz statt.

Wir machen einen Halbkreis zurück in Richtung St. Michaelskloster. An mehreren aufgestellten Wänden sind Bilder aus Warschau 1944 und daneben aus Mariupol 2022 aufgereiht, die ähnliche Motive zeigen. Zerbombte Häuser, brennende Gebäude, Leichensäcke, erschossene Personen. Die Konstruktion schwankt gefährlich im Wind, vielleicht sind es aber auch meine Knie, die nach diesem visuellen Schlag in die Magengrube drohen nachzugeben. Wir setzen unseren Spaziergang fort, auch wenn mir das Wort unpassend erscheint.

Ich versuche von meinen beiden Begleiter*innen herauszufinden, wie sie die letzten Monate erlebt haben und wie sie mit der Situation umgehen. Wir erreichen die Brücke, die den Wolodymyr-Hügel und Chreschtschatyi Park verbindet. Diese wird im Volksmund auch Klitschko-Glas-Brücke genannt, weil die beiden ehemaligen Boxer-Brüder zur Eröffnung auf dem Plexiglas herumgesprungen sind, um die Stabilität der Struktur zu bestätigen. Mein Begleiter wartet nur darauf, dass ich auch darauf trete, um mir dann zu erzählen, dass die Brücke von einer Rakete beschädigt wurde. Während aus meinem Gesicht die Farbe weicht, muss er herzlich lachen. Natürlich hat man die Schäden umgehend beseitigt, was er mir allerdings erst nach einer kurzen dramaturgischen Pause sagt. Resilienz und Innovation. Ersteres bewiesen durch den Umgang mit den Grausamkeiten des Krieges, von Letzterem werde ich unmittelbar danach ebenfalls Zeuge. Eine Frau macht ein Foto von uns, geht zu ihrem Laptop, druckt eine Zeitungstitelseite aus und gibt sie uns. Die Bezahlung erfolgt mit einer App, in der man den Code der Dame eingibt. Das Ganze dauert keine fünf Minuten und wir haben nicht nur für einen guten Zweck gespendet, sondern auch eine Erinnerung an unseren Ausflug.

Durch den Freiheitsbogen des ukrainischen Volkes gehen wir zurück zum Majdan, auf dem die Tulpen blühen. Dieses Mal geht es die Michaelstraße hinauf, vorbei am Außenministerium zu dem Restaurant, in dem der Gewinner von Master Chef Ukraine kocht. Ich esse den wahrscheinlich besten Borschtsch meines Lebens, kann ihn nur nicht bezahlen, weil meine Bank mir wahrscheinlich nicht glaubt, dass ich mit meiner Karte in der Ukraine bin. Dankenswerterweise springt eine Kollegin ein und wir machen uns den Andreassteig entlang auf die Suche nach einer Möglichkeit Geld zu wechseln, damit ich meine Schulden begleichen kann. Wir kommen am Mykola-Hohol-Denkmal vorbei, das ebenfalls mit Sandsäcken umgeben ist, nur sein Kopf schaut heraus. Warum dieser nicht geschützt wird, erschließt sich mir nicht. Wir werden schließlich an dem Platz fündig, auf dem ich vor ein paar Jahren das zweifelhafte Vergnügen hatte in das Zibertfest zu platzen. Ein Bierfest, das so tut als würde es im September in München stattfinden, dann aber die Maßkrüge aus Zwei-Liter-Plastikflaschen füllt. Jetzt steht dort ein Riesenrad. Vielleicht war es auch damals schon da. Ein fotografisches Gedächtnis habe ich schon mal nicht.

Ich bin im Anschluss mit zwei Ukrainerinnen verabredet, die im April 2022 kurzzeitig bei mir wohnten, während sie auf ihr Visum für das Vereinigte Königreich warteten. Sie sind schon länger wieder zurück in Kyjiw. Wir wollen uns in einem Café treffen. Als ich durch die Eingangstüre gehe, habe ich kurz das Gefühl durch ein Portal direkt in ein hippe Kaffeemanufaktur im Berliner Prenzlauer Berg zu treten. Es ist kein Platz frei, wir haben nicht reserviert. Ich schaue mich um, vielleicht sind sie ja schon da. Ich erblicke ein bekanntes Gesicht, mein Gehirn braucht etwas länger, um den Netzhautreiz zu verarbeiten. Ich winke schon fast, als ich realisiere, dass es sich nicht um eine meiner Bekannten handelt. Es ist meine Sitznachbarin aus dem Zug von Krakau. Bevor sie noch den Eindruck bekommt, dass ich sie stalke, mache ich auf dem Absatz kehrt und koordiniere einen neuen Treffpunkt. Es ist nicht einfach in der Umgebung etwas mit freien Plätzen zu finden, was ich generell wieder als gutes Zeichen werte. Wir sitzen aufgereiht an einer Bar, die viel zu viel Auswahl an Bier in viel zu kleinen Gläsern ausschenkt, und unterhalten uns. Eigentlich spricht hauptsächlich eine von uns. Vielleicht als Berufskrankheit, sie ist Lehrerin. Aber ich habe sie auch seit einem Jahr nicht mehr gesehen, während ihre Cousine dazwischen öfter in Wien war und dabei auch mich besucht hatte. Die Pädagogin muss noch ihren Unterricht vorbereiten, und verabschiedet sich. Ihre Cousine und ich beschließen weiterzuziehen. Sie kennt da eine Mikrobrauerei.

Und damit sind wir wieder am Anfang dieses Reiseberichts angekommen. Nach knapp einer Stunde gibt es Entwarnung. Ich bestelle noch ein Bier und Snacks dazu. Unsere Gespräche drehen sich um durchaus schwere Themen, doch der Krieg ist keines davon. Geht das überhaupt? Wahrscheinlich muss es sogar. Es ist wie bei so vielen Dingen, niemand will auf nur eine Sache reduziert werden. Und das Leben geht weiter. Auch wenn über dir die Luftverteidigung arbeitet. Wir fahren noch zwei Metro-Stationen gemeinsam, am Ploschtscha Lva Tolstoho verabschieden wir uns mit einer Umarmung und dem Versprechen, uns bald wieder zu sehen.

Gleiches Prozedere, nur mit anderen Personen am nächsten Tag am Bahnhof. Ein letzter Blick zum Abschied und Hände, die winken. Unvermeidlich der Gedanke, den man sonst nicht unbedingt bekommt. Es gibt dieses Video, in dem die einfache, aber eindrucksvolle Rechnung aufgemacht wird, wie oft man seine Eltern im Leben noch sehen wird. Gerade, wenn man weiter voneinander entfernt lebt, reduziert sich diese Zahl dramatisch. Meine Sicht verschwimmt. Regen prasselt an die Scheiben des anfahrenden Zugs. Wasserballonaugen.

Ich benötige mehr als die Hälfte der Fahrt nach Przemyśl bis ich auch nur ein Wort aufgeschrieben habe. Mir fällt kein Einstieg ein, ganz zu schweigen von einem Titel. Während an mir die Landschaft vorbeizieht, haben meine Gedanken wahrscheinlich zum ersten Mal seit Tagen die Möglichkeit einfach nur zu wandern. Und dann kommt es ganz plötzlich. Den Rest der Fahrt verbringe ich fast manisch damit das Erlebte niederzuschreiben. Ein Wettlauf. Kommt meine Geschichte oder der Zug zuerst über die Grenze? Wir erreichen erneut pünktlich unser Ziel. Auch mein Ringen mit den Worten ist in Przemyśl angekommen. Allerdings erst bei der Hinfahrt. Ich werde aber noch ausreichend Zeit bekommen, sie zu Ende zu schreiben, bevor ich zurück in Wien sein werde.

Welcome to Europejski / Dobry wieczór, my z Europy

Wir dürfen eine halbe Stunde lang nicht aussteigen. Das ist aber weniger schlimm als der 15-minütige Halt kurz nach der Grenze, weil ich mich da nicht mit dem polnischen Mobilfunknetz verbinden konnte und so komplett abgeschnitten von der Welt war, da meine mobilen Daten für das ukrainische Netz schon in Lwiw aufgebraucht waren. (Oder wie die zu diesem Zeitpunkt noch vor mir liegende Rückreise von Krakau nach Wien, die dank Flugausfall und fehlender Kooperation von Austrian Airlines, genauso lange gedauert hat wie die beiden Zugfahrten Przemyśl-Kyjiw und Kyjiw-Przemyśl, aber dieser Treppenwitz ist eine andere Geschichte…). Dann wieder anstehen in der Kontrollhäuschenhalle, nur jetzt von der anderen Seite. Da ich einer der wenigen mit EU-Pass in der Schlange bin, wird die mit dem EU-EWR-CH-Schild gekennzeichnete Kabine für alle geöffnet. Soll mir recht sein, ich habe es nicht eilig, weil ich die Nacht im Przemyśl verbringen werde und bereits einen ungefähren Eindruck habe, welche Art von Zimmern mich erwartet. Meinen Rucksack muss ich danach noch in einen Scanner schieben, nur sitzt am anderen Ende niemand, um das Röntgenbild anzusehen. Dann hätte ich das ganze Essen gar nicht aufessen müssen. Ein wenig wiederholen sich ja ständig Dinge auf dieser Reise.

