Good Governance: Ein Demokratiemotor für den Westbalkan?

Wie gut ein Staat funktioniert, zeigt sich oft anhand unserer Erfahrungen im Umgang mit Behörden und Ämtern. Thomas PROROK weiß um die Probleme des öffentlichen Sektors in den Westbalkanstaaten. Der Verwaltungsexperte erklärt, an welchen Schrauben gedreht wird und warum Eigeninitiative und Transparenz dabei wichtig sind.

Zwei Drittel der BürgerInnen der Westbalkan-Länder* vertrauen ihren Regierungen und Parlamenten nicht. 71 % geben an, dass die Regierungen Korruption nicht effektiv bekämpfen. Diese Zahlen stammen aus dem neuesten Balkan Barometer, das jährlich die öffentliche Meinung in Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien zu wichtigen Fragen von Politik und Wirtschaft erhebt. Es sind Zahlen, die nachdenklich machen, vor allem, weil sie sich in den letzten Jahren nicht verbessert haben. Gleiches gilt für die Worldwide Governance Indicators: Hier misst die Weltbank in fast allen Ländern der Welt verschiedene Aspekte der Regierungsführung und Verwaltung. Auf einer Skala von -2.5 (geringe Effektivität) bis 2.5 (hohe Effektivität) rangieren die Länder des Westbalkans im Kriterium Government Effectiveness bei -0,62 bis 0,01. Hierzu zählen zum Beispiel die Qualität der öffentlichen Services und des öffentlichen Dienstes. Der Vergleichswert Österreichs liegt bei 1,49. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Fragen der Rechtsstaatlichkeit und politischer Mitbestimmung.

Abwanderung der Unzufriedenen

Die wohl dramatischste Konsequenz dieser Entwicklungen ist die Abwanderung, von der die gesamte Region betroffen ist. Die Weltbank sowie das Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche haben zwischen 1989 und 2015 einen Bevölkerungsrückgang von 4,4 Millionen Menschen in der Region ausgemacht. Und das bei nur 18 Millionen BürgerInnen. Die Europäische Kommission hat die Problematik erkannt und 2020 eine EU-Erweiterungsstrategie für den Westbalkan inklusive Roadmap für das Funktionieren der demokratischen Institutionen und eine Verwaltungsreform präsentiert. Diese macht den Zusammenhang von funktionierenden demokratischen Strukturen und einer »guten« öffentlichen Verwaltung sichtbar: Good Governance ist ein wichtiges Fundament für die demokratische Prosperität eines Staates. Das KDZ-Zentrum für Verwaltungsforschung engagiert sich am Westbalkan gemeinsam mit seinen Partnern mit drei wichtigen Initiativen, die in der Folge kurz vorgestellt werden.

Zivilgesellschaft als Korrektiv

Das Projekt WeBER ist ein Zusammenschluss von zivilgesellschaftlichen Organisationen des Westbalkans, welche die Fortschritte der Verwaltungsreformen in der Region überprüfen. Dabei legt das von der EU unterstützte Projekt besonderen Wert auf die Sichtweisen von BürgerInnen und der Zivilgesellschaft. Es verwundert nicht, dass insbesondere Transparenz, Partizipation und Offenheit der Verwaltung eingefordert werden. Die Ergebnisse sind zum Teil ernüchternd: So finden nur 13 % der befragten zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Region, dass die Entscheidungsfindung ihrer Regierung im Allgemeinen nachvollziehbar ist. Ein spezifischer Fokus liegt auf der Haushaltstransparenz, die sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. In allen Ländern gibt es zwar Bestrebungen, die Transparenz der öffentlichen Budgets zu verbessern – in Nordmazedonien und im Kosovo wurden hierfür sogar bürgerfreundliche Haushaltsportale ausgebaut – aber nur in Nordmazedonien wird das Jahresbudget auch im Open-Data-Format veröffentlicht. Nichtfinanzielle Leistungsinformationen finden sich lediglich in dem Haushalt Albaniens und Ansätze von Bürgerbudgets gibt es nur in Montenegro. Als besonders problematisch stellt WebER fest, dass die Angaben von Montenegro und Serbien 2017 und 2018 weniger transparent waren als zuvor und auch nur wenige funktionale Informationen (z.B. Mittel für Soziales, Bildung, Gesundheit) bereitstellten.

Sichtbarmachen von Fortschritten

Mit dem Städteverband Südosteuropas wurde eine Onlineplattform aufgebaut, die erstmals für alle Länder des Westbalkans zeitnahe, genaue, zuverlässige und vergleichbare Indikatoren und Informationen zur lokalen Governance zugänglich macht. Die benutzerfreundliche Visualisierung komplexer Daten erlaubt es, die Fortschritte in der Dezentralisierung und der lokalen Selbstverwaltung zu überprüfen. Darüber hinaus ist sichtbar, welche Budgets für die Städte und Gemeinden zur Verfügung stehen, um wichtige öffentliche Leistungen wie Bildung, Kindergarten, soziale Hilfen und Infrastruktur für die BürgerInnen zu erbringen. Diese Transparenz-Plattform zeigt eindringlich, dass die kommunale Budgetautonomie abnimmt. Im Durchschnitt gingen die Einnahmen der Gemeinden in Südosteuropa zwischen 2015 und 2017 um 0,5 % zurück. Der Anteil, über den die Gemeinden autonom entscheiden können, verringert sich, während der Anteil von zweckgebundenen Zuschüssen ansteigt. Zentrales Problem ist das Generieren eigener Einnahmen, welches durch häufige Änderung der Rechtsrahmen sowie veraltete Register erschwert wird. Dadurch verliert die Regional- und Gemeindeautonomie als wichtiger Ausgleichsmechanismus im staatlichen Machtgefüge sukzessive an Bedeutung.

