Spannungen zwischen Serbien und Kosovo
Mit Besorgnis beobachtet die internationale Gemeinschaft die neuerlichen Spannungen zwischen Serbien und Kosovo.
Ob es zu einer weiten Eskalation kommen könnte und wie sich die aktuelle Situation auf die serbische und kosovarische Diaspora in Österreich auswirkt, darüber sprach Sebastian Schäffer heute bei PULS24NEWS .
Das Interview kann hier nachgesehen werden.
Where the river flows, science follows
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Zuerst Widerstand, dann Wahlkampf
Grünparteien hatten es in Serbien bisher schwer. Doch im ganzen Land finden sich zunehmend Protestbewegungen gegen Naturzerstörung. 13 Abgeordnete der linksgrünen Liste MORAMO bringen nun den Protest von der Straße ins Parlament. Mit einer von ihnen, BILJANA ĐORĐEVIĆ, sprach MELANIE JAINDL über Serbiens Chancen auf Veränderung.
An einem grauen Jännertag läuft ein Mann mit erhobenen Händen auf die Belgrader Stadtautobahn. In der letzten Sekunde weichen heranrasende Fahrzeuge aus. Sie werden die letzten sein, die in der kommenden Stunde vorankommen – die lauten Trillerpfeifen verraten, es folgen ihm noch Tausende. Auf ihren Schildern steht: »Serbien steht nicht zum Verkauf« und »Wir geben Jadar nicht auf« (Ne damo Jadar). Letzteres bezieht sich auf das westserbische Jadar-Tal, in dem der britisch-australische Bergbaukonzern Rio Tinto Lithium abbauen will. Nach wochenlangen Protesten zum Jahreswechsel entzog die serbische Regierung Rio Tinto die Lizenz. Schon davor entlud sich die Unzufriedenheit mit Serbiens politischer Entwicklung auf der Straße. Der skandierte Spruch »Ne damo« (Wir geben nicht auf) ist dabei immer wieder zu hören. Bereits 2014 organisierten sich DemonstrantInnen in Belgrad unter der Initiative Ne Da(vi)mo Beograd (NdB), die in den darauffolgenden Jahren zahlreiche AnhängerInnen fand. Unter dem Wortspiel »Wir lassen Belgrad nicht ertrinken/Wir geben Belgrad nicht auf« setzte sich NdB gegen die Gentrifizierung des Stadtteils Savamala und die Privatisierung des Flussufers ein – ohne Erfolg. Mittlerweile stehen die ersten Wolkenkratzer der abu-dhabischen Firma Eagle Hills am Ufer der Save. Hier entsteht ein luxuriöser neuer Bezirk, die Belgrade Waterfront. Beide Protestbewegungen – sowohl gegen Rio Tinto als auch gegen Waterfront – haben ähnliche Forderungen. Sie sind gegen ausländische Finanzspekulationen, gegen Enteignung der lokalen Bevölkerung und für Umweltschutz. Mit Biljana Đorđević haben die Demonstrierenden nun eine Stimme im serbischen Parlament.
Akademikerin, Aktivistin und bald Abgeordnete
Biljana Đorđević ist Dozentin an der Politikwissenschaftlichen Fakultät der Universität Belgrad und wurde 2022 in die parlamentarische Versammlung Serbiens gewählt. Sie war Spitzenkandidatin auf der nationalen Liste der grün-linken Oppositionskoalition MORAMO (Wir müssen), zu der neben zwei weiteren Organisationen auch NdB gehört. »Anfänglich war ich nur Sympathisantin der Initiative und ging auf Proteste«, sagt Đorđević im Interview mit Info Europa. Immer öfter besuchte sie Vernetzungstreffen der Gruppe, bis sie jeden Tag dort war. Schließlich wurde sie zur politischen Koordinatorin von NdB. »2018 kam der Entschluss, bei den Belgrader Kommunalwahlen anzutreten«, erzählt Đorđević über ihre Anfänge in der Politik. Durch den Einzug ins Stadtparlament erhoffte sich die Initiative einen besseren Zugang zu Informationen, um BewohnerInnen schon im Vorfeld über Bauvorhaben wie Waterfront informieren und dagegen mobilisieren zu können. »In einer funktionierenden Demokratie könnten wir für immer AktivistInnen bleiben, weil die Regierung auf Forderungen von Massenprotesten eingehen muss.« In Serbien geschehe das meistens nur vor Wahlen, wie der Fall Rio Tinto im Frühjahr 2022 zeige. Die NdB-AktivistInnen sahen also nur über die Kandidatur bei Wahlen einen Weg zur Veränderung.