Auf jeden Fall komme ich wieder durch die Bahnhofshalle und wer steht hinter dem Welcome-Desk? Die Gelbwestenträgerin von der Hinfahrt. Ich freue mich sehr, dass ich ausgerechnet ihr meine übrigen Hrywnja in die Hand drücken kann, aber sie deutet nur auf die andere Seite, wo sich die Ticketschalter befinden. Ich sage ihr lachend, dass ich das Geld gerne spenden würde und bevor sie wieder jemanden sucht, der mein Englisch versteht, drehe ich mich um und gehe in das Hotel Europejski.

Es bleiben zahlreiche Eindrücke und auch ein paar neue Erfahrungen. Nicht alle davon muss man machen. Ich habe auch Neues gelernt. Zum Beispiel, dass mit Bajraktarschtschina ein eigenes Wort für die teilweise absurde Verwendung ukrainischer Kriegssymbole und patriotischer Memes existiert. Dies ist angelehnt an die türkische Drohne Bayraktar, die insbesondere durch die ukrainische Armee zum Einsatz kommt. Es verfestigt sich aber auch eine Erkenntnis, die ich bereits zuvor hatte: In meinen Gesprächen mit Ukrainer*innen benutzen sie immer wieder das Wort Europa synonym mit der EU. „Wenn ich nach Europa fahre.“ Dass dieses Hotel genau diesen Namen trägt, mich aber eher an das Student*innenwohnheim im russischen Saratow erinnert, in dem ich für eine Konferenz mal übernachtete, ist schon sehr symbolisch. Weil das eben alles Europa ist. Ich habe auf jeden Fall nicht das Gefühl nach Europa gefahren zu sein. Ich war schon die ganze Zeit da.

Call for Papers – The Annual Conference of the Romanian Centre for Russian Studies

 

The Romanian Centre for Russian Studies (University of Bucharest)

The Fridtjof Nansen Institute (Oslo)

The Institute for the Danube Region and Central Europe (Vienna)

are pleased to invite you to

The Annual Conference of the Romanian Centre for Russian Studies:

20 Months After the Russian Invasion in Ukraine.

What Has Been Done, What Needs to Be Done in the Near Future, What Can Be Learned from the Past?

November, 9th-11th 2023

University of Bucharest, Romania

The Russian invasion of Ukraine, launched on February 24th 2022, triggered a consistent humanitarian, financial, and military response from the EU and the NATO members, as well as from other countries around the world.

The international assistance has played an important role in the Ukrainian resistance against Russian aggression, even though the received aid did not always meet expectations. A consistent aid for Ukraine, be it humanitarian, financial, or military will also be needed after this long conflict. The outlook and conditions for further integration of Ukraine in the EU and NATO is already on the international agenda.

The first conference organised by the Romanian Center for Russian Studies of the University of Bucharest and the Fridtjof Nansen Institute in Oslo on November, 3rd-5th 2022, gathered more than 42 scholars from 11 countries who engaged in an in-depth discussion about the geopolitical challenges of Russian aggression in Ukraine.

The second conference scheduled on November, 9th-11th 2023, aims at providing a platform for qualitative and quantitative analyses of the assistance and support given to Ukraine since the full-scale invasion and also to discuss the outlook and conditions for further integration of Ukraine in the EU and NATO based on the experience from integration of other East European countries and former Soviet republics. The conference will  bring together senior specialists as well as emerging scholars. The format will be a combination of paper presentations and discussion panels.

The Conference Committee welcomes papers, theoretical or empirical contributions, related to the following topics:

  • Promises, constraints, and deliveries in military aid to Ukraine after the Russian invasion
  • International mobilisation towards Ukraine’s economic and humanitarian aid: qualitative and quantitative analyses
  • The enlargement of the EU from 1994 onwards: Lessons for Ukraine
  • Integration of new members in NATO: Lessons learned
  • EU and NATO cooperation: what has been done, what needs to be done
  • Changes in the Northern European mindset about Russia and European order
  • New challenges and strategic projects in the Black Sea Region
  • Russian energy exports to Europe: political significance and outlook
  • The Republic of Moldova: a potential target of Russia?
  • Strategies, tools, and agents of Russian propaganda in Western countries
  • Ukraine`s refugees – integration policies and public perceptions
  • The war in Ukraine: specific strategic challenges and possible opportunities for East European countries
  • Rethinking the history of Eastern Europe: past and present approaches
  • Peace in Ukraine – any horizon?

Special Session

On the 5th of December 2023, our partner, the Institute for The Danube Region and Central Europe (IDM Vienna) celebrates 70 years. To mark the anniversary, we will organise a special round-table discussion on the following topics: the EU enlargement and integration, conditions for a good neighborhoud relationship, and the development of democracy and multilateralism, all of them within the broader context of the Russian aggression in Ukraine.

Financial Conditions

As part of our endeavour to encourage and promote young researchers in the field of Russian studies, we offer those accepted the financial support needed to cover travel costs (up to 300 Euros). Selection is based on the academic quality of the abstracts; the motivation letter, submitted alongside the abstract, is important.

The conference organizers encourage Ukraine-based and displaced Ukrainian scholars to participate in the event and may cover all costs for them, by competition.

For all other participants, three days accommodation and meals are covered by organisers.

There is no participation fee.

The conference is organised with the support of 2014-2021 EEA Financial Mechanism 2014-2021 through EEA grants for Collaborative Research, Grant No. 35/2021.

Format

The Conference is held in a hybrid format: in-person participation in Bucharest, Romania, and virtual meetings on a specialised platform. In-person participation is encouraged.

Application

Please complete the attached application form, including:

  • Paper abstract (up to 300 words),
  • Short biography (up to 150 words)
  • Motivation letter (up to 300 words) for participants needing travel financial assistance

The ditto documents have to be sent via email to mariusdiaconescu@istorie.unibuc.ro by July 15th, 2023, in English.

Successful applicants will be notified via email by September 1st, 2023.

Conference language: English.

Academic Committee:

Prof. Dr. Mihai Răzvan Ungureanu (University of Bucharest)

Prof. Dr. Arild Moe (Fridtjof Nansen Institute)

Prof. Dr. Iver Neumann (Fridtjof Nansen Institute)

Mag. Sebastian Schäffer (Institute for Danube Region and Central Europe)

Prof. Dr. Armand Goșu (University of Bucharest)

Prof. Dr. Radu Carp (University of Bucharest)

Organising Committee:

Dr. Marius Diaconescu (University of Bucharest)

Dr. Anne-Kristin Jørgensen (Fridtjof Nansen Institute)

Dr. Iulia Mustățea (University of Bucharest)

Dr. Tatiana Cojocari (University of Bucharest)

Contactoffice@russianstudiesromania.eu

Please contact us, should there be any questions.

Important dates:

Deadline for submitting applications: July 15th, 2023.

Notification of acceptance: September 1st, 2023.

Conference: November 9th-11th, 2023.

Romanian Centre for Russian Studies – Insights

International Conference, November 2022, program and media coverage:

Geopolitical challenges of the Russo-Ukrainian War from the Black Sea to the Arctic Ocean  

Déjà-vu or a breakthrough? The Status Quo and the Future Prospects of Belarus

Déjà-vu or a breakthrough?

The Status Quo and the Future Prospects of Belarus 

4 May, 17:00 CEST 

An IDMonSite-interview with Katsiaryna Shmatsina moderated by Malwina Talik 

in the framework of the event series  

“70 Years of the IDM – Locating the Future” 

Belarus’ nation-wide demonstrations against “the last dictator of Europe” in 2020 raised hopes for a democratic turn in the country. After the regime’s brutal response, political opponents, activists and critics faced a choice between persecutions or exile. Among those who had to flee the country was Katsiaryna Shmatsina, the guest of the IDMonSite. In a conversation with Malwina Talik (IDM) she analysed the situation in Belarus in the aftermath of the crackdown, the reasons for the endurance of Lukashenko’s regime, the impact of the Russian invasion of Ukraine on Belarusian society and the international standing of the country. The interview addressed the questions of the future of Belarus under the current circumstances and some less obvious positive developments that could turn the tide. 

Katsiaryna Shmatsina is a Belarusian political analyst and a PhD Fellow at Virginia Tech University (Washington, DC), focused on critical geopolitics and security studies.  


Dilemma of Simultaneity – European Security and Integration

Dilemma of Simultaneity – European Security and Integration 

28 April, 10:00 CEST / 11:00 EEST

in the framework of the event series  

“70 Years of the IDM – Locating the Future” 

More than a year has passed since the full-scale invasion of Ukraine by the Russian Federation. While Ukraine is bravely defending itself against Russian aggression, the country must at the same time initiate reforms and economic and political transformations in order to go through the EU integration process. What is the potential of regional cooperation and macro regional strategies like the EUSDR to support Ukraine’s EU integration? And how can we keep up solidarity and foster an understanding of the broader European public for Ukraine? 

With these questions in mind and in the framework of our “70 years of IDM”-activities, the Institute of the Danube Region and Central Europe (IDM) is happy to partner up with the Ukrainian Institue for International Politics (UIIP) to host a hybrid event in Kyiv. It has become clear that we cannot talk about the future of the Danube region without securing the future of Ukraine first. Under the general topic of “Locating the future”, we will therefore also discuss the future security architecture in Europe and the role of Ukraine.  