Transparenz und Partizipation bewerten

Vor nunmehr 20 Jahren haben sich die MinisterInnen für öffentliche Verwaltung der EUMitgliedsländer auf ein gemeinsames Instrument zur Qualitätsverbesserung ihrer Services geeinigt. Seither firmiert unter der etwas sperrigen Bezeichnung CAF (Common Assessment Framework – deutsch: Gemeinsamer Bewertungsrahmen) ein mächtiges, aber in der Öffentlichkeit wenig bekanntes, Werkzeug zur Verwaltungsreform. Bei diesem europäischen Ansatz geht es darum, dass öffentliche Verwaltungen, also Ministerien, Länder, Gemeinden, Sozialversicherungen sowie Verbände oder öffentliche Unternehmungen, selbstständig und andauernd einen Verbesserungsprozess initiieren. Das heißt, diese warten nicht auf den nächsten Aufruf zur Verwaltungsreform, sondern werden selber aktiv: Sie hinterfragen regelmäßig die internen Abläufe und digitalisieren schrittweise ihre Behörden, sie fördern die Personalentwicklung auf höchstem Niveau, sie leben Partizipation, Transparenz und arbeiten kundenorientiert. Das alles erfordert eine neue Kultur der Offenheit in der öffentlichen Verwaltung und Politik der Länder des Westbalkans. Dass der CAF ein wirksames Instrument zur Verwaltungsreform ist, zeigt auch die Europäische Kommission: Bei den Beitrittsverhandlungen überprüft die Kommission die Umsetzung der rechtsstaatlichen Grundlagen, zu denen auch die Maßnahmen zur Verwaltungsreform zählen. Dabei stellt die Kommission (genauer die SIGMA Initiative von OECD und EU) auch dezidiert die Frage, ob der Bewertungsrahmen eingesetzt wird. Mit der Regional School for Public Administration (ReSPA) hat das KDZ-Zentrum für Verwaltungsforschung deshalb ein umfassendes CAF-Programm initiiert. Dieses führte den Bewertungsrahmen als neues Instrument der Verwaltungsreform in Albanien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien ein. Gemeinsam mit den zuständigen Ministerien dieser Länder wurden mit Unterstützung der Austrian Development Cooperation in den letzten Jahren insgesamt 19 CAF-Initiativen umgesetzt.

Demokratiemotor Good Governance

Diese drei konkreten Initiativen zeigen, dass Reformen der öffentlichen Verwaltung in Richtung Good Governance zur Stärkung der demokratischen Strukturen beitragen können. Besonderes Potenzial haben neben der Festigung der Rechtsstaatlichkeit und Servicequalität hierbei der Ausbau von Transparenz und die Einbindung von BürgerInnen sowie der Zivilgesellschaft. Dies ist notwendig, um Vertrauen und Legitimität in Verwaltung, Staat und Demokratie zu stärken. Klar ist aber auch: Die öffentliche Verwaltung kann hier nur einen wichtigen Beitrag leisten. Demokratie muss jeden Tag neu erkämpft werden und hierfür bedarf es der ehrlichen Unterstützung durch die politischen AkteurInnen.

zählen jene Staaten Südosteuropas, die noch nicht Mitglied der Europäischen Union sind: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien.

 

Thomas Prorok ist stellvertretender Geschäftsführer des KDZ-Zentrum für Verwaltungsforschung. Seine Expertise umfasst seit 20 Jahren die Themen Verwaltungsreform, Dezentralisierung, lokale Selbstverwaltung und EU-Integration. Er ist Mitglied des Vorstandes des IDM und des Beirates der Regional School for Public Adminstration des Westbalkans (ReSPA). Seit 2015 leitet er das BACIDProgramm zum Aufbau von Verwaltungskapazitäten im Westbalkan und der Republik Moldau.

»Ich bin ein milder Optimist«

Mit der Kampagne »Eine Million Augenblicke für die Demokratie« brachte Mikuláš Minář in Tschechien einen Stein ins Rollen, der 2019 die größte Protestwelle seit der Wende auslöste. Der Schritt von der Bürgerinitiative zur Partei ist allerdings gescheitert. Im IDM-Interview mit Daniel MARTÍNEK erklärt der Aktivist, warum er dennoch zuversichtlich ist.

Wie kam es zu Ihrem politischen Engagement, Herr Minář?

Ich habe Philosophie, tschechische Sprache und evangelische Theologie studiert und war eigentlich ein ganz normaler Universitätsstudent. Dies änderte sich jedoch nach den Parlamentswahlen 2017 als einige FreundInnen und ich eine Petition zum Rücktritt des damals neuen tschechischen Ministerpräsidenten Andrej Babiš stellten. Zu meiner Überraschung stieß das Engagement auf große Resonanz. Unsere Petition erhielt hunderttausende Unterschriften. Über Nacht waren wir die berühmteste und einflussreichste Protestgruppe in der Tschechischen Republik – mit großem Einfluss und daher auch mit großer Verantwortung. Da sich die Situation in Tschechien weiter verschlechterte, wuchs die Bedeutung unserer Aktivitäten und es ging so weit, dass wir bei zwei Demonstrationen in Prag die Letná-Ebene füllten, den größten öffentlichen Platz in Tschechien.

Die Proteste führten nicht zum Rücktritt des Ministerpräsidenten. Im Dezember 2020 gründeten Sie dafür die politische Bewegung Lidé PRO. Mit welchem Ziel?

Ich habe immer gesagt, dass die Aktivitäten der Zivilgesellschaft und die Proteste etwas absolut Notwendiges sind. Sie müssen ihren Platz finden, denn wenn eine gewisse Veränderung stattfinden soll, muss sie von der aktiven Zivilgesellschaft ausgehen. Gleichzeitig stellte sich jedoch heraus, dass dies allein nicht ausreicht, da alles letztendlich auf der politischen Ebene entschieden wird. Was echte Veränderungen betrifft, so braucht es einen Wahlerfolg. Also versuchte ich, mit vielen anderen Menschen zusammen, eine politische Bewegung aufzubauen. Wir haben unsere Kandidatur jedoch davon abhängig gemacht, dass wir eine ausreichende Anzahl von Unterschriften erhalten, um deutlich zu machen, dass dies eine große Forderung ist und dass wir die politische Landschaft nicht fragmentieren werden. Das hat am Ende nicht geklappt, also haben wir unser Versprechen gehalten und kandidieren nicht.