2018 scheiterte NdB an der Fünfprozenthürde für den Einzug ins Stadtparlament. Bei den jüngsten Wahlen vom 3. April 2022 erreichte die Initiative mit ihren KoalitionspartnerInnen allerdings knapp elf Prozent. Gleichzeitig mit den Belgrader Kommunalwahlen wurden auch die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen abgehalten. »Dass alle Wahlen am gleichen Tag stattfanden, hatte das Ziel, die BelgradWahl zu überschatten«, ist Đorđević überzeugt. In der Hauptstadt hätte die Opposition die größte Chance einen Regierungswechsel herbeizuführen. Um im Wahlkampfchaos nicht unterzugehen, entschied sich MORAMO deswegen bei allen Wahlen anzutreten. Auch wenn wenig Zeit blieb, um eine nationale Liste zusammenzustellen, schaffte MORAMO mit knapp fünf Prozent der Stimmen den Einzug in die serbische Nationalversammlung (Stand:20. Juni 2022). Eine von voraussichtlich 13 MORAMO-Abgeordneten ist Biljana Đorđević. »Obwohl wir hauptsächlich als Grüne wahrgenommen wurden, ist ein wichtiger Teil unseres Programmes linke Politik. Ich will mich für gute Bildung, ArbeitnehmerInnenrechte und Geschlechtergerechtigkeit einsetzen.«
Auch Dorf kann Demo
Die Massenproteste der vergangenen Jahre konzentrierten sich in urbanen Zentren. Zu den Rio-TintoDemos kamen jedoch Menschen aus ganz Serbien, aus verschiedenen Gesellschaftsschichten und mit unterschiedlichsten politischen Einstellungen. Dabei sei es laut Đorđević um einiges schwerer, in kleinen Kommunen Opposition zu zeigen – egal ob aktivistisch oder politisch organisiert. »Die Leute fürchten Anfeindungen oder ihren Job zu verlieren.« Auch stünden weniger Ressourcen zur Verfügung. Und trotzdem finden sich immer wieder Beispiele lokalen Widerstands – sei es der Kleinbauer im südserbischen Rakita, der sich Baggern in den Weg stellte, um »seinen Fluss« vor dem Bau eines Kleinkraftwerks zu beschützen, oder die Großmutter aus Temska, die mit ihren Enkelinnen Gedichte über den Nationalpark Stara Planina vortrug. In den ländlichen Regionen gibt es einige dieser lokalen Initiativen gegen Naturzerstörung. Die BewohnerInnen fühlen sich mit ihrer Umwelt eng verbunden, die Kunst des Fischens im lokalen Fluss wird vom Großvater and den Vater weitergegeben, der es wiederum seinen Kindern beibringt. Ackerflächen werden über Generationen hinweg von derselben Familie bestellt. Laut der serbischen Statistikbehörde arbeiteten 2018 mehr als 1,3 Millionen Menschen in der Landwirtschaft, die meisten in kleinen Familienbetrieben. Gefürchtete Interventionen bedeuten nicht nur den Entzug der Lebensgrundlage, sondern auch das Aus für jahrzehntealte Lebensweisen.
Dies zeigt, Naturschutz mobilisiert die SerbInnen, auch weil entsprechende Maßnahmen bislang fehlen. Tatsächlich widmeten sich die meisten Proteste 2021 diesem Thema. Als Mitglied der grün-linken Koalition ist sich Đorđević daher auch sicher, dass sie bei den Wahlen besser abgeschnitten hätten, »hätten uns die regierungsnahen Medien nicht weitgehend ignoriert.« Auf der Weltrangliste der Pressefreiheit ist Serbien auf Platz 79 von 180 Ländern. Reporter Ohne Grenzen kritisiert vor allem die Einflussnahme der Regierung auf journalistische Berichterstattung und die damit einhergehende Hetze gegen regierungskritische Medien.
Trotz dieser Widrigkeiten kann man ein Umdenken beobachten, nicht nur in Serbien, sondern am ganzen Westbalkan. Lange hieß es, die Bevölkerung habe größere Probleme als Umweltverschmutzung: Arbeitsplatzsicherheit, Nachkriegsspannungen, Rechtsstaatlichkeit und nötige Adaptionen hinsichtlich des EU-Beitritts. Grünparteien verfügten bis vor kurzem über wenig bis keine politische Macht. Doch in Montenegro stellt die Grün-Bewegung United Reform Action (URA) seit April – in einer Minderheitsregierung – den Ministerpräsidenten. Ein grün-linker Bürgermeister regiert seit einem Jahr die kroatische Hauptstadt Zagreb. »Viele unserer Themen beziehen sich auf regionale Probleme«, erklärt Đorđević. Sie pflegt daher auch den Austausch mit ähnlichen Gruppen in den Nachbarländern.
Tatsächlich übersteigt die Luftverschmutzung in Ballungszentren am Balkan jegliche Richtwerte. Die Folgen sind tödlich. Daten des UN-Umweltprogrammes UNEP aus dem Jahr 2019 zufolge sterben jährlich 5000 Menschen aufgrund der schlechten Luft in der Region. Die dadurch dringend notwendige Abkehr von Kohlekraftwerken eröffnet jedoch andere Probleme: Denn die Länder Südosteuropas beheimaten auch die letzten freifließenden Gewässer in Europa. Für die nächsten Jahre sind auf dem Gebiet zwischen Slowenien und Griechenland rund 3000 Wasserkraftwerke geplant. UmweltschützerInnen kritisieren, dass der energetische Nutzen dieser Bauten dem ökologischen Schaden nicht gerecht werde. Sie setzten sich daher zunehmend für den Schutz des sogenannten »Blauen Herzens Europas« ein.
© Ne Da(vi)mo Beograd
Von der Peripherie ins Parlament
Umweltschäden wirken sich direkt auf die Lebensqualität der Menschen aus, weshalb grüne Politik für Đorđević auch automatisch links ist. Aus den Wahlergebnissen will sie für die Zukunft von NdB lernen. Dass sie in Belgrad vergleichsweise gut abschnitten, liege daran, dass sie dort seit Jahren BürgerInnenbeteiligung ermöglichen. »Die Probleme in Belgrad gibt es aber in allen serbischen Städten«, erklärt Đorđević. Der Plan lautet also, ein nationales Netzwerk aus lokalen Initiativen zu formieren, um somit gezielt die Probleme von Kommunen ins Parlament zu tragen. Dafür hat NdB beschlossen, eine Partei zu gründen.
Der Regierungswechsel »ist eine Bedingung, ohne die es unmöglich ist, voranzukommen und Serbien in einen gerechten Staat zu verwandeln«, heißt es in MORAMOs Wahlprogramm. Die Verfehlung dieses Ziels hinterlässt Đorđević dennoch optimistisch: »Die Regierungspartei hat viele Sitze im Parlament verloren und nun können dort wieder Debatten stattfinden.« Bei den Parlamentswahlen 2020 hatte ein Großteil der Opposition die Wahlen wegen unfairer Bedingungen boykottiert. Dadurch führte die Regierungspartei nur Selbstgespräche im Parlament, so Đorđević. Mit einem Lächeln fügt sie hinzu: »Vielleicht gelingt es uns ja beim nächsten Mal.« Bis dahin verfolgt sie weiterhin die Strategie von Protest und Parlamentarismus.