 

PROGRAMME 

10:00 CEST/11:00 EEST 

Panel Discussion Dilemma of Simultaneity – European Security and Integration

Nadija Afansieva, Director, Ukrainian Institute for International Politics  

Andrii NadzhosDeputy Director, EU and NATO Department, MFA of Ukraine

Sebastian Schäffer, Managing Director, IDM 


Moderation:
 Mykhailo Omelchenko, Project Assistant, Ukrainian Institute for International Politics 


Customized Gods: Die Wiederverzauberung Mittelosteuropas

Von der Kirchenbank ins Yoga-Studio: Der Historiker und Anthropologe ALESSANDRO TESTA erforscht die vielen Gesichter moderner Religiosität. Wie säkular ist Mittelosteuropa heute tatsächlich? Wo suchen die Menschen nach Sinn? Einblicke in den Trend zum Glauben nach Maß.

Eines hatten die Gesellschaften Mittelosteuropas in den Jahren vor 1989 gemeinsam: den Mangel an religiösen Ausdrucksformen im öffentlichen Raum. Ganz im Gegensatz zum Beginn des Jahrhunderts, als noch häufig religiöse Zeremonien stattfanden und die Kirchen voll waren. Die Gründe für diese Veränderungen lagen in der generellen Säkularisierung sowie im Versuch der kommunistischen Regime den Staatsatheismus durchzusetzen. Dabei kam es über die Jahrzehnte zu einer konstruierten Säkularisierung. Der staatliche Atheismus war allerdings nie eine »spontane«, volksnahe Umsetzung der von Karl Marx oder Vladimir Lenin postulierten Thesen. Denn tief im Inneren blieben die Massen auch unter der kommunistischen Führung überwiegend religiös, insbesondere in Ländern wie Polen, Ungarn oder Jugoslawien.

Religiöse Wiederbelebung?

Heute beobachten wir in der Region eine große Vielfalt an religiösen und spirituellen Praktiken: Dazu zählen etwa Formen der Volksmagie im ländlichen Ostböhmen, die Hingabe der Prager*innen zum Wiederaufbau der katholischen Mariensäule inmitten der Altstadt, oder die heidnische Wiederbelebung in Ungarn und ihre Nähe zum Neonationalismus. In der Slowakei und in Tschechien finden der Buddhismus und Yoga-Praktiken viel Anklang, besonders unter Unternehmer*innen. Und in Polen ist der Katholizismus nach wie vor sehr präsent, was zu Protesten gegen den kirchlichen Einfluss auf die Politik führt. Seit der Wende werden in Rumänien vermehrt orthodoxe Tempel gebaut, während in Tschechien sogenannte »Pseudoreligionen« oder »Parodiereligionen« aufkommen, darunter die »Kirche des Bieres« oder der »Pastafarianismus«. Manchmal entstehen auch »erfundene Religionen«, die auf populärkulturellen Massenprodukten wie Filmen basieren. Dazu zählt der »Jediismus« und der »Matrixismus«, die beide besonders in Tschechien erfolgreich sind.

Doch was steckt hinter dieser religiösen Wiederbelebung in post-sozialistischen Ländern? Welche Formen der Spiritualität haben sich seit 1989 herausgebildet? Diese »postsozialistischen Religionsfragen« beschäftigen die Forschung seit mehr als zwei Jahrzehnten. Zwischen 2020 und 2022 leitete ich ein ERC CZ-Forschungsprojekt, das die Entstehung und das Wiederauftauchen inoffizieller und alternativer religiöser Phänomene in den postkommunistischen Ländern Mittelosteuropas untersuchte. Dabei legten wir den Fokus auf interdisziplinäre Methoden und neue Ansätze. Mein Team und ich lernten die Menschen hinter der »Wiederverzauberung« kennen, beobachteten ihre Rituale und sprachen mit ihnen über ihre Überzeugungen. So habe ich zum Beispiel eine Reihe älterer Frauen und Männer interviewt, die an der Prager Mariensäule beteten, und traf mehrere junge Männer, die in Hlinsko die Masopust-Prozession (Fasching) organisierten.

Maßgeschneiderter Glaube

Einige der genannten Beispiele deuten auf eine spirituelle Wiederbelebung hin. Andere wiederum auf einen allgemeinen Trend zur Abnahme der Religiosität in post-säkularen Gesellschaften. Doch unabhängig davon, aus welchem Blickwinkel wir diese Phänomene betrachten, lassen sie einen tiefgreifenden Wandel in Mittelosteuropa nach dem Fall des Kommunismus erkennen. Die Religionsfreiheit, die Demokratie und die darauffolgende neoliberale Politik haben das religiöse Leben beeinflusst. Gleichzeitig führten die digitale Revolution und die Konsumkultur zur Erosion traditioneller, gemeinschaftsorientierter, kirchlicher Formen des Glaubens. Infolgedessen beschleunigte sich die Individualisierung der Religion, zum Beispiel durch Formen ritueller Kreativität, die von den Praktizierenden »maßgeschneidert« werden, um ihre eigenen religiösen Bedürfnisse außerhalb eines dogmatischen oder gemeinschaftlichen Rahmens zu befriedigen. Symptomatisch dafür ist der Trend zum Neo-Schamanismus und Neo-Heidentum. Die Individualisierung ist vielleicht der sichtbarste und am tiefsten verwurzelte Aspekt im religiösen Leben des gesamten Westens.

Religiös, aber anders

Jahrzehntelang postulierte die Religionssoziologie und -anthropologie Max Webers Theorie der »Entzauberung der Welt«, also den Niedergang der Religion in der modernen Welt. Doch im Gegenteil dazu beobachten wir in Industriegesellschaften in den letzten Jahrzehnten eher einen komplexen, vielschichtigen Wandel der religiösen Gefühle, Überzeugungen und Praktiken. Es entstanden mehrere Theorien, darunter die der »Wiederverzauberung«, um die steigende Bedeutung von Religion in Europa zu erklären. Statt auf der Idee der Säkularisierung zu beharren, ziehen es viele Wissenschaftler*innen vor, den gegenwärtigen Zeitgeist in der Welt als eine globalisierte »Postsäkularität« zu charakterisieren: eine Zeit, die nicht weniger religiös, sondern vielmehr anders religiös ist.

»Wiederverzauberung« scheint ein geeignetes Konzept zu sein, um die Veränderungsprozesse seit 1989 zu charakterisieren. Es verweist auf die kulturelle Praktik, ein Objekt, eine Handlung, eine Darstellung oder eine Beziehung mit einer magischen, spirituellen, transzendenten oder unheimlichen Dimension aufzuladen. Es scheint, dass immer mehr jüngere Mittelosteuropäer*innen einen Drang nach religiöser Besänftigung verspüren, nach mehr als nur materiellen existenziellen Antworten und nach Selbstbesinnung. Manchmal spielen sie auch nur mit religiösen oder religionsähnlichen Symbolen, denn die Macht der Religion, der Magie und anderer verzauberter Wirklichkeiten findet sich heute nicht nur in den üblichen Ritualen oder Kontexten, sondern hat sich auch auf Gegenstände, Gefühle und Lebensstile sowie auf die Popkultur übertragen. Viele greifen heute auf diese wiederverzauberten Darstellungen und Praktiken zurück, weil diese Phänomene sinnstiftend sind. Sie sind auf dem »religiösen Markt« erhältlich und leicht auf die Bedürfnisse des spätmodernen Individuums anzuwenden.

 

Alessandro Testa hat in Italien und Frankreich studiert und war Lise-MeitnerPostdoc an der Universität Wien. Aktuell ist er Professor an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Karlsuniversität in Prag.

 

Euphorie aus der Dose

Die Straßen bis zum Stadion sind voll mit ihnen: Graffitis, die Loyalität zu lokalen Fußballklubs ausdrücken. In ihrem Text beschreibt MELANIE JAINDL die Euphorie, die ihre Schöpfer*innen bewegt und erklärt, welche Konflikte sich hinter den Wandbildern von Ljubljana bis nach Skopje verbergen.

Was, wenn Wände sprechen könnten? Welche Geschichten würden sie uns wohl erzählen? Es ist ein spannendes Gedankenexperiment, oft aufgegriffen in Musik und Literatur. Doch was, wenn ich Ihnen sage, dass sie das schon die ganze Zeit tun? Die Wände einer Stadt machen sich zwar nicht mit Lauten bemerkbar, doch aufmerksamen Passant*innen verraten sie vieles über die Menschen, die tagtäglich an ihnen vorüberziehen.

Nacht und Nebel

Sticker, Schablonenmuster und Tags, aber auch große Graffiti-Pieces mit künstlerischem Charakter – für viele zeugen sie bloß von Vandalismus, für den slowenischen Kulturwissenschafter Mitja Velikonja sind es allerdings subkulturelle Ausdrucksformen von politischem Dissens und Zugehörigkeit. Seit über 20 Jahren erforscht er ihre kulturelle und politische Bedeutung: »Sie erfüllen eine kritische öffentliche Funktion, indem sie ästhetische Harmonie zerstö ren.« Vor allem Fußballfan-Graffitis sind in europäischen Städten nicht zu übersehen. Die Anhänger*innen lokaler Vereine tragen den Anspruch auf »ihre« Stadt öffentlich aus. Markiert ein konkurrierender Verein ihr Territorium, wird das Graffiti in kürzester Zeit gecrosst (Szenebegriff für übermalen/durchkreuzen). Diese »Graffiti-Kriege« werden vorzugsweise nachts ausgetragen, im Schutz der Dunkelheit vor polizeilichen Konsequenzen und Rival*innen.