Eine Wahlkampagne lebt vom direkten Kontakt zu den Menschen. Hat auch die Pandemie dazu beigetragen, dass es mit der Kandidatur nicht geklappt hat?

Ja, die Kampagne, die wir entwickelt haben, wäre unter normalen Umständen wahrscheinlich nicht so unrealistisch gewesen. Wir hatten geplant durch die Republik zu fahren und große Treffen mit Leuten auf den Plätzen abzuhalten. Es stellte sich als meine Stärke heraus, in direkten Kontakt mit Menschen einzutreten. Leider war unsere Kampagne aufgrund von COVID-19 und Lockdown so nicht möglich. Gleichzeitig hatte sich auch die soziale Atmosphäre im Land verändert. Die Leute zogen sich zurück, sie kümmerten sich um ihre eigenen Probleme, sie waren apathisch und müde. Unsere Wahlkampagne wäre nur erfolgreich gewesen, wenn wir eine bestimmte Welle in Bewegung hätten setzen können.

Wie kann man die Menschen für Themen wie Klimawandel, Globalisierung oder Digitalisierung interessieren?

Meiner Meinung nach gibt es mehrere Möglichkeiten. Ich bin in dieser Hinsicht optimistisch. Immer mehr Menschen interessieren sich und übernehmen Verantwortung für diese Angelegenheiten. Ich stelle fest, dass auf lokaler Ebene in verschiedenen Städten eine junge Generation politische Erfahrungen sammelt. Im Laufe der Zeit werden diese Menschen die Politik auch auf nationaler Ebene ändern. Wir merken schon jetzt, dass einige Parteien von unten aufgebaut wurden. Was wirklich wichtig ist, ist die Bildung. Es zeigt sich, dass Menschen diese Dinge erst verstehen müssen, um sich überhaupt dafür zu interessieren. Erst wenn sie verstehen, wie das politische System und die Institutionen funktionieren, können sie wirklich anfangen, etwas zu beeinflussen.

Was muss geschehen, dass sich dieses Interesse auch in der Politik widerspiegelt?

Die vor uns liegenden Herausforderungen sind so groß, dass wir definitiv eine große Demokratisierung der Öffentlichkeit durchlaufen müssen. Die Menschen müssen sich wirklich massiv für die Probleme interessieren und anfangen, Druck auf PolitikerInnen auszuüben bzw. selbst in die Politik einzutreten. Ohne anständige Menschen in der Politik entstehen schwache politische Parteien, in denen jene die Hauptrollen übernehmen, die nicht dienen und helfen, sondern einfach Einfluss, Macht und Geld erlangen wollen. Dann degeneriert natürlich das ganze System. Ich bin in dieser Hinsicht ein milder Optimist. Ich habe das Gefühl, dass sich die Zeiten langsam ändern, und ich hoffe, dass sich dieser Trend fortsetzt. Wir werden tatsächlich eine Renaissance des bürgerschaftlichen Engagements, des bürgerlichen Interesses und der politischen Parteien erleben.

Ihr Rettungsplan für die Demokratie heißt also bürgerliches Engagement?

Die Hauptidee der Bewegung war eigentlich, dass wir, wenn wir die Demokratie retten und wiederherstellen wollen, nicht einen Helden oder ein paar Heldinnen brauchen, die alles opfern, sondern eine große Anzahl gewöhnlicher BürgerInnen, kleine HeldInnen. Es geht darum, Momente für die Demokratie zu finden – mit kleinen Dingen, wie die tägliche Arbeit auf lokaler Ebene, Interesse zeigen, sich ausdrücken, sich weiterbilden, mit Menschen sprechen. In der Summe haben diese kleinen Beiträge dann das Potenzial, die Gesellschaft zu verändern. Ich habe das Gefühl, dass das teilweise gelungen ist, als in Folge der Letná-Demonstrationen Hunderte von Menschen anfingen, sich politischen Parteien anzuschließen, sich freiwillig zu engagieren und in verschiedenen Verbänden aktiv zu werden. Aus einer so aktiven Zivilgesellschaft wächst Demokratie, sie wächst zu politischen Parteien. Ohne diesen starken Boden hätte die Demokratie in Tschechien am Ende nachgelassen. Ich hoffe also, dass sich dieser Trend verstärkt und wir eine Wiederbelebung sehen. Ich glaube, dass sich die Stärke der Zivilgesellschaft gegen die autoritären Kräfte beweisen wird.

Wie wird es konkret mit der Bewegung »Eine Million Augenblicke« weitergehen?

Die Bewegung ist für mich weiterhin eines der wichtigsten Dinge, auch nachdem ich meinen Vorsitz abgegeben habe. Ich finde es wichtig, dass sie nicht an eine Person gebunden ist und ihre Zukunft nicht mit mir steht und fällt. Ich wünsche mir, dass die Bewegung zu einer Art Institution wird, die noch zehn, zwanzig Jahre aktiv die Regierenden kontrollieren wird, um festzustellen, ob sie die Regeln befolgen. Zusätzlich soll sie das bürgerschaftliche Engagement weiter fördern. Ich wünsche mir, dass die Bewegung weiterhin andere Menschen motiviert, bürgerlich und gesellschaftlich aktiv zu werden, wichtige demokratiebezogene Feiertage zu feiern und sich sowohl auf lokaler als auch auf nationaler Ebene zu engagieren.

Was sind Ihre persönlichen Pläne?

Ich glaube nicht, dass ich alles erfüllt habe, weil dieser Aktivismus niemals enden kann. Ich denke, es ist eine kontinuierliche Aufgabe, deshalb würde ich gerne wieder studieren. Gleichzeitig werde ich das Geschehen wohl weiter kommentieren und es wird andere Möglichkeiten geben, Menschen zu motivieren, Verantwortung zu übernehmen und jetzt aktiv zu werden.

(Aus dem Tschechischen übersetzt von D. Martínek)

 

Daniel Martínek M.A. ist Doktorand an der Westböhmischen Universität in Pilsen (Tschechien) und arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) in Wien.

Mikuláš Minář (geboren 1993) ist ein Bürgeraktivist. 2018–2020 war er Vorsitzender der Bürgerbewegung »Eine Million Augenblicke«, die er zusammen mit anderen Studierenden gegründet hatte, mit dem Ziel »die demokratische Kultur, das bürgerschaftliche Engagement und die öffentliche Debatte in der Tschechischen Republik zu unterstützen und zu pflegen«. Er war Mitbegründer der politischen Bewegung Lidé PRO, die aber für eine Kandidatur bei den Parlamentswahlen 2021 zu wenig der dafür benötigten Unterschriften erhielt.

Marietta Le – Ein Gesicht der neuen Stadtpolitik in Budapest

Seit 2019 wird die ungarische Hauptstadt von einem grün-liberalen Bürgermeister regiert. Wie sich der politische Wechsel in der Stadtverwaltung widerspiegelt, veranschaulicht der Politikwissenschaftler Tobias SPÖRI anhand der Veränderungskraft von QuereinsteigerInnen wie Marietta Le.

Seit den Lokalwahlen im Herbst 2019 hat sich einiges in der ungarischen Hauptstadt Budapest gewandelt. Der bis dahin regierende István Tarlós (Fidesz) wurde nach zwei Amtsperioden in einer knappen Wahl von Gergely Karácsony abgelöst. Karácsony trat als Spitzenkandidat einer »Anti-Fidesz«-Koalition an, die neben seiner grünen Partei »Dialog für Ungarn« auch eine Reihe an liberalen, grünen und sozialdemokratischen Parteien umfasst. Um einen erneuten Sieg von Fidesz zu verhindern, verzichtete sogar die extrem rechte Jobbik-Partei auf die Nominierung einer eigenen Person und trug somit zum Erfolg von Karácsony bei. Karácsony erzielte bei der Wahl 50,9 % der Stimmen. Amtsinhaber Tarlós landete mit 44,1 % auf dem zweiten Platz.

»Ein besseres, offeneres Budapest«

Parteiübergreifende Koalitionen gegen die auf nationaler Ebene regierende Fidesz sind im immer autoritärer werdenden Ungarn keine Seltenheit mehr. Vielmehr ist es bemerkenswert, was sich seit der Wahl 2019 in Budapest demokratiepolitisch getan hat. Die Stadt setzt nun vermehrt auf die Beteiligung der Bevölkerung und implementiert eine Reihe neuer demokratiepolitischer Projekte, wie etwa einen Klimarat oder einen BürgerInnenhaushalt. Mitangestoßen hat das Marietta Le. Sie ist seit Jänner 2020 die Beraterin des Bürgermeisters zum Thema politische Partizipation und leitet seit November 2020 auch die entsprechende Abteilung.

Ein Gesicht des Wandels

Marietta Le steht für eine neue Generation von Menschen, die seit der Wahl 2019 in der städtischen Verwaltung von Budapest arbeiten. Sie studierte Kommunikationswissenschaft an der Budapester ELTE-Universität sowie Soziologie und Sozialanthropologie an der Central European University, die mittlerweile von Ungarn nach Wien zwangsübersiedelt ist. Marietta Le hat keine klassische Karriere in der Verwaltung hinter sich, sondern ist als Quereinsteigerin in die Stadtverwaltung gekommen. Nach einer kürzeren Periode als Journalistin gründete sie 2012 das Online-Tool Járókelő (zu deutsch: FußgängerIn). Dieses ermöglicht der Bevölkerung Straßenschäden zu fotografieren und den Behörden umgehend zu melden. Durch diese Art der digitalen Beteiligung, auch Crowdsourcing genannt, können die BürgerInnen selbst dazu beitragen, Mängel in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zu beheben. Zudem arbeitete Le auch in Großbritannien für Unternehmen, die auf ähnliche Aspekte sogenannter Schwarmintelligenz, digitaler Kommunikation und auf die direkte Zusammenarbeit von Bevölkerung und Behörden setzen.

Demokratische Innovationen in Budapest

Ihre Erfahrungen und Kompetenzen aus dem digitalen Aktivismus und der urbanen Stadtplanung setzt Le nun für die Stadt Budapest ein. Diese hat sich nach der Wahl 2019 das Ziel gesetzt, sich mehr um die Bedürfnisse der Bevölkerung zu kümmern, deren Anliegen aktiv anzuhören und die Stadt generell »klimafit« zu machen. So ist es wenig überraschend, dass eines der ersten politischen Projekte des grünen Bürgermeisters die Errichtung von neuen Radwegen in der Stadt war. Dies war jedoch erst der Auftakt, um die Stadt für viele lebenswerter zu machen. Wenn Marietta Le über ihre Arbeit spricht, fällt oft der Begriff »partizipative Wende«, die sie stark selbst miteingeleitet hat. Um über die lokalen Auswirkungen des Klimawandels zu debattieren und auch Lösungsvorschläge zu finden, wurde ein Klimarat bestehend aus BewohnerInnen Budapests eingerichtet. Dafür versendete die Stadt 10.000 Einladungen an repräsentativ ausgewählte BewohnerInnen der Stadt. Von diesen meldeten 350 ihr Interesse an der Mitarbeit am Klimarat an. 50 Personen wurden schließlich von der Stadt ausgewählt. Gemeinsam debattierten sie dann Probleme und arbeiteten an Lösungen, so dass sich die Bevölkerung direkt an der Klimapolitik der Stadt beteiligen konnte. Ein zweites städtisches Projekt zur Förderung politischer Beteiligung bildet die Einrichtung eines Haushaltes für BürgerInnen. Dieser umfasst für die Jahre 2020 und 2021 eine Billion Forint, was etwa 2,76 Millionen Euro entspricht. Über diesen Haushalt können die BürgerInnen in gewisser Weise selbst verfügen: In einer Einreichungsphase gingen fast 700 Vorschläge von Seiten der Bevölkerung ein. Im Mai 2021 wurde dann über knapp 300 Vorschläge, die die Kriterien erfüllten, online abgestimmt. Viele Vorschläge betrafen städtische Infrastrukturprojekte wie öffentliche WCs, Zebrastreifen, Radwege und die Begrünung der Stadt.

Motivation für den Wandel

Marietta Le ist mit den bisherigen Erfolgen noch nicht zufrieden, viele weitere Projekte mit direkter Beteiligung der Bevölkerung sollen folgen. Die Unzufriedenheit liegt einerseits an der CoronaPandemie, die den Plänen einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, da sich die BürgerInnenräte physisch treffen sollten, um besser debattieren zu können. Anderseits ist Marietta Le unzufrieden, da sie noch viele Baustellen in der Stadtverwaltung sieht, wie beispielsweise die NutzerInnen-Freundlichkeit der Homepage der Stadt. Gemeinsam mit Bürgermeister Karácsony und der Stadtverwaltung verfolgt sie das Ziel, die Stadt weiter umzugestalten, neue Formate auszuprobieren und somit auch das Vertrauen der Bevölkerung wiederherzustellen. Dieses ist in vielen zentralund osteuropäischen Staaten geringer ausgeprägt als etwa in Österreich. Über die konkreten Auswirkungen der neuen Beteiligungsformate auf das Vertrauen der Bevölkerung kann das zuständige Team noch keine Auskunft geben, da die wissenschaftlichen Evaluationen noch laufen. Sie berichtet aber über viele positiven Rückmeldungen aus der Bevölkerung, die freudig überrascht sind, sich an der Stadtpolitik beteiligen zu können und auch von der Stadt gehört zu werden. An Motivation und Ideen mangelt es Marietta Le nicht. Sie arbeite für die Menschen Budapests, betonte sie in einem Gastvortrag an der Universität Wien im April. Wer ihr zuhört, merkt, dass es sich in ihrem Fall um keine leere Floskel handelt.

Plattform für FußgängerInnen

Video-Aufzeichnung der IPW-Lecture »Budapest’s Vision of Citizen Engagement«. M. Le zu Gast am Institut für Politikwissenschaften der Universität Wien.

 

Dr. Tobias Spöri ist Mitglied der Forschungsgruppe Osteuropastudien der Universität Wien und lehrt am dortigen Institut für Politikwissenschaft zu Demokratisierung, politischer Partizipation sowie Zentralund Osteuropa. Er forscht zudem als Research Fellow am Berliner Think Tank d|part und ist in verschiedenen Projekten zu Demokratie und politischer Bildung aktiv.

»Politik kann nicht länger business-as-usual sein.«

Eine gut funktionierende Demokratie basiert vor allem auf einem Vertrauensverhältnis. Vertrauen zwischen PolitikerInnen und BürgerInnen und Vertrauen zwischen den Generationen. Seit meiner Zeit als Bürgermeisterin von Dubrovnik, als ich Kinderräte für die demokratische Beteiligung einrichtete, engagiere ich mich für die Befähigung und das Engagement der BürgerInnen. Sie sind kein Objekt der Demokratie, sondern Teilnehmende. Aktive Bürgerbeteiligung sollte immer mit kritischem Denken und Beratschlagung (Deliberation) einhergehen. Sie ist Teil unserer Grundrechte und Werte. Wir dürfen uns nicht von denen entmutigen lassen, die ein Machtmonopol aufrechterhalten wollen und sich weigern anzuerkennen, dass sich unsere Demokratie weiterentwickeln muss, um zu überleben und stärker zu werden. BürgerInnen wollen – über Wahlen hinaus – ein größeres Mitspracherecht in der Demokratie haben. Die Politik kann nicht länger business-as-usual sein. Es ist ausschlaggebend, dass wir als EntscheidungsträgerInnen und BürgerInnen den Mut haben, unsere Demokratie und ihre Mechanismen konsequent zu überprüfen, um zu sehen, wie wir sie verbessern können, von unten nach oben. Sie selbst ist nicht statisch und entwickelt sich ständig weiter. Wir müssen unsere Demokratie »fit für die Zukunft« machen. Die Konferenz über die Zukunft Europas ist ein Teil der Antwort auf diese Herausforderung.

Bürgerbeteiligung und insbesondere Deliberation können dazu beitragen, demokratische Eigenverantwortung für den öffentlichen Raum zu schaffen, was unsere repräsentative Demokratie stärkt und sie auf die Bedürfnisse der BürgerInnen besser reagieren lässt. Politik ist ihrem Wesen nach keine Einbahnstraße und sollte nicht im luftleeren Raum stattfinden, da dies Platz für das Aufkommen extremerer Narrative schafft.

Durch die Konferenz über die Zukunft Europas beraten und engagieren sich die EuropäerInnen miteinander und mit den politischen EntscheidungsträgerInnen, um die Zukunft der Europäischen Union so zu gestalten wie sie es wollen. Durch die drei »P«, die digitale Plattform (futureu.europa.eu), die Podiumsdiskussionen und die Plenarsitzungen, kann jede und jeder – in den vierundzwanzig offiziellen Sprachen der Europäischen Union – daran teilnehmen. Bis zum Frühjahr 2022 wird die Konferenz zu Ergebnissen kommen. Neu ist, dass sie anschließend auf der Grundlage der Beiträge der BürgerInnen Vorschläge für die Art von Europa machen wird, die wir uns für die Zukunft wünschen, daher ist es wichtig, dass sich alle daran beteiligen. Die Konferenz ist eine historische, noch nie dagewesene Übung in deliberativer Demokratie auf europäischer Ebene. Heute sind es nicht die PolitikerInnen allein, die die Zukunft der EU gestalten. Durch die Konferenz über die Zukunft Europas stellen wir die BürgerInnen ins Zentrum der politischen Entscheidungsfindung in der Europäischen Union. Sie ist für die BürgerInnen konzipiert und hängt von ihnen ab. Die Zukunft liegt in Ihren Händen. Verschaffen Sie Ihrer Stimme Gehör.

 

Dubravka Šuica, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission

Drang nach Demokratisierung in Georgien

Die GeorgierInnen wollen vom Rand Europas in die Mitte der Union. Trotz guter Beziehungen zu EU-Mitgliedsländern wie Österreich kämpft das Land am Kaukasus mit territorialen und gesellschaftlichen Konflikten. Was verspricht der Ausweg nach Europa? Info Europa-Autor Jack GILL mit einem Plädoyer für mehr EU in Georgien und umgekehrt.

Während viele Länder in Europa heute jenen Frieden sowie jene Stabilität und Sicherheit genießen, die mit einer demokratischen Regierung, guter Nachbarschaft und der EU-Mitgliedschaft einhergehen, ist die liberale Demokratie für ein Land am äußersten Rand Europas eine neue und sensible Entwicklung, die vor ernsthaften Herausforderungen steht: Georgiens junge Demokratie, die in diesem Frühjahr 30 Jahre Unabhängigkeit von der Sowjetunion feierte, bleibt anfällig für Bedrohungen aus dem In- und Ausland.

Als Georgien unabhängig wurde, hatten die Jahrzehnte des Sowjetkommunismus eine politische Kultur hinterlassen, die von Korruption auf allen Ebenen durchsetzt war. Die nachfolgenden russischen Versuche der Einflussnahme, führten zur Invasion und Besetzung des Landes. Seitdem kämpft Georgien um den Aufbau einer erfolgreichen liberalen Demokratie und um die »Rückkehr« nach Europa. Eingegrenzt von autoritären Nachbarn und mit internen Gefahren konfrontiert, kämpfen die BürgerInnen für ihre Demokratie und suchen Unterstützung in Europa.

Gefahren für die Demokratie

Von außen versucht der politische Einfluss den von Georgien gewählten westlichen Weg zu untergraben, während der Konflikt in Berg-Karabach, kaum 200 Kilometer von der georgischen Hauptstadt Tbilisi (früher: Tiflis) entfernt, erst vor wenigen Monaten erneut eskalierte. Die besetzten Gebiete Abchasien und Südossetien haben die politische und wirtschaftliche Entwicklung Georgiens behindert und bleiben eine offene Wunde für alle Beteiligten. Diese ungelösten »eingefrorenen« Konflikte (frozen conflicts) hindern das Land daran, seine wichtigsten außenpolitischen Ziele zu erreichen: den Beitritt zur Europäischen Union und zum Nordatlantikpakt (NATO). Doch die Gefahren drohen nicht nur von außerhalb. Die Regierungspartei »Georgischer Traum«, die inoffiziell von dem aus Russland stammenden Milliardär Bidsina Iwanischwili geführt wird, hatte kürzlich den Führer der wichtigsten Oppositionspartei verhaften lassen. Die politische Polarisierung, die in der georgischen Gesellschaft weit verbreitet ist, gleicht nun einer Fehde. Auf lokaler Ebene ist die Grenze zwischen Staat und politischer Partei verwischt, so dass die Regierungsparteien administrative und kommunale Ressourcen nutzen können, um Wählerstimmen zu erlangen. Dieser indirekte Einfluss, bei dem staatliche Leistungen als Gefälligkeiten wahrgenommen werden, dringt tief in das Gefüge des politischen Prozesses ein und behindert die demokratische Entwicklung.

AkteurInnen der Demokratisierung

Trotz der überwältigenden Hindernisse gibt es in Georgien viele AkteurInnen, die entschlossen weiter für die Demokratie und Georgiens Platz in Europa kämpfen. Zivilgesellschaftliche Organisationen arbeiten mit europäischen und nordamerikanischen Organisationen zusammen. Eine davon ist das Europa-Georgien-Institut (EGI) mit Sitz in Tbilisi. Das EGI trägt zur Stärkung der georgischen Demokratie bei, indem es etwa mit europäischen Partnern zusammenarbeitet und daraus nicht nur Inspiration, sondern auch Techniken, Praktiken und Fachwissen bezieht. »Die Hauptidee hinter der Gründung des Instituts war es, Georgiens postsowjetischen Übergang zu unterstützen und neue Ideen zu generieren und zu fördern«, so dessen Präsident George Melaschwili im Interview mit Info Europa. Dabei gehe es vor allem darum, jenes »sowjetische und postsowjetische Erbe zu überwinden, das wir leider bis heute ertragen müssen«. Bildung ist ein Schlüsselaspekt der EGI. Ihre Programme sollen es vor allem jüngeren GeorgierInnen ermöglichen, sich in demokratische Initiativen einzubringen und den Wert demokratischer Praktiken zu verstehen. »Wir sind der festen Überzeugung, dass die Jugendarbeit der wichtigste Weg ist, den Generationenwechsel und auch die Erneuerung der Eliten in der Wirtschaft, der Wissenschaft und vor allem in der Politik sicherzustellen.« Die EGI hat innerhalb von fünf Jahren ein starkes Netzwerk von etwa 500 Menschen aufgebaut und viele der AbsolventInnen ihres Programms sind heute in Führungspositionen in politischen Parteien. Diese Menschen wollen »ihren Einfluss und ihr Gewicht vergrößern, sie unterstützen westliche Werte und haben wichtige Rollen bei pro-demokratischen Protesten gespielt.« Melaschwili hat die demokratische Entwicklung seines Landes zu seiner Mission gemacht. Er ist um die Welt gereist, um Erfahrungen zu sammeln, die seiner Meinung nach auch für Georgien wertvoll sein können. Eine davon ist das Modell der schnellen wirtschaftlichen Entwicklung Südkoreas nach dem Koreakrieg und die erfolgreichen außenpolitischen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Melaschwili zieht auch das Beispiel Israels heran, um Lehren für die nationale Sicherheit zu ziehen, weist aber darauf hin, dass ihm vor allem die wirtschaftliche Entwicklung wichtig sei. »Mein Hauptinteresse gilt den Lehren, die wir aus der internationalen Entwicklung und den internationalen Beziehungen ziehen können, und wie wir diese Erfahrungen dazu nutzen können, den Übergang und das wirtschaftliche Leben in Georgien zu fördern. Denn ohne eine starke Wirtschaft ist es heute fast unmöglich, an die Entwicklung von Institutionen zu denken.«

Mehr EU in Georgien, mehr Georgien in der EU

Als Georgiens größter Handelspartner spielt die EU eine immer wichtigere Rolle in der georgischen Gesellschaft. Obwohl sich die größeren Nachbarn oft in die inneren Angelegenheiten des kleinen Landes eingemischt haben, zeigt der jüngste Besuch des Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, und seine Vermittlung in der politischen Krise vom September 2020 die konstruktive Rolle, die die EU in Georgien spielt. Im Vergleich dazu, so Melaschwili, war es in den 1990er Jahren Russland, das in Georgien intervenierte, was zu gewaltsamen Konflikten und Bürgerkrieg führte.

Im Jahr 2014 unterzeichneten Georgien und die EU ein Assoziierungsabkommen, das eine weitreichende und umfassende Freihandelszone und visafreies Reisen für GeorgierInnen in den Schengen-Raum vorsieht. Seitdem kann das Land die Vorteile des Zugangs zum EU-Binnenmarkt und verbesserte Reisemöglichkeiten nutzen. Auch die Bildungschancen haben sich erweitert und viele GeorgierInnen können nun an ErasmusProgrammen teilnehmen. Solche Partnerschaften sind genauso symbolträchtig wie nützlich. Auch mit Österreich gibt es Erasmus-finanzierte Partnerschaften, etwa mit der Universität Innsbruck im Bereich der Friedens- und Konfliktforschung, wodurch Fachwissen in diesem für Georgien äußerst relevanten Bereich ausgetauscht wird.

Österreichisch-georgische Beziehungen

Die Beziehungen zwischen Österreich und Georgien haben eine lange Tradition. Die Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner lebte viele Jahre in Georgien, bevor sie nach Europa zurückkehrte. In jüngerer Zeit hat Österreich große Investitionen in die georgische Wirtschaft getätigt, unter anderem im Skigebiet Gudauri, das heute Skifahren auf hohem Niveau bietet. Der steigende Einfluss wirkt sich insgesamt positiv auf die Entwicklung Georgiens aus. Dass das Land die westliche liberale Demokratie als Entwicklungsmodell gewählt hat, zeigt sein tief verwurzeltes Bedürfnis, das postsowjetische Erbe hinter sich zu lassen. Obwohl es manchmal an europäischen demokratischen Standards mangelt und mit Problemen der Korruption zu kämpfen hat, ist Georgien nie von seinem Bekenntnis zur europäischen Integration abgewichen. Österreich war darin ein unterstützender Partner, der in die Wirtschaft investierte, Austauschprogramme finanzierte und die politische Zusammenarbeit förderte. Doch der europäische Weg Georgiens kann vorerst nur so weit gehen, wie es die andauernden territorialen Streitigkeiten erlauben. Bisher muss die demokratische Entwicklung außerhalb der Sicherheit von EU und NATO stattfinden.

Jack Gill ist Experte und Autor für internationale Angelegenheiten am Südkaukasus. Er hat einen gemeinsamen MasterAbschluss in Mittel- und Osteuropäischen, Russischen und Eurasischen Studien der Universitäten von Glasgow, Tartu und der Ilia State University, Tbilisi. Er hat bei der Organisation der nicht repräsentierten Nationen und Völker (UNPO) in Brüssel gearbeitet, wo er sich mit Minderheitengruppen aus aller Welt beschäftigte. Seit Sommer 2020 lebt er in Österreich.

IDM Short Insights 12: Lukashenka’s plane hijack to arrest a journalist

On Sunday, May 23 the Lukashenka regime forced a civil plane to land in Minsk due to an alleged bomb threat. Authorities arrested the Belarusian activist Roman Protasevich and his girlfriend for alleged involvement in terrorism and incitement of public disorder as he was covering the opposition protests following Lukashenka’s rigged election in August 2020. EU ministers imposed further targeted sanctions and restricted air traffic over Belarus. Lisa Behrens (IDM) comments on the recent events and on the questions we as Europeans should ask ourselves concerning the situation in Belarus.

Rumänien ein halbes Jahr nach den Parlamentswahlen 2020

Online Podiumsdiskussion veranstaltet vom IDM in Kooperation mit der Politischen Akademie und dem Karl-Renner-Institut

Begrüßungsworte

Mihai-Razvan Ungureanu, ehemaliger Ministerpräsident Rumäniens, Projektmitarbeiter am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM)

 

Briefing über die aktuelle Lage in Rumänien Carmen Bendovski, Projektmitarbeiterin am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM)

 

Podiumsdiskussion

Kurt Scharr, Historiker an der Universität Innsbruck

Dana Trif, Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei dem Center for the Study of Democracy, Cluj-Napoca

Janka Vogel, Românissimo, Sozialpädagogin und Rumänistin mit Schwerpunkt Migration, Berlin

 

Moderation

Sebastian Schäffer, Geschäftsführer des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM)

 

Weitere Informationen zu der Onlinediskussion inklusive das Briefing über die Lage in Rumänien finden Sie auf https://www.idm.at/veranstaltungen

Belarus_ Tichanowskaja

Demokratische Lösung für Belarus? Ein langer Weg in die Freiheit

Ein Bericht von Lisa Behrens von einem Arbeitstreffen mit Swetlana Tichanowskaja und ihrem Team in der Diplomatischen Akademie in Wien am 27. April 2021.

 

Als Swetlana Tichanowskaja gemeinsam mit ihrem Team den Festsaal der Diplomatischen Akademie in Wien betritt scheint es, als wäre für das seit August 2020 protestierende belarussische Volk noch lange nichts verloren. Die seit August über 55.000 Inhaftierten, das langsame Abebben der Proteste gegen das repressive Regime Lukaschenkas und die ständige Angst der Zivilbevölkerung verkörpern Ausweglosigkeit. Und doch strahlt Tichanowskaja Entschlossenheit aus, als sie von den längsten anhaltenden Protesten in der Geschichte von Belarus und den Zielen und Visionen ihrer Bewegung berichtet.

 

Gemeinsam mit ihrem Team will sich Tichanowskaja für friedliche Proteste und eine Übergangszeit mit Neuwahlen im Herbst diesen Jahres einsetzen. Die Folgen der Maidanproteste in der Ukraine hätten gelehrt, eine Politik zu vermeiden, die die belarussische Gesellschaft spalten könnte. Die größte Hoffnung liege in der Unterstützung der OSZE und der Initiierung eines Mediationsprozesses zwischen belarussischer Zivilgesellschaft und Vertreter:innen des Regimes. Die einzige Verhandlungsbedingung dafür sei die Freilassung der 257 politischen Gefangen, die noch heute in belarussischen Gefängnissen inhaftiert sind, zumal Covid-19 durch die Rotation von erkrankten Gefangenen als Waffe gegen politisch Inhaftierte eingesetzt werde.

 

Insbesondere der bisher ausstehende Dialog mit der russischen Regierung sei zentral für die weiteren Schritte der Bewegung. Aufgrund ihrer historischen, kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen, politischen und militärischen Beziehungen, gilt Belarus als engster Verbündeter Russlands. Im Gespräch betont Tichanowskaja die abnehmende Zustimmung ihrer Anhänger:innen für den Kreml, welcher das repressive Regime Lukashenkas am Leben halte. Nichtdestotrotz unterstreicht sie den Wunsch, auch in Zukunft konstruktive Beziehungen mit dem russischen Partner zu pflegen. Die russische Regierung habe schließlich ein Interesse an Verhandlungen, da ein stabiler und verlässlicher Nachbar nicht nur ein Überschwappen der Proteste nach Russland verhindere, sondern auch mit Anerkennung durch die internationale Gemeinschaft verbunden sei. Oft genug habe Lukashenka sich als komplizierter Partner für Russland erwiesen, sodass es in den letzten Jahren regelmäßig zu politischen Spannungen zwischen beiden Staaten gekommen sei. Der bestehende Rückhalt der russischen Regierung stelle auch eine sichere Fluchtmöglichkeit für Anhänger:innen der OMON Sicherheitskräfte dar. Anders als während der ersten Protestmonate sei nur noch eine geringe Anzahl an Überläufern offiziell zu verzeichnen. Dies habe auch mit der Angst vor Bestrafung und einhergehendem Wohlstandsverlust zu tun. Tichanowskaja verspricht eine Aussetzung der Bestrafung für Angehörige des Sicherheitsapparats, welche keine schweren Verbrechen begangen haben sowie einen fairen Prozess im Fall von solchen.

 

Wieder und wieder erinnert Tichanowskaja daran, dass sich der Unmut, die Angst und die Enttäuschung der belarussischen Gesellschaft nach 27 Jahren Lukashenka nicht einfach in Luft auflösen wird. Schon nach den Präsidentschaftswahlen 2010 stand man vor einer ähnlichen Situation. Nun sei es notwendig, aus den eigenen Erfahrungen zu lernen und sich nachhaltig für eine systemische Veränderung einzusetzen.

 

Oft seien sie kritisiert worden, dass die Proteste nicht gewalttätig genug seien. Dass es längst ein freies Belarus geben würde, hätte man drastischere Mittel als den gewaltfreien Protest gewählt. Wie herausfordernd es wirklich ist, bei so viel Unmut und Repression, Proteste gewaltfrei zu halten, vergisst sich in der glücklichen Welt der demokratischen Staaten schnell.

 

Als drittgrößter Investor in Belarus und neutraler Staat kann auch Österreich eine entscheidende Mediationsplattform für Belarus bieten, individuelle und gezielte Wirtschaftssanktionen für die sensibelsten belarussischen Exporte in die EU unterstützen, die finanzielle Unterstützung staatlicher Banken in Belarus hinterfragen sowie transparent über verhängte Internetsperrungen durch österreichische Kommunikationsanbieter sprechen.

 

Wir sollten mehr tun, als nur die Daumen für ein Ende der Repressionen zu drücken. Auch wenn es stiller um Belarus wird, verbreitet Tichanowskajas Vision der in der Politik sonst unüblichen Idee von gesellschaftlicher Einheit als treibende Kraft und einem freien, geeinten Belarus Hoffnung. Eine Hoffnung, die im besten Fall auch den Belaruss:innen die Möglichkeit bietet in eine bessere Zukunft zu blicken.

 

Foto: Lisa Behrens

IDM Short Insights 11: Side effects of vaccine diplomacy in Slovakia

In March 2021, exactly one year since the assuming of the office after an overwhelming victory in 2020 parliamentary elections, instead of celebrating, Igor Matovič had to deal with the dissolution of his own government. What role can the vaccine diplomacy play in the domestic politics and what can be expected from the new Slovakian government? Daniel Martínek (IDM) describes the recent political storm in Slovakia and analyses the causes of the crisis.

 

Parlamentswahlen in Bulgarien (März 2021)

Online Podiumsdiskussion veranstaltet vom IDM in Kooperation mit der Politischen Akademie und dem Karl-Renner-Institut

 

Begrüßungsworte

Gerhard Marchl, Leiter der Abteilung Europäische Politik, Karl-Renner-Institut

 

Briefing über die aktuelle Lage in Bulgarien Velina Tchakarova, Direktorin des Austria Instituts für Europa- und Sicherheitspolitik (AIES)

 

Podiumsdiskussion:

Yasen Georgiev, Executive Director des Economic Policy Instituts in Sofia

Louisa Slavkova, Mitbegründerin und Direktorin der Sofia Platform in Sofia

Velina Tchakarova, Direktorin des Austria Instituts für Europa- und Sicherheitspolitik (AIES)

 

Moderation

Sebastian Schäffer, Geschäftsführer des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM)