Verschleierte Vergangenheit

Durch die Geschichte hinweg kontrollieren Politik und Gesellschaft den Dresscode von Frauen. MELANIE JAINDL macht in ihrem Essay die Politisierung von Frauenkörpern am Thema der Verschleierung deutlich.

Die patriarchale Gesellschaft vermittelt uns Frauen oft den Eindruck, wir können es nur falsch machen. Mal tragen wir zu viel, dann wieder zu wenig. Mit Minirock zeigen wir zu viel Haut, Hijab dagegen gilt in der westlichen Welt als rückschrittlich und misogyn. Muslimas müssten – so die These rechtskonservativer Gruppen, aber auch radikaler Feminist*innen – vor ihrer eigenen Kultur geschützt werden. Dabei sind es gerade Muslimas, die in der EU am häufigsten unter islamophobischen Attacken leiden. Eine Studie des European Network Against Racism (ENAR) belegt, dass in den Jahren 2014 und 2015 über 80% der von Islamophobie betroffenen Personen in den Niederlanden und Frankreich Frauen waren, besonders jene, die sichtbare religiöse Symbole wie Hijab trugen. Die Verhüllung hat tatsächlich wenig mit Tradition oder Kultur zu tun – es ist eine individuelle religiöse Entscheidung, die sich abseits vom Islam auch im Christentum, Judentum und Hinduismus finden lässt. 

Zwänge gegen Zwang? 

Stellen Sie sich vor, im Europa des 21. Jahrhunderts umzingeln bewaffnete Männer eine Frau und zwingen sie, sich auszuziehen. Dies ist leider kein Gedankenexperiment, sondern so 2016 in Nizza geschehen. Nachdem einige französische Gemeinden einen sogenannten „Burkini-Bann“ einführten, gingen Bilder um die Welt, in denen mehrere Polizisten eine Frau am Strand dazu aufforderten, ihre Tunika auszuziehen. Unter dem Hashtag #WTFFrance kritisierten unzählige User*innen das Vorgehen der französischen Polizei. Eine libysche Nutzerin schrieb: „Gratuliere Frankreich, nun habt ihr auch eine Sittenpolizei“. Damit spielte sie auf die Doppelmoral an, dass Kleidungsvorschriften in islamischen Ländern kritisiert, bei uns aber gleichzeitig eingeführt werden. Erst Anfang des Schuljahres verbot Frankreich das Tragen von Abayas an Schulen. Es sind weite Überkleider, die die Körperkonturen verbergen. Nachdem im Jahr zuvor Crop-Tops verboten wurden, müssen wir uns wohl fragen: Welches Outfit ist zu knapp, welches zu weit für eine Minderjährige? 

Auch wenn Frankreich als Vorreiter sogenannter „Verhüllungsverbote“ in Europa gilt, ist es längst nicht das einzige europäische Land, dass diese einführte. Neun weitere EU-Länder verbieten die Verschleierung des Gesichts. Die Gesetze werden so formuliert, dass sie angeblich auf Sicherheitsfaktoren wie die Identifizierung von Personen abzielen, damit sie konform mit Nichtdiskriminierungsgesetzen sind. Öffentlich werden sie aber als „Burka-Verbot“ beworben. Diesen Gesetzen gehen Debatten über Integration und vermeintliche Frauenrechte voran. Die Politik argumentiert, dass Frauen gezwungen würden, sich zu verschleiern. Doch es ist absurd, den Zwang zu einer Kleiderordnung über einen vermeintlichen Zwang zu einem gewissen Kleidungsstück zu rechtfertigen. Nicht zuletzt sind es rein populistische Maßnahmen. Als Österreich 2017 das Vollverschleierungsverbot einführte, trugen nur rund 150 Frauen im Land eine Burka oder Nikab. 

Legitimation durch Geschichte 

Ausgrenzende Gesetze findet man auch in Bosnien und Herzegowina, einem Land mit indigener muslimischer Bevölkerung. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war auch hier die Verschleierung muslimischer Frauen nicht ungewöhnlich. Im sozialistischen Jugoslawien dagegen wurde sie als Erbe des „Türkischen Jochs“ gesehen und mit der Verdrängung von Religiosität aus der Öffentlichkeit 1950 verboten. Erst in den 1990ern wurde die Praxis der Verschleierung revitalisiert, 1992 wurde in Bosnien und Herzegowina das Verbot aufgehoben. Dies geschah gleichzeitig mit Entstehung einer ethno-religiösen Identität der Bosniak*innen – Personen, die in Jugoslawien einfach als Muslim*innen bezeichnet wurden. Vor allem Hijab feierte ein Comeback, Nikab ist dagegen immer noch eine Randerscheinung. 

Unter Protest der Betroffenen wurde in Bosnien und Herzegowina 2016 ein Hijab-Verbot für Angestellte in Gerichten verabschiedet. Einige im Land halten das Kopftuch für einen Import des radikalen und konservativen Islams, der dem Ansehen des heimischen und als progressiver verstandenen „europäischen Islams“ schade. Sie vergessen dabei die prä-sozialistische Tradition des Gesichtsschleiers in der Region.  

Diese negative Haltung zur Verschleierung in Bosnien und Herzegowina beruht auch auf westlichen Narrativen. Seit 9/11 werden Hijab und Nikab instrumentalisiert, um vermeintlich radikalen ausländischen Einfluss zu veranschaulichen. Folglich internalisieren Länder, die eine Annäherung zur EU suchen, diese Narrative im Prozess der Europäisierung. Sie wollen zeigen, dass sie einen säkularen, progressiven Islam praktizieren – ohne Verschleierung, dafür manchmal mit Alkoholkonsum. 

Frauen in Bosnien und Herzegowina greifen nun auf historische Parallelen zurück, um ihre Praxis als genauso europäisch zu rechtfertigen. Sie zeigen alte Bilder der Baščaršija, des osmanischen Teils Sarajevos, wo im Lauf der Geschichte verschiedene Formen der Verhüllung beobachtet werden können: so zum Beispiel die Feredža im 19. Jahrhundert, die vor allem von wohlhabenden Frauen in Städten getragen wurde, oder der Zar, eine modernere und modischere Form der Verhüllung, die einige Frauen ab dem 20. Jahrhundert bis zum Verbot im Sozialismus 1950 trugen. Auch wenn auf kulturelle Legitimation gesetzt wird, ist auch in Bosnien und Herzegowina Verschleierung eine persönliche Entscheidung. Gerade in Gesellschaften, wo die Praxis eine Minderheit darstellt, unterstreicht sie die Wahlfreiheit von Frauen, die sich für sie entscheiden. 