Interview mit Melanie Jaindl und Biljana Đorđević. Biljana Đorđević ist Politikwissenschafterin und unterrichtet an der Universität Belgrad. Sie ist Mitglied des Kleinen Rats der politischen Bewegung Ne Da(vi)mo Beograd und zieht nach den Wahlen 2022 als Abgeordnete in die serbische Nationalversammlung ein.
Herkulesaufgabe für die Demokratie
Wird die repräsentative Demokratie als beste Regierungsform abgelöst? Über Machtkämpfe, Vertrauensverlust und den Trend zu lokalen Antworten auf globale Probleme schreibt DANIEL MARTÍNEK in seinem Kommentar.
Die repräsentativen Demokratien Europas befinden sich in der Krise. Das zeigt sich etwa in der schwindenden Bedeutung politischer Großparteien, in niedriger Wahlbeteiligung oder in einem allgemeinen Misstrauen gegenüber PolitikerInnen und Institutionen. Die überholte und teils autoritäre Politik einiger Regierungsparteien in den Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas trägt zu diesem Trend bei. Sie ist aber auch Grund, warum sich lokale Initiativen, Bewegungen und Bündnisse als Gegenmacht zu den nationalen Regierungen formieren.
Der Charakter dieses lokalen Aufbruchs unterscheidet sich je nach den Umständen, in denen er sich entwickelt und reicht weit über die Städte hinaus bis in abgelegene ländliche Gebiete. Die Spannbreite ist groß und umfasst neben BürgerInneninitiativen, ökologischen Gruppen oder Parteien, die aus Protestbewegungen hervorgehen, auch BürgermeisterInnen-Allianzen und kommunal verwaltete Plattformen. Sie alle entstehen, um die lokale Mitbestimmung zu stärken und bei jenen Fragen mitreden zu können, auf die die Regierung ihrer Meinung nach unzureichende oder gar keine Antworten liefert. Basisdemokratische Kräfte wie diese verleihen der uralten Idee der Demokratie von unten neuen Auftrieb.
Politisches Establishment herausfordern
Es existiert keine Übersicht aller bestehenden gemeinschaftsbasierten Initiativen in der Region Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Eine solche zu schaffen wäre auch schwierig, da sich diese Initiativen in Umfang, Inhalt, Grad der Partizipation und Bedeutung unterscheiden. Strukturell können wir zwischen zwei Formen von lokalen Veränderungskräften unterscheiden: eine institutionalisierte und eine informelle. In der ersten kommen Städte, Gemeinden und kommunale Einrichtungen zu Bündnissen zusammen oder schaffen transnationale Plattformen. Dazu zählen etwa Netzwerke wie Fearless Cities, URBACT, Eurotowns oder Pact of Free Cities, die sich über nationalstaatliche Grenzen hinaus austauschen und miteinander kooperieren.
Zur zweiten Form gehören von der Zivilgesellschaft initiierte, eher spontan und anlassbezogene Bottom-up-Projekte wie BürgerInneninitiativen, die den lokalen Status quo herausfordern und Veränderungen bewirken. Zumeist stehen sie dadurch im Widerspruch zum herrschenden politischen Establishment. Werden Mitglieder lokaler Initiativen in die Stadt- und Gemeinderäte gewählt, vertreten sie dort die Interessen der Protestierenden. So werden zivilgesellschaftliche Kräfte institutionalisiert oder durchdringen bestehende Strukturen, was auch zu Konflikten führen kann. PolitikerInnen, die ihre Anfänge in Bewegungen wie Miasto jest Nasze in Warschau, Zagreb je NAŠ! in der kroatischen Hauptstadt oder Ne da(vi)mo Beograd in Belgrad machten, sind nur einige Beispiele für aktivistisches Engagement, das auch parteipolitische Wege einschlägt. Angesichts der überall wachsenden politischen, ökologischen und sozialen Probleme geht dieses Phänomen auch über Hauptstädte und urbane Räume hinaus. Gerade Umweltbewegungen mobilisieren die lokale Landbevölkerung gegen Naturzerstörungen.
Chancen und Barrieren des lokalen Aufbruchs
Solche Aktivitäten öffnen den Blick für ein neues Verständnis von Machtverteilung und Demokratie, die von einer repräsentativen in eine partizipative Herrschaftsform umgewandelt wird. Viele der genannten Initiativen teilen gemeinsame Ziele. Sie alle befassen sich mit brennenden Themen unserer Zeit und ihren Auswirkungen auf das lokale (teils auch globale) Umfeld: die Klimakrise, ausreichender und angemessener Wohnraum, soziale Ungleichheit, verantwortungsvolle Regierungsführung. Dabei fordern sie die Einhaltung von Menschenrechten, individuelle Freiheiten, Transparenz, Inklusion und Rechtsstaatlichkeit ein. Oft streben sie eine soziale, grüne und diverse Lokalpolitik an.
Mit Forderungen wie diesen und dem Ziel, dem politischen Klientelismus und Tribalismus etwas entgegenzustellen, stoßen lokale Initiativen auf den Widerstand bestehender Strukturen und Hierarchien. Ihr Anspruch, bei Entscheidungen gehört zu werden, fordert zentralistische Nationalstaaten heraus. Daher werden solche Projekte in der Regel nicht von den Regierungen unterstützt, ganz im Gegenteil, sie versuchen, diese Aktivitäten zu unterbinden.
Zukunft der Demokratie
Trotz allen politischen Drucks demonstrieren lokale Bewegungen ihre Vitalität, indem sie mit sehr begrenzten Ressourcen und unter ungünstigen Umständen für ihre Ziele eintreten. Gleichzeitig rütteln sie an bestehenden Machtverhältnissen. Eine der größten Herausforderungen besteht jedoch weiterhin darin, die Bevölkerung zu überzeugen und zu motivieren, diese neue Art der Machtverteilung zu unterstützen. Dieser Machttransfer bildet jedoch eine Herkulesaufgabe für die Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas, wo die Zivilgesellschaften schwach ausgeprägt und politisch gespalten sind.
Politik zu den Menschen zu bringen ist daher eine wichtige Aufgabe für lokale Initiativen. Sie müssen die Bevölkerung überzeugen, dass lokales Engagement bedeutet, ihre eigene Zukunft zu gestalten. So kann die Krise der repräsentativen Demokratie langfristig zu partizipativen Entscheidungsprozessen führen und lokale Beteiligungsprojekte fördern. Dafür ist eine engere Zusammenarbeit und ein Austausch zwischen Bottom-up-Projekten und lokalen Institutionen und Behörden notwendig. Zugleich müssen sie Allianzen über die Grenzen des Lokalen hinaus bilden, um Antworten auf globale Probleme zu finden.
Autor: Daniel Martinek
Demokratie in unsicheren sozialen Räumen: Zum Zusammenhang von Demokratie und Migration in Serbien
IDM-Projekt in Zusammenarbeit mit der Forschungsplattform „Wiener Osteuropaforum“ an der Universität Wien
Gefördert durch die Österreichische Nationalbank (OeNB) und das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung (BMWF)
Im Rahmen dieses Projekts wurden neue Erkenntnisse über Demokratie und ihr soziales Umfeld, vor allem in einer Gesellschaft mit einem hohen Migrationspotential wie in Serbien, gewonnen. Diese Erkenntnisse wurden mit einem serbischen Kooperationspartner, dem Institut für Sozialwissenschaften Belgrad, im Rahmen einer repräsentativen Umfrage und darauf folgenden Fokusgruppen erarbeitet. Daraus können praktische Schlussfolgerungen über Chancen und Grenzen von Demokratisierung bzw. externer Unterstützung von Demokratie und dem vorhandenen Migrationspotential in Serbien gezogen werden.
Kooperationspartner:
Forschungsplattform “Wiener Osteuropaforum” an der Universität Wien, Institute of Social Sciences, Centre for Political Studies and Public Opinion Research, Belgrade
Projektziel:
Die Demokratieentwicklung am Westbalkan verläuft deutlich krisenhafter als in anderen Teilen Osteuropas. Obwohl es seit dem Jahr 2000 in Serbien eine Annäherung an Westeuropa, Fortschritte im Prozess der europäischen Integration sowie bei der Demokratisierung gibt, ist die politische Entwicklung immer noch instabil und widersprüchlich. Diese Abweichungen vom übrigen Osteuropa stellen Herausforderungen dar, deren Bearbeitung interessante Erkenntnisse über das Fortschreiten sozialer und politischer Veränderungen in post-autoritären Regimen versprechen lässt.
Extreme soziale Unsicherheit und soziale Anomie gefährden Demokratie in hohem Maße, weil sie mit dem Rückzug großer Teile der Bürgerschaft aus dem Raum politischer Mitentscheidung verbunden sind. Wenn die Bürger/innen zur Partizipation keine Kraft haben, dann entleeren sich die demokratischen Institutionen und werden zu Kulissen, hinter denen eine abgehobene politische Klasse als die eigentlich Mächtigen ihre Interessen realisiert.
Die Demokratietauglichkeit einer solchen Gesellschaft ist zu bezweifeln. Migration ist eine Möglichkeit, mit der Menschen auf grundsätzliche soziale Verunsicherungen reagieren. Migration ist dabei keine Einbahnstraße, sondern ein Wechselspiel zwischen Druck- und Sogfaktoren im Kontext transnationaler Räume und Netzwerke. Migrationserfahrungen von Remigrant/inn/en und die von ihnen vermittelten Kenntnisse von Demokratie, politischer Beteiligung und Zivilgesellschaft des Aufnahmelandes können die politische Kultur des Sendelandes beeinflussen.
Das Ziel dieses Projekts ist, neue Erkenntnisse zu Demokratie und deren sozialem Umfeld, vor allem in einer Gesellschaft mit einem hohen Migrationspotential wie in Serbien, zu gewinnen. Das Besondere an diesem Projekt ist die systematische Verbindung von Demokratie, wirtschaftlicher Situation und Migration. Die aus der Studie gewonnenen Erkenntnisse sollen praktische Schlussfolgerungen über Chancen und Grenzen von Demokratisierung bzw. über externe Unterstützungsmöglichkeiten von Demokratie und dem vorhandenen Migrationspotential liefern.
Konferenz:
22. November 2011, GÖD, Seminarraum, Wien
Publikationen:
Der Donauraum Der Donauraum 1/2012: Demokratie in unsicheren Räumen – demokratische Erwartungen, soziale Realität und Migration in Serbien
IDM-Studie:
Democracy in Unstable Social Spaces: Serbia – Report on the Survey conducted in November 2011 in Serbia
Kontakt:
Dr. Silvia Nadjivan
Institut für den Donauraum und Mitteleuropa
Tel.: +43 1 319 58 72-24
E-Mail: s.nadjivan@idm.at
- Projektzeitraum: April 2010 – April 2012
- Projektleitung: Univ.-Prof. Dr. Heinz Fassmann | Univ.-Prof. Dr. Dieter Segert | Dr. Vedran Džihić
- Projektmitarbeiterinnen: Mag. Simone Polić-Tögel | Mag. Katarina Kujačić | Mag. Dr. Silvia Nadjivan
Gemeinsame Geschichte? Österreichische und serbische Mythen von 1914 bis 2014
IDM-Projekt, gefördert durch den Zukunftsfonds der Republik Österreich
Projektziel:
Im inzwischen abgeschlossenen IDM-Forschungsprojekt werden all jene handlungsleitenden Mythen erfasst und analysiert, die über hundert Jahre das Verhältnis zwischen Wien und Belgrad bestimmt haben. Einander gegenübergestellt sind hier insbesondere der Habsburgermythos und der Kosovomythos, die beide je nach politischem Interesse instrumentalisiert wurden. Der Untersuchungszeitraum beginnt mit der Ermordung des austrophilen Königs Aleksandar Obrenović 1903, die ein zusehends konfrontatives Verhältnis beider Länder einleitete, und endet mit dem gegenwärtigen EU-Integrationsprozess Serbiens, für den sich Österreich explizit einsetzt. So wechseln sich zwischen 1903 und 2014 die Phasen von Kooperation und Konfrontation gegenseitig ab, was durch die hierfür instrumentalisierten Mythen verstärkt wird.