Alle für einen

In Europa zählt Fußball zu einem nahezu unantastbaren Kulturgut. Betrachtete Karl Marx noch Religion als »Opium des Volkes«, schreibt der links-anarchistische Autor Gabriel Kuhn dem Fußball diese Bezeichnung zu. Auf dem Spielfeld treten Arbeiter*innen gegen Arbeiter*innen an – das lenkt vom Klassenkampf ab. Gleichzeitig waren es vor allem Arbeiter*innen, die den Fußball professionalisierten, denn vielen blieb keine Zeit, ihn als reines Hobby zu verfolgen. Immerhin mussten sie Geld verdienen. Heute können nur wenige vom Fußballspielen leben, allerdings schafft nun die daran anknüpfende Industrie Arbeitsplätze, und noch mehr Profit. Die immense Kommerzialisierung wurde von den oberen Schichten im Westen vorangetrieben. Maskuliner Körperkult gepaart mit Masseneuphorie im Stadion und bei Public-Viewing-Veranstaltungen, dazu eine Prise Lokalpatriotismus und voilà: Geboren wurde ein Kulturphänomen, ebenso banal wie auch politisch.

Doch eine Mannschaft ist nichts ohne ihre Fans. In seinen Büchern über Fußballfan-Graffiti unterscheidet Velikonja drei Gruppen: die normalen, unorganisierten Fans, radikalere Ultras und schließlich die gewaltbereiten Hooligans. Obwohl gelegentliche Ausschreitungen bei Spielen überall vorkommen, erlangen sie in den Communitys der jugoslawischen Nachfolgestaaten immer wieder traurige Berühmtheit. Die bis heute bestehenden ethnischen Spannungen, die während der Kriege in den 1990er Jahren ihren Höhepunkt erreichten, entladen sich oft beim Aufeinandertreffen rivalisierender Fangemeinden. Die Ekstase der Fans wandelt sich dann zum Blutrausch. Einer dieser Kämpfe machte sogar Geschichte.

Das Spiel, das niemals stattfand

Am 13. Mai 1990 traf das Team Roter Stern Belgrad im Zagreber Maksimir-Stadion auf das kroatische Heimteam Dinamo. Bis heute zählen die beiden Teams zu den beliebtesten Mannschaften in der Region. Mit dabei sind auch ihre Ultras, die kroatischen Bad Blue Boys und die serbischen Delije. Bereits tagsüber kam es zwischen ihnen zu Schlägereien in der Stadt. Als Delije-Anhänger*innen vor Anpfiff die Tribüne demolierten, stürmten die Bad Blue Boys das Spielfeld und lieferten sich ein Gefecht mit der jugoslawischen Polizei, rund 150 Personen wurden verletzt. Der gesamte Gewaltexzess wurde live im Fernsehen ausgestrahlt. Bis heute stilisieren die Bad Blue Boys diesen Tag als den wahren Kriegsbeginn. Tatsächlich marschierten viele der Ultras aus den jugoslawischen Republiken kurz darauf an vorderster Kriegsfront und gründeten Paramilizen. Heute weist eine Gedenktafel am Maksimir-Stadion auf den Vorfall vor über 30 Jahren hin.

Wettbewerb abseits des Stadions

Verglichen mit diesen Gewaltausbrüchen wirkt das Crossen von Gegner*innengraffiti und der damit verbundene Adrenalinkick wie ein Kavaliersdelikt. In seinen Gesprächen mit slowenischen Ultras stellte Velikonja fest, dass sich die Fans von verbreiteten Vorurteilen abgrenzen wollen. So zum Beispiel von ihrer vermeintlichen Einbindung ins organisierte Verbrechen, die zumindest teilweise bei den Fanclubs der südlichen Nachbar*innen besteht. Das heißt allerdings nicht, dass die slowenischen Ultras weniger radikal oder nationalistisch sind.

»Die Fans beteuerten oft, dass sie gegnerische Fans nicht als Feinde, sondern als Konkurrent*innen sehen. Sie teilen ihren Lebensstil und ihre Werte«, schreibt Velikonja. So verabreden sich Hooligans manchmal im Vorfeld von Spielen zu Schlägereien – quasi als Wettbewerb außerhalb des Spielfeldes. Das Vorurteil, sie alle seien politisch rechts, treffe laut Velikonja nicht zu: »Scheinbar mühelos verbinden sie politische Extreme in ihrer Fankunst, auch wenn der Großteil trotzdem eher rechts ist.« Eine bedeutende Minderheit ist aber auch links und tritt gegen Homo- und Transphobie ein. Sie alle verbindet eine Form des Lokalpatriotismus und die Ablehnung der Überkommerzialisierung von Fußball durch die FIFA und UEFA. »Fußball kann man nicht vom Sofa aus schauen«, erklärte ein slowenischer Ultra im Interview mit Velikonja. Ihre wahren Feinde seien vielmehr die Medien, die Polizei und gewisse Klubmanager*innen.

Diese Zu- und Abneigungen spiegeln sich an den Wänden wider. Graffiti ist eine Vereinnahmung des öffentlichen Raums, der wie auch der Fußball immer stärker kommerzialisiert wird. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, doch ein genauer Blick auf die Schriften und Bilder an städtischen Außenwänden lohnt sich. Sie werden vieles über die Menschen, die dahinter leben, erfahren.

 

Melanie Jaindl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am IDM. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen den Westbalkan, Migration und Asyl, intersektionaler Feminismus und soziale (Un-)Gerechtigkeit.

Warum suchen wir den Rausch, Herr Kastenbutt?

URKHARD KASTENBUTT leitet das Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung in Osnabrück. Im IDM-Interview mit DANIELA APAYDIN spricht er über die Veränderungen im Umgang mit Rauschmitteln und das Spannungsfeld zwischen Kultur, Kontrolle und Konsum von Drogen.

Wir führen dieses Interview mitten im Fasching, einer traditionell rauschhaften Zeit. Wie stehen Sie als Sozial- und Suchtforscher zu dieser Tradition?

Ich halte Feste, die sich vom profanen Alltag abgrenzen, für wichtig. Sie vertreten eine Körperlichkeit, die gerade in unserer virtuellen Welt an Bedeutung verliert und auf digitale Weise nicht hergestellt werden kann. Außerdem setzen sie Formen sozialer Kontrolle für einen gewissen Zeitraum außer Kraft. Die Soziologie spricht von einer rauschhaften Vergemeinschaftung. Diese Ausnahmezustände gefährden nicht die gesellschaftliche Ordnung, sondern bestätigen im Endeffekt nur ihre Notwendigkeit.

Viele nehmen solche Feste aber auch zum Anlass, sich grenzenlos zu betrinken.

In den letzten Jahren gibt es in einigen europäischen Ländern etliche Bemühungen, wieder zu den ursprünglichen Karnevals- oder Fastnachtsfeiern zurückzukehren – weg vom übermäßigen Alkoholkonsum und hin zu mehr Familienfreundlichkeit. Dabei ist gegen einen leichten Rausch nichts zu sagen. Vielmehr geht es um die selbstkritische Wahrnehmung des persönlichen Trinkverhaltens, also der Frage, ob ich solche Feste nicht lieber bewusst erleben will.

Sehen Sie im Rausch ein menschliches Grundbedürfnis?

Ja, der Konsum von psychoaktiven Substanzen und das Erlebnis des Rausches lassen sich in vielen Ländern der Welt als kulturelle Phänomene beobachten. Schon bei den Griech*innen und Römer*innen spielte der Konsum von Wein eine bedeutende Rolle, um im Rausch den Gottheiten näher zu sein. Von den eurasischen Reitervölkern, den Skythen, ist bekannt, dass sie sich durch das Erhitzen von Hanf in ihren Dampfbädern berauschten. Der Rausch spielte also schon lange eine bedeutende Rolle, um den Anforderungen und Belastungen des Alltags zeitweise zu entfliehen und in eine andere Erlebniswelt einzutauchen.

Gehen Gesellschaften – global gesehen – unterschiedlich mit den Erfahrungen von Ekstase um? Welche Rolle spielt etwa das Christentum in unserem Umgang mit Alkohol? Immerhin hat schon Jesus Wasser zu Wein verwandelt.

Der Alkohol war bereits lange vor Christus ein Symbol zahlreicher Mythologien und Religionen. Vor ca. 8000 Jahren wurde in Mesopotamien, auf dem heutigen Gebiet um den Irak und Syrien, Wein angebaut. So gesehen ist der Alkohol nicht allein Folge des christlichen Erbes. Er ist aber seit Jahrhunderten die bevorzugte
Droge im sogenannten christlichen Abendland. Über die kulturellen und sozialen Kontexte von Rausch und Ekstase liegen leider nicht viele Studien vor. Die meisten orientieren sich an medizinischen Aspekten. Es gibt in der Suchtforschung also reichlich Nachholbedarf, vor allem was die soziologischen Aspekte in Ostmittel- und Südosteuropa angeht.

Kann und muss der Staat den Rausch kontrollieren?

Das Bedürfnis nach rauschhaftem Erleben lässt sich nicht verbieten. Versuche, die Menschen daran zu hindern, sind vielfach gescheitert. Denken wir etwa an die Alkohol-Prohibition zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA. Daraufhin produzierten und verkauften die Menschen Alkohol illegal, was mit etlichen sozialen und gesundheitlichen Problemen einherging. Staatliche Kontrollen können also äußerst kontraproduktiv sein. Zwar gibt es heute gesetzliche Normen, was den Konsum bestimmter Drogen anbelangt, nur greift der Staat nicht direkt in die Freiheitsrechte ein.

Ist das so? Immerhin wird der Umgang mit gewissen Drogen mit Freiheitsstrafen geahndet, während wiederum andere wie Alkohol erlaubt sind.

Der Konsum gewisser Drogen allein ist in vielen europäischen Ländern rein rechtlich nicht strafbar. Dagegen sind aber alle Tätigkeiten rund um den Gebrauch solcher Substanzen strafbar, wozu der Besitz, der Anbau, die Herstellung, der Erwerb und der Handel gehören.

Was kann ich mir unter Rauschkompetenz vorstellen?

Moderne Gesellschaften haben heute eine lockere Einstellung gegenüber dem Rausch, etwa in Bezug auf Alkohol oder Cannabis. Das war aber nicht immer so. Während die Menschen im Mittelalter den Rausch für einen selbstverständlichen Bewusstseinszustand hielten, hat sich das im Übergang zur Neuzeit verändert. Die Menschen entwickelten Schamgefühle und Moralvorstellungen gegenüber ihrem Trinkverhalten. Der Zwang zur Kontrolle von Affekten stand dabei im Mittelpunkt des Geschehens. Auch heute steht die Selbstkontrolle im Vordergrund, aber eben in einem anderen Zusammenhang, der weniger auf Moral, sondern auf einem reflektierten Umgang mit Substanzen beruht.

Das heißt, die Verantwortung für einen gemäßigten Umgang mit Rauschmitteln liegt beim Individuum?

Genau, jedoch verfügen nicht alle Menschen über solche Kompetenzen. Dies wird deutlich, wenn man sich mit dem Missbrauch von Alkohol und seinen Risiken beschäftigt. So betreibt ein relativ großer Teil der Bevölkerung innerhalb der EU einen gesundheitsriskanten Alkoholkonsum, auch wenn ein solches Verhalten noch nicht auf eine Suchtmittelabhängigkeit hindeutet. In Deutschland konsumieren rund 7,9 Millionen Menschen Alkohol in gesundheitsriskanter Form. 1,6 Millionen Deutsche gelten als alkoholabhängig und sind behandlungsbedürftig.

Sie sind schon seit den 1980er Jahren in der Bildungsarbeit tätig. Ändert sich denn der Umgang mit Drogen von Generation zu Generation?

Jugendliche beginnen meistens mit dem sogenannten Probierkonsum von Tabak und Alkohol, der mit Neugier und Experimentierdrang verbunden ist. Die meisten hören aber auch bald wieder auf oder konsumieren kontrolliert. Besorgniserregender ist das relativ junge Phänomen des »Koma-Saufens«, da solch ein Verhalten zu lebensbedrohlichen Alkoholvergiftungen führen kann. Alkoholkonsum findet auch immer jünger statt. So macht bereits die Hälfte der 12-Jährigen in Deutschland erste Erfahrungen mit Alkohol. Auch der Mehrfachkonsum von Drogen ist ein wachsendes Problem unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Manchen reicht der Konsum einer Substanz nicht mehr aus, um den gewünschten Kick zu erzeugen. Der parallele und zeitnahe Gebrauch unterschiedlicher psychoaktiver Substanzen ist äußerst gesundheitsschädlich.

Haben sich auch die Auslöser für den Drogenkonsum verändert?

Noch vor gut vierzig Jahren spielten autoritäre Formen der Erziehung sowie Minderwertigkeitsgefühle eine große Rolle für Suchtentwicklung. Durch den Verlust traditioneller Normen und Werte fehlt heute dagegen vielen Jüngeren die Orientierung. Ist die ältere Generation der Drogenkonsument*innen in einem zu engen »seelischen Korsett« aufgewachsen, sind heutige Jugendliche schon früh auf sich allein gestellt. Bei der jüngeren Generation der Suchtkranken geht es vor allem um Probleme der sozialen Integration und Bindung. Hinzu kommen Belastungen in der Schule, am Arbeitsplatz oder in den sozialen Netzwerken, was bei vielen Betroffenen mit Zukunftsängsten einhergeht. Zusammen schürt das Frustrationen und Gefühle der Hilflosigkeit, das ist vollkommen anders als in früheren Generationen. Der österreichische Neurologe und Psychiater Viktor E. Frankl bezeichnete ein solches Lebensgefühl als »existentielles Vakuum«. Und gerade in der jungen Generation der Suchtkranken haben Sinnlosigkeits- und Entmutigungsgefühle zugenommen, wobei sich viele von ihnen nach einer authentischen und intakten Gemeinschaft sehnen, die sie vielfach in ihrem sozialen Umfeld nicht gefunden haben.

Wo sollte die Suchtprävention künftig stärker ansetzen?

Jugendliche sollten dabei unterstützt werden, ihre Identität stabil und positiv entwickeln zu können. Dabei geht es etwa um die Förderung der individuellen Konfliktfähigkeit, damit junge Menschen im Umgang mit Drogen kritischer und damit widerstandsfähiger werden. Eine solche Prävention sollte nach Möglichkeit schon im Elternhaus beginnen und sich in der Schule fortsetzen, wobei auch Jugendkultureinrichtungen in die Prävention miteinzubeziehen sind. Auf diesem Gebiet muss noch viel mehr geschehen.

Wie stehen Sie angesichts dieser Herausforderungen zur Entkriminalisierung von Cannabis?

Als Suchtforscher begrüße ich es, dass der geringfügige Besitz von Cannabis in Deutschland nicht mehr unter Strafe gestellt werden soll. Man sollte die Begriffe Entkriminalisierung und Legalisierung aber nicht gleichsetzen. Auch wenn Cannabis entkriminalisiert wird, sind die Produktion und der Vertrieb von Cannabis immer noch illegal. Auch stellen der Besitz und der Konsum der Droge in Deutschland weiterhin eine Ordnungswidrigkeit dar. Es kann also zu Geldbußen kommen. Bei einer Legalisierung würde es legale Optionen geben, Cannabis käuflich zu erwerben, es zu besitzen und zu konsumieren. Das muss aber noch gesetzlich geregelt werden.

 

Dr. phil. Burkhard Kastenbutt ist Erziehungs- und Sozialwissenschaftler und leitet das Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung in Osnabrück. Zusätzlich zu seiner langjährigen Bildungsarbeit in und mit Suchtselbsthilfegruppen ist er als Dozent am Fachbereich Kultur- und Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück tätig.

Daniela Apaydin ist Historikerin und Chefredakteurin des Themenhefts Info Europa des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM).

Die endlose Flucht vor der Realität von Jerzy Afanasjew

Der Krieg gegen Drogen gleicht einem ewigen Katz- und Mausspiel: Sobald eine Substanz verboten wird, kommt schon eine neue auf den Markt. In seinem Gastbeitrag zeigt der Aktivist JERZY AFANASJEW die Vielfalt des europäischen Drogenmarktes auf und fordert bessere Behandlung statt Bestrafung.

In einem verlassenen Bunker außerhalb der belarussischen Hauptstadt Minsk tanzen sich rund ein Dutzend Jugendaktivist*innen den Schweiß von der Stirn. Auf der Wand ist ein Graffiti mit der Aufschrift »PLUR« – Peace, Love, Unity, Respect. Es ist das Rave-Äquivalent zu den Zehn Geboten. Inmitten von Partylicht und Rauch taucht plötzlich ein Kommando der SOBR auf, eine Spezialeinheit der belarussischen Polizei. Sie kommt in voller Montur und mit Drogenspürhunden. So schildert Piotr Markielau diesen Freitagabend im Jahr 2018. Zusammen mit Freund*innen gründete er Legalize Belarus, eine lokale Organisation zur Reform der Drogenpolitik im Land. Die Polizei fand an diesem Abend keine Drogen. Vielmehr bewerteten Markielau und andere die Razzia als Versuch, pro-demokratische Aktivist*innen einzuschüchtern.

Anfang der 2010er Jahre wurden die sogenannten »Legal Highs« zu einem weit verbreiteten Phänomen. Dabei handelt es sich um synthetische Substanzen, die die Wirkung illegaler Drogen nachahmen sollen. Sie werden oft als Badesalze, Lufterfrischer oder Reinigungsmittel verkauft. Da die Substanzen meist nicht in Betäubungsmittelgesetzen erwähnt werden, sind sie zwar nicht illegal, aber deswegen kaum weniger gefährlich. Als Antwort auf ihre Verbreitung in Belarus errichtete der Diktator Aljaksandr Lukaschenka neue Arbeitslager und prahlte in einer Fernsehansprache damit, dass die Inhaftierten »darum beten werden, zu sterben«. Familienangehörige bezeichnen sie »Vernichtungsanstalten«. 2020 waren mehr als 12,000 Menschen in ihnen inhaftiert, die meisten wegen geringfügigen Drogenbesitzes, Artikel 328. Das geben zumindest ihre Mütter an, die sich in der Bewegung Mütter 328 zusammenschlossen. Die Strafen sind brutal, schon eine kleine Menge Marihuana kann zu neun Jahren Gefängnis führen. Jugendliche im Alter von 14 Jahren werden zu acht Jahren in Strafkolonien verurteilt, junge Erwachsene zu zehn Jahren oder mehr. Eigentlich dürften nur Dealer*innen strafrechtlich verfolgt werden. Doch wenn zwei Freund*innen beim Rauchen eines Spliffs erwischt werden, wird eine*r von ihnen wegen Beschaffung angeklagt.

Florierender Schwarzmarkt

Was das Regime dabei zu vergessen scheint: Es ist gerade die autoritäre Politik in Belarus, die junge Menschen zu illegalen Drogen greifen lässt, insbesondere Marihuana und neuartige Aufputschmittel. In der selbsternannten letzten Diktatur Europas »greifen die Leute zu Drogen, um der Realität zu entkommen«, sagt Markielau. »Die Situation in Belarus ist schrecklich, das Regime lässt sich mit dem Stalinismus vergleichen. Die Menschen sind deprimiert und die Gehälter sind niedrig. Alles ist grau, und immer mehr gehen weg.« Die klassischen Dealer*innen gibt es in Belarus aufgrund des Polizeistaates nicht wirklich, aber der Schwarzmarkt findet seine Wege. Einfache, dennoch hochtechnologische, verschlüsselte Nachrichten-Apps oder DarknetMarktplätze sind beliebte Hilfsmittel. Der Drogenhandel erfolgt durch die Weitergabe von Koordinaten für geheime Verstecke. Die Ware wird meistens vergraben und mit einem Magneten versehen.

Markielau zufolge wurde Legalize Belarus nicht dazu gegründet, eine Cannabisindustrie aufzubauen. Vielmehr verstehen die Aktivist*innen darunter eine Menschenrechtsplattform zur Unterstützung von stigmatisierten, gewaltlosen Gefangenen. Nachdem er selbst mehrfach bei demokratischen Protesten verhaftet wurde, etwa weil er ein Protestschild fotografierte, traf Markielau eine für ihn schwierige Entscheidung und ging ins Ausland – so wie 200.000 seiner Landsleute in den letzten zwei Jahren. Laut ihm würden viele von ihnen Cannabis oder andere Drogen nehmen, denn sie konnten zwar der Diktatur entkommen, doch nicht ihren Lastern. Isoliert in fremden Ländern und ohne Unterstützungsnetzwerke falle es vielen schwer, von psychoaktiven Substanzen loszukommen. »Jede Droge hat unterschiedliche Wirkungen und Nebenwirkungen. Bier trinke ich manchmal aus sozialen Gründen. Cannabis hilft mir, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren und macht mich weniger ängstlich. Hin und wieder nehme ich LSD. Und ein- bis zweimal im Jahr nehme ich Ketamin zur Behandlung von Depressionen«, erklärt Markielau die Gründe seines Konsums.

Not macht erfinderisch

Europas Drogenmarkt wächst. Allein in den vergangenen 25 Jahren wurden nach Angaben der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) 880 völlig neue psychoaktive Substanzen festgestellt. Es überrascht nicht, dass das Verbot gewisser Drogen nicht zu den gewünschten Ergebnissen führte – denn jedes Jahr werden neue Verbindungen entwickelt und auf den Markt gebracht. Meist in China synthetisiert und daraufhin trotz Fehlens wissenschaftlicher Daten konsumiert, scheinen die neuen Psychoaktiva symptomatisch für den unwiderstehlichen Drang zu sein, andere Bewusstseinszustände zu erleben. Auch nach mehreren Wellen der Kriminalisierung gibt es noch immer einen beträchtlichen Online-Markt für Legal Highs.

Zuerst kamen die extrem starken und gefährlichen »Analoga« von TH C, dem Hauptwirkstoff von Marihuana. Gleichzeitig erschienen Aufputschmittel wie Mephedron. Weniger populär, aber ebenfalls bekannt sind verschiedene Alternativen zu Psychedelika und Dissoziativa. Als die Gesetze verschärft wurden, strömten immer neue Ersatzstoffe aus asiatischen Fabriken auf den Markt, was an ein Katz- und Mausspiel zwischen Herstellern und Regulierungsbehörden erinnert Im Laufe der Jahre orientierten sich die Hersteller von Legal Highs weniger an Partygeher*innen und konzentrierten sich dafür mehr auf Depressiva (»Downer«) wie Xanax oder sogar Heroinalternativen. Für den niederländischen Aktivisten der Gruppe Stichting Legalize! Carl-Cyril Dreue besteht die Attraktivität von Legal Highs in der Kombination von einem einfachen Zugang wie im Supermarkt und dem Vertrauen in die Qualität. »Natürlich ist es nicht dasselbe wie illegales Zeug, aber es ist auch in Ordnung.«

Denn wenn Ärzt*innen nicht bereit seien, ein Rezept auszustellen (in der Regel aus gutem Grund), greifen manche Menschen zur Selbstmedikation: Dissoziativa gegen Depressionen, Stimulanzien gegen ADHS, oder Benzodiazepine gegen Angstzustände. »Menschen nehmen Drogen aus einem bestimmten Grund. Wenn man leidet, möchte man, dass der Schmerz verschwindet. Offensichtlich gibt es viel Leid.« Als Dreue etwa vor Jahren »einen Scheißjob in Amsterdam« hatte, nahm er »Benzos«, um ihn zu vergessen. Glücklicherweise bemerkte er, dass er damit nur die Symptome, aber nicht ihre Ursache behandelte. Kurz darauf wechselte er seinen Job. Nicht zuletzt ist auch Spaß ein wichtiger Grund Legal Highs zu konsumieren. Wenn jemand nicht an Substanzen wie MDMA herankommt, ist der Anreiz zum Experimentieren groß. Manche suchen auch Alternativen zum teuren Alkohol.

Zurück zu fremden Wurzeln

Andere suchen nach Erfahrungen, die in der traditionellen Pflanzenmedizin verwurzelt und meist in Südamerika beheimatet sind. Am bekanntesten sind die geistig und körperlich »reinigenden« Ayahuasca-Zeremonien, bei denen die Teilnehmenden ein starkes, psychedelisches Gebräu trinken. Maciej Lorenc, ein polnischer Soziologe, Übersetzer und Schriftsteller, wollte eine derartige Zeremonie mit eigenen Augen sehen und nahm an einem »spirituellen Retreat« teil: »Weiße Menschen verkleiden sich als Indigene. Sie halten sich nicht streng an die Regeln der Ayahuasca-Rituale. Es ist eine Art New-AgePuzzle, man hört von Reinkarnation, Kristallen, Astrologie. Verschiedene religiöse und spirituelle Traditionen werden miteinander vermischt.«Seinen Beobachtungen zufolge kann man die Zeremonien keiner bestimmten Gruppe zuschreiben. Es kann sein, dass dort Prominente neben Arbeiter*innen liegen, die einzige Bedingung ist die Zahlung von 100–500 Euro.

Der Innovationsfaktor solcher Zeremonien hat nachgelassen, sodass mittlerweile ein ganzes Trippy-Buffet für Liebhaber*innen von indigenen psychedelischen Köstlichkeiten entstanden ist: Changa (rauchbar), Yopo (schnupfbar), Sassafras (natürliche Vorstufe zu MDMA/ »Ecstasy«) und sogar extrem überteuerter Kakao (mit angeblich energetisierender Wirkung). Der Global Drug Survey zufolge sind die Hauptgründe für das Experimentieren mit Psychedelika Wellness, psychische Gesundheit und persönliche Herausforderungen.

Behandlung statt Bestrafung

In den letzten Jahren hat sich eine sogenannte »psychedelische Renaissance« entwickelt, insbesondere seit 2019, als das Imperial College im Vereinigten Königreich und die Johns Hopkins University in den Vereinigten Staaten spezialisierte wissenschaftliche Zentren zur medizinischen Erforschung der Substanzen gründeten. Studien zeigen, dass die psychedelisch unterstützte Psychotherapie beeindruckende Ergebnisse erzielt, etwa bei der Behandlung von Posttraumatischen Belastungsstörungen mit MDMA und klinisch resistenter Depressionen mit Ketamin oder Psilocybin. In Europa und den USA ist Ketamin bereits für psychiatrische Zwecke erhältlich, MDMA wird voraussichtlich 2024 und der Wirkstoff Psilocybin aus Zauberpilzen gegen 2026 legal zugänglich sein.

Um nachhaltige Ergebnisse zu erzielen, arbeiten Wissenschafter*innen an der Erstellung von Sicherheits- und Wirksamkeitsprotokollen für diese Pharmakotherapien. Dazu gehören auch ausführliche Sitzungen zur Vor- und Nachbereitung sowie eine ganztägige Behandlungsbetreuung. Selbst die besten Ergebnisse sind schwer aufrechtzuerhalten, da die Patient*innen unweigerlich in ihr alltägliches Umfeld zurückkehren und einen Rückfall erleiden können. Nichtsdestotrotz »ist der medizinische Weg wahrscheinlich wirksamer und sicherer als der illegale«, so der Soziologe Lorenc.

Nach über 50 Jahren Krieg gegen die Drogen verlieren immer noch viele ihre Freiheit wegen ihres Konsums. Und das nicht ohne Grund: Trotz der ernsten Risiken von Sucht, Überdosierung oder Inhaftierung können Drogen vorübergehend menschliche Bedürfnisse wie Selbstmedikation, Realitätsflucht oder Experimentieren befriedigen. Ein neuer Ansatz ist längst überfällig. Es ist verrückt, dieselben Fehler immer zu wiederholen und ein anderes Ergebnis zu erwarten. Psychoaktive Substanzen werden niemals verschwinden. Sie sind in unserer Natur verankert. Ein Motto des spanischen Analyselabors für Substanzen Energy Control besagt: Drogen sind wie Energie. Sie können nicht zerstört, sondern nur kontrolliert werden. Die Gesellschaft muss den Schwerpunkt verlagern – weg von der Bestrafung der Konsument*innen hin zu mehr Aufklärung, Behandlung und Tests zur Drogensicherheit. Wenn Milliarden von Menschen damit einverstanden sind, sich ein COVID-Abstrichstäbchen in die Nase stecken zu lassen, können wir sicher auch solche Herausforderungen in Angriff nehmen.

 

Jerzy Afanasjew ist Aktivist und setzt sich seit Jahren für mehr Aufklärung im Umgang mit Drogen ein. Er studierte am Institut für Angewandte Sozialwissenschaften der Universität Warschau und arbeitete u.a. zu Fragen psychoaktiver Substanzen bei der Social Drug Policy Initiative in Polen. Er stellt Tests zur Überprüfung der Zusammensetzung und Sicherheit von Substanzen her und gibt Kurse zum Thema.

Barfuß über glühende Kohlen

Der Anthropologe DIMITRIS XYGALATAS erforscht ekstatische Zeremonien auf der ganzen Welt. In Nordgriechenland traf er auf eine Gemeinde der Anastenaria, die das Ritual des Feuerlaufs praktizieren. In seinem Gastbeitrag erklärt er den Sinn hinter dem kollektiven Leiden.

In einem kleinen Dorf im ländlichen Griechenland versammelt sich eine Gruppe von Menschen in einem unscheinbaren rechteckigen Gebäude mit einem Terrakotta-Ziegeldach. Es hat die Größe eines Einfamilienhauses, besteht aber aus einem einzigen Raum, der groß genug ist, um ein paar hundert Menschen zu fassen, wenn sie sich dicht aneinanderdrängen. An diesem Tag ist es bis auf den letzten Platz gefüllt. In der Mitte sitzen ein paar Leute im Kreis und schwingen lethargisch zur Melodie einer Leier. Um sie herum befindet sich eine Menschenmenge, die die Szene schweigend beobachtet. Bald beginnen die Menschen im inneren Kreis zu singen. Doch die Stimmung ist nicht festlich. Ihre Gesichter sind düster, sie atmen schwer. Gelegentlich stoßen sie kalte Schreie aus, als würden sie von einer unsichtbaren Macht gequält. Der Raum macht einen kargen Eindruck. Außer ein paar Holzbänken gibt es keine Möbel. Auf einem kleinen Regal an der Wand stehen zwei mit roten Tüchern bedeckte Ikonen, ein Weihrauchfass und ein paar Kerzen. In der gegenüberliegenden Ecke sitzen eine Handvoll Musiker*innen. Bald vibriert der Raum von den Klängen zweier großer Ziegenfelltrommeln. Nach und nach stehen die Menschen auf und beginnen zu tanzen. Zunächst bewegen sie sich sehr langsam, machen nur wenige Schritte. Doch als das Trommeln intensiver wird, folgen ihre Körper dem Rhythmus und geben sämtliche Kontrolle ab. Die Ikonen werden unter den Tänzer*innen herumgereicht. Das scheint eine starke Wirkung auf sie zu haben. Sie weinen, schreien und wirbeln mit rollenden Augen durch den überfüllten Saal. Die Darbietung ist so stark, dass sie auch viele Zuschauer*innen zu Tränen rührt.

Als die Musik nach fast einer Stunde aufhört, scheinen die Tänzer*innen kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen. Aber nach einer kurzen Pause wird der ganze Prozess wiederholt, wieder und wieder, und das fast drei Tage lang. In der letzten Nacht verlässt die Gruppe den Raum, um den Tanz draußen fortzusetzen, dieses Mal jedoch barfuß über einer Grube mit glühenden Kohlen.

Diese Szene habe ich zum ersten Mal im Jahr 2005 miterlebt, als ich mit den Recherchen für meine Doktorarbeit in Anthropologie begann. Der Schauplatz war das Dorf Agia Eleni, Heimat einer AnastenariaGemeinde. Das sind orthodoxe Christ*innen in Nordgriechenland und Bulgarien, die für ihre besondere Verehrung der Heiligen Konstantin und Helena bekannt sind. Diesen Heiligen wird nachgesagt, dass sie ihre Anhänger*innen zum Tanz zwingen, von ihnen Besitz ergreifen und sie schließlich unversehrt durch das Feuer führen.

Wenn sich der Himmel öffnet

Die Feuerlauf-Zeremonien spielten eine wichtige Rolle dabei, die Gemeinschaften der Anastenaria zusammenzuhalten, auch wenn sie im Laufe der Jahrhunderte mit Krieg, Exil, Verfolgung und anderen Problemen zu kämpfen hatten. Die Gläubigen betrachten ihre Rituale als Schlüsselmomente und unverzichtbaren Teil ihres Daseins. Dennoch ist der Feuerlauf eine turbulente Erfahrung, die von den Tänzer*innen mit den Worten »Anstrengung«, »Kampf« und »Leiden« beschrieben wird. Anastenaria bedeutet im Griechischen »die Seufzer«, was auf das emotionale Stöhnen während des Tanzes zurückzuführen ist.

Nicht selten berichten die Betroffenen von einem veränderten Bewusstseinszustand, in dem sie außergewöhnliche Visionen erleben. Eine Frau erzählte mir: »Als ich tanzte, öffnete ich die Augen, und die Decke war weg. Da war nichts mehr! Ich sah den Himmel, klar und blau. Ich sah die Engel in weißen Kleidern. Sie tanzten und sangen die große Doxologie*. Ich tanzte weiter und rief: Der Himmel hat sich geöffnet, und die Engel sind herabgestiegen! Sie singen!«

Als Anthropologe, der sich seit mehr als zwei Jahrzehnten mit Ritualen beschäftigt, bin ich bei verschiedenen ekstatischen Zeremonien auf ähnliche Erzählungen gestoßen. Oft werde ich gefragt, ob die Praktizierenden psychotrope Substanzen verwenden. Sind ihre Visionen etwa auf die Einnahme eines Halluzinogens zurückzuführen? Bewältigen sie die Schmerzen, die mit vielen dieser Rituale verbunden sind, dank des Konsums von Alkohol oder eines anderen Betäubungsmittels?

Zweifellos ist der Einsatz von Rauschmitteln in vielen Kulturen seit langem ein wichtiger Bestandteil religiöser Zeremonien. Im antiken Griechenland wurde etwa bei Riten ein Gebräu namens Kykeon verabreicht, von dem man annahm, dass es eine Trance herbeiführt. Auf mehreren Pazifikinseln wird bei wichtigen Ritualen ein psychoaktives Getränk aus der Wurzel der Kava-Pflanze getrunken. Und in Nordamerika sind Halluzinogene wie Peyote und Ayahuasca bei vielen Indigenen die zeremoniellen Drogen der Wahl.

Durch die Beeinflussung der Gehirnchemie können solche Substanzen starke Gefühle der Ekstase und Transzendenz hervorrufen, weshalb sie oft als Entheogene* bezeichnet werden, ein griechisches Wort, das soviel bedeutet wie »das Göttliche im Inneren erzeugen«. In einem 1962 in Boston durchgeführten Experiment brachten Forscher*innen eine Gruppe von Theologiestudierenden am Karfreitag in eine Kapelle und baten sie, vor dem Gottesdienst eine Substanz einzunehmen. Die eine Hälfte der Studierenden, die nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurde, erhielt den psychoaktiven Wirkstoff Psilocybin, der in sogenannten Magic Mushrooms enthalten ist. Die andere Hälfte nahm ein Placebo zu sich, mit einem Wirkstoff versetzt, der zwar ähnliche körperliche Empfindungen wie Hitze, Kribbeln und Juckreiz hervorruft, aber keine halluzinogenen Eigenschaften besitzt. Diejenigen, die die Droge einnahmen, berichteten von tiefgreifenden religiösen Erfahrungen in der Kapelle, und viele von ihnen empfanden diese Erfahrungen später als lebensverändernd. Die Personen aus der Kontrollgruppe erlebten dagegen nicht viele Phänomene der mystischen Typologie, und wenn, dann nur in geringem Ausmaß. Andere Studien haben seitdem ähnliche Wirkungen festgestellt.

Rituale ohne Drogen

Drogen sind allerdings nicht der einzige Weg zu spirituellen Erfahrungen. Manchmal können diese auch physiologisch herbeigeführt werden, und zwar durch die Funktion von gewissen Ritualen, den Körper und den Geist zu manipulieren. Indem sie die Bewegungen und die Körperhaltung der Praktizierenden, die Atmung oder die Sinneseindrücke steuern, wirken sie als natürliche Entheogene. Die Rituale, die ich untersucht habe, gehören meist zu dieser letzteren Art. Die Teilnehmenden an diesen Zeremonien nehmen keine Drogen. Tatsächlich müssen sie in der Regel für mehrere Tage vor der Zeremonie auf die Einnahme sämtlicher Substanzen, einschließlich Alkohol, verzichten. Die Auswirkungen der Zeremonien auf das Bewusstsein ähneln jedoch oft verblüffend jenen von chemischen Rauschmitteln. Nehmen wir zum Beispiel das Thimidi, ein schmerzhaftes hinduistisches Ritual, bei dem die Menschen nach einer anstrengenden, mehrstündigen Prozession unter der brennenden Sonne barfuß über glühende Kohlen laufen. In einer Studie über dieses Ritual auf Mauritius stellten meine Kolleg*innen und ich fest, dass sich die Teilnehmenden trotz der körperlichen Anstrengung nicht müde, sondern euphorisch fühlten. Diese Effekte deuten auf eine Erhöhung des Endorphinspiegels hin – Neurochemikalien, die für ein Phänomen verantwortlich sind, das als »Runner’s High« bekannt ist: das ekstatische Hochgefühl, das nach längerer Anstrengung auftritt und von dem Marathonläufer*innen oft berichten. Endorphine stehen unter anderem auch im Zusammenhang mit sozialer Bindung, was die verbindende Kraft dieser Rituale erklären könnte.

Andere Studien stellten fest, dass selbst einige der schmerzhaftesten Rituale positive Gefühle auslösen können. Beim Thaipusam Kavadi, das von Angehörigen des Volks der Tamilen auf der ganzen Welt durchgeführt wird, durchbohren Menschen ihre Körper mit Nadelspießen. Danach treten sie eine lange Pilgerreise an, bei der sie schwere Schreine auf dem Rücken tragen. Manche legen die Strecke sogar in Schuhen aus spitzen Nägeln zurück. Andere ziehen riesige Wägen an Haken, die an der Haut ihres Rückens befestigt sind. Mit Hilfe von tragbaren Sensoren konnten wir feststellen, dass diese Rituale außerordentlich viel Stress verursachen. Auffallend ist jedoch, dass sich dieser Stress schnell in positive Gefühle verwandelt. Je mehr Nadeln die Menschen in ihre Haut steckten und je mehr sie während der Prozession litten, desto mehr stieg ihr psychisches Wohlbefinden einige Wochen später.

Krankheit oder Heilung?

Es ist kein Zufall, dass ekstatische Rituale häufig als kulturelles Heilmittel für verschiedene Krankheiten verschrieben werden, insbesondere im Zusammenhang mit Angststörungen. Durch körperliche und sensorische Hyperstimulation kann das Belohnungssystem des Gehirns aktiviert werden, welches den Gehalt an Neurotransmittern wie Dopamin und Serotonin reguliert. So kann sie gesteigerte Empfindungen, eine bessere Stimmung und ein allgemeines Gefühl des Wohlbefindens erzeugen. Dieses System hat sich entwickelt, um unser Überleben zu sichern, etwa durch Nahrungsaufnahme und Paarung. Der oft erlebte Dopaminschub führt zu Glücksgefühlen und einem Gefühl tiefer Sinnhaftigkeit. Wenn der Serotonin- und Dopaminspiegel im Ungleichgewicht ist, kann es andererseits zu Angstzuständen, Depressionen und anderen psychischen Störungen kommen. Die meisten Antidepressiva zielen daher auf die Wiederherstellung des Serotonin- und Dopaminspiegels im Gehirn ab.

Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass die Wirkung ekstatischer Rituale ebenso wie die ihrer pharmakologischen Gegenstücke stark vom Kontext abhängt. Erwartungen sind ausschlaggebend. Trance kann gelenkt, erlernt und herbeigeführt werden, und ein Großteil der tatsächlichen Erfahrung wird durch Interpretation gefiltert. Eine Halluzination allein zu erleben kann beängstigend sein, aber im Zuge einer gemeinschaftlichen Zeremonie kann sie wünschenswert sein. Was in einem Kontext als Krankheit angesehen wird, betrachten wir unter anderen Umständen als Segen. Die Anastenaria glauben, dass die Heilsuchenden leiden, weil sie von den Heiligen auserwählt wurden. Ihre Symptome sind nicht Ausdruck von Krankheit, sondern ein mühsamer, aber lohnender und ehrenvoller Weg, die Berufung der Heiligen anzunehmen.

*Doxologie: Fachwort der Liturgie, bezeichnet das Rühmen der Herrlichkeit Gottes, oft als Abschluss eines Gebets

*Entheogene: spirituell nutzbare halluzinogene Substanzen, Psychedelika

 

Dimitris Xygalatas ist Anthropologe und Kognitionswissenschaftler an der Universität von Connecticut, wo er das Labor für experimentelle Anthropologie leitet. Er erforscht u.a. Rituale und andere Formen der Gruppenzugehörigkeit und betrieb dafür mehrere Jahre lang Feldforschung in Südeuropa und im Indischen Ozean.

IDM Short Insights 24: Will the upcoming elections change the Visegrad Group?

Two out of four Visegrad countries (V4) will hold parliamentary elections later this year. How may the elections in autumn change the power balance in the V4 and its standing in EU? How does the recent decision of Poland and Hungary to ban grain imports from Ukraine fit into our scenario building? Regardless of what scenario proves to be true, we should not expect that the format will cease to exist. Even though is true that it will operate in survival mode until all V4 countries are governed by parties sharing a common ideological line.

Two out of four Visegrad countries – also called the V4 – will hold parliamentary elections later this year. The snap elections in Slovakia are scheduled for 30 September 2023, and the parliamentary election in Poland will happen sometime between 15 October and 5 November 2023 

The outcomes of these elections can potentially shift the dynamics of cooperation within the grouping, the balance of power among partners, and the group’s standing in Europe. It is important to watch them as, although formerly dynamic, V4 cooperation has nowadays plunged to new lows. The V4 is now divided on at least two issues. 

The first one is Russia’s aggression against Ukraine that led to a severing of ties between V4 countries. It is difficult to grasp how a relatively big country like Hungary bordering Ukraine could refuse to contribute its fair share to restoring peace in Europe, especially as others have assumed considerable risk in doing so. Likewise, how can Budapest flirt with China and even side with Russia on some matters?  

The second issue is related to the state of democracy and in particular upholding the rule of law in Poland and Hungary. If not expressed explicitly, the Czech Republic and Slovakia are concerned about political developments in Warsaw and Budapest. What is more, they are losing patience with paying a price for a damage done by the Polish-Hungarian tandem on the V4’s reputation in Brussels.   

Three scenarios for the future of V4 relations 

Depending on which party coalitions will be governing in Warsaw and Bratislava, at least three scenarios are possible: 

First, Hungary becomes even more isolated in the group. This could happen if the current opposition led by the Civic Platform wins the elections in Poland, and Slovakia selects a government similar to the one it has now. In this format, three out of four V4 partners will maintain unity on Russia policy, and will maintain a pro-Atlantic and pro-European course, paying more respect to democracy and rule of law at home. This scenario is not likely. 

Second, the V4 is divided into two camps: the Czechs and the Slovaks on one side, and the Poles and the Hungarians on the other side. This would mean that the national interests from before the war in Ukraine are restored. For this to happen, the elections both in Poland and Slovakia would have to bring no changes in the political scene, and Hungary would have to make a U-turn on its Russia policy. This scenario is also not very likely. 

Third, and the most likely scenario is that Prague gets isolated. This will happen when the current government of the united right led by the Law and Justice (PiS) wins the elections in Poland, and the Eurosceptic SMER-SD party of former Prime Minister Robert Fico forms the government, as the current polls seem to suggest. In this case, the Czech Republic will seal Prague’s pro-Western shift, strengthen its position in the EU, and keep implementing a foreign policy based on Vaclav Havel’s values, accentuating respect for human rights and civil society. The currently isolated Hungary would in this case receive support from Slovakia. It is not clear how the Polish-Hungarian relations would develop given their difference on Russia. However, any policy alignment is possible given the recent Polish-Hungarian unity in banning grains import from Ukraine.  

Regardless of what scenario proves to be true, we should not expect that the format will cease to exist. In the three decades of the Visegrad group’s existence it has produced multidimensional cross-border ties and enhanced people to people contacts. It is true that it will operate in survival mode until all V4 countries are governed by parties sharing a common ideological line. But their relations and common history are too deep and too close to be easily given up on. 

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Martinek, K. Brudzinska, In the Eye of the Storm: Political Turmoil in Slovakia, IDM Blog, 19 December 2022

Apaydin, Ukrainian-Hungarian relations are complicated, and not only because of the war. IDM Blog, 3 March 2023

Brudzinska for Judy Asks: Is Hungary a Reliable EU and NATO Member?, Strategic Europe Blog of Carnegie Europe, 30 March 2023