Frauenkörper als Politikum 

Kleidungsvorschriften wie das Ver- und Gebot der Verschleierung, aber auch Abtreibungsverbote oder Beschäftigung mit unbezahlter Pflegearbeit zeigen: Frauenkörper werden ständig politisiert, kontrolliert und okkupiert. Die radikalen Politiken gegen unsere Körper und unser Aussehen führen schließlich aber auch dazu, dass wir gewisse Praktiken umso eher anwenden und als Protest nach außen tragen. Feministinnen zeigen sich ohne BH oder gleich ohne Shirt, um ihre Brüste zu de-sexualisieren und zu normalisieren. Denn spätestens nach Eintritt der Pubertät werden unsere Körper objektifiziert. Andere Frauen greifen mitunter auch deswegen lieber zu weiten Gewändern. Und die Zahl der Frauen, die Nikab tragen, stieg nach Einführung entsprechender Verbote sogar teilweise an. Das Symbol der Unterdrückung wird so zum exakten Gegenteil: Es steht für Individualismus, Non-konformismus, Selbstbestimmung und Protest. Tatsächlich sind es die Politiker*innen, die Muslimas unterdrücken und zu Dresscodes zwingen – denn vor der Einführung entsprechender Verbote fragte sie niemand nach ihren Beweggründen. Diejenigen, die nicht bereit sind, Geldstrafen zu zahlen oder sich freizügiger zu zeigen, werden so in ihre eigenen vier Wände verbannt. 

In der Vergangenheit und Gegenwart finden wir immer wieder Versuche, das Erscheinungsbild von Frauen zu regulieren – ob es nun das Verlangen oder das Verbot eines bestimmten Dresscodes ist. Doch wenn Frauen, wie so oft, schon auf ihr Äußeres reduziert werden, sollten sie auch die Freiheit haben, sich durch Kleidung so auszudrücken, wie sie es wollen. 

Hijab, Burka, Nikab? 

Hijab ist ein Tuch, dass Haare, Hals und Dekolleté bedeckt. 

Nikab bedeckt zusätzlich das Gesicht, nur die Augenpartie bleibt frei. 

Burka dient der Ganzkörperverschleierung, auch die Augen werden mit einem textilen Gitter oder transparenten Schleier bedeckt. 

 

Melanie Jaindl ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am IDM. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen den Westbalkan, Migration und Asyl, intersektionaler Feminismus und soziale (Un-)Gerechtigkeit. 

Ein „Niemandsland“ an der Donau?

Ein Staat ohne Steuern und Verträge, dafür mit Waffen. Bisher besteht das 2015 zwischen Kroatien und Serbien ausgerufene Liberland nur im virtuellen Raum. PÉTER TECHET erklärt in seinem Beitrag, wie realistisch die internationale Anerkennung des Donau-Zwergstaates ist.

Unweit der ungarischen Grenze im Gebiet Gornja Siga hört Kroatien auf und beginnt Serbien – doch wo genau, da sind sich die beiden Staaten uneins. Beide sehen die Donau als Grenze zwischen den Ländern, doch in Gornja Siga verläuft der Fluss in unzähligen Nebenarmen und Kroatien und Serbien ziehen unterschiedliche Flusslinien zur Grenzziehung heran.  

Während Kroatien die Donau als Grenze nach den Katasterverzeichnissen aus der österreichisch-ungarischen Monarchie festlegt, bezieht sich Serbien auf den im 20. Jahrhundert durch Flussregulierung und Industrialisierung geänderten Verlauf. Die unterschiedlichen Ansichten erschaffen ein 7 km2 großes Gebiet, das laut Kroatien zu Serbien und laut Serbien zu Kroatien gehört. 

Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte? 

Obwohl unbewohnt, nennen bereits mehr als 800 Menschen das sumpfige „Niemandsland“ ihre Heimat. 2015 rief der tschechische Unternehmer und ehemalige Politiker Vít Jedlička in Gornja Siga die „Freie Republik Liberland“ aus. Sein Plan: eine libertäre, anarcho-kapitalistische Utopie mit Steuer-, Vertrags- und Waffenfreiheit nach dem Motto „Leben und leben lassen“. „Bereits mehr als 700.000 Menschen haben die Staatsbürgerschaft von Liberland beantragt“, brüstet sich Jedlička. 870 hätten bereits ihre Pässe erhalten. Tatsächlich leben aber keine „Liberländer*innen“ vor Ort, sondern bilden eine virtuelle Gemeinschaft mit eigener Kryptowährung, Flagge und Verfassung. Mit einer App kann die elektronische „Staatsbürgerschaft“ gegen eine freiwillige Spende erworben werden. Zudem hat Liberland einseitige Ländervertretungen in 75 Staaten, darunter Österreich, auf allen Kontinenten. 

Würde es völkerrechtlich anerkannt, wäre Liberland der drittkleinste Staat Europas nach Monaco und dem Vatikan. Doch mit der Anerkennung wird das wohl so schnell nichts. Denn auch wenn Jedlička von einem „Niemandsland“ spricht, stellte der Internationale Gerichtshof (ICJ) fest, dass von einem völkerrechtlichen „Terra nullius“ nur dann gesprochen werden kann, wenn es sich um ein von keinem anderen Volk besetztes Gebiet handle und dies von einem souveränen Staat friedlich besetzt wird. Doch Jedlička kann als Einzelperson weder die Rechte in Anspruch nehmen, die den souveränen Staaten als Rechtssubjekten des Völkerrechtes zustehen, noch ist Gornja Siga ein klassisches Niemandsland. 

Zwar beanspruchen weder Kroatien noch Serbien das Gebiet für sich, zuvor war es allerdings Teil der Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien. Vor ihrer Unabhängigkeit waren die Grenzen zwischen den konstituierenden Teilrepubliken rechtlich nicht festgelegt. Das wurde nach der Unabhängigkeit Kroatiens zum Problem, denn die internationale Gemeinschaft erkannte 1992 die früheren inner-jugoslawischen Grenzen als neue Staatsgrenzen an, obwohl gerade diese unklar waren. 

Im Völkerrecht steht aber auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Das „liberländische Volk“ bildet jedoch keine historisch-kulturelle Einheit und hat keinen Bezug zu Gornja Siga. Es fehlt also gerade das Volk vor Ort, welches Selbstbestimmung für sich einfordern könnte. 

Heimat im Metaversum 

Tatsächlich befindet sich zurzeit niemand in Gornja Siga. Jedlička erklärt: „Wir dürfen Liberland nicht betreten.“ Denn obwohl Kroatien das Gebiet nicht beansprucht, wird es von dem EU-Mitgliedstaat verwaltet und kontrolliert. Besonders der Schengen-Beitritt 2023 hat den Auftrag, die EU-Außengrenzen zu schützen, verstärkt. Wer von Serbien aus nach Gornja Siga reisen will, trifft also auf kroatische Grenzkontrollen. Zwar könnte man über Ungarn einreisen, aber jene, die Symbole Liberlands bei sich haben, werden von der kroatischen Polizei daran gehindert. So erlebte es ein britischer Youtuber im April. Zagreb will separatistische Bewegungen nicht dulden, ob Gornja Siga nun zu Serbien gehöre oder zu Kroatien. Jedlička  spricht in diesem Zusammenhang von einer „Invasion“ und eines „Angriffs“ Kroatiens. Das serbische Außenministerium teilte hingegen bereits 2015 lakonisch mit, dass Belgrad die Gründung von Liberland nicht interessiere.  

Im August 2023 konnten nichtsdestotrotz einige „Liberländer*innen“ nach Gornja Siga fahren und dort übernachten. „Im September wollte ich dann meinen 40. Geburtstag in Liberland feiern“, erzählt Jedlička. Doch die kroatische Grenzpolizei verhinderte das und verwies ihn für fünf Jahre des Landes. Auch sein Boot „Liberty“ wurde beschlagnahmt. Jedlička kann jetzt nur mehr vom serbischen Donauufer aus „sein“ Land beobachten. Seit Jahresanfang campt er dort mit einigen Aktivist*innen des „Freistaates“. 

Aufgeben will Jedlička aber nicht: „Vom Tourismus in Liberland würden auch Serbien und Kroatien profitieren.“ In dem von Nationalparks umgebenen Gebiet will er einen Vergnügungspark und den höchsten Wolkenkratzer Mitteleuropas hochziehen. Verwirklichen wird er dies aber vorerst nur im virtuellen Raum: Mehrere Architekturbüros erhielten den Auftrag, Liberland als Großstadt im Metaversum aufzubauen. Auf Google Maps findet man sogar schon erste „liberländische“ Ortsnamen – so zum Beispiel den „Jefferson Square“ und die „Jefferson Street“. In der Realität besteht bislang aber kaum Infrastruktur in Gornja Siga. Bei ihrem Aufenthalt im Sommer 2023 errichteten die „Liberländer*innen“ einige einfache Holzhäuser, die die kroatische Polizei mittlerweile allerdings wieder entfernte. 

Irgendwo zwischen Hippie-Idyll und Staatsunterwanderung 

Wie ist das Projekt Liberland also einzuschätzen? Ist es einfach eine Utopie einiger Abenteuer*innen, die sich jeglicher staatlichen Kontrolle – und Steuerpflicht – entziehen wollen? Sezessionistische Projekte wie Liberland sind in libertären, rechtsradikalen wie auch links-anarchistischen Kreisen weltweit verbreitet. Sie wollen die bestehenden Staaten nicht „nur“ innenpolitisch unterwandern, sondern auch völkerrechtlich infrage stellen. 

Das Vorhaben Jedličkas und seiner Anhänger*innen zeigt Tendenzen der „Alt-Right“-Szene. Jedlička war früher Mitglied bei einer kleinen, rechtsliberalen, EU-skeptischen Partei, den „Svobodní“ (den „Freien“) in Tschechien. Er unterstützte Donald Trump im Wahlkampf von 2016. Der serbische Historiker Vladimir Jerković erklärt aber, dass die „Liberländer*innen“, die sich jetzt auf der serbischen Seite der Donau aufhalten, unterschiedliche Beweggründe hätten. Einige hoffen auf eine Steueroase, während andere einfach ihr bürgerliches Leben für ein Abenteuer in einem unbewohnten Gebiet aufgeben wollen. Auch wenn Liberland also eher ein Projekt einiger Träumer*innen zu bleiben scheint, veranschaulicht es die Fragilität der ex-jugoslawischen Grenzen. 

 

Péter Techet ist promovierter Jurist und Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am IDM. 

Kultur zugänglich machen

Wie nehmen Menschen mit Behinderung einen Museumbesuch wahr? MILENA MILOŠEVIĆ MICIĆ und IRENA RUŽIN setzen sich für einen inklusiven Zugang zu Museen und Kultureinrichtungen ein und erklären in ihrem Gastbeitrag, welche Fortschritte diesbezüglich am Balkan gemacht wurden.

Für die meisten ist ein typischer Museumsbesuch vor allem ein visuelles Erlebnis. „Nicht berühren!“ oder „Abstand halten!“ sind häufige Warnhinweise vor wertvollen Gemälden und Skulpturen. Doch wie können sehbehinderte Menschen unter diesen Bedingungen Museen erleben? Die Möglichkeit eines Besuchs von Museen, Kultureinrichtungen und archäologischen Stätten ist ein wesentlicher Teil eines selbstbestimmten Lebens – wir lernen von ihnen über unsere Geschichte, Kultur und sie geben uns die Möglichkeit, unsere Horizonte zu erweitern. Das International Council of Museums (ICOM) definierte daher Museen 2022 als „gemeinnützige, dauerhafte Institutionen im Dienste der Gesellschaft, die materielles und immaterielles Erbe erforschen, sammeln, bewahren, interpretieren und ausstellen, die der Öffentlichkeit zugänglich und inklusiv sind und Vielfalt und Nachhaltigkeit fördern“. Handelt es sich hierbei nur um eine weitere Erklärung, oder eine Vorgabe, die auch tatsächlich umgesetzt wird? 

Weltweit leben rund eine Milliarde Menschen mit Behinderungen, das sind 15% der Weltbevölkerung. Für viele sind aufgrund von gesellschaftlich geschaffenen Barrieren Museen nicht vollständig zugänglich. Als Vertreterinnen des Kultursektors am Balkan, die sich gleichzeitig mit der Bewahrung aber auch der Präsentation von Kulturerbe beschäftigen, verstehen wir beide Seiten. Kulturerbe muss vor Beschädigungen geschützt werden, doch es muss auch für alle Menschen erfahrbar sein. Dafür braucht es allerdings Förderungen, geschultes Personal und Gesetzesreformen in Bezug auf den Schutz historischer Gebäude. 

Alle ex-jugoslawischen Länder haben die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen aus dem Jahr 2006 ratifiziert. Teilhabe an kulturellen Ereignissen sollte also nach dem Prinzip der Gleichheit aller Menschen und der Nichtdiskriminierung für Menschen mit Behinderungen möglich sein. Das Balkan Museum Network widmet sich im Projekt „Making Balkan Museums More Accessible for People with Disabilities” diesen Anstrengungen. Es vereinfacht den Austausch zwischen Museumsfachleuten und Vetreter*innen lokaler Gemeinschaften, um auf besondere Bedürfnisse einzugehen, und Toleranz im Kultursektor für Veränderungen zu schaffen. Das Herzstück bildet eine interaktive Online-Karte, die die inklusiven Museen und Kultureinrichtungen in der Region abbildet. Bereits 39 Museen, Galerien und archäologische Stätten lassen sich dort finden. Und es werden immer mehr: Auch wenn noch keine der Einrichtungen vollständig barrierefrei ist, zeigt eine Analyse des Balkan Museum Network, dass die Museen in der Region stetig ihre Zugänglichkeit verbessern. Das Serbian Institute for Cultural Development Research veröffentlichte vor kurzem eine Studie gemeinsam mit dem Museum für zeitgenössische Kunst in Belgrad, nachdem sich 61% der insgesamt 97 serbischen Museen als “teilweise barrierefrei” einstuften. Dennoch zeigte die Erfassung auch, dass sich noch immer rund ein Viertel  als unzugänglich für Menschen mit Behinderungen kategorisiert. 

Bitte berühren! 

Wie kann man sich aber ein inklusives Museumsprogramm vorstellen? Vorerst gibt es keinen one-size-fits-all Ansatz. Angebote müssen je nach Gegebenheiten und individuellen Bedürfnissen angepasst werden, dazu werden verschiedene technische Hilfsmittel zugezogen. So greifen Menschen mit Sehbehinderungen auf Audioguides und sensorische Elemente zurück. Menschen mit Hörbehinderungen können durch gebärdensprachliche Interpretationen unterstützt werden – wenn dafür Personalmangel herrscht, können QR-Codes, Nahfeldkommunikation (NFC) und entsprechende Apps herangezogen werden. Für viele archäologische Stätten ist ein barrierefreier, rollstuhlgerechter Zugang notwendig. Menschen mit intellektuellen Behinderungen erfahren einen inklusiven Museumsbesuch durch einfachere Sprache. Auch Kinder werden in Museumsbesuche altersgruppenspezifisch eingebunden, zum Beispiel durch spielerische Inhalte. In all diesen Fällen ist es wichtig, Betroffene miteinzubeziehen. Es gilt der Grundsatz: nichts für uns ohne uns. Grundsätzlich ließ sich aus diesen Angeboten erkennen, dass sie den Museumsbesuch für alle bereichern und somit kulturelle Erlebnisse insgesamt verbessert werden. 

Exemplarisch für inklusive Museumsbesuche in der Region sind unter anderem das Museum für Moderne Kunst in Belgrad, in dem Werke durch taktile Ausstellungen bestaunt werden können. Ebenfalls in Belgrad bietet das Museum für die Geschichte Jugoslawiens ein Programm in Gebärdensprache. Die Nationalgalerie von Bosnien und Herzegowina in Sarajevo entwickelte in dem Programm „Blue Artism“ eine Ausstellung für Kinder im autistischen Spektrum. Dieses legt großen Wert auf Vertrauensaufbau, regelmäßige Pausen und Einbindung der Kinder, um ihre Konzentration zu fördern. Das Naturkundemuseum in Podgorica sowie das Holocaust-Gedenkzentrum für die Jüd*innen Mazedoniens schufen sensorische Angebote für den Museumsbesuch. Doch auch kleinere Museen abseits der Hauptstädte bieten immer mehr inklusive Erfahrungen, so zum Beispiel das Heimatmuseum in Knjaževac, das Nationale Institut und Museum in Bitola, Nordmazedonien und das Nationalmuseum in Leskovac. Besonders hervorzuheben ist wohl das Typhologische Museum in Zagreb, das einzige der Region, dass einen inklusiven Museumsbesuch zum Ausstellungsobjekt machte, und seither andere Museen am Balkan in diesen Anliegen berät. 

Inklusion bringt allen was 

Obwohl die zahlreichen Initiativen sowie Studien beweisen, dass es in den Ländern des Balkans Fortschritte im Bereich der Inklusion in Kultureinrichtungen gibt, sehen wir weiterhin Handlungs- und Verbesserungsbedarf. Die Verbesserungen betreffen den Abbau von Barrieren, die wir als Gesellschaft schaffen. Dazu braucht es den Austausch zwischen Museen und Verbänden für Menschen mit Behinderung. Inklusive Räume haben einen gesamtgesellschaftlichen Einfluss. So erkennen wir, dass mit Ausbau der Angebote der Tourismus in die Region wächst. Die Entwicklung neuer Technologien und Dienstleistungen trägt zum Wirtschaftswachstum bei. Vor allem bleibt es aber unsere menschenrechtliche Verantwortung, als Kultureinrichtungen und darüber hinaus ein selbstbestimmtes Leben und Teilhabe an allen Lebensbereichen für alle zu ermöglichen. 

 

Milena Milošević Micić ist Kunsthistorikerin und Advisor des Heimatmuseums in Knjaževac, Serbien. Irena Ružin  arbeitet am Nationalen Institut und Museum Bitola, Nordmazedonien. Beide sind im Lenkungsausschuss des Balkan Museums Network und der Balkan Museum Access Group. 

Nordmazedonien: Der Weg in die EU führt über Bulgarien

Nach dem Namenstreit mit Griechenland legt nun Bulgarien seinem Nachbarland Nordmazedonien Steine in den Weg zur EU. SOPHIA BEITER erklärt im Gespräch mit ULF BRUNNBAUER und ZORAN GEORGIEV die Konfliktpunkte. 

Die Osterweiterung im Jahr 2007 weckte auch in Nordmazedonien Hoffnung auf einen baldigen Beitritt zur EU. Um die Zeit bis dahin zu überbrücken, beantragten zehntausende Mazedonier*innen die bulgarische Staatsbürgerschaft, um der hohen Arbeitslosigkeit im eigenen Land zu entfliehen. Notwendig dafür ist der Beweis bulgarischer Abstammung und den konnten aufgrund der verzweigten Vergangenheit beider Länder viele Mazedonier*innen erbringen. Auch Künstler Zoran Georgiev stammt aus einer multiethnischen Familie. Aufgewachsen ist er in Nordmazedonien, aber seine Mutter ist Serbin und sein Vater Bulgare. Georgiev selbst meint: „Ich bin Bulgare, weil am Balkan sagen wir, dass man die Linie des Vaters erbt. Tatsächlich wäre wohl halb Serbe, halb Bulgare die korrekte Antwort.“ Georgiev ging nach Sofia, um dort Kunst zu studieren. Er lernte auch Bulgarisch und beantragte schließlich die bulgarische Staatsbürgerschaft, bevor ihn die Liebe nach Berlin verschlug, wo er mittlerweile lebt und arbeitet.  

Doch es gebe auch Mazedonier*innen, die aus Verzweiflung Bulgar*innen auf dem Papier werden. „Ein hoher Anteil der Menschen, die die bulgarische Staatsbürgerschaft beantragen, sind nicht davon überzeugt, dass sie Bulgar*innen sind. In ihrer Heimat sind sie aber arbeitslos“, so Georgiev. „Mit dem bulgarischen Pass in der Hand verlassen 90% das Land, um zum Beispiel als LKW-Fahrer*innen für europäische Firmen zu arbeiten.“ Bevor auf Druck der EU die Erlangung des bulgarischen Passes erschwert wurde, hieß der bulgarische Staat den Andrang auf seine Staatsbürgerschaft willkommen. Der Südosteuropahistoriker Ulf Brunnbauer sagt: „Bulgarien wollte so unter anderem auch der hohen Abwanderung entgegenwirken. Doch die meisten neuen bulgarischen Bürger*innen blieben nicht im Land.“  

Das unsichtbare Hochhaus 

Laut Daten der Europäischen Kommission haben von 2006 bis 2021 über 86.000 Mazedonier*innen die Staatsbürgerschaft ihres Nachbarlandes erhalten. Das sind mehr als die Hälfte der in dieser Zeit neu eingebürgerten Menschen. Georgiev erklärt: „Wenn man den bulgarischen Pass beantragt, benötigt man eine bulgarische Adresse. Da viele Mazedonier*innen aber nicht in Bulgarien leben, sondern in andere EU-Länder ziehen wollten, machten einige Bulgar*innen ein lukratives Geschäft aus der Verordnung und verkauften ihre Adressen an Staatsbürgerschaftsanwärter*innen. So fand man Wohnungen mit über 600 registrierten Menschen.“ Um den Adressen-Schwarzmarkt aufzulösen, teilte der Staat ab den frühen 2010er Jahren eine sogenannte „Arbeitsadresse“ (bulg. služeben adres) zu – und zwar allen die gleiche. Georgiev besuchte diese Adresse im Zentrum von Sofia: „Es ist ein kleines dreistöckiges Gebäude. 2014 waren dort laut Meldeamt 40.000 Menschen registriert.“ Dies inspirierte den Künstler zu einem Projekt: Das Kunstwerk „Invisible Skyscraper“ veranschaulicht das vermeintlich höchste Gebäude der Welt. Denn laut Georgievs Berechnungen müsste das Haus höher als 4.500 m sein, um alle dort gemeldeten Personen tatsächlich zu beherbergen. 

Vetos von allen Seiten 

Wie viele Mazedonier*innen sich tatsächlich als Angehörige der bulgarischen Minderheit in Nordmazedonien fühlen, ist unklar. Doch genau diese Minderheit ist entscheidend für den Beginn der EU-Beitrittsgespräche. Als 2020 die Verhandlungen zum EU-Beitritt nach 15 Jahren Kandidatenstatus starten sollten, legte Bulgarien auf Initiative der ultranationalistischen Partei VMRO-BND, die damals in der Regierungskoalition war, ein Veto ein. Kurz davor zog erst Griechenland sein Veto zurück, nachdem das Nachbarland die bilateralen Streitigkeiten durch das Prespa-Abkommen 2018 beilegte. 

Wie auch im Streit mit Griechenland, dreht sich auch das bulgarische Veto um die mazedonische Identität. Die mazedonische Kultur beruhe demnach auf der bulgarischen, die mazedonische Sprache sei nur ein bulgarischer Dialekt und zumindest bis 1944, als in Jugoslawien die mazedonische Teilrepublik mit eigener Standardsprache etabliert wurde, habe man auch eine gemeinsame – das heißt bulgarische – Geschichte. Auffassungen wie diese halten sich in der bulgarischen Politik und Gesellschaft hartnäckig. Und die hohe Zahl der Anträge auf bulgarische Staatsbürgerschaft unterstützt aus Sicht Bulgariens dieses Narrativ. Brunnbauer spricht von einem „Phantomschmerz“, der in Bulgarien seit 1878, als der neue bulgarische Staat ohne das heutige Gebiet Nordmazedoniens errichtet wurde, existiert.  

2022 gelang es schließlich, einen vorrangig durch die französische EU-Ratspräsidentschaft vermittelten Kompromiss zu treffen. Bulgarien hob das Veto unter der Bedingung auf, dass Nordmazedonien die bulgarische Minderheit in seine Verfassung aufnimmt. Für die Verfassungsänderung gibt es im nordmazedonischen Parlament allerdings keine Mehrheit (Stand: Oktober 2023). Die von der sozialdemokratischen, proeuropäischen SDSM geführte Regierung will die Änderung zwar rasch durchsetzen, um den Weg in die EU zu ebnen, doch die Opposition, allen voran die nationalistische Partei VMRO DPMNE, ist strikt dagegen. Auch der Großteil der Bevölkerung lehnt die Verfassungsänderung ab, insbesondere im Sommer 2022 gingen Tausende auf die Straße und protestierten.  

Unterschiedliche Rechte für Minderheiten 

Georgiev hält zwar nicht das Veto selbst, aber die Forderung der Aufnahme der bulgarischen Minderheit in die Verfassung für gerechtfertigt. Bis in die späten 1940er Jahre waren ethnische Bulgar*innen in Nordmazedonien stark vertreten. Nach Etablierung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) seien die probulgarischen Stimmen dann ziemlich radikal beseitigt worden. Zur heutigen Situation sagt Brunnbauer: „Es ist schwer zu sagen, inwieweit die heutigen Bulgar*innen in Nordmazedonien Nachkommen aus dieser Zeit, oder doch eher ein Produkt bulgarischer auswärtiger Kulturpolitik sind.“ 

VMRO DPMNE verlautbarte, dass sie der Aufnahme der bulgarischen Minderheit in die Verfassung nur unter der Voraussetzung zustimmt, dass Bulgarien auch die nordmazedonische Minderheit anerkennt. „In Bulgarien gibt es einen unterdrückten mazedonischen Aktivismus. Wahrscheinlich handelt es sich nur um wenige Tausend Menschen in Südwestbulgarien“, meint Brunnbauer. So würde beispielsweise dem Verein Macedonian Organisation Ilinden-Pirin die Registrierung verwehrt. Der Historiker fügt hinzu: „Mittlerweile urteilte sogar der Europäische Menschenrechtsgerichtshof, dass dieses Vorgehen gegen die bulgarische Verfassung und die europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Doch die bulgarischen Behörden ignorieren diese Urteile.“ 

Dass es zur gegenseitigen Aufnahme der jeweiligen Minderheiten in die Verfassung kommt, ist also unwahrscheinlich. Das hängt aber auch mit der völlig unterschiedlichen rechtlichen Situation von Minderheiten in beiden Ländern zusammen. Brunnbauer erklärt: „In Nordmazedonien gibt es weitreichende Kollektivrechte für anerkannte Minderheiten, in Bulgarien dagegen viel weniger Minderheitenrechte.“ Die Gründung von Minderheitenparteien zum Beispiel sei in Nordmazedonien üblich und wenn anerkannte Minderheiten über 20% einer Gemeinde darstellen, werde deren Sprache zur Amtssprache. Im Gegensatz dazu verbiete die bulgarische Verfassung Minderheitenparteien und selbst für größere Minderheiten, wie der türkischen, sei das Aufstellen zweisprachiger Ortsnamen in entsprechenden Gemeinden selten. Vor diesem Hintergrund würde die Anerkennung der mazedonischen Minderheit in Bulgarien rechtlich kaum etwas ändern, umgekehrt könnten die Bulgar*innen in Nordmazedonien allerdings weitgehende Rechte in Anspruch nehmen. 

Ein holpriger Weg in die EU 

Die Verzögerung der EU-Beitrittsgespräche steht nicht nur der EU-Mitgliedschaft Nordmazedoniens im Wege, sondern hat Auswirkungen auf den Balkan und Europa insgesamt. Nach dem Namensstreit mit Griechenland, im Zuge dessen Mazedonien sich 2019 in Nordmazedonien umbenannte, ist die Verfassungsänderung nun die zweite unbeliebte Maßnahme, die die Regierung auf Druck der EU-Länder durchführen muss. Brunnbauer und Georgiev sind sich einig, dass – selbst wenn die Verfassungsänderung im Parlament eine Mehrheit erhält – die proeuropäische Regierung bereits jetzt deutlich geschwächt wurde. Brunnbauer gibt zu bedenken: „Bei den nächsten geplanten Parlamentswahlen 2024 kann das der sozialdemokratischen Partei schaden.“ Dabei sind gerade die Sozialdemokraten aus europäischer Sicht die verlässlichsten Partner in Nordmazedonien. Vom Unmut in der Bevölkerung könnten vor allem nationalistische Parteien wie die anti-europäische VMRO DPMNE profitieren. Die Sorge ist groß, dass sich der proeuropäische Kurs des Landes dann ins Gegenteil verkehrt. Zudem verdeutlicht die Situation eine der größten Hürden des Westbalkans auf seinem Weg in die EU: das Vetorecht der Mitgliedsstaaten, das EU-Nachbarländer als Hebel in bilateralen Disputen nutzen. 

 

Sophia Beiter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am IDM und hat Slawistik und Germanistik an der Universität Wien studiert. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen die Schwarzmeerregion, Sprachpolitik und Minderheiten.  

Ulf Brunnbauer ist wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg und Professor für die Geschichte Südost- und Osteuropas der Universität Regensburg. Er forscht zur zeitgenössischen Gesellschaftsgeschichte Südosteuropas. 

Zoran Georgiev ist Künstler und hat in zahlreichen internationalen Ausstellungen mitgewirkt. Seine Werke beschäftigen sich oft mit politischen und gesellschaftlichen Themen. 

Geschichte in der Korrekturschleife

Gesetze, Politik und Medien machten queere Geschichte jahrzehntelang unsichtbar. In ihrem Gastbeitrag nehmen Sie ALEXA CARDAȘ und ALEXANDRA CARAMAN mit auf eine Zeitreise durch die wichtigsten Ereignisse der rumänischen LGBTQIA+ Szene im vergangenen Jahrhundert.  

Wenn es um Geschichte geht, sind die besten Erzähler*innen jene, die sie miterlebt haben. Dies trifft umso mehr zu, wenn es sich um die komplexe Geschichte der globalen LGBTQIA+ Gemeinschaft handelt, die von bemerkenswerter Widerstandsfähigkeit und Transformation gekennzeichnet ist. Auch die Entwicklung der queeren Community in Rumänien ist von Widerstand und Wandel, Unterdrückung und einem komplizierten Zusammenspiel soziopolitischer, kultureller und wirtschaftlicher Einflüsse geprägt. 

Liebe im Schatten 

Vor der Wende 1989 zeigte sich die Widerstandsfähigkeit der queeren Gemeinschaft in Rumänien vor allem als Mut zu lieben – wenn auch nur im Verborgenen, denn 1937 wurden öffentliche homosexuelle Handlungen als Straftatbestand eingeführt. Der Staat sah Lesben und Schwule als Gefahr für die streng kontrollierte und vermeintlich homogene Gesellschaft. 1968 wurde Homosexualität dann generell verboten – auch im Privaten – und mit Artikel 200 in das Strafgesetzbuch aufgenommen. Wie die meisten Rumän*innen lebte auch die queere Gemeinschaft unter der ständigen Angst vor dem rumänischen Geheimdienst und misstraute sogar ihren engsten Vertrauten, die womöglich für den Staat spionierten. Jede Form der aktiven Opposition war zu dieser Zeit kaum möglich. Der rumänische Aktivist und Schriftsteller Florin Buhuceanu schreibt über die damalige Zeit: „Homosexualität ist das ständige Ziel von Polizeirazzien. Sie wird vom Rechtssystem inkriminiert, vom medizinischen System ‚behandelt‘, von der Presse zensiert und gesellschaftlich und kulturell verurteilt.“ 

Endlich ans Licht  

Nach der Wende begann in Rumänien eine gesamtgesellschaftliche Transformation, die sich auch in der queeren Szene widerspiegelte. „Homosexuelle betraten die post-kommunistische Bühne als gefährliche Kreaturen, Kreaturen der Finsternis, mit einem Lebensstil, der sie entweder zu Opfern oder Aggressor*innen machte“, so Buhuceanu. 1992 wurde die erste Gruppe zur Stärkung der LGBTQIA+ Rechte gegründet: Total Relations. Nach ihr formten sich immer mehr Nichtregierungsorganisationen, die sich vor allem für die Abschaffung des Artikels 200 einsetzten, der noch immer Existenzen zerstörte. Mariana Cetiner war von 1995 bis 1998 inhaftiert und erinnert sich: „Sie wollten mich zum Gynäkologen bringen, um zu sehen, ob ich eine Frau bin. Ich weigerte mich, deswegen legten sie mir Handschellen an Händen und Füßen an. 24 Stunden lang war ich so an einen Heizkörper gefesselt, ohne Essen und Wasser. Wenn ich pinkeln musste, zogen sie mir die Hose aus. Sie schickten mich ins Gefängnis in Jilava und wollten feststellen, ob ich normal im Kopf bin. Ich war 29 Tage lang im Gefängniskrankenhaus. Dort fragten sie mich, ob ich lesbisch sei. Ich sagte, das sei meine Sache.“ 

Trotz heftigen Widerstands der rumänisch-orthodoxen Kirche und nach Jahren voll hasserfüllter Diskurse kam 2001 schließlich die Erleichterung: Das Verbot der Homosexualität wurde abgeschafft. Queere Menschen konnten endlich aufatmen, denn sie mussten nun nicht mehr rechtliche Konsequenzen ihrer Liebe fürchten. Heute ist es für viele dennoch unverständlich, dass dieser Schritt erst so spät kam. „Es ist seltsam, dass Artikel 200 noch existierte, als ich mit fünf Jahren mit den Nachbarskindern vor unserem Block spielte“, sagt Lia Burg, Community Managerin bei der NGO Identity.Education 

Die Entkriminalisierung bedeutete allerdings noch lange nicht soziale Integration und Anerkennung. Tatsächlich stellte die Legalisierung von Homosexualität einen politischen Schachzug dar, denn Rumänien wollte in die EU und musste somit die Gesetze an EU-Standards anpassen. Die gesellschaftliche Haltung war und ist dennoch von Angst, Abneigung, Vorurteilen und Mikroaggressionen gegen die queere Gemeinschaft geprägt. 

Stolz nach außen tragen 

Aller Widrigkeiten zum Trotz und über die Kanäle interner Netzwerke formierte sich die erste Pride Parade 2005 mit hunderten Teilnehmer*innen in Bukarest. Die traditionellen Medien berichteten kaum über das historische Ereignis und verbreiteten über die folgenden Jahre sogar Falschmeldungen. Denn die Teilnehmer*innenzahlen wuchsen stetig, während die Zeitungen und Fernsehsender von einer abnehmenden Bedeutung berichteten. Auf diese Weise traten die Medien als wichtige Verbündete der homophoben Regierungsinitiativen auf. Konservative und religiöse Gegendemonstrationen lösten immer wieder gewaltsame Zusammenstöße aus und vor allem trans Menschen stießen auf viel Hass. 

Mittlerweile hat sich der Polizeischutz für Pride-Veranstaltungen verbessert, doch das Vertrauen der Szene in die Polizei ist weiterhin gering. In diesem Zusammenhang blieb vor allem das GayFest 2007 in Erinnerung, das von Polizeigewalt gekennzeichnet war. Nach dem Prinzip „vier Beamte pro Lesbe oder Schwulem“ standen 200 Teilnehmer*innen 800 Polizist*innen gegenüber. Bis heute bleibt unklar, welche Gefahren tatsächlich von der Szene vermutet wurden. 

Insbesondere jüngere Generationen wollen dennoch nicht in Angst leben und tragen ihre Identitäten mittlerweile auch bewusst nach außen. Auch wenn die Diskriminierung weiterhin weh tut, versuchen viele auf Hass mit Humor zu reagieren. Dieser Mentalitätswandel führte zu einem erheblichen Anstieg der Pride-Teilnehmer*innenzahlen und zur Organisation von Pride-Märschen in weiteren kleineren rumänischen Städten wie Timișoara, Cluj, Iași, Brașov und Oradea. Insgesamt nahmen im Jahr 2023 über 30.000 Menschen an Pride-Veranstaltungen in ganz Rumänien teil. Einen wichtigen Beitrag zu diesen Entwicklungen leisten die mittlerweile zahlreichen queeren Organisationen, die einen friedvollen intersektionalen Kampf im Zeichen der Solidarität führen. 

Hass boykottieren 

Dass dieser Kampf weiterhin geführt werden muss, zeigte ein umstrittenes Referendum zur Verfassungsänderung im Jahr 2018. Konservative forderten darin, die Ehe ausschließlich als Verbindung zwischen Mann und Frau neu zu definieren. In der ursprünglichen Fassung wird das geschlechtsneutrale rumänische Wort „soți“ verwendet, was so viel heißt wie „zwischen Ehepartner*innen“. Aus Angst der Konservativen, dies könnte eines Tages nicht-heteronormative Ehen erleichtern, forderten sie den Begriff „soti“ durch „Mann“ und „Frau“ zu ersetzen. Es ist eine unbegründete Angst, denn Artikel 277 der Verfassung verweist – sowohl damals als auch noch heute – ausdrücklich darauf hin, dass alle Formen der rechtlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare, wie Lebenspartnerschaften oder die Ehe, verboten sei. 2022 gab es in Ungarn und 2013 in Kroatien ebenfalls Referenden, die die Ehe auf Mann und Frau beschränken und die erfolgreich waren. In der Slowakei dagegen erreichte 2015 ein ähnliches Referendum nicht die notwendige Beteiligung. So schaffte es auch eine Boykott-Kampagne in Rumänien, die Durchsetzung des Referendums zu Verhindern. Die Botschaft der Kampagne: Liebe ist nicht zum Wählen da.  

Mit Diskriminierung hart ins Gericht gehen 

Die Kampagnen zeigten, dass die Spaltung der Gesellschaft immer noch groß ist. Als queere Gemeinschaft geeint zu sein, ist deswegen umso wichtiger, vor allem, weil wir oft nur einander haben. Der Staat erkennt uns nicht immer nicht als gleichberechtigte Bürger*innen mit gleichen Rechten an. Wir dürfen nicht heiraten oder Kinder adoptieren, und unsere Privatsphäre und Würde werden oft nicht geachtet. Heute haben es insbesondere trans Personen weiterhin schwer, ihr Geschlecht rechtlich anzuerkennen lassen und notwendige Gesundheitsversorgung zu erhalten. Es existiert bisher auch keine neutrale Sprache für nicht-binäre Personen in offiziellen Dokumenten. 

2018 urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass Rumänien die Rechte gleichgeschlechtlicher Ehepartner*innen im Rahmen der Freizügigkeitsgesetze anerkennen muss. Clai Hamilton, amerikanischer Staatsbürger, klagte, nachdem er keine Aufenthaltsgenehmigung in Rumänien erhielt, obwohl sein Ehemann Adrian Coman rumänischer Staatsbürger ist und damit auch ihm als Ehepartner die Einreise möglich sein sollte. Da Clai bis heute – trotz des Urteiles des EuGH – keine Aufenthaltsgenehmigung erhielt, legte das Paar Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein. Der Fall ist noch nicht abgeschlossen. „Wenn wir Rumänien verlassen, werden wir meist so akzeptiert wie wir sind. Umso schmerzlicher ist es, wieder nach Hause zu kommen und auf Missverständnis und Intoleranz zu stoßen“, fasst der serbische Künstler und Aktivist aus Timișoara, Adrian Oncu, ähnliche Erfahrungen zusammen. 

Ein weiterer wichtiger Fall wurde 2019 vor dem EGMR verhandelt, als 22 gleichgeschlechtliche Paare die rechtliche Anerkennung ihrer Beziehung in Rumänien forderten. Im Mai 2023 entschied der EGMR zugunsten der Liebenden und wies eine Beschwerde der rumänischen Regierung im August dieses Jahres zurück. Immer mehr Paare schließen sich nun dieser Forderung an. 

Kunst gegen Konformismus 

Mit Blick auf die Zukunft wollen wir uns also Optimismus erlauben. Im Jahr 2023 ist Timișoara Europäische Kulturhauptstadt und bei Identity.Education nutzen wir diese Gelegenheit, um auf die Anliegen der LGBTQIA+ Gemeinschaft aufmerksam zu machen. Wir sind der festen Überzeugung, dass Kultur und Kunst mächtige Instrumente zur Beeinflussung von Politik und öffentlicher Meinung sind. So veranstalteten wir ein Videokonzert am Kulturpalast in Timișoara, das auf die letzten 30 Jahre queere Geschichte zurückblickte und von eigens komponierter symphonischer Musik begleitet wurde. Der Ort des Videokonzerts hat außerdem eine besondere Bedeutung in der rumänischen Geschichte: Auf dem Balkon des Kulturpalastes 1989 wurde nämlich die Freiheit Timișoaras vom Kommunismus gefordert – eine Forderung, die sich wie ein Lauffeuer in Rumänien ausbreitete und schließlich zum Sturz des rumänischen Diktators Nicolae Ceaușescu führte. Als Titel wählten wir bewusst die Parole der Revolution „Libertate?“ (Freiheit?) mit einem Frage- statt Rufzeichen. Denn – in den Worten der queeren und Rom*nja-Aktivistin Alexandra Corcoveanu – sollten wir „Akzeptanz anstreben, nicht Toleranz. Toleranz bedeutet: Du kannst neben mir sitzen, aber halte Abstand. Wir können die gleiche Luft atmen, aber ich akzeptiere dich nicht als Person. Akzeptanz bedeutet hingegen die Werte der anderen zu akzeptieren und respektieren.“ 

Es ist nur eines von vielen Projekten, die wir neben Stadtführungen, Ausstellungen, Filmen, Vorträgen, Kabarett- und Drag-Shows sowie der Pride Parade mit 1.200 Menschen in diesem Jahr durchführten. Wir wollen damit zeigen, wie lebendig die Kultur und wie reich die Geschichte unserer Gemeinschaft ist. Unsere Geschichte ist die Geschichte Rumäniens. Sie zu kennen, ist befreiend. Es holt uns aus der Unsichtbarkeit heraus, in die uns Gesetze, Politik und Medien über Jahrzehnte gedrängt haben und gibt uns die Zuversicht, in Zukunft mit jenen, die wir lieben, in einer rechtlichen Partnerschaft zu leben, auf der Straße ihre Hände zu halten, ohne belästigt zu werden und schließlich auch irgendwann eine Familie zu gründen. 

 

Alexandra Caraman arbeitet in einer PR- und Kommunikationsagentur in Bukarest und ist Kommunikationsmanagerin bei Identity.Education. 
 

Alexa Cardaș arbeitet als Social-Media-Freelancerin mit Organisationen in den Bereichen Kultur, Kunst, Bildung, Psychologie, Fintech, Marketing und Medizin. 

„Begrenzte Selbstbestimmung muss auf dem Radar von uns allen sein“

Die Grundlagen der Europäischen Union sind Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte, einschließlich der Rechte von Minderheiten. Obwohl die Charta der Grundrechte der Europäischen Union kein ausdrückliches Recht auf Selbstbestimmung beinhaltet, hat sie konkrete Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung bestimmter Grundrechte bewirkt, die mit Selbstbestimmung zusammenhängen – etwa im Bereich der Gleichheit und Nichtdiskriminierung. 

Seit 2019 hat die Europäische Kommission eine Reihe von Gleichstellungsstrategien vorgelegt. Die EU-Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter (2020-2025) stellt politische und legislative Maßnahmen für ein geschlechtergerechtes Europa vor. Unser Ziel ist eine Union, in der Frauen und Männer, Mädchen und Jungen in all ihrer Vielfalt die gleichen Chancen zur Entfaltung haben. Gleichberechtigt sollen sie an unserer europäischen Gesellschaft teilhaben und sie in die Zukunft führen. Im Rahmen der Strategie zur Gleichstellung von LGBTIQ (2020-2025) will die Kommission die gesellschaftliche Akzeptanz von LGBTIQ-Personen erhöhen und rechtliche Hindernisse für ihre Gleichstellung beseitigen. Das geschieht u.a. durch die Förderung des Austauschs bewährter Praktiken zwischen den Mitgliedstaaten bezüglich der rechtlichen Anerkennung des Geschlechts. Die EU-Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2021-2030) enthält Maßnahmen, die sicherstellen sollen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben können, und zwar unter angemessenen Standards, die es ihnen ermöglichen, selbständig zu sein. 

Während sich Europa aufgrund der russischen Aggression in der Ukraine in einem schwierigen geopolitischen Kontext auf die nächsten EU-Wahlen im Juni 2024 vorbereitet, müssen wir erkennen, dass unsere Grundrechte nicht selbstverständlich sind. Darüber hinaus kann eine Demokratie ohne den Zugang zu zuverlässigen Informationen von unabhängigen Medien nicht existieren. Medienfreiheit und -pluralismus gewährleisten einen aktiven Kampf gegen die Manipulation demokratischer Debatten. Heutzutage wird die Fähigkeit der Medienunternehmen, sich selbst zu kontrollieren und ihr Recht auf Selbstbestimmung auszuüben, leider zunehmend durch politischen Druck und ungerechtfertigte Überwachung von Journalist*innen und ihren Quellen bedroht. Um die Unabhängigkeit und die stabile Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Medien zu sichern und das Risiko unzulässiger Eingriffe in die redaktionelle Freiheit zu mindern, haben wir den European Media Freedom Act vorgeschlagen.   

Begrenzte Selbstbestimmung aufgrund von Diskriminierung, Marginalisierung gefährdeter Gruppen und Bedrohungen des demokratischen Prozesses, einschließlich Desinformation, Hassverbrechen und Hassreden, muss auf dem Radar von uns allen sein. Es besteht dringender Bedarf an einem starken und erneuerten Engagement der verantwortlichen Akteur*innen, damit die Menschen ihre Grundrechte tatsächlich wahrnehmen können, auch online. Ich möchte den Autor*innen dieses Magazins für ihren Beitrag zu diesem gemeinsamen Unterfangen danken, indem sie sich anlässlich des 70-jährigen Bestehens des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) mit diesen wichtigen Themen befassen. 

 

Věra Jourová – Vizepräsidentin der Europäischen Kommission

Über die neue Anti-EU-Kampagne der ungarischen Regierung

Peter Techet sprach mit der französischen Tageszeitung „La Croix“ über die neue Kampagne, die die ungarische Regierung gegen Ursula von der Leyen und den Sohn von George Soros, Alex Soros lanciert hatte. Techet analysierte dabei auch die neuerliche Verfassungsänderung, welche einen ideologisch motivierten, verstärkten Schutz der „Souveränität“ vorsieht.

Der ganze Artikel steht nur Abonennt*innen frei zur Verfügung.

My Danube Story

On the occasion of the IDM’s 70th anniversary, we are looking back at the eventful history of the region, the river and its people – and we wanted to know what the Danube means to you! As part of the challenge #MyDanubeStory, people shared with us their experiences, stories and thoughts, and told us how the fluctuations of history in the Danube Region have touched their life.  

The result is this little book with 16 of the best stories we have received, each telling a unique story about the currents of life along the Danube. The reader can find personal travel reports, as well as stories about the struggles of generations living at the shores of the river. Some date further back into history, taking us behind the Iron Curtain, while others even dare a look to the future of Europe. 

The stories show how diverse the role of the Danube can be in history and in our personal lives. It is sometimes a border that divides, or one  to overcome. It can be a place of longing and escape or a new beginning. Always fluid, continuously flowing, regardless of wars, walls, personal victories and failures. The stories also show that the Danube can unite disparate parts to become one diverse whole. In the future, the Danube will hopefully continue to be just that: a connecting element between lives, friends, generations, peoples and countries – “our Donau, Dunaj, Duna, Dunav, Dunărea, Dunay”. 

Available to order online or at your local bookshop. 

Eines der drängendsten Themen unserer Zeit

Warum das österreichische Veto gegen den Schengen-Beitritt von Bulgarien und Rumänien aus vielen Gründen kurzsichtig ist, erklären Sophia Beiter und Sebastian Schäffer im Gastkommentar in DiePresse.

Lesen Sie es hier.

 

Der Gastkommentar wurde in internationalen Medien rezipiert:

Capital

EURACTIV.ro

MASZOL

NewsMoldova

DCNews

G4Media.ro

Young Leaders Transnational Reflection Event in Vienna

As a part of the EUact2 Project, the Institute for the Danube Region and Central Europe (IDM), in partnership with GLOBSEC, ELIAMEP, and European Movement Ireland, held a three-day Transnational Reflection Group event from 15-17 November 2023 in Vienna, Austria. The event gathered young leaders and professionals from 11 Member States, including Austria, Bulgaria, Czech Republic, Germany, Greece, Hungary, Ireland, Italy, Netherlands, Poland, and Slovakia. The aim of the event was to reflect on pressing matters for the EU today and in the next 20 years, while working to draft recommendations for the EU and national policymakers.

The working groups discussed the topics of climate, migration, digital transformation, and EU enlargement. The interrelatedness of these themes was a recurring consideration, and participants were eager to think cross-disciplinarily. The discussion was enriched by four keynote speakers with expertise in thematically related fields. These speakers represented research institutions, national governments, and intergovernmental organizations, and were able to provide a broad perspective on the current condition of the EU as well as possible futures.

Katalin Tünde Huber, Head of Unit for EU Enlargement at the Federal Ministry for European and International Affairs, outlined enlargement as the EU’s most effective strategic tool. She warned that there is “no vacuum in geopolitics,” and stressed the importance of not losing sight of the Western Balkans. The philosophical question, “Where does Europe end?” remains an ongoing debate at the highest level of EU politics.

Erika Piirmets, Digital Transformation Adviser at e-Estonia (online), and Julia Haas, Adviser to the OSCE Representative on Freedom of the Media, emphasized the need for transparent regulation of digital technologies. Reliable information should be the foundation, and goal, of digital advancement. The speakers made important connections between digitization and human rights, reminding participants that “technology is for humanity’s sake and not the other way around.”

Daniel Huppmann, Senior Research Scholar at the International Institute for Applied System Analysis, imparted the cautiously optimistic message that we have all the technologies we need to reduce carbon emissions, but the challenge lies in social transition. He linked energy transition to questions of climate justice, explaining that equity must always be at the forefront of societal change. He left participants with the thought-provoking reminder that change is not only about outcome, but about whether the change process mirrors the equitable world for which we strive.

Judith Kohlenberger, post-doctoral researcher at the Institute for Social Policy, University for Economics and Business (WU), discussed the complexity of managing migration in a way that accounts for the interests of EU member states, sending countries, and the migrants themselves. Maintaining EU-wide standards and control of migration is a continual challenge. Bilateral agreements and externalization practices risk worsening human rights violations against migrants. In the midst of these debates, scholars and policy analysts have the capacity to contribute to decision-making processes by presenting an empirical basis for lawmaking, exposing harmful narratives, and contextualizing the issue at large.

Education, communication, and public engagement were recurring topics of discussion within each thematic issue. Through their recommendations, the young leaders and professionals emphasized the importance of reliable information access, inclusive democratic participation, and active citizenship.