Das Verhältnis zwischen Österreich und Serbien ist nicht friktionsfrei. Darauf verweisen diverse Diskurse, die anlässlich des möglichen EU-Beitritts Serbiens hierzulande zu vernehmen sind. Viele dieser Diskurse fußen auf unbewiesenen Vorurteilen und Mythen, deren Ursprünge weit in die Vergangenheit zurückreichen. Auch in Serbien kursieren viele historische Mythen über Österreich, die der sozialen Wirklichkeit nicht entsprechen, jedoch gegenwärtige Wahrnehmungen beeinflussen. Im inzwischen abgeschlossenen Projekt geht es um eine aufklärerisch motivierte Aufarbeitung dieser von Propagandamythen verklärten hundert Jahre zwischen 1914 und 2014. Das biperspektivische Forschungsdesign sollte Erkenntnisse liefern, die ein differenziertes Geschichtsbild zu zeichnen erlauben und darüber hinaus auch eine zutiefst bedeutsame Funktion im Hinblick auf die europäische Integration, also auf die Einbindung der Balkanstaaten bzw. des „West-Balkans“ in die Europäische Union in der Zeit nach 2014 erfüllen. Das Projekt soll damit einen grundlegenden Beitrag zum gegenseitigen und ‚nachbarschaftlichen’ Verständnis im gegenwärtigen europäischen Integrationsprozess leisten. Ein differenziertes Geschichtsbild und gegenseitiges Verständnis sind nicht zuletzt im Kontext verstärkter politischer, wirtschaftlicher sowie kultureller Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen EU-Mitgliedsländern und EU-Kandidatenländern wesentlich.
Mit dem Sarajevo-Attentat 1914 und der darauffolgenden Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien entwickeln sich der Habsburgermythos und Kosovomythos zu Hauptideologemen beider Staaten. Der Habsburgermythos soll mitsamt seinen Umdeutungen, bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs seine politische Strahlkraft erhalten und im neutralen Österreich nur mehr im Kulturbereich fortwirken. Dagegen soll der mythologisierte gemeinsame Kampf gegen eine feindliche Fremdherrschaft (unausgesprochenes Merkmal des Kosovomythos) die Grundlage von Titos Partisanenbewegung und sozialistischem Jugoslawien bilden.
Angetrieben vom Wunsch nach Prosperität und Wohlstand und im Korsett des Kalten Krieges schwenken das neutrale Österreich und blockfreie Jugoslawien auf den Kurs der freundschaftlichen Nachbarschaft um. Diese Nachbarschaftspolitik, die österreichische Touristen an die jugoslawische Adria und jugoslawische Arbeitsmigranten („Gastarbeiter“) nach Österreich bringt, endet mit dem jugoslawischen Zerfallsprozess. Darin ist auch Österreich mit seiner Favorisierung und darauffolgenden Anerkennung von Slowenien und Kroatien (offiziell gemeinsam mit der EG 1992) verwickelt. Während der Jugoslawienkriege in den 1990er Jahren zählen Österreich wie der Westen bzw. die so genannte internationale Gemeinschaft zu den erklärten Feinden des serbischen (jugoslawischen) Milošević-Regimes, das sich den Kosovomythos längst zunutze gemacht hat. Umgekehrt schließt sich Österreich in seiner ablehnenden Haltung gegenüber Serbien den tonangebenden internationalen Mächten an.
Das konfrontative Verhältnis zwischen dem offiziellen Wien und Belgrad endet schließlich mit dem Sturz des Milošević-Regimes 2000 und der damit verbundenen Absage an den herkömmlichen Kosovomythos auf serbischer Seite. Im Kontext des nach wie vor laufenden EU-Integrationsprozesses Serbiens gestaltet sich dieses bilaterale Verhältnis betont freundschaftlich, verbunden mit wirtschaftlichen Kooperationen. Die geplante Buchpublikation soll anhand dieser Untersuchung zweier gesamtgesellschaftlich zutiefst verwobener Staaten einen Beitrag zum Verständnis europäischer Geschichte und aktueller politischer Prozesse leisten.
Projektpräsentationen:
Präsentiert wurden die Projektergebnisse bei den folgenden Veranstaltungen:
Im Rahmen des 9. Werkstattgesprächs des Zukunftsfonds der Republik Österreich am 15. Oktober 2013 an der Diplomatischen Akademie,
im Zuge des IDM-Lehrer/innen-Fortbildungsseminars zu „100 Jahre Erster Weltkrieg – von der ‚Urkatastrophe’ zum Friedensprojekt Europa“ am 27. Februar 2014 am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien,
im Rahmen der 11th DRC Summer School zu „1914-2014: 100 Years after the World War I – Chances and Challenges for the Danube Region“ am 10. Juli 2014 an der Universität Novi Sad,
im Zuge der Konferenz zu „Kriegserinnerungen zwischen Vergangenheitsbewältigung und Zukunftsgestaltung“ am 10. September 2014 an der Andrássy Universiät Budapest
und im Rahmen der IDM-Konferenz „Der Große Krieg und seine Mythen im Donauraum von 1914 bis 2014“ am 22. September 2014 im Presseclub Concordia.
Der Konferenzband als Ausgabe der wissenschaftlichen Quartalszeitschrift des IDM befindet sich derzeit in Produktion.
- Projektzeitraum: September 2012 – August 2014
- Projektleitung: Dr. Erhard Busek
- Projektkoordination: Mag. Dr. Wolfgang Pensold
- Projektmitarbeiterinnen: Mag. Dr. Silvia Nadjivan | MMag. Eva Tamara Asboth (ehemals Titz)
- Projektmonitoring: Prof. Dr. Milan Ristović | Mag. Dr. Irena Ristić
Parliamentary and Presidential Elections in Serbia 2022 / Online panel discussion 31.3.2022
Panel discussion organized by IDM in cooperation with the Political Academy and Karl Renner Institute
11:00 Welcome Address
Michael Fazekas, Executive Coordinator of the Southeast European Cooperative Initiative (SECI)
Gerhard Marchl, Head of the Department for European Politics at the Karl Renner Institute
11:10 Briefing on the current situation in Serbia
Vujo Ilić, Researcher at the Institute for Philosophy and Social Theory of the University of Belgrade, Policy and Research Advisor at Center for Research, Transparency and Accountability (CRTA)
11:20 Panel Discussion
Florian Bieber, Director of the Center for Southeast European Studies at the University of Graz
Vujo Ilić, Researcher at the Institute for Philosophy and Social Theory of the University of Belgrade, Policy and Research Advisor at Center for Research, Transparency and Accountability (CRTA)
Miljana Pejić, Secretary General of the National Youth Council of Serbia, Belgrade
Ivanka Popović, Professor and former Rector of the University of Belgrade
Moderation
Sebastian Schäffer, Managing Director at the Institute for the Danube Region and Central Europe (IDM)
Read everything you need to know about the general elections in Serbia in the briefing (below) written by Vujo Ilić.
Please note that access to the venue is limited and only permitted after registration. You can follow the event via Livestream on YouTube.
- Beginn: Donnerstag, 31. März 2022, 11:00 Uhr
- Ende: Donnerstag, 31. März 2022, 12:30 Uhr
- Ort: Congress Centre Hofburg
- Adresse: Heldenplatz 1, 1010 Vienna
- Auskunft: Daniel Martínek
- Auskunft E-Mail: d.martinek@idm.at
- Auskunft Telefonnummer: +43 1 319 72 58 17
- Anmeldung: Please note that access to the venue is limited and only permitted after registration. You can follow the event via Livestream on YouTube.
- Anmeldung unter: idm@idm.at
The whole discussion is available on the YouTube channel of the IDM: